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 Bohrer

von Franken, Karl III.

von Franken, Karl III.

männlich 839 - 888  (49 Jahre)

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Generation: 1

  1. 1.  von Franken, Karl III.von Franken, Karl III. wurde geboren in 839 (Sohn von von Franken, Ludwig II. und Hemma); gestorben am 13 Jan 888 in Neudingen [78166],Schwarzwald-Baar-Kreis,Baden-Württemberg,Deutschland; wurde beigesetzt in Reichenau [78479],Konstanz,Baden-Württemberg,Deutschland.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: 12 Feb 881; römischer Kaiser
    • Titel/Amt/Status: 879-887, Italien; König von Italien
    • Titel/Amt/Status: 876-887, Ostfrankenreich; Ostfränkischer König

    Notizen:

    KARL III. DER DICKE
    Ostfränkischer König (876-887)
    König von Italien (879-887)
    römischer Kaiser seit 12.2.881
    839-13.1.888 Neudingen/Donau Begraben: Reichenau
    3. Sohn des Ostfränkischen Königs Ludwig II. der Deutsche und der WELFIN Hemma, Tochter von Graf Welf
    Urenkel von Kaiser KARL I. DEM GROSSEN

    Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 966

    KARL III. DER DICKE, Kaiser, fränkischer König
    * 839, + 13. Januar 888 Neudingen (Donau) Begraben: Reichenau

    In der 856 und 872 verfügten und nach Ludwigs des Deutschen Tod 876 beschworenen Teilung des ostfränkischen Reichs erhielt KARL DER DICKE zunächst Alemannien und Churrätien, profitierte aber von der politischen Expansion seiner Brüder Karlmann und Ludwig(der Jüngere) und ihrem frühen Tod. Nach Ausstattung seines illegitimen Sohnes ARNULF (VON KÄRNTEN) im östlichen Bayern trat Karlmann 877 die Herrschaft in Italien an, und Ludwig nutzte die Sukzessiionskrise im westfränkischen Reich 879 zum Erwerb des westlichen Lothringen im Vertrag von Ribemont (880). Nach dem Tod der Brüder 880 und 882 fielen ihre regna KARL DEM DICKEN zu, dem bereits am 12. Februar 881 die Erneuerung des Kaisertums geglückt war. Trotz vielfältiger Anstrengungen war er aber nicht zum effektiven Schutz des Papsttums in der Lage, das sich zunehmend der karolingischen Familie enfremdete.
    Nach dem erbenlosen Tod der beiden westfränkischen Könige Ludwig III. und Karlmann 882 und 884, die KARL DER DICKE zur Sicherung ihrer umstrittenen Legitimität nach dem Tod ihres Vaters Ludwigs II. des Stammlers 879 adoptiert hatte, lud der westfränkische Adel unter Umgehung des erst fünfjährigen Postumus Karl III. den Einfältigen KARL DEN DICKEN 885 als Herrscher nach W-Franken ein. Sieht man von dem niemals ganz beseitigten Königtum Bosos von Vienne (879-887) ab, war damit das fränkische Großreich erneut in einer Hand vereinigt. Freilich erwies sich die strukturelle Schwäche von KARLS Herrschaft angesichts massiver Normannenbedrohung seit 879, der KARL DER DICKE durch Tributzahlungen und zeitweise Anerkennung des getauften Normannen Gottfried in Friesland zu begegnen suchte. Zwar nahm er damit die im 10. Jh. erfolgreichen Praktiken seiner Nachfolger vorweg, aber die Zeitgenossen empfanden das Versagen des christlichen Herrschers angesichts heidnischer Bedrohung, während gleichzeitig regionale Potentaten wie Graf Odo von Paris erfolgreich die Normannenabwehr organisierten. Zu dieser Umformierung politischer Legitimation durch Ideoneität trat die fehlende Kraft zur Integration des Großreichs. In ihrer vorwiegend alemannischen Prägung konnte die Hofkapelle, der der einflußreiche Bischof Liutward von Vercelli vorstand, nicht mehr die unterschiedlichen Reichsteile repräsentieren, und die königlichen Urkunden mit ihren gesonderten Datierungen nach Kaiserjahren und denen der Herrschaft in O-Franken (Francia), W-Franken (Gallia) und Italien offenbarten diese Summierung sich langsam festigender Teilreiche.
    Geprägt durch zunehmenden körperlichen Verfall, suchte KARL DER DICKE seine Nachfolge vor allem gegen seinen illegitimen Neffen ARNULF zu sichern. Aber sowohl die mit päpstlicher Hilfe geplante Durchsetzung von KARLS illegitimen Sohn Bernhard 885 als auch die Adoption LUDWIGS, Sohn Bosos von Vienne und der Tochter Kaiser LUDWIGS II., aus der lotharingischen KAROLINGER-Linie 887 mißlangen. Der Sturz Liutwards von Vercelli, sein Parteiwechsel zu ARNULF und die zunehmende Umorientierung der ostfränkischen Aristokratie seit Juni 887 markieren das langsame Ende KARLS, von dem die Quellen ein widersprüchliches Bild geben: Ein gescheiterter Hoftag in Tribur wie ein Zug nach Frankfurt im November 887 zeigten dem Kaiser seine Chancenlosigkeit. Mit Duldung des zum König gewählten ARNULF verbrachte KARL DER DICKE seine letzten Wochen in Alemannien. Sein Ende dokumentiert das Scheitern des fränkischen Großreichs, in dessen regna sich Adelsgruppen ihre Könige "de suis visceribus" (Regino von Prüm) erwählten.

    Quellen und Literatur:
    MGH DD Karol. dt. II - HEG I, 618-621 - NDB XI, 181-184 - W. Vogel, Die Normannen und as Frk. Reich, 1906, 206ff. - P. Kehr, Die Kanzlei K.s, 1936 - J. Fleckenstein, Die Hofkapelle der dt. Kg.e, I, 1959, 189-198 - H. Keller, Zum Sturz K.s, DA 22, 1966, 333-384 - E. Hlawitschka, Lotharingien und das Reich an der Schwelle der dt. Gesch.,1968, 26ff. - M. Borgolte, K. und Neudingen, ZGO 125, 1977, 21-55 - E. Hlawitschka, Nachfolgeprojekte aus der Spätzeit K.s, DA 34, 1978, 19-50 -
    Beim Tode seines Vaters 876 erhielt er Alemannien und Raetien als Erbe. Auf seinem ersten Italienzug 879 wurde er zum König der Langobarden gekrönt. Nach dem Tode seiner Brüder Karlmann (880) und Ludwig III. (882) übernahm er deren Gebiete und wurde damit Herrscher des gesamten ostfränkischen Reiches. Er schloß die Wikinger in Elsloo (Friesland) ein und erkaufte trotz günstiger militärischer Lage ihren Abzug, ohne künftige Einfälle verhindern zu können. Nach dem Tode der westfränkischen Könige Ludwig III. (882) und Karlmann (884), Enkel KARLS DES KAHLEN, bot der Adel KARL die westfränkische Krone an. Damit vereinigte KARL III. das Reich KARLS DES GROSSEN (außer Nieder-Burgund) noch einmal. Der Zerfall des Frankenreiches, bedingt durch dessen uneinheitliche Struktur, konnte aber nicht rückgängig gemacht werden. KARL besaß jedoch auch nicht die erforderliche Begabung, um ein so großes Reich zu regieren und er vermochte den inneren und äußeren Funktionen staatlicher Herrschaft nicht gerecht zu werden. Er unternahm ergebnislose Feldzüge nach Böhmen und Italien, während die Normannen die Maas, die Schelde und die Seine hinauffuhren. Der Kaiser erkaufte sogar mit Geld ihren Abzug aus der Pariser Gegend, was ihm die völlige Verachtung seiner Untertanen einbrachte und was schließlich dazu führte, dass man allgemein von ihm abfiel. Auf dem Reichstag zu Tribur (November 887) wurde der unfähige KARL zur Abdankung gezwungen und ARNULF VON KÄRNTEN zum ostfränkischen König erhoben. Der Kaiser starb im folgenden Jahr an seinem Zufluchtsort, dem Kloster Reichenau.

    Werner Karl Ferdinand: Seite 451, "Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1.-8. Generation)"

    IV. Generation 23

    KARL III. wurde nicht 884 Kaiser, sondern 881 II 12. Auf diesem Versehen von Brandenburg ist darum zu insistieren, weil er zusammenfassend bemerkt "Herrscher des fränkischen Gesamtreiches, Kaiser 884". Die Inbesitznahme aller regna (das W-Reich erst 885) hat aber mit dem Erwerb der Kaiserwürde, deren Bedeutung inzwischen auf Italien und Rom beschränkt war, nichts zu tun.
    KARLS Absetzung durch die ostfränkischen Großen galt, was häufig nicht beachtet wird, nur für diese, nicht zum Beispiel für die W-Franken, deren Thron erst mit KARLS Tod vakant wird. Wichtig sind die Bemerkungen von E. Ewig (wie oben, Anm. zu IV,5), wonach erst die Absicht KARLS, LUDWIG III., den Sohn Bosos von Vienne und Enkel Kaiser LUDWIGS II., zum Nachfolger im Gesamtreich zu machen (diese Absicht darf als gesichert gelten), den Aufstand ARNULFS auslöste.
    Wir wissen sicher, daß KARLS Ehe mit Richardis kinderlos war - denn sonst hätte die Kaiserin 887 nicht erklären können (ganz unabhängig von der Richtigkeit dieser Angabe), ihre Ehe sei nie vollzogen worden (so schon Regino von Prüm, vgl. Dümmler 3,284). Da muß es überraschen, daß Brandenburg dem Kaiser einen ehelichen Sohn Karlmann, mit dem Vermerk "+ 876" zuschreibt (Brandenburg V,14). Er beruft sich dabei auf Dümmler 3,292, Anm. 3, von dem die Ann. Alaman. 876 zitiert werden ... Karolomannus filius Karoli (und andere) obierunt. Aber Dümmler bemerkt dazu im Obertext, es müsse dahingestellt bleiben, ob KARL III. außer Bernhard noch einen anderen unehelichen Sohn, Karlmann, gehabt habe. Doch können wir diesen vermeintlichen KAROLINGER ganz streichen. Dümmler hat nämlich denselben Beleg schon einmal 2,359, Anm. 1 verwendet (und verweist auch, was Brandenburg hätte beachten sollen, auf diesen Umstand), um den Tod von KARLS DES KAHLEN Sohn Karlmann zu datieren, der noch Anfang 876 gelebt habe, wie aus einer Urkunde Papst Johannes VIII. für Karlmanns Abtei S.-Medard de Soissons hervorgehe. Im Gegensatz zu Dümmlers unentschiedener Haltung in Bd. 3 seines Werkes müssen wir betonen, daß die Annalen ohne jeden Zweifel den Sohn KARLS DES KAHLEN gemeint haben. Für sie war "Karolomannus filius KAROLI" eine eindeutige Definition, denn es gab sonst keinen KARL, der einen Sohn dieses Namens hatte. Der westfränkische Karlmann ist auch tatsächlich 876 gestorben, denn kaum war sein Vater, KARL DER KAHLE, der ihn blenden ließ, Ende 877 gestorben und hatte sein Bruder Ludwig der Stammler, nach anfänglichen Schwierigkeiten, die Regierung anzutreten, da stiftete dieser am 8. Februar 878 ein Seelgedächtnis für Karlmann in dessen Kirche S.-Medard (HF 9,416f.; dort irrig zu 879 datiert). Zum Todesdatum der Richardis äußert sich Brandenburg nicht. Tag und Monat sind überliefert: IX 18, vgl. Dümmler 3,285. Die ebd. für den Terminus post des Todesjahres herangezogenen sogenannten Andlauer Statuten "von 892 oder 893" kommen nicht in Betracht, da sie eine Fälschung des 11. Jahrhunderts sind. Verfälscht, aber doch im Kern echt, wie der Herausgeber gezeigt hat, ist ein Diplom Ludwigs des Kindes von 906/09 für Andlau, ed. Th. Schieffer, MG, Die Urkk. d. dt. Karolinger 4, 1963, 200-203, nr. 68 (vgl. dort 202 zu den Andlauer Statuten und 200, Z. 25f. zum Datum). Hier wird Richardis als verstorben genannt und die Nachfolge der Ruuddrudis in der Leitung von Andlau geregelt. Erneute Bestätigung ist das Diplom Karls des Einfältigen von 912 II 3 (Lauer nr. 125), das, wie Schieffer ebd. gegen den Herausgeber Lauer zeigt, keine Fälschung ist, sondern nur interpoliert wurde.

    Rappmann Roland/Zettler Alfons: Seite 430, "Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter"

    KARL (III.) DER DICKE + 13.1.888

    necr. B 13.1. "Karolus imp.", König im Ostfränkischen Reich 876-887, in Italien 879-888, im W-Fränkischen Reich 885-888, Kaiser 881-888

    Literatur:
    Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches 3; ADB 15 Seite 157-163; BM² 1576b-1765d; Kehr, Die Kanzlei Karls III.; Werner, Nachkommen Seite 451 f. Nrn. 19-23, 23 und Tafel IV/23; NDB II Seite 181-184; Biograph. Wörterbuch 2 Spalte 1397; Die Klostergemeinschaft von Fulda 2,1 Seite 315 K 24; Maurer, Sagen um Karl III.; Borgolte, Grafen Seite 160ff.; Schmid, Brüderschaften; Lexikon des Mittelalters 5 Spalte 968f. Zum Todestag: Dümmler, ebd. 3 Seite 289 Anm. 2; BM² 1765d.

    KARL, Sohn König Ludwigs des Deutschen und dessen Gemahlin Hemma, war der Bruder der Könige Karlmann und Ludwig der Jüngere und mit Richkart verheiratet. Von 859 bis 874 war er Rektor im Breisgau und im W der Bertoldsbaar; 864 erhielt er bei der Erbteilung Alemannien zugesprochen. Unter den KAROLINGERN war KARL III. sicherlich derjenige Herrscher, der Alemannien und dem Kloster Reichenau am engsten verbunden war; zu KARLS Verhältnis zu Alemannien vgl. zuletzt Borgolte, Karl III. und Neudingen Seite 20f. und die dort genannte Literatur. Beispielweise ging das bedeutende Brüderpaar Liutward und Chadolt, ersterer Bischof von Vercelli und Erzkapellan KARLS III., letzterer Bischof von Novara und Kapellan KARLS III., aus dem Reichenauer Konvent bzw. aus der Reichenauer Klosterschule hervor. Und Fleckenstein, Die Hofkapelle I Seite 190 geht sogar so weit, daß er behauptete, Liutward sei "die Schlüsselfigur der Kapelle KARLS III. wie seiner Herrschaft überhaupt" gewesen. Der Herrscher weilte am 13.1. 878 und am 22.4.884 auf der Bodenseeinsel, außerdem sind noch mehrere Urkunden des Kaisers für das Kloster erhalten; vgl. BM² 1583 bzw. 1681, Dümmler Seite 223 mit Anmerkung 4 und Beyerle, Von der Gründung Seite 112f., zu den Urkunden siehe Brandi, Urkundenfälschungen Seite 115f. KARL und seine Familie wurden in allen drei Gedenkbüchern der Bodenseeklöster mit Gedenkeinträgen bedacht worin nicht nur sein intensives Verhältnis zu Alemannien, sondern auch zur Reichenau deutlich wird; vgl. das Verbrüderungsbuch der Abtei Reichenau p. 98 A1, das St. Galler Gedenkbuch p. 3D = Libri confrat. col. 12 und den Liber viventium Fabariensis p. 27 B 1-3 und p. 41A. Unsicher muß bleiben, ob die drei am Ende eines Eintrags im Liber memorialis von Remiremont unter anderem mit KARL III., den Bischöfen Liutwart und Chadolt genannten Personen mit Reichenauer Mönchen identisch sind und sich im Gefolge des KAROLINGERS aufgehalten haben, wie Beyerle, Von der Gründung Seite 112/1 behauptet; vgl. Liber memorialis von Remiremont 1 Seite 15 Nr. 2, 2 fol. 9r und dazu Tellenbach, Liturgische Gedenkbücher Seitze 396ff., Borgolte, Karl III. und Neudingen Seite 22 Anmerkung 9 und Seite 51f. Anmerkung 159, Hoffmann, Zur Geschichte Ottos des Großen Seite 45f. Anmerkung 8 und Becher, Das königliche Frauenkloster Seite 371f.
    Zu beachten ist dabei ein Paralleleintrag im Liber viventium Fabariensis 1 p. 27B 1-3. nach seinem Tod in Neudingen wurde KARL im Reichenauer Münster neben dem 799 verstorbenen Grafen Gerold beigesetzt. An seinem Todestag wurde jedes Jahr ein eigenes Hochamt gehalten; vgl. Brandi, Urkundenfälschungen Seite 26 bzw. Seite 121 Nr. 88 und neuerdings Zettler, Die frühen Klosterbauten Seite 105ff. KARLS Tod wurde in einigen Necrologien zum 12.1., in den meisten aber zum 13.1. vermerkt.

    Konecny Silvia: Seite 140, "Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert."

    KARL III. ging ebenfalls zu Lebzeiten Ludwigs des Deutschen zwei Ehen ein. Einer dieser Verbindungen entstammte ein Sohn, den die Quellen "ex concubina natus" nennen, während die zweite allgemein anerkannte Ehe kinderlos blieb. Die erste Ehe schloß KARL III. vermutlich 862 mit einer Tochter des Erchanger, in der wohl die Mutter Bernhards, des einzigen Sohnes KARLS III., zu sehen ist. Als Datum des Eheschlusses fügt 862 sich zeitlich sehr gut zu einer ersten Phase der Opposition der Söhne gegen Ludwig den Deutschen, was deren Eheschlüsse bewirkt haben dürfte. Erchanger gehörte zu einem fränkischen Adelsgeschlecht, das vermutlich im "Ehestreit" Lothars II. eine beträchtliche Rolle spielte. Wahrscheinlich hing die militärische Hilfe, die Ludwig der Deutsche seinem Neffen Lothar 862 leistete, mit der Ehe KARLS III. zusammen. Dieser brauchte, wie die Quelle eigens betont, wegen seiner Heirat dem Vater keine Gefolgschaft für militärische Aktionen im Mittelreich zu leisten. Allgemein sieht man allerdings in der als Richgardis bekannten und kinderlosen Ehefrau KARLS III. die Tochter des Erchanger und hält Bernhard für den Sohn einer unbekannten Konkubine. Gegen diese Hypothese sprechen jedoch mehrere Indizien. Erstens war Bernhard ein häufiger ETICHONEN-Namen, zweitens gab Richgardis 887 die Dauer ihrer Ehe mit etwas mehr als 10 Jahren an, und drittens stimmt auch in ihrer Dotationsurkunde die Angabe der Indikation nicht mit dem Jahresdatum 862 überein. Richgardis nahm KARL III. vermutlich erst 873 zur Frau. Er scheint damit dem Wunsch seines Vaters nachgekommen zu sein, die Vollziehung der Ehe lehnte er jedoch mit diplomatischem Geschick ab. Er legte nämlich zwar 873 auf Wunsch seines Vaters einen Treueid ab, entschloß sich jedoch - wie allerdings nur die westfränkische Historiographie nicht ohne Schadenfreude zu berichten weiß - zu einem Keuschheitsgelübde. Damit blieb die Ehe, die der Vater veranlaßt hatte, wohl unvollzogen. Dies wird 887 durch eine Aussage der Richgardis in ihrem Eheprozeß ebenso bestätigt, wie durch deren Kinderlosigkeit. Im Jahre 881 versuchte KARL III. zunächst, seine ohnehin schwache Position nicht noch durch eine Eheaffaire zu verschlechtern, die von den politischen Gegnern zweifellos aufgegriffen worden wäre. So wurde Richgardis zur Kaiserin gekrönt, obwohl KARL III. die Verbindung mit ihr ursprünglich abgelehnt hatte. Die Ehe blieb jedoch auch nach 881 kinderlos und 887 unternahm KARL III. alle Anstrengungen, seine Ehe mit Richgardis zu lösen, vermutlich um seinen Sohn Bernhard zu legitimieren. In diesem Zusammenhang ist vielleicht auch jene sogenannte Dotationsurkunde der Richgardis zu beurteilen, die möglicherweise erst 873 ausgestellt wurde und neben der Vordatierung auch andere Spuren der Überarbeitung aufweist, die auf die Legitimierung eines etwa 862 geborenen Nachkommen KARLS III. abgezielt haben könnten. KARL III. war jedoch nicht mächtig genug, einen Anspruch Bernhards durchzusetzen.

    862 oo Richardis, Tochter des Grafen Erchanger -18.9.906/09 Andlau

    Kinder:
    Illegitim
    - Bernhard ca 876- 891/92

    Literatur:
    Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 123,132,195 - Beumann, Helmut: Die Ottonen. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln, Seite 17-19,23,67,69 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986, Seite 12,23,27,54,66,79,99,103,106-108,138,151,160-164,171,177,181,200, 227,231,257,263 - Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984, Seite 73,76, 82,103,113,119,123-125,128,143,157,159-161,196,203,204,206,209,214,215,217,235,237,255 - Borgolte Michael: Karl III. und Neudingen. Zum Problem der Nachfolgeregelung Ludwigs des Deutschen, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Band 125 (1977) Seite 21-55 - Die Salier und das Reich, hg. Stefan Weinfurter, Jan Thorbecke Verlag 1991, Band I Seite 551/Band II Seite 219/ Band III Seite 480 - Diwald Helmut: Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches. Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach 1987, Seite 420 - Dümmler Ernst: Die Chronik des Abtes Regino von Prüm. Verlag der Dykschen Buchhandlung Leipzig Seite 61,62,64,71,74,77-79,81,83-87, 106,114 - Dümmler Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Verlag von Duncker und Humblot Berlin 1865 Band I Seite 475,560,716,754-756,768,773,775, 791-793, 812,821,825; Band II Seite 49, 61-63,71,82,91,100,103-105,107-114,128,144,146,160,175-189,198,201-210,215-223,225-229, 235-239,242,244-251,254,260,264,268-296, 319 - Ehlers Joachim: Die Kapetinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 16f - Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller Bernd: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München 1996, Seite 13,25 - Fried Johannes: König Ludwig der Jüngere in seiner Zeit. Zum 1100. Todestag des Königs. Vortrag, gehalten in Lorsch am 18. November 1982 - Glässner Wilhelm: Das Königsgut Waiblingen und die mittelalterlichen Kaisergeschlechter der Karolinger, Salier und Staufer. Beitrag zu der Waiblinger Ausstellung 1977 "Karolinger, Salier und Staufer in Waiblingen" - Glocker Winfrid: Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik. Böhlau Verlag Köln Wien 1989, Seite 81 - Görich Knut: Otto III. Romanus Saxonicus et Italicus. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1995, Seite 200 - Gregorovius Ferdinand: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter. dtv-Bibliothek 1978 Band I Seite 546,560,562,563,564 - Hlawitschka, Eduard: Adoptionen im mittelalterlichen Königshaus, in: Schulz Knut: Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Mittelalters, Festschrift für Herbert Helbig zum 65. 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Die größte Zeitfälschung der Geschichte. ECON Verlag GmbH, Düsseldorf und München 1996, Seite 366,390 - Jaeckel, Gerhard: Die deutschen Kaiser. Die Lebensgeschichten sämtlicher Monarchen von Karl dem Großen bis Wilhelm II., Weltbild Verlag Augsburg, Seite 37-38 - Konecny Silvia: Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert. Dissertation der Universität Wien 1976, Seite 141 - Mitterauer Michael: Karolingische Markgrafen im Südosten. Archiv für österreichische Geschichte Band 123. Hermann Böhlaus Nachf./Graz-Wien-Köln 1963,Seite 144,165,166,180, 181,189,248 - Mühlbacher Engelbert: Deutsche Geschichte unter den Karolingern. Phaidon Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion - Rappmann Roland/Zettler Alfons: Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 95,152,167,170-172,228,245,262,271,367,373,395,405,419,421,426, 429-434,456,483,516 - Riche Pierre: Die Karolinger. Eine Familie formt Europa. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1991, Seite 225,227,247,251-258,260,266,275,290 - Schieffer Rudolf: Die Karolinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1992, Seite 139,156, 165,167,175,178-190, 220 - Schieffer Rudolf: Karl III. und Arnolf. in Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag. Verlag Michael Lassleben Kallmünz Opf. 1993 - Schneidmüller Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 59,61,67,70,72, 74 - Schnith Karl Rudolf: Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1990, Seite 38,64,69,71,75-80,83,93,95, 97,106 - Weinfurter Stefan: Die Salier und das Reich Band 1-3. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1991, Band I, Seite 551; Band II, Seite 219; Band III, Seite 480 - Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1995, Seite 444,446 - Widukind von Corvey: Die Sachsengeschichte. Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stutggart 1981, Seite 53,73 - Wies Ernst W.: Karl der Große. Kaiser und Heiliger. Bechtle Verlag Esslingen 1986, Seite 284,304 -

    Schieffer Rudolf: "Die Karolinger"

    Unklar ist, inwieweit Karlmann, der am 22.9.880 wohl in Ötting die Augen schloß, noch selber dazu beigetragen hat, dass sein weithin nominell gebliebenes italienisches Königtum auf seinen jüngsten Bruder, den schwäbisch-elsässischen Teilherrscher KARL III., überging. Der historische Aufstieg dieses KAROLINGERS begann damit, dass ihn Papst Johannes VIII., enttäuscht in seinen Erwartungen eines westfränkischen Eingreifens, im Frühjahr 879 nach Italien einlud und Karlmann im August anscheinend letztmalig für ein italienisches Kloster urkundete. Von niemandem angefochten, überquerte KARL III. im Oktober die Alpen, fand in Pavia die Anerkennung der dort erschienenen Magnaten und zog weiter nach Ravenna, wo er vom Papst Anfang 880 eine Salbung zum König von Italien empfing und seinen Erzkanzler Liutward als neuen Bischof von Vercelli durchsetzte. Er hätte nach dem Wunsch Johannes VIII. den Weg gleich bis Rom verlängern und mit der Kaiserwürde die seit dem Tod LUDWIGS II. verwaiste Rolle eines Schutzherrn der römischen Kirche und Mittelitaliens übernehmen sollen, wollte sich aber vor weiteren Schritten zunächst innerhalb der Familie absprechen und kehrte daher in die Francia zurück, wo sich sein Bruder Ludwig der Jüngere soeben im Vertrag von Ribemont die W-Hälfte Lotharingiens gesichert hatte. Nicht mit ihm, von dem im Sommer 880 erstmals auch eine Erkrankung gemeldet wird, sondern mit den westfränkischen Neffen traf er sich im Juni zu einem Frankentag in Gondreville, von dem dann die gemeinsame Attacke gegen die Usurpatoren Hugound Boso ausging. Erst nach dem Abbruch der Belagerung von Vienne ließ er sich von Johannes bewegen, erneut nach Italien zu kommen, und nahm nun aus seiner Hand am 12.2.881 in Rom die Kaiserkrone entgegen. Nach dem Tode seines Bruders Ludwig der Jüngere kehrte er aus Italien zurück und empfing zunächst in Bayern, dann im Mai in Worms die Huldigung als nunmehr alleiniger Herr des mit Lotharingien und Italien vereinigten O-Frankenreiches. Unter dem Eindruck der jüngsten Normanneneinfälle strömte ihm ziemlich rasch eine große Streitmacht aus Franken, Bayern, Schwaben, Thüringern, Sachsen und anderen zum Kampf gegen die Normannen zu, die im Juli deren Hauptstützpunkt Asselt einzuschließen vermochte. Von der erwarteten Erstürmung sah der Kaiser jedoch bald ab und gewährte den Feinden freien Abzug und neue Zahlungen gegen die Zusicherung ihres Anführers Gottfried, sich taufen zu lassen, eine Lehnsherrschaft in Friesland zu übernehmen und durch Heirat mit Lothars II. Tochter Gisela (aus der nicht anerkannten Ehe mit Waldrada) in die karolingische Familie einzutreten. Das Verhalten KARLS III. entsprach wohl der Überlegung, durch Respektierung der faktischen Machtlage in Lotharingien, in die auch Giselas Bruder Hugo durch Überlassung der Einkünfte des Bistums Metz einbezogen wurde, eine notdürftige Befriedung herbei führen zu können, doch wurde dies, wie das entrüstete Echo in den zeitgenössischen Quellen zeigt, von dem maßgeblichen Kreisen kaum verstanden und eher als schmähliche Schwäche ausgelegt, die der Autorität des Kaisers Abbruch tat.
    Da man nach dem Tode des westfränkischen König Karlmanns, Karl, den Sohn Ludwigs des Stammlers von Adelheid nicht berücksichtigte, blieb allein der gerade in der Lombardei weilende KARL III. übrig, dem eine Gesandtschaft unter Graf Theoderich von Vermandois die Einladung zur Herrschaftsübernahme unterbreitete. Der Kaiser erschien im Juni 885 in Ponthion und nahm die Huldigung der bisherigen Untertanen Karlmanns entgegen. Innerhalb von nur 6 Jahren war ihm ohne sonderliche Mühe, als bloße Konsequenz dynastischen Erbrechts, die Vereinigung sämtlicher Reichsteile in seiner Hand gelungen.
    Am Willen, der gewaltigen Aufgabe Herr zu werden, hat es KARL III., der zwischen 879 und 886 zwölfmal die Alpen überquerte, nicht fehlen lassen. Die akutesten Sorgen bereiteten weiter die Normannen, die nach ihren Beutegewinnen in W-Franken 884 den Schwerpunkt wieder mehr östlich, in die Gegend von Löwen, verlagert hatten. Die Verbindung der Gruppe um Gottfried mit dem lothringischen Prätendenten Hugo war bereits vor KARLS III. Rückkehr zerschlagen worden. Gegen ein vermeintlich gefährliches Komplott beider Schwäger rückte nämlich Graf Heinrich vom Grabfeldgau, Stammvater der BABENBERGER und bewährter Heerführer schon Ludwigs des Jüngeren, im Mai 885 an den Niederrhein und ließ Gottfried mit vielen der Seinen während vorgetäuschter Verhandlungen umbringen, nachdem man zuvor seine Gattin Gisela, die Tochter Lothars II., in Sicherheit gebracht hatte (+ 907 als Äbtissin von Nivelles und Fosses); wenig später wurde auch Hugo, ihr Bruder, in Gondreville in einen Hinterhalt gelockt, überwältigt und geblendet, um seine Tage als Mönch im Kloster Prüm zu beschließen (+ nach 895). Der lotharingische Mannesstamm war damit ausgeschaltet, aber die Bedrohung durch die Normannen keineswegs überwunden, wenn auch deren Herrschaft in Friesland zusammenbrach. Als neues Ziel erkor ein großer Teil von ihnen den Seineraum und zumal die Stadt Paris, die seit Ende November 885 fast ein Jahr lang umzingelt wurde. Dass sie allen Angriffen standhielt, lag wesentlich an der Tatkraft des während der Belagerung gestorbenen Bischofs Gauzlin wie auch besonders des Pariser Grafen Odo, dessen unerschrockener Kampfesmut an seinen Vater Robert den Tapferen gemahnte. KARL III. dagegen wich monatelang der Konfrontation aus, erschien erst nach einem Italienzug im Oktober 886 vor Paris, wo der mit einer ostfränkischen Truppe vorausgeschickte BABENBERGER Graf Heinrich inzwischen gefallen war, und erreichte den Abzug der Feinde wie zuvor in Asselt nur durch eine Vereinbarung, die ihnen neue Lösegelder zusicherte und Burgund zur Überwinterung, de facto zur Plünderung freigab, - gemäß zeitgenössischem Kommentar ein "wahrhaft allzu erbärmlicher Ratschluß".
    Gerade weil KARL III. kaum noch imstande war, alle drängenden Probleme des ihm zugefallenen Großreiches selber resolut anzupacken, und weil er anders als seine Vorgänger auch keine Familienmitglieder mehr hatte, denen er Teile seiner Verantwortung delegieren konnte (abgesehen vom Neffen ARNULF, zu dem er Distanz hielt), verdient Aufmerksamkeit, auf wen sich der Kaiser bei seiner unverhofften Alleinherrschaft stützte und welche historischen Folgen das hatte. In seiner näheren Umgebung war der anfängliche Erzkapellan, Bischof Witgar von Augsburg, noch während des auf Schwaben begrenzten Regiments von Liutward überspielt worden, einem aus der Reichenau hervorgegangenen Kanzleinotar, dem seine Gegner später niedere Herkunft vorwarfen; er erscheint seit 878 bereits als Erzkanzler und war seither von überragendem Einfluß auf KARL, der ihn 880 mit dem Bistum Vercelli und nach dem Gewinn ganz O-Frankens 882 möglicherweise auch anstelle Liutberts von Mainz mit der Würde des Erzkapellans ausstattete. Gleich ihm waren es weiter "Alemannen, denen er vornehmlich die Führung seiner Herrschaft anvertraut hatte", wie ein rückblickender Annalist kritisch und durchaus konform mit dem Eindruck moderner Forschung vermerkte, wonach KARLS Hofkapelle trotz aller Ausweitung seiner Macht "weitgehend den Charakter der landschaftlich gebundenen Teilkapelle" beibehielt (J. Fleckenstein). Dieser räumlichen Isolierung in der Spitze steht die Bereitschaft des Kaisers gegenüber, ganze Reichsteile der Dominanz einzelner regionaler Machthaber zu überantworten. So verstärkte er in Italien das Gewicht BERENGARS VON FRIAUL, indem er ihn mit Strafmaßnahmen gegen den Rivalen WIDO II. von Spoleto beauftragte, und in W-Franken verhalf er dem ROBERTINER Odo zum weiteren Durchbruch, als er ihm zur Grafschaft Paris 886 nach dem Tode Hugos des Abtes auch noch dessen hinterlassene Hoheitsrechte in Neustrien und an der Loire hinzugab. In die Herrschaftsbildung des burgundisch-provenzalischen Raums griff er als Kaiser gar nicht erst ein, aber auch innerhalb O-Frankens hat er die Konsolidierung der liudolfingischen Macht in Sachsen durch Otto (den Erlauchten), den Bruder des gegen die Wikinger gefallenen Brun, zumindest nicht behindert, und das obgleich dieser Schwager Ludwigs des Jüngeren durch die Heirat mit einer Tochter des BABENBERGERS Heinrich bereits weitere Kreise zu ziehen begonnen hatte. Heinrichs Bruder Poppo festigte indessen seine Vorrangstellung in der thüringischen Mark gegen die Sorben.
    Um allen diesen selbstbewußten Gebietern, die zunehmend Fiskalgut und königliche Amtsträger in ihren Bann zogen, künftig überhaupt noch einen gemeinsamen Herrn überordnen zu können, bedurfte es dringend der einvernehmlichen Vorsorge für die Nachfolge des Kaisers, dessen Hoffnung auf einen legitimen Thronerben, einen "kleinen Ludwig oder Karl", wie ihn Notker von St. Gallen unbeirrbar kommen sah, vergeblich geblieben war. Nach dem Tod des westfränkischen Adoptivsohnes Karlmann hatte KARL 885 einen Versuch gemacht, seinen noch heranwachsenden außerehelichen Sohn Bernhard (von einer namentlich nicht bekannten Mutter) zum Erben einzusetzen, war aber am Einspruch von Bischöfen und mehr noch an der bedenklichen Tatsache gescheitert, dass der zur Sanktionierung des heiklen Beschlusses eingeladene Papst Hadrian III. (884-885) auf der Hinreise einen jähen Tod starb. Das Problem gewann neue Dringlichkeit, als der Kaiser im Winter 886/87 schwer erkrankte, so dass er, das Schicksal seiner Brüder vor Augen, durch einen Aderlaß während der Fastenzeit Linderung suchte. Um die allgemeine Besorgnis zu dämpfen, schien sich ihm ein unerwarteter Weg zu eröffnen, da der soeben verstorbene Boso von Vienne einen kleinen Sohn namens LUDWIG hinterlassen hatte, der als Enkel Kaiser LUDWIGS II. ein unanfechtbarer KAROLINGER in weiblicher Linie war. Ungeachtet des vergangenen Streits mit seinem Vater, lud ihn KARL mit der Mutter Irmingard zu sich und ihn nahm Ende Mai 887 in Kirchen (bei Lörrach) an Sohnes statt an, im Beisein Odos von Paris und womöglich auch BERENGARS VON FRIAUL, der kurz zuvor am Hof nachzuweisen ist. Die Entscheidung für einen vielleicht gerade Sechsjährigen war indes nichts als ein ungewisser Wechsel auf eine ferne Zukunft und brüskierte offen den erwachsenen und handlungsfähigen, wenngleich illegitimen Neffen ARNULF VON KÄRNTEN, der unter den ostfränkischen Großen längst viele Anhänger hatte. In der verbreiteten Mißstimmung kam es zu Geschehnissen, die "durch und durch rätselhaft und unheimlich" (G. Tellenbach) erscheinen. Noch in Kirchen ließ sich der Kaiser nötigen, seinen bis dahin allmächtigen Erzkanzler Liutward von Vercelli vom Hof zu verweisen und durch Erzbischof Liutbert von Mainz zu ersetzen, laut Reginos Chronik unter der Beschuldigung des Ehebruchs mit der Kaiserin Richgard. Während sich Liutward angeblich zu ARNULF begab (in dessen Umgebung er allerdings nie bezeugt ist), soll sich Richgard mit der Beteuerung gerechtfertigt haben, in 25 Ehejahren unberührt geblieben zu sein, trennte sich von ihrem kranken Gemahl und zog sich in das von ihr gegründete Kloster Andlau zurück. Dass dies geschah, um KARL eine neue Ehe und doch noch Nachwuchs zu ermöglichen, ist bloß eine vage Vermutung.
    Seine Autorität scheint seither heillos erschüttert gewesen zu sein. Als KARL III. im November zu einer ostfränkischen Reichsversammlung in Tribur erschien, erfuhr er, dass ARNULF mit bewaffneter Macht herannahe, offenbar um die Anerkennung seiner Ansprüche zu erzwingen. Der Kaiser wich noch ins nahe Frankfurt aus, bot dort aber ein solches Bild der Hinfälligkeit, dass sich auch seine bisherigen Getreuen binnen weniger Tage dem eingetroffenen Herausforderer zuwandten. Vom 17.11. datiert KARLS letzte, vom 27.11. ARNULFS erste Herrscherurkunde. Der von allen verlassene und somit gestürzte Kaiser bat sich einige Königshöfe in Schwaben aus und ist sehr bald auf einem von ihnen, in Neudingen an der oberen Donau, am 13.1.888 seinem Leiden erlegen. Auf der Reichenau trug man ihn zu Grabe.



    Neue Deutsche Biographie - Karl III.

    ostfränkischer König und Kaiser, * 839, † 13.1.888 Neudingen/Donau, ⚰ Reichenau, Mittelzell.

    Ludwigs des Deutschen jüngster Sohn K. wird von 857 an zuweilen – im ganzen siebenmal – als Mitunterfertiger von Königsurkunden genannt, die sich auf Alemannien beziehen, und begegnet 865 erstmals im Gefolge seines Vaters. In der Erbteilung vom gleichen Jahre sprach ihm Ludwig Alemannien mit Churrätien zu, während Bayern mit den vorgelagerten Marken und der Hoheit über die Slawenländer an Karlmann, Thüringen und Sachsen an Ludwig den Jüngeren fallen sollten. Wie seine Brüder übte K. seitdem offenbar eine gewisse Verwaltung seines künftigen Reichsteils aus, doch bleiben die Nachrichten spärlich, zusammenhanglos und unklar. K. war 869 an einem Heereszug gegen den Mährerfürsten Rastislaw beteiligt, lehnte sich aber 871 zusammen mit seinem Bruder Ludwig gegen den Vater auf, der angeblich Karlmann bevorzugte. Obgleich im März 872 zu Forchheim der Streit durch eine neue und genauere Fassung der Erbteilung beigelegt wurde, ist wieder von einer Verschwörung der Brüder K. und Ludwig die Rede, die am 26.1.873 in Frankfurt aufgedeckt worden sei, aber eine rasche Aussöhnung im Gefolge hatte, denn schon am 9.4.873 richtete Ludwig der Deutsche ein Mandat an K., und sowohl 873 wie 874 betraute er ihn mit politischen Missionen. Als nach dem Tode Kaiser Ludwigs II. (12.8.875) die offene Rivalität zwischen Ost- und Westfranken um die Nachfolge ausbrach, wurde K. von seinem Vater nach Italien (in den Mailänder Raum) entsandt, um den Zugriff Karls des Kahlen abzuwehren, aber das Unternehmen schlug völlig fehl und endete mit K. eiligem Abzug nach Bayern.

    Nach dem Tode Ludwigs des Deutschen (28.8.876) traten die 3 Söhne als Könige die Nachfolge in Ostfranken an. Auf einer Zusammenkunft im Nördlinger Ries bestätigten sie durch einen in deutscher Sprache aufgezeichneten (nicht erhaltenen) Eid im November 876 die schon vom Vater verfügte Teilung. K., in dessen Reichsteil es keinen Metropoliten gab, bestellte zunächst den Bischof Witgar von Augsburg zum Erzkapellan, doch stieg allmählich der aus der Reichenauer Schule stammende Kanzleinotar Liutward zum Leiter des Urkundenwesens als archicancellarius auf; er wurde Anfang 880 Bischof von Vercelli, erscheint seit 883 selber als Erzkapellan und war die bei weitem einflußreichste Persönlichkeit am Hofe K., der auch nach der Ausweitung seiner Herrschaft Alemannen in seinem Dienste bevorzugte. Unter seinen Kanzlisten und Kapellänen begegnen die in Sankt Gallen erzogenen Brüder Waldo und Salomon, später Bischöfe von Freising und von Konstanz. Es sind 172 Diplome K. im Text erhalten, etwa 30 weitere als Deperdita ermittelt.

    Soweit erkennbar, verbrachte K. die Jahre 877 und 878 meist in Schwaben, doch traf er sich im September 878 im nordelsässischen Modern mit seinem Bruder Ludwig, wahrscheinlich um die Teilung Lotharingiens zu regeln. Nicht K., sondern Karlmann hatte 877 den westfränkischen Karl den Kahlen zum Abzug aus Italien gezwungen, aber durch schwere Erkrankung war er regierungsunfähig geworden. Der den Übergriffen mittelitalischer Fürsten und der Sarazenengefahr ausgesetzte Papst Johann VIII., der vergeblich auf westfränkische Hilfe gehofft hatte, wandte sich seit dem Frühjahr 879 mehrmals an K., bot ihm die Kaiserkrone an und beschwor ihn, in Italien einzugreifen. Sein Drängen hatte zur Folge, daß Karlmann sich im August 879 bereitfand, den Herrschaftsanspruch auf Italien an K. abzutreten. Dieser erschien Ende Oktober in der Lombardei und nahm Anfang 880 in Ravenna die Huldigung der Großen und die päpstliche Salbung zum König von Italien entgegen. Zur Enttäuschung Johanns VIII. kehrte er jedoch im Mai 880 nach Ostfranken zurück, wo sein Bruder Ludwig inzwischen Bayern und das westliche Lotharingien an sich gebracht hatte. K. traf sich in Gondreville mit seinen westfränkischen Neffen (Söhnen Ludwigs d. Stammlers) Karlmann und Ludwig III. (Juni 880) und beteiligte sich am Kampf gegen den Usurpator Boso von Vienne, der 879 ein niederburgundisch-provenzalisches Königtum errichtet hatte. Unablässig vom Papst gedrängt, zog K. im November 880 wieder nach Italien und empfing am 12.2.881 in Rom die Kaiserkrone. Er blieb lange im Lande, stellte Urkunden aus, saß zu Gericht, hielt im Februar 882 mit dem Papst eine Reichsversammlung in Ravenna, aber einen wirksamen Schutz Roms brachte auch er nicht zustande.

    Unterdes war am 20.1.882 Ludwig der Jüngere gestorben. K. kehrte im Frühjahr zurück und nahm zuerst in Bayern, dann im Mai auf einer Wormser Reichsversammlung – offenbar ohne Widerstände – die Huldigung als alleiniger König von Ostfranken entgegen. Damit aber war ihm auch die Aufgabe des Wikingerkampfes zugefallen. Mit einem stattlichen Heeresaufgebot zog er im Sommer 882 vor das normannische Hauptquartier in Ascloha (wahrscheinlicher Asselt als Elsloo, beide bei Maastricht), ließ sich aber, wie es seit Jahrzehnten schon oft geschehen war, auf eine Abmachung ein, durch die er den Abzug der Normannen erkaufte; einen ihrer Anführer namens Gottfried setzte er in Friesland ein, wo im übrigen schon seit Jahrzehnten eine Normannenherrschaft bestand. Gottfried trat in den fränkischen Reichs- und Lehnsverband ein, nahm die Taufe und vermählte sich mit Gisela, der (nicht als vollbürtig geltenden) Tochter Lothars II. Indem K. auch mit ihrem Bruder Hugo ein Einvernehmen herstellte, hatte er eine gewisse Konsolidierung der Maas- und Mosellande erzielt. – Einen großen Teil des Jahres 883 verbrachte K. abermals in Italien. Er traf sich in Nonantola mit dem neuen Papst Marinus I. und sprach Sanktionen gegen Herzog Wido von Spoleto aus. Auf der Rückkehr hielt er sich vom 4.-6.12.883 in Sankt Gallen auf, wo er dem Dichter Notker die Anregung zur Aufzeichnung der anekdotenhaften Gesta Karoli Magni gab. Ohne Anteil K. wurde 884 bei Duisburg erfolgreich gegen die Normannen gekämpft, wurde die bayerische Ostmark dagegen durch innere und äußere Wirren erschüttert. Auf einer Zusammenkunft mit Swatopluk von Mähren schloß K. im Herbst 884 einen Frieden, der zwar mit einer formellen Huldigung des Mährerfürsten verbunden war, im übrigen aber die Reichsautorität kaum gefestigt haben dürfte. Ende 884 war der Kaiser wieder in Italien. Am 7.1.885 nahm er den im Vorjahr gemaßregelten Spoletiner wieder in Gnaden auf, was gleichfalls einer politisch-militärischen Beruhigung des Landes, kaum aber der kaiserlichen Autorität zugute kam.

    In Westfranken war unterdes am 5.8.882 Ludwig III., am 12.12.884 Karlmann gestorben. Da ihr Halbbruder, der fünfjährige Karl (III., „der Einfältige“), als nicht vollbürtig galt und das Königtum somit vakant war, entschlossen sich die Großen des unter der Normannenplage leidenden Westreichs, zwar erst nach einigen Monaten, aber anscheinend ohne Widerstand, K. auch als ihren König anzuerkennen. Von der Lombardei aus, wo ihn die formelle Einladung (ut veniat in Franciam) etwa im April 885 erreichte, begab sich K. ins westliche Lotharingien und nahm in Gondreville längeren Aufenthalt. Aber in eben diesem Reichslande hatte sich durch einen gemeinsamen Aufstand Hugos und seines normannischen Schwagers Gottfried eine neue Gefahr zusammengebraut, deren man sich nur noch durch heimtückische Gewalttat zu erwehren wußte: mit Wissen und Willen des Kaisers wurde Gottfried bei einer Verhandlung erschlagen, Hugo nach Gondreville gelockt, gefangengesetzt und geblendet (circa Mai 885). Damit waren sowohl die 40jährige Normannenherrschaft in Friesland wie die Karolingerlinie des einstigen Mittelreiches erloschen. K. nahm im Juni 885 in der Pfalz Ponthion die Huldigung der westfränkischen Großen entgegen. Abgesehen von der inzwischen sehr geschrumpften und nicht als legitim geltenden, freilich auch nicht beseitigten Herrschaft Bosos in Niederburgund war somit 885 das fränkisch-karolingische Gesamtreich wieder unter einem Kaiser vereinigt. Aber es war keine Rückkehr zu den politischen Konzeptionen Karls des Großen oder Ludwigs des Frommen, es war nur eine dynastische Zufalls- und Notlösung. Nicht regelmäßig, aber in wiederholten Fällen unterschied die Urkundendatierung K. seither nach Kaiser- und Königsjahren in Ostfranken, Italien und Westfranken – ein Anzeichen dafür, daß das wiedervereinigte Großreich nur noch eine Summe von Teilreichen war.

    Wenn es aber gelang, diese Gesamtheit an die nächste Generation weiterzugeben? Die dynastische Frage der Nachfolge konnte eben in dieser Situation eine unabsehbare Bedeutung gewinnen. Es gab keinen unbestritten legitimen, aber 3 unechte Sprossen des karolingischen Mannesstammes: den eben genannten westfränkischen Karl (III.), K. eigenen, gleichfalls noch sehr jungen Sohn Bernhard und seinen etwa 35jährigen Neffen Arnulf, den Sohn Karlmanns und Markgrafen in Kärnten. Diesem aber, der allein regierungsfähig war, wollte K. den Weg verlegen und stattdessen seinem Sohn Bernhard die Nachfolge sichern. Das freilich war – nach allem, was in Lotharingien und Westfranken vorausgegangen war, und angesichts strenger gewordener Grundsätze des Eherechtes – ein schwieriges Unterfangen. Im Sommer 885 nach Ostfranken zurückgekehrt, hielt K. daher eine Beratung in Frankfurt und gedachte sein Vorhaben mit Hilfe der päpstlichen Autorität durchzusetzen. Von K. eingeladen, trat Hadrian III. (seit 884) die Reise zum Kaiserhof an, wurde aber noch in Italien vom Tode ereilt (circa September 885); damit hatte sich K. Plan zerschlagen. Ohne sein Befragen wurde in Rom der Papst Stephan V. erhoben; erzürnt entsandte K. seinen Berater Liutward nach Rom, um den Gewählten abzusetzen, ließ sich aber durch den Nachweis ordnungsgemäßer Erhebung und Weihe beruhigen. Auch der neue Papst mahnte den Kaiser an seine Schutzpflicht, aber sein Zutrauen war so sehr gesunken, daß er bald auch mit den Griechen und mit Spoleto Verbindung aufnahm.

    Im gleichen Herbst 885 stieß ein großes Normannenheer die Seine aufwärts vor und begann im November mit der Belagerung der Inselstadt Paris, die von Graf Odo und Bischof Gauzlin mühsam verteidigt wurde. K. entsandte Anfang 886 ein ostfränkisches Aufgebot zum Schutz von Paris, begab sich indes selber nochmals über die Alpen, freilich wiederum nicht nach Rom, wohin er nur von neuem Liutward ausschickte. Ende März hielt er eine Reichsversammlung in Pavia, mußte aber bald zurückkehren, da die Normannennot einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. In Paris war Bischof Gauzlin gestorben, das ostfränkische Entsatzheer hatte nichts ausgerichtet. K. holte zu einer großen Aktion aus und erschien im Herbst 886 mit einem starken Aufgebot vor Paris, wagte aber wieder keinen Kampf, sondern erkaufte die Aufhebung der Belagerung und gab den Normannen den Durchzug nach Burgund frei.

    Während des Winters 886/87, den er im Elsaß verbrachte, wurde K., längst kränkelnd, vollends von dem schweren Siechtum der ostfränkischen Spätkarolinger befallen. Die Frage seiner Regierungsunfähigkeit und der Nachfolge drängte zur Entscheidung. Nachdem inzwischen mit dem Tode Bosos (11.1.887) dessen usurpiertes Königtum erloschen war, fiel die Wahl K. – der zur Ausschließung Arnulfs entschlossen blieb – auf Bosos Sohn Ludwig, der durch seine Mutter Irmingard ein Enkel Kaiser Ludwigs II., freilich kaum älter als 4 Jahre war. Ihn lud K. nach Kirchen (bei Lörrach) zu sich und adoptierte ihn als Sohn und König (Mai 887). Aber die Mißstimmung der ostfränkischen Großen brach sich Bahn. Gleichfalls in Kirchen zwangen sie den Kaiser im Juni, seinen Erzkanzler Liutward von Vercelli zu entlassen und statt seiner EB Liutbert von Mainz zu bestellen. Liutward aber wandte sich zu Arnulf nach Bayern, während die Kaiserin Richardis sich von ihrem hoffnungslos erkrankten Gemahl trennte und in ihr Kloster Andlau eintrat. Die Einberufung einer ostfränkischen Reichsversammlung nach Tribur löste die Katastrophe K. aus. Vor Arnulf, der mit einem bayerisch-slawischen Aufgebot heranrückte, wich K. nach Frankfurt aus. Die versammelten Großen sagten sich von dem offenkundig regierungsunfähigen Kaiser los und riefen Arnulf zu ihrem König aus. K. fügte sich kampflos. Aus Frankfurt ist vom 17.11.887 seine letzte, vom 27.11.887 Arnulfs erste Urkunde datiert. Die Frage, wie die anderen Teilreiche auf diesen Umschwung in Ostfranken reagieren würden, stellte sich nicht, da K. bereits kaum 2 Monate später starb.

    Schon den Zeitgenossen erschien K. (dessen Beiname Crassus, „der Dicke“, erst seit dem 12. Jahrhundert vereinzelt begegnet und jedes historischen Wertes entbehrt) als alles andere denn eine starke Persönlichkeit. Ob dieses Urteil gerecht ist, steht dahin, denn der schon früh gesundheitlich labile Herrscher sah sich schrittweise vor geradezu übermenschliche Aufgaben gestellt. In einer Zeit, als die Teilreiche sich bereits in ein gewisses Eigenbewußtsein eingelebt hatten, erwies sich das karolingische Legitimitätsprinzip immer noch als so stark, daß ein Erbfolgezufall die verspätete nominelle Zusammenfassung eines Großreiches zustande kommen ließ, dessen zentrale Regierung und Verteidigung schlechthin unmöglich geworden waren. Diese inneren und äußeren Gegebenheiten trafen dann mit dem Abreißen der legitimen dynastischen Kontinuität zusammen, so daß der Sturz K. die endgültige Auflösung des fränkisch-karolingischen Großreiches zur Folge hatte und insofern einen Wendepunkt der europäischen Geschichte bedeutet. Dagegen ist es nicht übertrieben, in K. eine Schlüsselgestalt für die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches zu sehen, denn der Erbfolgezufall, der ihm bis 882 die Königsgewalt in ganz Ostfranken zuspielte, kam früh genug, um ein Auseinanderleben der 3 ostfränkischen Reichsteile zu verhindern.

    Karl heiratete Richgard in Aug 862. Richgard (Tochter von Erchanger) wurde geboren um 840; gestorben in 906/909 in Andlau [67140],Bas-Rhin,Elsass,Frankreich; wurde beigesetzt in Andlau [67140],Bas-Rhin,Elsass,Frankreich. [Familienblatt] [Familientafel]

    Familie/Ehepartner: unbekannt. [Familienblatt] [Familientafel]

    Kinder:
    1. von Franken, Bernhard wurde geboren um 876; gestorben in 891/892.

Generation: 2

  1. 2.  von Franken, Ludwig II.von Franken, Ludwig II. wurde geboren in 805/806 in Aquitanien,Frankreich (Sohn von von Franken, Ludwig I. und Irmingard); gestorben am 28 Aug 876 in Frankfurt am Main [60311],Hessen,Deutschland; wurde beigesetzt in Lorsch Kloster [64653],Bergstraße,Hessen,Deutschland.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: 840-876, Ostfrankenreich; Ostfränkischer König

    Notizen:

    Ludwig der Deutsche mit Bischöfen, seine Söhne Karlmann, Ludwig der Jüngere und Karl der Dicke. Darstellung aus der Grandes Chroniques de France.

    3 sons of Louis the German



    Ludwig II. der Deutsche
    Ostfränkischer König (840-876)
    804-28.8.876 Frankfurt Begraben: Kloster Lorsch

    3. Sohn des Kaisers LUDWIG I. DER FROMME aus seiner 2. Ehe mit der Irmingard

    Lexikon de Mittelalters: Band V Spalte 2172

    Ludwig II. der Deutsche, ostfränkischer König
    * um 805, + 28. August 876 Frankfurt/Main Begraben: Kloster Lorsch
    3. Sohn Kaiser LUDWIGS DES FROMMEN

    Verbrachte seine Jugend am Hofe des Vaters. In der Ordinatio imperii wurde 817 dem noch Minderjährigen als Teilkönig Bayern zugesprochen, freilich unter der Oberhoheit des Vaters. Um auf diese Aufgabe vorbereitete zu werden, erhielt er 817/18 einen bayerischen paedagogus namens Egilolf. Nachdem er 824 an einem Bretonenfeldzug teilgenommen hatte, wurde er 826 nach Bayern entsandt. Kaum saß Ludwig der Deutsche in Regensburg, griffen 826/27 im O die Bulgaren Pannonien an, um hier eigene politische Strukturen aufzubauen. Hinter dem anfänglichen Schweigen über die Tätigkeit Ludwigs wird man wohl intensive, weitgehend konfliktlose Aufbauarbeit im bayerischen Raum und im Vorland der östlichen slavischen Herrschafstbildungen sehen dürfen. Besonders in den östlichen Grenzzonen scheint er sehr entschieden durchgegriffen zu haben. Nachdem KARL DER GROSSE und LUDWIG DER FROMME den bayerischen O durch kaiserliche Missi verwaltet hatten, setzte Ludwig II. der Deutsche rasch Grafen ein, die zunächst weitgehend aus Main- und Rheinfranken stammten, während der alemannische Einfluß im Verwaltungsbereich zurückging. Maßgebliche politische Amtsträger Ludwigs in Bayern war bis ca. 860 Graf Ernst. Ein wichtiges Aufbauelement im O waren für Ludwig den Deutschen die Kirchen (Bistümer und Abteien), die Grundherrschaften vor allem in der Donauzone, dem Aufmarschgebiet der Heere, erhielten. Auch die Slavenmissionierung durch bayerische Kirchen scheint Ludwig der Deutsche sehr geschickt delegiert zu haben.
    Die Vermählung Ludwigs mit Hemma, der jüngeren Schwester der zweiten Gemahlin seines Vaters, sollte auf das Sohn-Vater-Verhältnis offenbar stabilisierend wirken, war auch sicherlich als Bevorzugung gedacht. In der Tat nahm Ludwig der Deutsche an den Auseinandersetzungen seiner Brüder mit dem Vater wegen der Ausstattung KARLS DES KAHLEN mit einem westlichen Herrschaftsteil bis 831 kaum teil. Die neue Erbteilung LUDWIGS DES FROMMEN von 831 sah demnach für Ludwig den Deutschen in Umrissen bereits das spätere ostfränkische Reich als Herrschaftsraum vor. Als Ludwig aber 832 Schwaben besetzte und bis zum Rhein vordrang, mußte er sich bald dem Vater unterwerfen. Die Maßregelungen der Söhne führten zur Reichskrise von 833, dem Aufstand der drei ältesten Söhne gegen den Vater und zu dessen Sturz. Daraufhin vereinbarten die siegreichen Brüder eine Dreiteilung des Reiches; Ludwig der Deutsche erhielt zu Bayern, Schwaben, Elsaß, Rhein- und O-Franken und wohl auch Thüringen und Sachsen. Seither urkundete Ludwig der Deutsche als selbständiger rex ohne Bezugnahme auf den Kaiser. 834 trug Ludwig II. zur Restitution des inhaftierten Kaisers bei, doch kam es 838 zum erneuten Zerwürfnis, als LUDWIG DER FROMME seinem jüngsten Sohn KARL DEN KAHLEN seinen westlichen Herrschaftsbereich endgültig zuwies, dagegen Ludwig dem Deutschen alle außerbayeriaschen Regionen absprach.
    Obgleich anch dem Tode des Vaters (20. Juni 840) auch LOTHAR I., Nachfolger LUDWIGS DES FROMMEN, seinem Bruder Ludwig dem Deutschen nur Bayern zugestand, konnte sich dieser dennoch von O-Franken, Thüringen und Sachsen huldigen lassen. Er warf den von LOTHAR unterstützten sächsischen Stellinga-Bund nieder und verbündete sich mit KARL DEM KAHLEN. Nach dem gemeinsamen Sieg bei Fontenay (25. Juni 841) über LOTHAR bekräftigten beide ihren Bund durch die Straßburger Eide (14. Februar 842). Nachdem LOTHAR seine Pläne aufgegeben hatte, kam 843 der Vertrag von Verdun zustande, der Ludwig II. den Deutschen die fränkischen Geboiete östlich der Aare-Rhein-Linie (mit Ausnahme der Ausbuchtung am Mittelrhein und Frieslands) zusprach. Zwar wurde künftig in verschiedenen Treffen die brüderliche fraternitas beschworen und ein leidlicher Friede erhalten, doch blieben Mißtrauen und Spannungen. Seit dem Vertrag von Verdun konnte Ludwig der Deutsche die zugesprochenen Regionen zum O-Fränkischen Reich verbinden. Die W-Grenze dieses Reiches wurde 870 durch den Vertrag von Meerssen bis zur Maas-Mosel-Linie vorgeschoben. Im O bildeten Elbeaale, Bäöhmer. und Wienerwald, im S Kärnten und weitgehend der Alpenhauptkamm, im N die Elbmündung die Grenze der Francia orientalis Ludwigs. Ab 875 entbrannte ein neuer erbitterter Kampf zwischen Ludwig dem Deutschen und KARL DEM KAHLEN um das italienische Erbe LOTHARS bzw. LUDWIGS II., der beim Tode Ludwigs des Deutschen noch nicht entschieden war.
    Ludwig II. der Deutsche hat zunächst in Bayern, dann im ganzen O-Frankenreich stabilisierend gewirkt - nicht zuletzt auch durch seine lange Regierungszeit. Hier blieb - im Gegensatz zum W-Frankenreich - die ältere karolingische Struktur auch mit Hilfe der Reichskirche weitgehend erhalten. Königsgericht, Hofkapelle, Kanzlei und Kirchenregiment hat der erste ostfränkische König in seinem Teilreich tatkräftig zuur Geltung gebracht. Schon früh wurden Bischof Baturich von Regensburg (+ 848) sein Erzkappelan, Abt Grimoald von Weißenburg Kanzler, seit 840/54 Abt Ratleik von Seligenstadt, als Grimoald oberster Hofkappelan geworden war. Wichtige ihm nahestehende Geistliche erhob zu Bischöfen: 842 Abt Gozbald von Niederaltaich zum Bischof von Würzburg, 855 den Bayern Arn zu dessen Nachfolger, 847 den gelehrten Fuldaer Abt Hrabanus Maurus zum Erzbischof von Mainz.
    Die Adelsherrschaft verstärkte sich zwar in seinem O-Reich, besonders in Sachsen und in den bayerischen Marken, blieb jedoch in die Königsherrschaft eingebunden. Konflikte mit dem Markgrafen im bayerischen O, zunächst im Rahmen des Reichseinheitsproblems entstanden, standen aber später vorwiegedn im Zusammenhang mit den Herausforderungen des Großmährischen Reiches. 846 übertrug Ludwig der Deutsche dem Mährer Rastislav die Herrschaft, der sich aber zum erbitterten Gegner Ludwigs des Deutschen entwickelte und eine eigene unabhängige mährische Kirche zu errichten suchte, sich dabei an Rom und Bytzanz wandte. Durch den kirchlichen Gegensatz verschärfte sich der politische Konflikt. Innermährische Auseinandersetzungen mit Rastislavs Neffen Svatopluk besserten besserten nur zwischenzeitlich die Situation. Um die eigenen Wege der östlichen Markgrafen zu bremsen, setzte Ludwig der Deutsche 856 seinen Sohn Karlmann in der bayerischen Ostmark ein, der aber ebenfalls 862 gegen den Vater rebellierte. Bei allen Schwieirgkeiten und Rückschlägen in den gefährdeten Kontaktzonen mit den Slaven hat Ludwig der Deutsche doch insgesamt eine zielstrebige Politik durchgesetzt. Ludwig II. der Deutsche hat neben Frankfurt vor allem Regensburg zur zentralen Pfalz ausgebaut, die beide politische und kulturelle Zentren seiner Herrschaft wurden.

    Literatur:
    NDB XV, 318-323 - Dümmler ²I, II - P. Kehr, Die Kanzlei L.s d. D., 1932 - J. Fleckenstein, Die Hofkapelle der dt. Kg.e, I, 1959 - M. Mitterauer, Karol. Mgf.en im SO, 1963 (AÖG 123) - K. Reindel, Bayern im Karolingerreich (Karl d. Große, I, 1965) 220-246 - W. Schlesinger, Die Auflösung des Karlsreiches, ebd., 820-858 - G. Eiten, Das Unterkgtm. im Reiche der Merovinger und Karolinger, 1970 - W. Eggert, Das ostfrk.-dt. Reich in der Auffassung seiner Zeitgenossen, 1973 - K. Brunner, Oppositionelle Gruppen im Karolingerreich, 1979, 141-148 -

    Althoff Gerd: Seite 369, "Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung"

    K 32 Me: 28.8. Ludouuichus imp(erator) + 876 Ludwig der Deutsche

    (Es.) Der Titel ist falsch, da Ludwig der Deutsche nie Kaiser war. Die Identifizierung ist jedoch trotzdem eindeutig. Die KAROLINGER-Könige im Merseburger Necrolog wurden beim Beginn des ottonischen Gedenkens aus älteren Vorlagen ünernommen; siehe dazu wie bei K 22
    Vgl. allgemein Biographisches Wörterbuch 2, Spalte 1711ff; FW K 16.

    Werner Karl Ferdinand: Seite 447, "Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1.-8. Generation)"

    III. Generation 14
    Zu Ludwigs Unterkönigtum in Baiern Eiten 114f. Der Prinz hat schon vor seinem eigentlichen Herrschaftsantritt in Baiern geweilt, vgl. das Gedicht, das Eb Adalramn von Salzburg an ihn richtete (MG Poet. lat. 2,647; Accipe, summe puer, parvum, Hludowici, libellum) und das Auftreten eines paedagogus Ludwigs in bairischen Urkunden.

    Rappmann Roland/Zettler Alfons: Seite 432, "Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter"

    LUDWIG DER DEUTSCHE
    + 28.8.876
    Necr. B 28.8. "Ludouuicus rex", König des Ostfränkischen Reiches 833-876

    Literatur:
    ADB 19 Seite 417ff.; Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches; BM² 1338b-1519b; Werner, Nachkommen Seite 447 Nr. 14 und Tafel III/14; Die Klostergemeinschaft von Fulda 2,1 Seite 314 K 16; Biographisches Wörterbuch 2 Spalte 1712f.; Althoff, Adels- und Königsfamilien K 32. Zum Todestag: Dümmler, ebd. 2 Seite 412 Anmerkung 1; BM² 1519 b.

    Der Sohn Kaiser LUDWIGS DES FROMMEN war mit der WELFIN Hemma vermählt; diese wiederum war die Schwester seiner Stiefmutter Judith. Obwohl Aufenthalte Ludwigs auf der Reichanua nicht bekannt sind, scheint die Insel unter ihm noch engere Kontakte zum Königshof gehabt zu haben. Beispielsweise reiste Abt Walahfrid im Sommer 849 im Auftrag des Königs als Vermittler in den Bruderkriegen zu KARL DEM KAHLEN, dessen Erzieher er gewesen war; zur Reise siehe Dümmler I Seite 347 und Beyerle, Von der Gr+ündung Seite 106 sowie oben Seite 297. Außerdem stieg im Jahre 870 der ehemalige Reichenauer Mönch Erzbischof Liutbert von Mainz zum Erzkappelan Ludwigs auf; vgl. Fleckenstein, Die Hofkapelle 1 Seite 176 und oben Seite 404.
    Im übrigen hat sich erstaunlicherweise nur eine einzige Urkunde des Königs für das Kloster erhalten: D LdD 81; vgl. dazu BM² 1424, Brandi, Urkundenfälschungen Seite 4 Nr. 20 bzw. Seite 115 Nrn. 20-22 ud Beyerle, Von der Gründung Seite 110. Auch Ludwig der Deutsche wird im Reichenauer Verbrüderungsbuch p. 98 A1 unter den Mitgliedern der Königsfamilie genannt. Zu zwei weiteren Nennungen in den Gedenkbüchern von St. Gallen und Pfäfers vgl. Schmid, Zur historischen Bestimmung Seite 504ff.

    Das Leben Ludwigs des Deutschen war wie das seiner Brüder durch die heikle Erbfolgefrage bestimmt. 826 wurde Ludwig als Unterkönig in Bayern und den östlichen Gebieten eingesetzt und baute hier seine Position beträchtlich aus. Als 829 LUDWIG I. die "Ordinatio imperii" umstieß, empörten sich seine drei ältesten Söhne und zwangen ihn auf dem "Lügenfeld" zu Kolmar zur Abdankung. Da Ludwig undPippin I. die Übermacht ihres Bruders LOTHAR I. fürchteten, erzwangen sie 834 die Wiedereinsetzung ihres Vaters. Bei der Reichsteilung 839 erhielt Ludwig nur Bayern, empörte sich und wurde unterworfen. Nach dem Tode ihres Vaters empörten sich Ludwig undKARLgegen den die volle Kaisergewalt fordernden LOTHAR I. In der Schlacht bei Fontenay (südwestlich von Auxerre) besiegten am 25.6.841 Ludwig und KARL das Heer ihres Bruders entscheidend. Im Vertrag von Verdun (August 843) erhielt Ludwig II. die ostrheinischen Gebiete außer Friesland, dazu die Bistümer Mainz, Speyer und Worms. 844 zerschlug Ludwig den Stammesverband der Obotriten und teilte das Land unter die Stammesfürsten auf. 846 gelang es Ludwig, an Stelle des heidnischen Fürsten Mojmir, der das mährische Reich bis in die Slowakei ausdehnte, den christlichen Dynasten Rastislaw einzusetzen. 856 und 858 wurde Ludwig von unzufriedenen Großen des W-Fränkischen Reiches ins Land gerufen. Er besiegte am 12.11.858 bei Brienne das Heer seines Bruders, mußte aber in der Folgezeit die Flucht ergreifen. Im Vertrag von Meersen (8.-9.8.870) erzwang Ludwig II. nach dem Tode seines Neffen Lothars II. die Teilung Lothringens, das KARL DER KAHLE besetzt hielt. Ludwig erhielt den östlichen Teil Lothringens mit Aachen, Köln, Trier, Metz und einen Teil Frieslands. Im Frieden von Forchheim (874) mußte Ludwig dem Herrscher des Großmährischen Reiches, Svatopluk, eine selbständige Politik zugestehen. Gegen die Besetzung Italiens und die Kaiserkrönung KARLS DES KAHLENnach dem Tode LUDWIGS II. konnte Ludwig der Deutsche nur protestieren.

    Hartmann Wilfried: Seite 60-70, „Ludwig der Deutsche (840-876)“ in Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern, Hg. Karl Rudolf Schnith

    Merkwürdigerweise hat jener König, in dessen Regierungszeit die vielleicht entscheidende Weichenstellung hin zum späteren Deutschen Reich des Mittelalters fällt, noch nie eine monographische Darstellung erhalten, und auch seiner Persönlichkeit gewidmete Aufsätze sind nur sehr selten. Dieser Tatbestand steht im Kontrast zu des fast hymnischen Beurteilung Ludwigs des Deutschen in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Auch die Historiographen des 9. Jahrhunderts haben Ludwig den Deutschen - anders als seinen Vater und Großvater - nicht mit einer Vita bedacht; einzig Regino von Prüm hat in seiner Chronik ein knappes Porträt geliefert. Während seiner langen Regierungszeit - von seiner Königserhebung 826 bis zu seinem Tod sind es genau 50 Jahre - vollzogen sich entscheidende Veränderungen in der politischen und gesellschaftlichen Struktur des Frankenreichs. Für das historische Urteil über Ludwig ist es entscheidend, wie man seinen Beitrag zu diesen Veränderungen bewertet. Ludwigs Ausgangslage war nicht günstig, denn er hatte von seinem Vater nur das periphere Bayern als Unterkönigreich erhalten, weil er der jüngste Sohn aus der ersten Ehe LUDWIGS DES FROMMEN war. Das Wirken in diesem Gebiet hatte jedoch den Vorzug, dass Ludwig hier eine eigenständige Politik betreiben konnte, die bei entsprechendem Erfolg durchaus nicht ohne Aussichten war: Nach O und SO besaß das Frankenreich hier eine offene Grenze; hier bestand die Möglichkeit weiterer Expansion des Reiches mit dem Vorteil, die Gefolgsleute mit Land und Beute zu belohnen; eine Möglichkeit, die LOTHAR und Pippin, die an den Grenzen ihrer Gebiete mit den gefährlichen Normannen und Sarazenen zu tun hatten, nicht in demselben Ausmaß besaßen.
    Während der ersten neun Jahre seiner Regierung in Bayern dürfte Ludwig noch keine selbständige Politik betrieben haben. Erst als er mit 20 Jahren (826) zum König erhoben wurde und durch seine Heirat mit der WELFIN Hemma zu einem wichtigen Adelsgeschlecht in engere Beziehungen trat, wurde er aktiver. Seine Ehe brachte ihn auch im Personengeflecht des Kaiserhofes in eine Schlüsselposition, denn Hemmawar die Schwester der Kaiserin Judith. Ludwig hat sich in der Zeit des ersten Aufstands gegen seinen Vater (830) sehr zurückgehalten, und auch nach der Absetzung LUDWIGS DES FROMMEN (833) hat er sich bald wireder auf dessen Seite gestellt. Erst als 839 mit einer neuen Reichsteilung dem jüngeren Stiefbruder und Neffen KARL DEM KAHLEN ein weit in ostfränkisches Gebiet hineinreichendes Teilreich zugesichert wurde, das die Reichsteilung von 831 zuungunsten von Ludwig korrigierte, griff er zu den Waffen. Die Folge war, dass Ludwig alle Gebiete außer Bayern abgesprochen wurden und der alte Kaiser den Plan faßte, sein Reich nur zwischen LOTHAR und KARL DEM KAHLEN aufzuteilen.
    Nach dem Tode LUDWIGS DES FROMMEN kam es dann wegen der ungeschickten Politik LOTHARS zu einem Bündnis zwischen Ludwig und KARL DEM KAHLEN (Frühjahr 841), nachdem Ludwig schon im Herbst 840 in O-Franken, Alemannien, Sachsen und Thüringen als König anerkannt worden war. LOTHAR hatte seinerseits versucht, im Reich seines Bruders Ludwig Fuß zu fassen, indem er sich mit den sächsischen Freien und Halbfreien verband, die unter dem Namen der "Stellinge" gegen den Adel kämpften. Obwohl LOTHAR mit diesem Bündnis in die Tradition seines Vaters und Großvaters eintrat, die ebenfalls die armen Freien unterstützt hatten, brachten ihm diese Koalition keinen Vorteil; vielmehr erhielt Ludwig der Deutsche noch zusätzliche Hilfe vom sächsischen Adel, der die Revolte der Stellinge niederschlagen konnte.
    Am 25.6.841 besiegten Ludwig und KARLdas Heer LOTHARS bei Fontenoy in der Nähe von Auxerre; alle Quellen heben hervor, dass diese Schlacht sehr viele Opfer gefördert hätte; ungefähr 50 Jahre später schreibt Regino von Prüm, die schweren Verluste dieser Schlacht hätten die Verteidigungsfähigkeit des Reichs auf Dauer beeinträchtigt, denn von da an seien die Franken nicht mehr imstande gewesen, offensiv gegen äußere Gegner vorzugehen.
    Vor einem neuen Waffengang bekräftigten Ludwig und KARL ihr Bündnis vor den Kriegern, indem jeder der beiden Herrscher den Bund in der Sprache des Heeres seines Bruders beschwor (Straßburger Eide); der Wortlaut dieser Texte in romanischer und althochdeutscher Sprache ist beim Historiker Nithard überliefert.
    Zu weiteren Kämpfen zwischen den Brüdern kam es aber nicht mehr; seit Juni 842 erarbeitete vielmehr eine Kommission einen Teilungsplan für das Reich, der im August 843 in Verdun gebilligt wurde (Vertrag von Verdun). Ludwig erhielt jetzt Bayern, Schwaben, Franken, Thüringen und Sachsen, wobei die Rheingrenze im Bereich von Mainz, Worms und Speyer zugunsten Ludwigs und am Niederrhein zugunsten LOTHARS überschritten wurde; Ludwig sollte einen Anteil am karolingischen Haus- und Reichsgut im Mittelrheingebiet erhalten, das nicht nur wegen des dort wachsenden Weins begehrt war, sondern das Ludwig mit den nötigen Machtmitteln für sein Königtum ausstatten sollte. Der Vertrag von Verdun beabsichtigte noch keine endgültige Aufteilung des fränkischen Reiches; dass er eine solche einleitete, konnte man 843 noch nicht absehen. Für den größeren Teil des Reiches war eine gemeinsame Herrschaft vorgesehen; zu diesem Zweck wurden mehrere Treffen der Brüder durchgeführt. Alle drei Brüder kamen 844 in Diedenhofen und 847 und 851 in Meersen zusammen; bis 850 gab es mehrere Zweiertreffen zwischen LOTHAR I. und Ludwig; danach fanden sich LOTHAR und KARL DER KAHLE zusammen. Wenn auch diese Zusammenkünfte nur selten zu einem Miteinander führten (das 847 geplante gemeinsame Unternehmen gegen den Dänen-König Horic kam nicht zustande), so gab es doch keine bewaffneten Auseinandersetzungen mehr. Das änderte sich aber, als LOTHAR I. 855 sein Amt niederlegte und wenig später im Kloster Prüm in der Eifel starb.
    Obwohl das Kaisertum seit 850 auf LOTHARS Sohn LUDWIG II. übergegangen war, fühlte sich Ludwig der Deutsche anscheinend nach 855 als Senior des karolingischen Hauses und versuchte seinen Halbbruder KARL auszumanövrieren. Bereits 854 hatte es Kontakte zwischen Ludwig dem Deutschen und der Opposition gegen KARL DEN KAHLEN gegeben. Ludwig hatte damals auf Bitten einer aquitanischen Adelsgruppe seinen Sohn Ludwig (den Jüngeren) in den SW von KARLS Reich geschickt. Erfolge konnten die O-Franken aber nicht erringen, denn die Aquitanier wandten sich Pippin II., dem Sohn des 838 verstorbenen Pippin von Aquitanien, zu, der aus der Klosterhaft hatte entkommen können. Ludwig der Deutsche suchte den Kontakt zu PippinsSöhnen und erhob 856 den Bruder Pippins II., Karl, zum Erzbischof von Mainz und damit zum Leiter der ostfränkischen Kirche.
    Vielleicht war es Karl von Mainz, der Ludwig den Rat gab, der Einladung einer westfränkischen Adelsgruppe nachzukommen und im August 858 ins Reich KARLS DES KAHLEN einzufallen. Am Ende dieses Jahres erschien Ludwig als Sieger; er stellte im Dezember 858 Urkunden aus, in denen er das erste Jahr seiner Herrschaft im W-Reich zählte. Es kam aber anders, und Ludwig mußte im Januar 959 den Rückzug antreten, denn die Bischöfe des W-Frankenreichs hielten unter Führung Hinkmars von Reims zu dem bereits besiegten und verdrängten KARL.
    Vielleicht haben diese bösen Erfahrungen mit seinem Bruder KARL DEN KAHLEN zehn Jahre später veranlaßt, nach dem Tod des Neffen Lothar II., der ohne legitime Erben gestorben war, seinerseits im Alleingang zu versuchen, einen wesentlichen Teil des Erbes LOTHARS I. zu gewinnen und sich in Metz zum König von Lotharingien krönen zu lassen (869)
    Auch als es darum ging, das italeinische Reich und die Kaiserkrone als Erbe LUDWIGS II. zu sichern (+ August 875), war KARL DER KAHLE schneller als sein ostfränkischer Bruder: am 25.12.875 wurde er - und nicht der älteste Sohn Ludwigs des Deutschen, Karlmann - zum Kaiser gekrönt. Aus dem Erbe LOTHARS I. konnte Ludwig für sich und seine Söhne immerhin die Hälfte des Reiches Lothars II. gewinnen (Vertrag von Meersen 870).
    Wenn auch Ludwig der Deutsche darin gescheitert ist, eine Art Oberherrschaft im Frankenreich zu erringen, so hat doch beachtliche Erfolge im N und O seines Teilreichs erzielt. Im Jahr 845 führten die dänischen Normannen Kriegszüge gegen die Elbmündung und gegen das Seinegebiet durch. Die Hammaburg, der noch recht bescheidene Stützpunkt der fränkischen Händler und der Kirche an der Grenze zu den Abodriten, wurde von den Normannen eingeäschert. Weil aber normannische Krieger eine Seuche in ihre Heimat einschleppten, die sie von einem Zug vor Paris mitgebracht hatten, konnte Ludwigs Abgesandter, Graf Cobbo, von den geschwächten Normannen erreichen, dass die christlichen Gefangenen freigelassen wurden und dass die Dänen für ihren Kriegszug eine Entschädigung zahlten. Im Herbst 845 erschienen normannische Gesandte in Paderborn; sie waren zu einem Friedensschluß bereit. Dieser Friede bewahrte das O-Fränkische Reich für viele Jahrzehnte vor weiteren Normannenzügen. Sie konzentrierten sich in der Folgezeit vor allem auf die Küsten des W-Frankenreichs, wo es allerdings auch mehr zu holen gab: vor allem goldene Gefäße aus den Kirchen und Klöstern sowie Tribute, zu deren Zahlung KARL DER KAHLE sich bereitfand.
    Im SO des Reiches hatten sich während der innerfränkischen Kämpfe von 830 bis 845 wichtige Veränderungen vollzogen: Die Mährer hatten dort ein Reich errichtet, mit dem Ludwig der Deutsche und seine Söhne bis zum Ende des Jahrhunderts zu tun haben sollten. 846 unternahm Ludwig einen ersten Kriegszug gegen die Mährer; ein neuer Feldzug fast zehn Jahre später (855) hätte beinahe mit einer Katastrophe geendet; nur mit knapper Not konnte der König sein Leben retten. Sein Sohn Karlmann versuchte aus diesen Fehlschlägen die Konsequenzen zu ziehen und erreichte 858 ein Einvernehmen mit den Mährern. Es waren wohl die bayerischen Adeligen, die Ludwig den Deutschen bestimmten, erneut die Unterwerfung des Mährischen Reichs zu versuchen. Ein Feldzug im Jahr 864 brachte zwar keinen großen Sieg, aber doch den Erfolg, dass die Mährer die fränkische Oberhoheit anerkennen und zur Bekräftigung ihres Treueids Geiseln stellen mußten.
    Der Mährer-Fürst Rastislaw betrieb aber weiterhin eine selbständige Politik, indem er die Missionsinteressen der Bistümer Passau und Salzburg ignorierte und eine päpstliche Genehmigung für die Missionstätigkeit der aus dem Oströmischen Reich stammenden Missionare Konstantin-Kyrill und Methodius erlangte. Gegen diese Unabhängigkeitsbestrebungen richtete sich ein neur Angriff der Franken, der diesmal von Ludwigs Söhnen Karlmann und KARL geleitet wurde (869). Die beiden Brüder erreichten, dass ihnen Fürst Rastislaw ausgeliefert wurde; wie einem Reichsangehörigen wurde ihm durch ein Gericht aus Franken, Bayern und Slawen der Prozeß wegen Hochverrats gemacht; das Urteil lautete auf Tod. König Ludwig milderte die Strafe in Blendung ab.
    Mit Rastislaw Nachfolger Zwentibold/Swatopluk (870-894) herrschte nur kurzes Einvernehmen; in dieser Zeit wurde der Mährerfürst der Taufpate von ARNULFS Sohn Zwentibold. Die völlige Einbeziehung des Mährischen Reiches in das O-Frankenreich gelang trotz neuen Feldzügen nicht; Zwentibold mußte sich jedoch wenigstens dazu verstehen, einen Alemannen als Bischof seines politischen Zentrums Neutra anzunehmen. Nach dem Tod Ludwigs des Deutschen, Karlmanns und Ludwigs des Jüngeren das heißt seit ca. 880/82, erreichte das Mährische Reich seine größte Ausdehnung: 884 vereinbarten Zwentibold und KARL III. westlich des Wienerwalds eine Abgrenzung ihrer Sphären. 885 konnte Mähren seinen Einfluß nach N bis zur Weichsel ausdehnen, 890 verzichtete ARNULF zugunsten Zwentibolds auf seine Oberhoheit über Böhmen.
    Die Kämpfe gegen das mächtige Mährerreich gaben den Machtträgern im O des Reiches Ludwigs des Deutschen eine gewisse Handlungsfreiheit, die zu heftigen Spannungen mit dem König führte, in die auch Ludwigs Söhne einbezogen wurden. 854 mußte Ludwig den seit 833 amtierenden Präfekten an der O-Grenze, Ratbod, absetzen; noch vor 860 kam es auch zu Problemen mit dem Grafen Rihheri von Pannonien. Ludwigs ältester Sohn Karlmann, der seit 856 im östlichen Grenzraum königliche Funktionen ausübte, hatte ein Arrangement mit dem regionalen Adel getroffen, das ihm eine vom König unabhängige Stellung einbrachte. Äußerer Ausdruck des Bündnisses zwischem dem bayerischen Adel und Karlmann ware seine Ehe mit einer Tochter des Grafen Ernst, der Grenzgraf im bayerischen Nordgau war.
    Der Adel am Hof Ludwigs des Deutschen hat den König anscheinend vor der Gefahr gewarnt, die von seinem Sohn drohen konnte; daher wurde Karlmann 863 wegen Hochverrats angeklagt; zu einer Verurteilung kam es jedoch nicht. Vielmehr entschloß sich Ludwig 865 dazu, eine Art Testament zu machen, in dem er seinen drei Söhnen Reichsteile zuwies, die sie nach seinem Tod besitzen sollten.
    Ludwig der Jüngere verfolgte jedoch weiterhin eigene Ziele und versuchte, Kontakte zu westfränkischen Adelsgruppen aufzunehmen. So müssen wir nämlich Nachrichten deuten, dass er sich mit einer Tochter des im Westen mächtigen Adalhard verloben wollte; nur der heftige Widerstand des Vaters veranlaßte den jüngeren Ludwig, diese Absicht fallen zu lassen. 869 heiratete er dann Liutgard, die Tochter des mächtigen sächsischen Grafen Liudolf. Damit hatte sich auch Ludwig der Jüngere - wie bereits früher Karlmann und KARL (dieser hatte 862 die Tochter des elsässischen Grafen Erchanger geheiratet) - mit einer Frau verbunden, die aus einer der wichtigsten Adelsfamilien jener Region stammmte, die sein künftiges Reich bilden sollte.
    Die Spannungen und Konflikte zwischen Ludwig dem Deutschen und seinen Söhnen sind Ausdruck eines für die Zeit typischen Dilemmas: Der König konnte nicht überall persönlich anwesend sein, daher wurden eigene Herrschaften für die Söhne eingerichtet, die sich besonders um die schwierigen Grenzprovinzen kümmern sollten. Um sich dort durchsetzen zu können, mußten sie sich mit den in jenen Regionen mächtigen Adelsfamilien arrangieren, was nicht immer mit der Politik des Königs in Einklang zu bringen war. Die Söhne wurden so mehrfach zum Aushängeschild einer "legitimistischen" Opposition gegen den Vater, so wie es die Söhne LUDWIGS DES FROMMEN in den Jahren nach 829/30 gewesen waren.
    An die Beweglichkeit und Allgegenwart eines Königs wurden im 9. Jahrhundert hohe Anforderungen gestellt. Das zeigt beispielhaft der Bericht der Fuldaer Annalen zum Jahr 852: Zu Jahresbeginn war der König (in Mainz) zusammen mit den Fürsten und Grafen mit Staatsangelegenheiten und mit der Schlichtung von Streitfällen beschäftigt; nachdem er dann Gesandtschaften der Bulgaren und Slawen angehört hatte, reiste er nach Bayern, um einige Anordnungen zu treffen; dann fuhr er zum Rhein und dort zu Schiff nach Köln. Hier hatte er mit einigen Edlen seines Bruders LOTHAR eine Unterredung und zog dann nach Sachsen, um dort Recht zu sprechen. Un Minden an der Weser hielt er einen allgemeinen Gerichtstag und zog dann nach Thüringen, wo er auf einem Tag in Erfurt Anordnungen erließ. Von hier reiste er weiter und feierte Weihnachten in Regensburg.
    Regensburg war überhaupt neben Frankfurt der häufigste Aufenthaltsort Ludwigs des Deutschen; man kann in diesen beiden Städten geradezu Residenzen des ostfränkischen Königs sehen. Auch in späteren Jahren konnte sich Ludwig aber nicht damit begnügen, wie Vater und Großvater vornehmlich von einer Residenz aus zu regieren: Als es darum ging, einen Anteil vom Erbe seines 869 verstorbenen Neffen Lothar II. zu erhalten, unternahm Ludwig, der damals schon über 60 Jahre alt war, einen Ritt nach Meersen, obwohl er erst kurz davor im ca. 100 km entfernten Flamersheim (bei Euskirchen) einen schweren Unfall hatte. Der König hatte dort eine Rippenquetschung erlitten, als der morsch gewordene Söller zusammenbrach. Regino berichtet, die Begleiter Ludwigs hätten gehört, wie die gebrochenen Rippen beim Reiten aneinanderrieben, dennoch habe niemand einen Laut der Klage von Ludwig vernommen.
    Obwohl aus dem O-Frankenreich keine Kapitularien überliefert sind, wie es sie von KARL DEM GROSSEN, seinem Sohn LUDWIG DEM FROMMEN und seinem Enkel KARL DEM KAHLEN in größerer Anzahl gibt, scheint auch Ludwig der Deutsche solche Anordnungen erlassen zu haben. Vielleicht wurden sie aber nur selten schriftlich festgehalten, da die Grafen und die anderen königlichen Amtsträger sowieso nicht lesen und schreiben konnten. Die weniger entwickelte Schriftlichkeit des O-Frankenreichs zeigt sich auch darin, dass die Zahl der Urkunden Ludwigs deutlich geringer ist als die KARLS DES KAHLEN (172 echte Urkunden Ludwigs gegen 461 seines westfränkischen Halbbruders).
    Im Vergleich zum W-Frankenreich und zu Italien war das O-Frankenreich kulturell fast ein Entwicklungsland, aber Ludwig versuchte seinen Teil dazu beizutragen, das geistige Leben in seinem Reich zu fördern. Mit Hrabanus Maurus, der ihm zeitweise fernstand, suchte er persönlichen Kontakt, ehe er ihn 847 zum Erzbischof von Mainz erhob. Hrabanus widmete dem König mehrere seiner Schriften und sandte ihm ein Exemplar seiner Enzyklopädie zu, um das Ludwig gebeten hatte. Kontakt sucht Ludwig auch mit dem Gelehrten Reimser Erzbischof Hinkmar, der eine theologische Anfrage des ostfränkischen Königs mit einer kleinen Schrift beantwortete.
    Besonders Interesse hatte Ludwig der Deutsche anscheinend an der Verschriftlichung der Volkssprache. Um 864 richtete der Abt Otfrid von Weißenburg einen Brief an seinen König, in dem er die Hoffnung äußerte, dass Ludwig in seinem Reich anordnen werde, sein in fränkischer Schrift geschriebenes Evangeliarbuch solle überall gelesen werden. Möglicherweise hatte bereits früher ein sächsischer Autor sein Bibelgedicht vom Heiland Ludwig dem Deutschen gewidmet. Und auch in Fulda war mit der althochdeutschen Übertragung der Evangelienharmonie des Tatian der Versuch gemacht worden, zentrale Texte des christlichen Glaubens in die Volkssprache zu übertragen. Dass Ludwig der Deutsche und seine Umgebung an diesen Bemühungen Anteil nahmen, zeigt sich auch darin, dass das Endzeitgedicht des Muspilli in einer Handschrift überliefert ist, die sich im Besitz Ludwigs befand. Weil die eintragende Hand nicht sehr geübt erscheint, hat man sogar vermutet, dass der König selbst den Text geschrieben habe.
    Wenn auch eine große königliche Bibliothek, wie sie KARL DER GROSSE und LUDWIG DER FROMME besaßen und wie sie von KARL DEM KAHLEN ebenfalls belegt ist, bei Ludwig dem Deutschen nicht nachzuweisen ist, so können doch noch heute einige Handschriften namhaft gemacht werden, die im Besitz des ostfränkischen Königs gewesen sind. Und von seinem langjährigren Erzkapellan, Abt Grimald von St. Gallen, wissen wir, dass er eine Büchersammlung besaß. Es gehört daher nicht nur zur Topik des Herrscherlobs, wenn Regino von Prüm im Nachruf auf Ludwig davon spricht, dass der König in den weltlichen und geistlichen Wissenschaften unterrichtet war. Regino erwähnt hier auch, dassLudwigäußerst vorsichtig gewesen sei und dass er die Gabe gehabt habe, die Menschen nach ihrer Brauchbarkeit einzuschätzen. Seiner Persönlichkeit kommen wir vielleicht noch etwas näher, wenn wir beobachten, dass er - anders als die meisten seiner Vorfahren und Nachkommen - ein sehr inniges Verhältnis zu seiner Frau besaß; man könnte vermuten, dass seine Trauer um den Tod seiner Frau den eigenen Tod beschleunigt hat.
    Die Spannungen mit seinen Söhnen, vor allem mit dem ältesten, Karlmann, gehen wenigstens zum Teil auf die Einflüsterungen der Gattin Hemma zurück, deren Liebling anscheinend der Zweitgeborene, Ludwig (der Jüngere), war. Gegen dessen Bevorzugung lehnte sich Karlmann mehrfach auf, und er scheute sich dabei auch nicht, mit den Mährern zu paktieren (wie das auch sein Bruder Ludwig gelegentlich tat). Dass es dennoch nicht zu einem endgültigen Bruch kam, ist wieder ein Ausdruck der Vorsicht Ludwigs des Deutschen, der es verstand, im rechten Moment seinerseits nachzugeben. Spannungen innerhalb der Familie waren ja bei den KAROLINGERN nichts Neues; Ludwig selbst hatte in seiner Jugend davon genug mitbekommen, und in der Familie seines Halbbruders spielten sich gleich mehrere Familientragödien ab: Ein Sohn namens Karlmann wurde nach einem Aufstandsversuch geblendet; er starb im ostfränkischen Exil. Eine Tochter hatte sich von ihrem Liebhaber entführen lassen; nur mit Mühe gelang es dem Papst, eine Versöhnung zwischen Vater und Tochter herbeizuführen. Ludwigs Beiname Germmanicus, "der Deutsche", ist zeitgenössisch: in den westfränkischen Annalen von St. Bertin wird er so genannt, denn Germania war die karolinger-zeitliche Bezeichnung für das Gebiet östlich des Rheins. Zuweilen wird Ludwig auch der Beiname Pius beigelegt; damit nahm man nicht nur ein bereits in der Antike übliches Herrscherepitheton wieder auf, sondern bezog sich auf die Züge von tiefer Frömmigkeit, die man bei Ludwig finden kann. So hat er sich gegen Ende seines Lebens nach einer schweren Krankheit dazu entschlossen, seinen persönlichen Schatz an ihm nahestehende Klöster und Kirchen zu verteilen. Und Notker von St. Gallen rühmt bei Ludwig die Neigung zum Gebet und die Bereitschaft zum Fasten sowie weitere Äußerungen der Frömmigkeit, wie die, dass er in Regensburg an den Bittagen von der Königspfalz bis zum Kloster St. Emmeran barfuß hinter dem Kreuz hergegangen sei.
    Über die äußere Erscheinung Ludwigs wissen wir nicht sehr viel; das Lob Notkers von St. Gallen, er sei ein Mann von stattlichem Wuchs und von schöner Gestalt gewesen, ist zu allgemein; höchstens die Erwähnung seiner hellen und männlichen Stimme und seiner eindrucksvollen Augen dürfte auf eigenem Erleben des Geschichtsschreibers beruhen. Nur ein einziges zeitgenössisches Bild ist auf uns gekommen, während wir von seinem Stiefbruder KARL ein ganzes Dutzend besitzen. Das Fehlen von Münzbildern, wie wir sie für die älteren karolingischen Herrscher besitzen, belegt die noch geringe wirtschaftliche Entwicklung des ostfränkischen Reiches.
    Glücklicherweise gibt uns Regino in seiner Chronik eine kurze Charakteristik des Königs, die einige Züge seiner Persönlichkeit erkennen läßt. Dabei wird besonders die kriegerische Grundhaltung dieses Königs deutlich, der nach Regino die Härte des Eisens mehr geliebt hat als den Glanz des Goldes. Es fehlte Ludwig auch nicht der Sinn für archaische Kraftdemonstrationen. So weiß Notker von St. Gallen zu erzählen, dass er mit bloßen Händen ein stählernes Schwert von der Spitze bis zum Griff verbogen habe, um einer normannischen Gesandtschaft Respekt vor der Kraft der O-Franken einzuflößen. Regino hebt dann vor allem die Menschenkenntnis Ludwigs hervor, die ihn für Bestechung unempfänglich gemacht habe; bei der Auswahl der weltlichen Amtsträger Ergebenheit und aufrichtige Treue den Ausschlag gegeben.

    Schieffer Rudolf:, "Die Karolinger"

    Die 817 erlassene Ordinatio imperii stellte dem noch heranwachsenden Ludwig das zuvor LOTHAR zugeteilte Bayern samt den slawischen Grenzgebieten in Aussicht. Beim Aufstand 830 ließ er sich durch das Versprechen eines größeren Erbteils auf die Seite seines Vaters ziehen, der damit seine Herrschaft wiederherstellen konnte. Obwohl ihre Reiche vergrößert wurden, fühlten sich Ludwig und sein Bruder Pippin durch die Bevorzung des StiefbrudersKARL ins Abseits gedrängt. Als der Kaiser einen Feldzug nach Aquitanien vorbereitete, wurde ihm ein Aufstand Ludwigs gemeldet, der sich von Bayern aus offenbar Teile von KARLS Erbe aneignen wollte. Sein Vater rückte gegen Ludwig vor und dieser ließ ihn nach seiner Unterwerfung im Mai 832 bei Augsburg glimpflich davonkommen. Er unterstützte gemeinsam mit seinem Bruder Pippin den Bruder LOTHAR I. bei der Absetzung des Kaisers LUDWIG auf dem "Lügenfeld" zu Colmar, forderte aber, da er bei einem weiteren Umsturz kaum etwas aufs Spiel zu setzen brauchte, schon um die Jahrewende 833/34 eine würdigere Behandlung des alten Kaisers und verhalf diesem erneut bei der Restaurierung seiner Macht. Als der Kaiser Ende 837 seinen Sohn KARL mit weiten Gebieten ausstattete, verärgerte er nicht nur LOTHAR, sondern auch Ludwig, der sich von Bayewrn aus mit dem kaiserlichen Bruder zu einer Besprechung in der Nähe von Trient traf und dadurch das Mißtrauen des Vaters auf sich lenkte. Nach einem vergeblichen Versuch, sich zu rechtfertigen, wurden ihm im Sommer 838 alle rechtsrheinischen Länder bis auf Bayern wieder entzogen. Nach dem Tode Pippins (13.12.838) unternahm Kaiser LUDWIG einen Zug über den Rhein bis zum Bodensee, um dem jüngeren Ludwig seine Macht zu demonstrieren. Anschließend teilte er Ende Mai 839 auf einer Reichsversammlung in Worms das Frankenreich, bei der Ludwig nur das "Pflichtteil" Bayern erhielt. Er wurde im Frühjahr 840 von seinem Vater aus Thüringen verjagt, der anschließend ein gemeinsames Vorgehen mit LOTHAR I. gegen ihn plante, aber durch den Tod daran gehindert wurde.
    Tatsächlich konnte Ludwig auf weit festeren Grund bauen als etwa sein Halbbruder KARL im W, hatte er doch schon 817 eine erste Anwartschaft auf Bayern empfangen, etwa 826 dort auch zu regieren begonnen und sein bald vergrößrtes rechtsrheinisches Erbteil in den stürmischen Jahren seit 830 gegen alle brüderlichen Anfeindungen zäh behauptet, was ohne einen verläßlichen Anhang unter den Großen im Lande kaum gelungen wäre.
    Bayern mit dem Zentrum Regensburg blieb zeitlebens seine wichtigste Machtbasis, wo ihm jahrzehntelang ein bevorzugter Graf namens Ernst, nach den Worten der Fuldaer Annalen "Heerführer jener Gegenden und unter des Königs Freunden der erste", den Rücken freihielt. Daneben trat das in Verdun erhandelte Rhein/Main-Gebiet in den Vordergrund, wo Ludwig im häufig besuchten Frankfurt vor 852 das Salvator-Stift einrichtete. Schwaben und zumal Sachsen und Thüringen sahen ihn seltener, doch galt auch hier seine Königsautorität uneingeschränkt, nachdem der von LOTHAR I. zeitweilig geförderte "Stellinga"-Aufgstand vom sächsischen Adel unterdrückt worden war. Eng wußte Ludwig auch mit der stammesübergreifenden Kirche zusammenzuwirken: Auf den seit 833 amtierenden Erzkapellan, den Bischof Baturich von Regensburg, ließ er 848 den Abt Grimald von St. Gallen und Weißenburg folgen, dem er als seinem wichtigsten Berater auf die Dauer auch die Kanzleileitung anvertraute. In Hildesheim nahm er 845 den vertriebenen Ebo von Reims (+ 851) als Bischof auf, und 847 erhob er den gelehrten Fuldaer Abt Hrabanus Maurus (+ 856) zum Erzbischof von Mainz, der dort "durch persönliche Initiative" (W. Hartmann) alsbald eine rege Synodaltätigkeit mit dem Höhepunkt einer Versammlung fast des gesamten ostfränkischen Episkopats im Oktober 852 entfaltete. An seinen Außengrenzen hatte Ludwigs Teilreich 845 den verheerenden dänischen Überfall auf Hamburg hinzunehmen, der eine Verlegung des erzbischöflichen Sitzes nach Bremen erforderlich machte, doch gelang es noch im selben Herbst in Paderborn, durch einen Friedensschluß mit den Dänen die akute Gefahr für geraume Zeit von Sachsen abzuwenden.
    Die sichtliche Erfolgsbilanz der ostfränkischen KAROLINGER im 1. Jahrzehnt nach Verdun verfehlte nicht ihren Eindruck auf unzufriedene Kreise in anderen Teilreichen und trug so indirekt zu der ersten schweren Erschütterung der vertraglichen Ordnung bei, die von Aquitanien ausging. Dort hatte man sich auch nach Pippins Gefangennahme (852) keineswegs überall mit der Herrschaft KARLS DES KAHLENabgefunden, zumal der westfränkische König 853 durch die Hinrichtung des Grafen Gauzbert von Maine, eines RORGONIDEN, neuen Unmut weckte. Das Bedürfnis nach Gegenwehr brach sich nicht einfach in einer Adelsrevolte Bahn, sondern spitzte sich auf den Versuch zu, den als ungerecht empfundenen Herrscher, der seinen göttlichen Auftrag verfehlt zu haben schien, durch einen anderen KAROLINGER zu ersetzen, der ein besseres Regiment zu führen ver-sprach. Das Thronrecht des Gesamthauses blieb also unbestritten, doch sollte die interne Machtverteilung verändert werden, so wie schon während der Bruderkriege ab 830 das politisch-militärische Gewicht der rivalisierenden Könige wesentlich von den Optionen der jeweiligen Großen bestimmt worden war. Bei ihrer "Einladung" konnten die Aquitanier nicht auf LOTHAR I., dem einstigen Verbündeten Pippins II., rechnen, denn der Kaiser war längst zum Verteidiger der Teilungsordnung von 843 geworden und eben im Herbst 852 noch gemeinsam mit KARLgegen die Normannen an der unteren Seine gezogen (ohne größeren Erfolg); vielmehr wandten sie sich an Ludwig den Deutschen mit der Bitte, entweder selbst oder durch einen seiner Söhne die Regierung in ihrem aquitanischen Regnum zu übernehmen. Der König konnte der Verlockung zum Eingreifern nicht widerstehen, ordnete aber, selber durch Verwickluingen an der mährischen Grenze gebunden, den knapp 20-jährigen Ludwig den Jüngeren ab, der Anfang 854 mit bewaffneter Macht bis in die Gegend von Limoges vorstieß. KARL DER KAHLE wich einer direkten Konfrontation aus, rief die Vermittlung Kaiser LOTHARS an und beklagte sich beim Papst über den flagranten Bruch der Friedenseide; entscheidend wurde schließlich, dass Pippin II., vielleicht mit KARLS stillschweigender Duldung, aus seiner Haft in Soissons entkam und nach Aquitanien eilte, wo er den stärkeren Anhang als Ludwigmobilisierte und den ostfränkischen Vetter im Herbst 854 zum eiligen Rückzug nötigen konnte.
    Im Herbst 858 von einer unzufriedenen westfränkischen Adelsgruppe um Robert den Tapferen von Anjou als König ins W-Frankenreich gerufen, mußte er 860 im Frieden von Koblenz 860 endgültig verzichten. Ludwig der Deutsche wünschte nach dem Tod LUDWIGS II. eine Art Hausvertrag über das südliche Regnum und traf sich 872 mit der Kaiserin Angilbergain Trient sowie 874, als man anscheinend schon mit LUDWIGS baldigem Ende rechnete, mit diesem selber bei Verona, um für seinen ältesten Sohn Karlmann eine Designation zum Erben zu erreichen. Es ist unklar, wieviel Verbindlichkeit die eine wie die andere Abrede erlangt hatte, als Kaiser LUDWIG II. am 12.8.875 in der Gegend von Brescia tatsächlich starb und damit auf beiden Seiten das Bestreben weckte, rasch Fakten zu setzen. Während sich KARL DER KAHLE in Italien gegen Karlmann und KARL III., Ludwigs Söhne, durchsetzte, zeigte der ostfränkische König seine Verärgerung, indem er auf diese Nachrichten hin von Metz aus zusammen mit seinem Sohn Ludwig dem Jüngeren militärisch in W-Franken einfiel, um gewissermaßen nach dem Muster von 858 KARL die Vasallen im eigenen Lande zu entziehen und ihm wie 869/ 70 einen Anteil am einseitig erzielten Raumgewinn abzunötigen. Der Vorstoß, der dazu führte, dass Ludwig das Weihnachtsfest 875 in KARLS Pfalz Attigny feiern konnte, wurde zeitweilig begünstigt durch eine nach Hinkmars Zeugnis in W-Franken verbreitete Mißstimmung darüber, dass KARLum römisch-italienischer Ambitionen willen sein angestammtes, innen und außen bedrohtes Regnum im Stich gelassen habe, worin zugleich ein beredter Ausdruck für das Schwinden eines gesamtfränkischen Horizonts zu erkennen ist. Gleichwohl trat Ludwig der Deutsche bald nach der Jahreswende den Rückzug an, wohl weil er einsah, mit seinen Manövern dem Bruder nicht in den Arm fallen zu können.
    Zwar forderten nach der Rückkehr seines Bruders aus Italien seine Beauftragten in Ponthion drohend einen Erbteil am Erbe LUDWIGS II., doch trat dies binnen kurzem in den Hinterfrund, da der ostfränkische König am 28.8.876 in Frankfurt starb. Er folgte etwa 70-jährig seiner im Januar verschiedenen Gattin, der WELFIN Hemma, und wurde im nahen Kloster Lorsch beigesetzt. Das Teilreich, das er sich in seiner Jugend erkämpft und dann Jahrzehnte hindurch innerhalb der Familie behauptet hatte, so dass daraus der Keim des späteren Deutschland werden konnte, hinterließ er im Augenblick des Todes in einer durchaus prekären Lage. Sich der neuen großfränkischen Politik KARLS DES KAHLEN zu erwehren, fiel nun seinen drei in der Vergangenheit wenig einigen Söhnen zu.

    827 oo Hemma, Tochter des Grafen Welf um 808 - 31.1.876 Regensburg

    Kinder:
    - Ludwig III. der Jüngere 835-20.1.882
    - Hildegard Äbtissin von Schwarzbach und Zürich 828-23.12.856
    - Ermengard Äbtissin von Buchau und Chiemsee (857-866) - 16.7.866
    - Gisla
    - Bertha Äbtissin von Schwarzbach und Zürich (856-877) - 26.3.877
    - Karlmann 830-29.9.880
    - KARL III. DER DICKE 839-13.1.888

    Literatur:
    Althoff, Gerd: Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen. Wilhelm Fink Verlag München 1984, Seite 136,189,369 K 32 - Althoff Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 11,20 - Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten, Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 61-66,70,89,94,149,166,217,224,252,256, 317 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986, Seite 12,18,23-25,30,38,42,52-54,60,62,76,79,95,99,106,108,128,143,160-163, 166-168,171,175,181,189,200,206, 224,227,246,257-261,273,275,289 - Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit. 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Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1992, Seite 70,114,117,120,123,126,128-133,136,139-144,149-151,153-157,159-167,169, 171,187,195,200,227 - Schmid, Karl: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983, Seite 90, 320,529-531 - Schneidmüller Bernd/Weinfurter Stefan: Otto III. Heinrich II. Eine Wende? Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1997, Seite 71,271,274,359A - Schnith Karl Rudolf: Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1990, Seite 24,34,46, 48,51-54,58-69,73-77,83,87,92,95,113 - Schulze, Hans K.: Das Reich und die Deutschen. Hegemoniales Kaisertum. Ottonen und Salier. Siedler Verlag, Seite 74,118,143,171 - Weinfurter Stefan: Die Salier und das Reich Band 1-3. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1991, Band I, Seite 145,170344; Band II, Seite 113,187, 366,368,468,530; Band III; Seite 194,486 - Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1995, Seite 349,421,425, 428-433,439-442,445 - Wies Ernst W.: Otto der Große. Kämpfer und Beter. Bechtle Verlag Esslingen 1989, Seite 24,27,41 -



    Neue Deutsche Biographie - Ludwig der Deutsche
    ostfränkischer König, * circa 805/806 wohl in Aquitanien, † 28.8.876 Frankfurt/Main, ⚰ Lorsch.

    Daß L. seine Jugend am Hofe des Vaters verbrachte, bis 814 also in Aquitanien, und eine dem Kaisersohn angemessene Erziehung genoß, ist aufgrund seiner später bekundeten theologischen und biblischen Interessen nicht zu bezweifeln, doch fehlt es außer der beiläufigen Erwähnung eines (sonst unbekannten) paedagogus Egilolf (zu 818/19) an gesicherten Nachrichten. L. wurde 817 mit der Aachener Ordinatio imperii zum König über Bayern (d. h. Altbayern von der Donau bis über die Alpen) mit den vorgelagerten Slawenländern bestellt, jedoch unter einer Oberhoheit des Vaters, die beim Erbfall auf den ältesten Bruder, Kaiser Lothar I., übergehen sollte. L. nahm 824 an einem Bretonenfeldzug teil und wurde 826 nach Bayern entsandt, wo man seither mitunter nach seinen Jahren die Urkunden datierte, aber außer einer offenbar erfolglosen Heerfahrt gegen die Bulgaren (828) verlautet vorerst nichts über eine eigene Regierung L.s. An den Unruhen, die sich 829 anbahnten (Ausstattung des vierten Kaisersohnes Karl des Kahlen mit einem Herrschaftsanteil, Reformsynoden) und 830 zur zeitweiligen Entmachtung Ludwigs des Frommen führten, hatte L. wenig aktiven Anteil. Er soll im Gegenteil eine formelle Absetzung des Vaters verhindert haben und ließ sich zusammen mit seinem Bruder Pippin sehr bald für den alten Kaiser gewinnen, der seinerseits mit Zugeständnissen nicht geizte. Erstmals am 6.10.830 urkundete L. selbständig, und fortan für sein Teilreich ausschließlich, als rex Baioariorum, stellte jedoch in der Datierung die Kaiserjahre des Vaters den (von 826 an gezählten) Jahren des eigenen regnum voran; als sein Hofkaplan und Kanzleileiter begegnet in den 11 erhaltenen Diplomen der Jahre 830-833 der Abt Gauzbald von (Nieder-) Alteich. Wahrscheinlich Anfang 831 verkündete Ludwig d. Fr. auf einer Aachener Reichsversammlung eine neue Erbteilung, die – in Anlehnung an Karls d. Gr. Divisio von 806 – als L.s (künftigen) Anteil auch Thüringen, Ripuarien und Sachsen bis zur Küste vorsah, also schon in Umrissen das spätere Ostfränk. Reich konzipierte.

    Die gleichzeitige, sehr großzügig geplante und der Ordinatio von 817 vollends zuwiderlaufende Begünstigung des jungen Karl löste indes – mitsamt anderen, für uns undeutlich bleibenden persönlichen Spannungen – neue Wirren aus, zu denen L. selber im Frühjahr 832 den Anstoß gab. Er besetzte Schwaben und drang bis zum Rhein vor, mußte aber zurückweichen und sich in Augsburg dem Vater unterwerfen. Dieser Konflikt und eine bald darauf folgende Maßregelung Pippins bildeten das Vorspiel zu der großen Reichskrise von 833, dem gemeinsamen Aufstand Lothars I., Pippins und L.s gegen den Kaiserhof und dem Sturz Ludwigs d. Fr.. Die Sieger vereinbarten eine Dreiteilung des Reiches. L. erhielt zu Bayern nunmehr Schwaben mit dem Elsaß, Rheinfranken, anscheinend auch Thüringen und Sachsen. Er bestellte den Bischof →Bathurich von Regensburg (817–48) zum Erzkaplan, den Abt Grimald von Weißenburg zum summus cancellarius (bis 837 in 13 Diplomen bezeugt) und urkundete fortan, erstmals am 19.10.833, als selbständig regierender rex, ohne Attribut und ohne Bezugnahme auf den Kaiser, mit neu einsetzender Zählung des regnum in orientali Francia.

    An der kirchlich zelebrierten Entthronung Ludwigs d. Fr. in Compiègne und Soissons (Herbst 833) nahm L. jedoch nicht teil. Er verwandte sich vielmehr für den von Lothar in Haft gehaltenen Vater und trug 834 zu dessen neuerlicher Restitution bei. Nach Ausweis der Urkunden behielt er weiterhin die Regierung mindestens auch in Schwaben, Elsaß und Mainfranken, mit Duldung durch den Kaiser, der freilich auch selber noch für Kirchen dieser Länder urkundete. Das stets labile Einvernehmen der nächsten Jahre wich aber einem neuen Zerwürfnis, das in offene Auflehnung überging, als Ludwig d. Fr. 838 seinem nunmehr volljährigen und zum König erhobenen Sohne Karl einen neustrischen Herrschaftsbereich zuwies, L. dagegen alle außerbayerischen Länder absprach, und vollends, als der alte Kaiser nach dem Tode Pippins I. (Ende 838) ohne Rücksicht auf seinen Enkel Pippin II Aquitanien an Karl gab (und 839 gar eine Teilung des Gesamtreiches – wiederum außer Bayern – nur zwischen Lothar I. und Karl d. K. verfügte. Der Kampf war unausgetragen, als Ludwig d. Fr. am 20.6.840 starb.

    Der zum Nachfolger designierte Lothar I. beschwor eine völlige Umkehr der Fronten herauf, da er, aus Italien heranrückend, die vollen Kaiserrechte aus der – ja nicht formell aufgehobenen – Ordinatio von 817 beanspruchte und die einstigen Verfechter der Reichseinheit für sich gewann. L. wurde damit an die Seite seines bisherigen Feindes Karl gedrängt. Er ging zunächst einen Waffenstillstand mit Lothar ein, nutzte aber die Atempause, um sich von Ostfranken, Alemannen, Sachsen und Thüringern huldigen zu lassen und urkundete im Dez. 840 für Corvey. Mit dem gleichfalls bedrängten Karl d. K. schloß er im Frühjahr 841 ein Bündnis. Lothar I., dem sich Pippin II angeschlossen hatte, unterlag am 25.6.841 in der blutigen Bruderschlacht von Fontenoy bei Auxerre, die von den tief bedrückten Zeitgenossen als ein Gottesurteil für das Teilungsrecht gegen die Idee der Reichseinheit gedeutet wurde. Lothar griff zu verzweifelten Entlastungshilfen durch Kontakte mit dem innersächs. Aufstand der „Stellinga“ und mit den Normannen, die sich in Friesland festzusetzen begannen. L. und Karl aber bekräftigten ihren Bund durch die Straßburger Eide vom 14.2.842, deren beim Chronisten Nithard überlieferter volkssprachlicher Wortlaut als ältestes Denkmal französischer und eines der ältesten deutscher Sprache berühmt ist, freilich einer voreiligen politisch-nationalen Interpretation entzogen bleiben muß. Lothar gab nun endgültig auf, zumal die Großen aller Reichsländer zum Frieden drängten – denn mindestens seit der Regierung Ludwigs d. Fr. dürfen die grundlegenden politischen Entscheidungen nicht mehr kurzerhand, wie es nach den Quellentexten scheinen könnte, als autonome (oder gar souveräne) patrimoniale Hoheitsakte verstanden werden. Die drei Brüder trafen sich im Juni 842 bei Mâcon und vereinbarten einen langen Waffenstillstand zur Vorbereitung einer Dreiteilung von außen nach innen, d. h. auf der Basis von Italien, Bayern und Aquitanien als Reichsteilen Lothars I., L.s und Karls d. K.. Im Aug. 843 kam so der Vertrag von Verdun zustande, der, abgesehen von Friesland, die Länder östlich der Rhein-Aare-Linie, jedoch mit einer – wohl wirtschaftlich und strategisch bedingten – westlichen Ausbuchtung am Mittelrhein, also Bayern, Schwaben, Franken, Thüringen, Sachsen, L. zusprach.

    Der Vertrag von Verdun sollte nur Zuständigkeitsbereiche innerhalb des regnum Francorum abgrenzen, das der Idee nach als Einheit fortbestand, jetzt freilich unter einer dynastischen Samtherrschaft, die dem Kaiser nur noch einen Ehrenvorrang beließ. Als endgültig und unabänderlich wurde diese Ordnung noch keineswegs empfunden: Ob ein föderativer Zusammenhalt sich behaupten, ob eine andere Aufgliederung sich einspielen oder ob im Gegenteil die Reichsteile sich zu Teilreichen verselbständigen würden – das war noch lange eine offene Frage. Die drei Brüder trafen sich 844 in Diedenhofen, 847 und 851 in Meerssen zu feierlichen, aber wenig wirksamen Beschlüssen und Mahnungen über gemeinsames Handeln im Geiste beschworener fraternitas. In wiederholten Zweiertreffen – so L.s mit Lothar I. 846, 847, 848, 850, 854, mit Karl 846, 849 – gingen Mißtrauen und Ausgleichsbemühungen ineinander über. Trotz wechselnder Spannungen hielt ein Jahrzehnt lang ein leidlicher Friede vor, aber mit der gegenseitigen Hilfe war es nicht weit her, jeder blieb auf sich selbst gestellt.

    Das Ostreich L.s, der seine Herrscherjahre weiterhin von 833 an zählte, stand in der wirtschaftlichen Entwicklung hinter Italien und dem Westen eher zurück, hatte ihnen aber eine stärkere innere und äußere Stabilität voraus. Die Länder und Stämme der Bayern, Schwaben, Rhein- und Mainfranken, Thüringer und Sachsen waren bei allem Eigenbewußtsein stärker ins Reich integriert als etwa die Aquitanier im Westen. Von einer Kapitulariengesetzgebung verlautet im Osten zwar nichts mehr, aber die Feudalisierung der Ämter und die Emanzipation des hohen Adels wie des hohen Klerus waren hier noch nicht zu einer ernstlichen Gefahr für die Königsautorität geworden. L. erhob 842 seinen früheren Hofkaplan Gauzbald zum Bischof von Würzburg († 855), 845/47 den als Erzbischof von Reims gestürzten Ebbo zum Bischof von Hildesheim († 851), 847 den gelehrten →Hrabanus Maurus zum Erzbischof von Mainz († 856). Dieser hielt 847 in seiner Metropole auf königliches Geheiß eine Reichssynode. Weitere Versammlungen und Hoftage folgten u. a. 848 und 852 in Mainz, 852 in Minden, 854 in Ulm, 861 und 870 in Regensburg, 865 in Frankfurt, 868 in Worms, 872 in Forchheim, 873 bei Worms und in Metz, 874 in Tribur. Uns sind im ganzen 172 in der Substanz echte Urkunden L.s überkommen, dazu 15 später fingierte Texte, die Zahl der erschließbaren Deperdita dürfte sich um 20 bewegen. Die Kanzlei stand von Ende 840 bis zum Sommer 854 unter der Leitung des Abtes Ratleik von Seligenstadt. Der frühere Kanzleivorsteher Grimald, seit 841 Abt von St. Gallen, der unterdes, wohl nicht allzu lange nach dem Tode Bathurichs von Regensburg (848), oberster Hofkaplan geworden war, vereinigte von 854/56 an diese Würde mit der Leitung der Kanzlei. Beide Ämter gingen 870 an EB →Liutbert von Mainz (863–89) über, dessen Nachfolger sie seit dem 10. Jh. dann als archicancellarii dauernd behalten haben. Normgebend für die deutsche Königskanzlei wurde auch der von 859 an und noch über L.s Tod hinaus tätige Kanzleinotar Hebarhard, auf den die vereinfachte, aber klare diplomatische Minuskel und die allmähliche Einbürgerung des Titels cancellarius für den leitenden Notar zurückgehen. Daß L.s Königshof in einer mit Karl d. Gr. oder auch mit seinem Bruder Karl d. K. vergleichbaren Weise ein Zentrum geistigen Lebens gewesen wäre, ist nicht direkt erkennbar, aber wir wissen von mancherlei Kontakten L.s, vor allem mit →Hrabanus Maurus (ohne daß jedoch von einer persönlichen Beteiligung L.s an dem theologischen Konflikt um den sächs. Mönch Gottschalk die Rede sein könnte), gelegentlich auch mit Hinkmar von Reims, mit dem Bischof →Altfrid von Hildesheim (851–74). Auch L. sind Dichtungen und kostbare Codices gewidmet worden, als berühmtestes Werk in den 860er Jahren die althochdeutsche Evangelienharmonie Otfrids von Weißenburg. Ob auch der um einige Jahrzehnte ältere Heliand zum Kreis um L. gehört, ist jedoch unsicher; dagegen stammt die Aufzeichnung des Muspilli aus seiner persönlichen Umgebung.

    Ein von dem Dänenkönig Horik über See ausgesandtes Heer führte 845 einen schweren Schlag gegen Hamburg, was die Verlegung des von Ludwig d. Fr. gegründeten Missionserzbistums nach Bremen zur Folge hatte. Aber noch im selben Jahr schloß Horik Frieden, womit zu L.s Zeiten die Bedrohung aus dem Norden im wesentlichen beendet war, im Unterschied zur anhaltenden Normannennot des Westreiches. Das stete Problem des Ostreiches war dagegen die Berührung mit den Slawen auf der weiten Strecke von der Ostsee bis zu den Alpen. L. war hier mit seinen Söhnen und Grafen auf die Behauptung und den Ausbau des schon bestehenden Systems von Grenzen, Marken und Tributärstaaten bedacht. An der Elbe-Saale-Linie kam es schon 844 und noch öfter (bis 874) zu Kämpfen, wiederholt unter L.s persönlicher Führung, doch blieb es in die sem Raum durchweg bei bloßer Grenzsicherung. Die Slawenprobleme verquickten sich alsbald sehr (auf eine für uns nicht immer klar durchschaubare Weise) mit Fragen der inneren politischen Ordnung.

    L. urkundete auch für Kirchen des hess.-thür. Raumes, er begegnet 845 in Paderborn, 852 in Herford, Minden und Erfurt, doch galt sein aktives Interesse im ganzen nicht so sehr dem Norden. Hier formte sich am frühesten eine neue Mittelgewalt. Der gelegentlich als dux orientalium Saxonum bezeichnete Ostfale Liudolf gewann, eben durch die Grenzhut, eine Vormachtstellung, die nach seinem Tode (866) auf seinen Sohn Brun († 880) überging. L. dagegen nahm in den Pfalzen Regensburg (wo er das heute noch bestehende Stift der Alten Kapelle errichtete) und Frankfurt (wo er das Salvatorstift gründete) mit Vorzug Residenz. Zentrum seines Reiches blieb das alte Kernland Bayern, wo schon früh der dux Ernst eine stellvertretende Regierung führte, während der Grenzraum gegen Böhmen und Mähren seit spätestens 833 von Mgf. Ratbod befehligt wurde. Die hier vorgelagerten Slawenländer waren, wenn auch erst in ungleichem Maße, politisch angegliedert und in der Christianisierung begriffen. L. ließ 845 in Regensburg 14 böhm. duces taufen und setzte 846 in Mähren den Christen Rastislaw als Vasallenherzog ein. Eine ähnliche Position fiel in der Ebene um den Plattensee dem gleichfalls schon christlichen Slawenfürsten Pribina zu, während Kärnten bereits zum bayer.-ostfränk. Binnenlande zählte. Zur Verankerung seines weitläufigen Herrschafts gefüges im bayer., sächs. und alemann. Adel verfolgte L. eine in der Karolingerdynastie. bis dahin kaum übliche Heiratspolitik, deren genaue Daten freilich nicht feststehen: Sein ältester Sohn Karlmann ehelichte (vor 861) eine (nicht namentlich bekannte) Tochter des Bayernherzogs Ernst, Karl III. 862 Richgard, eine Tochter des elsäss. Grafen Erchanger, Ludwig der Jüngere – freilich erst gegen Ende von L.s Regierung – jenes Sachsen Liudolf Tochter Liutgart.

    Soweit wir wissen, blieben der Norden und der Südwesten in der Tat ruhig, aber im Südosten bewährten sich die getroffenen Regelungen keineswegs. Innere Machtkämpfe überwucherten den Grenzkampf. Mgf. Ratbod machte 854 mit den Mährern gemeinsame Sache, auch Karlmann, der 856 die Ostmark übernahm, verbündete sich 858 mit Rastislaw, duldete (oder betrieb gar?) den Sturz Pribinas durch dessen Sohn Kocel (861) und begann 861 einen hartnäckigen Kampf gegen den Vater um einen größeren Herrschaftsanteil. L. enthob im gleichen Jahr 861 den dux Ernst des Amtes, vermochte sich aber erst 863/64 – im Bunde mit den Bulgaren – gegen Karlmann und Rastislaw durchzuset zen. – Um diese Zeit begann in Mähren die Mission der griech. Slawenapostel Kyrillos und Methodios; daß L. persönlich in die daraus entstehenden langwierigen Konflikte mit der bayer. Kirche eingegriffen hätte, ist jedoch nicht erkennbar. – Um die innere Lage zu stabilisieren, verfügte L. 865 auf der Frankfurter Reichsversammlung eine an Stammesländern und Fiskalgut orientierte Hausordnung und Erbteilung: Bayern mit den Slawenmarken sollte an Karlmann, Schwaben mit Churrätien an Karl III., „Francien“, Thüringen und Sachsen an Ludwig d. J. fallen, zu begrenzter eigener Verwaltung, aber ohne eigene Königstitel, unter fortdauernder Herrschaft L.s. Es kam darüber zu Auflehnungen (des jüngeren Ludwig 866, Ludwigs und Karls 871 und 873), die aber jedesmal (872 in Forchheim durch eine Bestätigung der Teilung) beigelegt wurden. Die Kämpfe mit Rastislaw gingen unterdes weiter, nicht eben erfolgreich, endeten jedoch in jähem Umschwung: Rastislaw wurde 870 von seinem Neffen Swatopluk gestürzt, an L. ausgeliefert und als treuloser Vasall geblendet. Aber die Kämpfe mit Mähren flammten wieder auf und verliefen 871/72 für das Reich von neuem so unglücklich, daß L. sich schließlich 874 bereitfand, im Frieden von Forchheim die selbständige Herrschaft Swatopluks (auch im Kirchenwesen) unter bloß nomineller Reichshoheit hinzunehmen. Er hatte damit zwar die Pflöcke sehr zurückgesteckt, aber die einzige unruhige Zone seines Reiches war vorerst befriedet.

    Der Südosten war mittlerweile freilich längst zum Nebenschauplatz geworden, denn das gesamtfränkisch verflochtene Ordnungsgefüge des Vertrages von Verdun und der fraternitas war vom Westen her ins Wanken geraten. Karl d. K. mußte sich der Normannen und nicht minder der unbotmäßigen Aquitanier erwehren, auch nachdem er den Neffen Pippin II. hatte in Haft nehmen können (852). Mißgestimmte aquitan. Große gingen 853 nicht den mit Karl verbündeten Kaiser Lothar I., sondern L. um Hilfe an. Nicht L. selber, aber in seinem Auftrag sein Sohn Ludwig d. J. drang 854 bis in die Gegend von Limoges vor, mußte jedoch, von Karl bedrängt, alsbald wieder abziehen. Die Eintracht in der Brüdergemeine war erstmals offen zerbrochen, zumal dann 855 mit dem Tode Lothars I. und der Teilung des Mittelreiches – Italien an den Kaiser Ludwig II, der Nordteil an Lothar II., Provence und Burgund an den jüngsten, als Epileptiker nicht ernstlich regierungsfähigen Bruder Karl – der letzte Abglanz ausgleichender Kaisergewalt im Gesamtreich schwand.

    L., nunmehr der Senior des Karolingerhauses und mit Karl d. K. offen verfeindet, erhob 856 Pippins II. jüngeren Bruder Karl|zum Nachfolger des →Hrabanus Maurus auf dem Mainzer Erzstuhl († 863). Unterdes griff im Westreich die Mißstimmung von Aquitanien auf die Francia und Burgund über, und wieder richteten sich die Blicke auf L. Bei dem Konflikt, der sich hier zuspitzte, war gewiß naiver Machtwille im Spiel, keineswegs aber schon ein „nationaler“ Gegensatz. Im Rechtsdenken der Zeit handelte es sich um einen Appell einer zum Widerstande entschlossenen Adelsgruppe an den stärksten Repräsentanten der Dynastie und seine Verantwortung für das Gesamtreich. Politisch war es ein Versuch, das Teilungswerk von Verdun umzustürzen und in einer Personalunion wieder ein Großreich erstehen zu lassen. 856 wich L. der Aufforderung der Gegner Karls noch aus, aber einem Bündnis Karls d. K. mit Lothar II. begegnete er 857 in Trient durch ein Treffen mit dem Kaiser Ludwig II., und auf ein erneutes Ansuchen hin drang er im Aug. 858 von Worms aus tief nach Westfranken ein. Bei Brienne an der Aube hätte sich am 12.11. beinahe die Kolmarer Katastrophe Ludwigs d. Fr. von 833 wiederholt: Von „den Seinen“ verlassen, entzog sich Karl dem Kampf durch die Flucht nach Burgund. L. übernahm die Herrschaft, urkundete am 7.12.858 in der Pfalz Attigny, wo er sich mit Lothar II. traf, nach seinem 1. Jahr in occidentali Francia, vergab Grafschaften und Güter und entbot die westfränk. Bischöfe zu sich. Aber der Episkopat versagte sich ihm. EB Hinkmar von Reims hielt L. in einem feierlichen Mahnschreiben den Griff nach dem Reich des Bruders als schweres Unrecht vor – die Loyalität dieser Bischofsgeneration galt schon mehr dem Teilkönig als dem Gesamtreich, die Verselbständigung der Teilreiche schritt voran. Als dann auch im weltlichen Adel unter Führung der Welfen ein rascher Umschwung einsetzte, mußte L. schon am 15.1.859 einen eiligen Rückzug antreten; sein Griff nach Westfranken war fehlgeschlagen.

    Unter der Führung Hinkmars und gefördert von Lothar II. bemühten sich die Bischöfe des West- und des Mittelreiches um einen Ausgleich. Nach langwierigen Verhandlungen – Synoden in Metz und in Savonnières bei Toul, Begegnung L.s mit Karl und Lothar II. auf einer Rheininsel bei Andernach 859 – kam im Juni 860 der Friede von Koblenz zustande, der, von L. und Karl wie 842 in beiden Sprachen beeidet (aber nicht im Text überliefert), auf die Meerssener Verlautbarung von 851 zurückgriff. Von Karl erwirkte L. eine Amnestie für die westfränk. Großen, die sich ihm angeschlossen hatten - es war ein Konflikt um die noch rein persönlich verstandene Herren- und Vasallentreue, ohne jeden Bezug zu „nationaler“ Gesinnungsloyalität. Die ohnehin prekäre fraternitas lebte aber nicht wieder auf, der Dualismus von West- und Ostfranken war sanktioniert. Einen Zugriff Karls d. K. auf das provenzal.-burgund. Reich des jüngsten Neffen Karl wehrten L. und Lothar II. 861 durch eine diplomatische Intervention ab; nach dieses Karls Tod (863) teilten sich die Brüder Ludwig II. und Lothar II. in seine Länder.

    Eine offene, immer brisanter werdende Frage aber war die Zukunft des zweigeteilten Mittelreiches, wo mit keiner dynastischen Kontinuität zu rechnen war, da Ludwig II. überhaupt keinen, Lothar II. keinen vollbürtigen Sohn hatte. Lothars hartnäckiiges Bemühen, statt der kinderlosen Ehe mit Theutberga seine Verbindung mit Waldrada, von der er den Sohn Hugo hatte, zu legitimieren, zog ein Jahrzehnt lang weite Kreise. Weltliches und geistliches Gericht, die Päpste Nikolaus I. und Hadrian II. und erst recht die anderen Frankenkönige wurden damit befaßt. L., Lothar und Karl trafen sich im Nov. 862 in Savonnières, aber das politische Interesse an der alleinigen Rechtsgültigkeit von Lothars kinderloser Ehe bestimmte immer mehr das Verhalten L.s und Karls. Sie nahmen 863 erneut Kontakt auf; sie trafen sich 865 in Tusey bei Toul und in Köln; in Metz einigten sie sich 867 grundsätzlich auf eine künftige Teilung „der Reiche ihrer Neffen“, was freilich einer freundschaftlichen Begegnung L.s mit Lothar im Sommer 867 in Frankfurt nicht entgegenstand. Aber als Lothar II. am 8.8.869 starb und L. krank in Regensburg lag, nutzte Karl die Gunst der Stunde, setzte sich über die Teilungsabsprache hinweg und nahm mit einer feierlichen Krönung in der Karolingerstadt Metz (9.9.) das regnum Lotharii in Besitz. Vor L.s Drohung zurückweichend, fand er sich dann doch zu einer Teilung bereit, die im Aug. 870 in der Pfalz Meerssen detailliert – ungefähr entlang der Maaslinie – vereinbart wurde, so daß z. B. Köln (wo L. alsbald die Erhebung des EB Willibert durchsetzte), Aachen, Metz und Straßburg an die Francia orientalis fielen. Nördlich der Alpen bestand seitdem also nur noch eine Zweiteilung des Gesamtreiches.

    Das beherrschende Problem der nächsten Jahre war die doppelte Nachfolge des söhnelosen Ludwig II. im regnum Italiae und im Kaisertum. Der Ost- und der Westkönig beschritten dabei verschiedene Wege. L. traf|sich 872 in Trient mit der Kaiserin Angilberga, 874 bei Verona mit Ludwig II. selber und erwirkte, im Geiste der Samtherrschaft, die innerdynastische Designation seines ältesten Sohnes Karlmann (von Bayern) als Nachfolger im italischen Teilreich. Karl d. K. dagegen ließ sich von den Päpsten Hadrian II. († 872) und Johann VIII. die Nachfolge in der Kaiserwürde zusagen. Nach dem Tode des Kaisers (12.8.875) griff er wieder rasch zu. Er eilte nach Italien, wußte den aus Bayern heranrückenden Karlmann durch einen Waffenstillstand zu überspielen, empfing am Weihnachtstage 875 von Johann VIII. die Kaiserkrone und ließ sich im Febr. 876 in Pavia zum protector und defensor, faktisch also zum König, ausrufen. Alsbald trat im Sommer 876 eine glanzvolle westfränk. Reichsversammlung in Ponthion den Entscheidungen von Rom und Pavia bei. Hier erschienen jedoch auch Gesandte L.s, der, Protest erhob, seinen Anteil am Erbe Ludwigs II. forderte und zu militärischer Aktion ansetzte. In diesem Augenblick aber starb L. und hinterließ sein Ostfränk. Reich einer neuen Brüdergemeine, die sich mit einer im ersten Anlauf sehr erfolgreichen neuen großfränk. Reichs- und Kaiserpolitik des Westkönigs konfrontiert sah.

    L.s geschichtlicher Platz und Rang – in der Mitte zwischen Karl d. Gr. und Otto d. Gr. – ist erst dadurch fixiert worden, daß seine Söhne diese Großreichs- und Kaiserpolitik der westlichen Linie abwehrten und daß die von ihm verfügte Teilung des Ostreiches sich nach wenigen Jahren von selber wieder aufhob. Damit blieben die german. Länder nördlich der Alpen und östlich der Maas beieinander. Sie hatten sich durch L.s lange Regierung an eine gewisse Gemeinsamkeit gewöhnt, in einem Zeitalter, das zudem im Gebrauch des auf die Sprache bezogenen Wortes theodiscus und in schon vielfältigen, nicht selten sogar literarischen volkssprachigen Aufzeichnungen ein gegen Romanen und Slawen abgehobenes Eigenbewußtsein entwickelte. Eine politische Note eignet alledem jedoch noch keineswegs, nach Spuren eines die gesamtfränk. Kategorien sprengenden spezifisch ostfränk.-deutschen Staatsbewußtseins hat man vergeblich geforscht. Wenn L. von den westfränk. Zeitgenossen antikisierend als rex Germaniae (Germanorum) und in der eingebürgerten Fachsprache der Historiker als „L. der Deutsche, Louis le Germanique, Lodovico il Germanico, Louis the German“ bezeichnet wird, so kann dies gewiß zu argen Fehldeutungen verleiten, es behält aber in abstufend-differenzierender Rückschau seine Berechtigung, denn im Werdegang des deutschen Reiches und Volkes nimmt L. in der Tat einen wichtigen Platz ein.



    Siehe auch:
    Wikipedia Ludwig der Deutsche



    Geburt:
    wohl in Aquitanien

    Ludwig heiratete Hemma in 827. Hemma (Tochter von Welf und Heilwiga) wurde geboren um 808; gestorben am 31 Jan 876 in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland; wurde beigesetzt in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland. [Familienblatt] [Familientafel]


  2. 3.  Hemma wurde geboren um 808 (Tochter von Welf und Heilwiga); gestorben am 31 Jan 876 in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland; wurde beigesetzt in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: Ostfrankenreich; Ostfränkische Königin

    Notizen:

    Hemma Ostfränkische Königin
    808-31.1.876 Regensburg Begraben: St. Emmeran (nach fälschlicher Überlieferung im Kloster Obermünster), Regensburg
    Jüngere Tochter des Grafen Welf und der Sächsin Eigilwicha (Heilwich)

    Lexikon des Mittelalters: Band IV Spalte 2128

    Hemma, Königin des ostfränkischen Reiches
    * um 808, + 31. Januar 876
    Begraben: St. Emmeran (nach fälschlicher Überlieferung im Kloster Obermünster), Regensburg
    oo 827 Ludwig der Deutsche, wohl Regensburg
    7 Kinder:
    darunter Karlmann
    Ludwig III. der Jüngere
    KARL III. DER DICKE

    Tochter des fränkischen Grafen Welf und der edlen Sächsin Eigilwich/Heilwich, mit denen der Aufstieg der WELFENbeginnt, deutlich markiert durch die Ehe Kaiser LUDWIGS DES FROMMEN mit Judith, der Schwester Hemmas. Hemma hat wiederholt, meist in Regensburg, in Urkunden Ludwigs des Deutschen interveniert (DLdD 110,128,141,161; mehrere Spuria), am interessantesten ist ihre Intervention für die Marienkapelle in Regensburg, neben Frankfurt einem Zentrum der Hofkapelle Ludwigs des Deutschen.

    Literatur:
    LCI VI, 494 - Dümmler² - K. Bauch, Das ma. Grabbild, 1976, 101.

    Bosl’s Bayerische Biographie: Seite 330

    Hemma, deutsche Königin
    * um 810, + 31.1.876 Regensburg
    Vater: Graf Welf I. von Altdorf
    Mutter: Eigilwi
    oo 827 König Ludwig der Deutsche

    Erhielt 833 von ihrem Gatten das Kloster Obermünster in Regensburg, der es für das Kloster Mondsee eintauschte.
    Ausbau von Obermünster durch sie.
    Nach Schlaganfall stumm.
    Mutter von:
    Karlmann
    Ludwig III.
    KARL III. und den
    Äbtissinnen Hildegard (Schwarzach)
    Irmgard (Frauenchiemsee) und
    Bertha (Schwarzach).

    Literatur:
    S. Rösch, Caroli Magni Progenies, 1977.

    Große Frauen der Weltgeschichte: Seite 218

    Königin Hemma
    um 808-31.1.876
    Der berühmte bayerische Geschichtsschreiber Johannes Thurmair, nach seinem Geburtsort Abensberg auch Aventius genannt, sah noch um das Jahr 1500 in dem Grabmal, dessen königliches Haupt in nebenstehender Zeichnung wiedergegeben ist, das Denkmal jener Uta, welche die Gemahlin des deutschen Kaisers ARNULF VON KÄRNTEN gewesen ist, des Siegers über die Normannen. Erst in neuerer Zeit glaubt man das steinerne Bildnis als das Antlitz der Königin Hemma deuten zu dürfen, die nach fast 50-jähriger, glücklicher Ehe mit dem ostfränkischen König Ludwig dem Deutschen - einem Enkel Kaiser KARLS DES GROSSEN - in Regensburg gestorben ist und auch dort beigesetzt wurde; nach einigen Quellen in Obermünster, nach anderen in Sankt Emmeran. Mit gutem Recht hat man das Bildnis dieser Königin - wir wissen von ihr, daß sie das Kloster Obermünster in Regensburg gründete und daß sie die Mutter der seligen Irmgard war, der Stifterin des Klosters Frauenchiemsee - das schönste Frauengesicht der deutschen mittelalterlichen Plastik genannt; steht doch die herrliche Arbeit offenkundig in der glorreichen Tradition, die sich von der deutschen Bilderkunst des 13. Jahrhunderts - aus Bamberg, Straßburg und Naumburg - herleitet. Auch die Kunstgeschichte kennt nicht den Namen des genialen Gestalters, der dies wahrhaft adelige Antlitz geformt hat und der königlichen Frau als Sinnbild der Majestät den Reichsapfel in die zagen Hände gab, den sie und ihr Gemahl in Wirklichkeit nie getragen haben. Das Grabmal ist um das Jahr 1300 entstanden, also über 400 Jahre nach dem Tode Hemmas und ihres Gemahls, des großen deutschen Königs, dem das erste Christenepos deutscher Sprache von Otfried geschenkt worden ist. Die Plastik war früher wohl Deckplatte einer Tumba; heute ist sie aufrechtstehend in eine Wandnische der Kirche Sankt Emmeran zu Regensburg eingemauert, zum ehrenden Gedenken an die deutsche Frauen und Königin, die noch im Totenmal von der edlen Fülle des Lebens zeugt, das ihr einmal innewohnte.

    Konecny Silvia: Seite 135, "Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert."

    Ludwig der Deutsche heiratete 827 Hemma, eine WELFIN und Schwester Judiths, obwohl auf Betreiben seiner Stiefmutter. Der Chronist betont die Rechtmäßigkeit des Eheschlusses. Deren vornehmlichstes Zeichen war die Dotation im "kanonisch"-rechtlichen Sinne. Hemmas Stellung als Gattin Ludwigs des Deutschen stand überhaupt völlig außer Streit. Ludwig der Deutsche war einer der wenigen karolingischen Herrscher, die nur eine einzige Ehepartnerin hatten, oder zumindest keine Nachkommen aus einer anderen Verbindung. Hemma wurde gelegentlich der Titel einer Königin zuerkannt. Seit wann dies der Fall war, steht jedoch nicht fest. Eine Krönung dürfte Hemmas Königswürde jedenfalls nicht begründet haben.

    Rappmann Roland/Zettler Alfons: Seite 429, "Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter"

    HEMMA
    + 31.1.876
    Necr. B 31.1. "Hemma regina", Gemahlin Ludwigs des Deutschen

    Literatur:
    Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches 1 Seite 26, 2 Seite 424f.; BM² 1338f.; Werner, Nachkommen Tafel Nr. III/14; Konecny, Die Frauen Seite 95, Seite 135; Lexikon des Mittelalters 4 Spalte 2128; Die Klostergemeinschaft von Fulda 2,1 K 11. Zum Todestag: Dümmler, ebd. Seite 425 Anm. 1; MGH Necr. 3 Index Seite 461 mit weiteren Necrologbelegen; BM² 1517h.

    Hemma, Tochter des Grafen Welf und Schwester der Gemahlin LUDWIGS DES FROMMEN, Judith, war die Gemahlin König Ludwigs des Deutschenund Mutter des der Reichenau eng verbundenen Kaisers KARL III.
    Zu den Gedenkbucheinträgen mit Hemma siehe Libri confrat. Seite 546 und Tellenbach, Welfen Seite 335ff.

    Schieffer Rudolf: Seite 120, "Die Karolinger"

    Wenn schließlich 827 auch noch Hemma, Judiths jüngere Schwester, dem Kaisersohn Ludwig, einstweiligem Unterkönig von Bayern, angetraut wurde, so kündigten sich zugleich bereits die Gefahren für die innere Machtbalance an, die in allzu starkem Hervortreten einzelner Adelssippen lagen.

    Schneidmüller Bernd: Seite 23,50,51,59, "Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung."

    Tatsächlich war die Familie durch die Heirat von Judith und Hemma, den Töchtern Welfs, mit Kaiser LUDWIG DEM FROMMEN und König Ludwig II. ("dem Deutschen") in die Geschichte eingetreten.
    So betrachtet, muß die Hochzeit Kaiser LUDWIGS DES FROMMEN mit der WELFIN Judith 819 nicht mehr als Startschuß familiären Aufstiegs, sondern nur noch als bemerkenswertes Indiz adliger Königsnähe und fränkischer Handlungsbreite gelten. Das Netz wurde bald dichter geknüpft, als Welfs zweite Tochter Hemma 825/27 Ludwig II. heiratete. Damit ehelichte die Schwester der welfischen Kaiserin deren Stiefsohn; Hemma war jetzt Stiefschwiegertochter der eigenen Schwester.
    Der Mitkaiser LOTHAR hob nämlich seinen Halbbruder KARL aus der Taufe und übernahm damit eine besondere Verantwortung. In diese Suche nach Konsens gehört gewiß auch das Ehebündnis Ludwigs II. mit Hemma, der Schwester Kaiserin Judiths, im Jahr 825/27.
    Als "halber WELFE" blieb dieser Sohn Judiths noch im Bewußtsein schwäbischer Nachgeborener des 12. Jahrhunderts präsent. Dagegen "vergaß" man die gleichwertige Blutsverwandtschaft mit den Nachfahren König Ludwigs II. und der WELFIN Hemma (+ 876).

    827 oo Ludwig II. der Deutsche König des Ostfränkischen Reiches, 804-28.8.876

    Kinder:
    - Ludwig III. der Jüngere 835-20.1.882
    - Hildegard Äbtissin von Schwarzbach und Zürich 828-23.12.856
    - Ermengard Äbtissin von Buchau und Chiemsee (857-866) - 16.7.866
    - Gisla
    - Bertha Äbtissin von Schwarzbach und Zürich (856-877) - 26.3.877
    - Karlmann 830-29.9.880
    - KARL III. DER DICKE 839-13.1.888

    Literatur:
    Black-Veldtrup Mechthild: Kaiserin Agnes (1043-1077) Quellenkritische Studien. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 1995, Seite 287 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986, Seite 160,169,227,289 - Dümmler Ernst: Die Chronik des Abtes Regino von Prüm. Verlag der Dykschen Buchhandlung Leipzig Seite 61 - Dümmler Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Verlag von Duncker und Humblot Berlin 1865 Band I Seite 28,169,422,755,821,833,861-863,873 - Diwald Helmut: Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches. Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach 1987, Seite 103 - Konecny Silvia: Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert. Dissertation der Universität Wien 1976, Seite 95,135 - Mitterauer Michael: Karolingische Markgrafen im Südosten. Archiv für österreichische Geschichte Band 123. Hermann Böhlaus Nachf./Graz-Wien-Köln 1963, Seite 156, 241-245 - Mühlbacher Engelbert: Deutsche Geschichte unter den Karolingern. Phaidon Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion - Rappmann Roland/Zettler Alfons: Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 167,368,425,430-432, 434,456- Schieffer Rudolf: Die Karolinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin KKöln 1992, Seite 120,166,171 - Schmid, Karl: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983, Seite 425, 439 - Schneidmüller Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 23,50,51, 59,61,63,117 - Schnith Karl Rudolf: Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1990, Seite 51,60,67 -

    Begraben:
    St. Emmeran

    Kinder:
    1. von Chiemsee, Ermengard wurde geboren um 831 in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland; gestorben am 16 Jul 866 in Frauenchiemsee (Kloster),Bayern,Deutschland.
    2. von Franken, Gisela
    3. von Franken, Bertha wurde geboren in 833/839; gestorben am 26 Mrz 877 in Zürich [8000],Zürich,Schweiz.
    4. von Franken, Hildegard wurde geboren in 828; gestorben in 856/859.
    5. von Franken, Karlmann wurde geboren um 830; gestorben am 22 Sep 880 in Altötting [84503],Altötting,Bayern,Deutschland; wurde beigesetzt in Altötting [84503],Altötting,Bayern,Deutschland.
    6. von Franken, Ludwig III. wurde geboren um 835 in Bayern,Deutschland; gestorben am 20 Jan 882 in Frankfurt am Main [60311],Hessen,Deutschland; wurde beigesetzt in Lorsch Kloster [64653],Bergstraße,Hessen,Deutschland.
    7. 1. von Franken, Karl III. wurde geboren in 839; gestorben am 13 Jan 888 in Neudingen [78166],Schwarzwald-Baar-Kreis,Baden-Württemberg,Deutschland; wurde beigesetzt in Reichenau [78479],Konstanz,Baden-Württemberg,Deutschland.


Generation: 3

  1. 4.  von Franken, Ludwig I.von Franken, Ludwig I. wurde geboren am 16 Apr 778 in Chasseneuil-du-Poitou [86360],Vienne,Poitou-Charentes,Frankreich (Sohn von von Franken, Karl der Große I. und Hildegard); gestorben am 20 Jun 840 in Ingelheim am Rhein [55218],Mainz-Bingen,Rheinland-Pfalz,Deutschland; wurde beigesetzt in Metz [57000],Moselle,Lothringen,Frankreich.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: 11 Sep 813; römischer Kaiser
    • Titel/Amt/Status: 814-840; Frankenkönig

    Notizen:

    LUDWIG I. DER FROMME
    Frankenkönig (814-840)
    römischer Kaiser seit 11.9.813
    16.4.778 Chasseneuil - 20.6.840 Ingelheim Begraben: Metz
    3. Sohn des Kaisers KARL I. DER GROSSE aus seiner 2. Ehe mit der Hildegard, Tochter von Graf Gerold

    Lexikon de Mittelalters: Band V Spalte 2171, LUDWIG I. DER FROMME, Kaiser
    Juni/August 778, + 20. Juni 840
    Chasseneuil bei Poitiers bei Ingelheim
    Begraben: St. Arnulf in Metz
    Eltern: KARL DER GROSSE und Hildegard

    Kinder:
    - LOTHAR I.
    - Pippin
    - Ludwig der Deutsche
    - KARL DER KAHLE
    - Gisela

    Der jüngste Sohn KARLS DES GROSSEN, dessen Zwillingsbruder gleich nach der Geburt gestorben war und der zum Zeichen der Ansippung an das verdrängte Königsgeschlecht den MEROWINGER-Namen LUDWIG ('Chlodwig') erhielt, wurde bereits 781 von Papst Hadrian I. zum König gesalbt und von KARL als Unterkönig von Aquitanien eingesetzt. Er kümmerte sich seit seiner Mündigkeit (791) besonders um den Ausbau der kirchlichen Organisation des Landes und sicherte in mehreren Feldzügen seine Grenze im Südwesten. Da seine Brüder Karl (+ 811) und Pippin (+ 810) vor ihm starben, wurde er von KARL DEM GROSSEN im September 813 in Aachen zum Mit-Kaiser erhoben, und zwar in Form der Selbstkrönung, der die Akklamation der Franken als Reichsvolk folgte. So trat LUDWIG I. beim Tod KARLS DES GROSSEN (28. Januar 814) sofort in die vollen kaiserlichen Rechte ein, doch deutet sich im Wechsel seiner wichtigsten Berater an, daß er von vornherein ein neues Program anvisierte, das unter der Formel der 'Renovatio imperii Francorum' auf eine umfassende neue Ordnung hinauslief. Sie wurde bereits um 817 im Reichsgesetz der Ordinatio imperii offenbar, das die (auffallend frühe) Regelung der Nachfolge zum Anlaß nahm, die Einheit des Reiches zu sichern. LUDWIG DER FROMME folgte in dem Gesetz, das dem ältesten Sohn LOTHAR mit der Kaiserkrone eine Vorrangstellung vor seinen Brüdern Pippin und Ludwig zuwies, Bestrebungen der fränkischen Einheitspartei, die gegenüber dem alten Teilungsprinzip die unitas imperii als notwendiges Korrelat zur unitas ecclesiae verstand und sie als Forderung der göttlichen Weltordnung interpretierte. Da LUDWIG DER FROMME sich selbst die Oberherrschaft über LOTHAR ausdrücklich vorbehielt, erwuchsen daraus zunächst noch keine Konsequenzen. LUDWIG setzte vielmehr die Kirchenreform, die unter KARL zuletzt an Kraft verloren hatte, verstärkt fort. Wie die kirchliche, so intensivierte er auch die weltliche Reformgesetzgebung, deutlich ablesbar an der Zunahnme der Kapitularien, die allerdings bald wieder abflaute. Ein entsprechnder Wechsel zeichnet sich auch in LUDWIGS Verhältnis zum Papsttum ab, dessen Autorität zunächst nicht etwa eine stärkere, sondern eine geringere Rolle als unter KARL DEM GROSSEN spielte, was aber offenbar in Einklang mit dem programm der Renovatio imperii Francorum stand. Bezeichnend dafür, daß die Vereibarungen mit Stephan IV. und Paschalis I. (816/17), die das Hludowicianum als Besitz- und Autonomiegarantie der römischen Kirche verbriefte, auf eine "Angleichung der römischen an die fränkischen Kirchen" (J. Fried) hinauslief. Durch einen Wechsel der Berater wurde diese Lösung 824 im Sinne KARLS DES GROSSEN korrigiert, und zwar in der Weise, daß die Papstwahl wieder derkaiserlichen Kontrolle unterworfen wurde. Die neuen Berater, vor allem Ebo von Reims, standen auch hinter der 822 einsetzenden Dänenmission, die, durch Thronkämpfe in Dänemark ermöglicht, durch die Taufe des Prätendenten Harald 826 in Ingelheim eingeleitet, Ansgar auf den Weg nach Skandinavien wies, doch bereits 834 ihr vorläufiges Ende fand. Es ist stets das gleiche Bild: es bleibt bei stolzen Anfängen, die früher oder später erlahmen, und stets spielt dabei der Wechsel der Berater eine Rolle. Wie die Reichs- und Kirchenreform der frühen Jahre von Benedikt von Aniane und dem Kanzler Helisachar beeinflußt war, so traten seit 821 vor allem Adalhard von Corbie, Wala, Agobard von Lyon und andere an ihre Stelle. Schon den Zeitgenossen war klar, daß LUDWG DER FROMME von seiner Umgebung abhängig war. Dies wurde vollends deutlich, als der Kaiser sich in 2. Ehe mit der WELFIN Judith verband, die seit der Geburt ihres Sohnes KARLS DES KAHLEN (823) alle anderen Berater in den Schatten stellte. Als LUDWIG 829 auf ihr Drängen KARLgegen die Bestimmungen der Ordinatio von 817 einen eigenen Reichsteil zuwies, löste er mit dem Widerstand der älteren Söhne und der Anhänger der Einheitspartei eine Krise aus, die er nicht mehr beizulegen vermochte. Denn auch LOTHAR, der ihm nach der vor allem gegen Judith gerichteten Empörung von 830, die Macht entriß, vermochte sie nicht zu halten, so daß es in wechselnden Kombinationen zu immer neuen Kämpfen kam. Sie erreichten ihren Tiefpunkt 833 auf dem 'Lügenfeld' bei Colmar, auf dem das Heer LUDWIGS DES FROMMEN unter Mitwirkung des von LOTHAR getäuschten Papstes Gregor IV. zu den Söhnen überlief, worauf LUDWIG I. DER FROMME als Gefangener seiner Söhne in Soissons mit seinem erzwungenen Sündenbekenntnis die tiefste Demütigung erfuhr. Damit war der Bogen überspannt, und die allgemeine Reaktion wandte sich nunmehr gegen LOTHAR I., der sich 834 mit seinen Anhängern anch Italien verwiesen sah. Doch kehrte keine Ruhe ein, da LUDWIG DER FROMME nach wie vor darauf bedacht war,den Reichsteil des nachgeborenen KARL zu vergrößern. So hielten die Spannungen nicht nur an, sondern verstärkten sich noch durch die Bedrohung durch äußere Feinde (Normannen, Slaven, Araber). Obwohl es LUDWIG DEM FROMMEN in dieser Bedrängnis gelang, KARL DEN KAHLEN nach dem Tode Pippins 839 mit dessen Erbteil zwischen Rhone, Saone und Maas auszustatten, war die Entscheidung noch nicht gefallen, als LUDWIG I. DER FROMME starb. Die weiteren Kämpfe zeigten vielmehr an, daß die Einheit des Großreiches nicht mehr zu retten war; sie sollten unter dem Druck des Adels 843 in den Vertrag von Verdun einmünden.

    Quellen:
    Böhmer-Mühlbacher, RI I, 1908² [Nachdr. 1966] - Thegan, Vita Hludowici, MGH SS II, 505-603 - Astronomus, Vita Hl.i, ebd. 2, 607-648 - Ernoldus Nigellus, In honorem Hl. i....elegiarum carmen, MGH PP II, 4-79; ed. E. Faral, CHF 14, 1932 -

    Literatur:
    B. V. Simson, JDG L. d. Fr., 2 Bde, 1874 [Neudr. 1969] - A. Kleinclausz, L'Empire carol., 1902 - Hauck, 487-524, 578-688 u.ö. - H. Fichtenau, Das karol. Imperium, 1949 - J. M. Wallach-Hadrill, The Frankish Church (Oxford Hist. of the Christian Church, 1983) - J. Semmler, L. d. Fr.(Ks.gestalten des MA, hg. H. Beumann, 1984) - F. L. Ganshof, L. the Pious reconsidered, History 42, 1957, 171-180 - Th. Schieffer, Die Krise des karol. Imperiums (Fschr. G. Kallen, 1957), 1-15 - J. Flecckenstein, Die Hofkapelle der dt. Kg.e, I, 1959 - J. Semmler, Die Beschlüsse des Aachener Konzils v. 816, ZKG 74, 1963, 15-82 - P. Classen, Karl d. Gr. und die Thronfolge im Frankenreich (Fschr. H. Heimpel, 3, 1972), 109-143 - A. Hahn, Das Hludowicianum, ADipl 21, 1975, 15-135 - R. McKitterick, The Frankish Church and the Carol. Reforms 789-895, 1977 - P. R. McKeon, The Empire of L. the Pious, RevBen 90, 1980, 50-62 - H. Beumann, Unitas ecclesiae - unitas imperii - unitas regni (Sett. cent. it. 27, 1981), 531-571 - H. Fuhrmann, Das Papsttum und das kirchl. Leben im Frankenreich, ebd., 419-456 - R. Schieffer, L. d. Fr., Zur Entstehung des karol. Herrschernamens, FMASt 16, 1982, 58-73 - J. Semmler, Jussit ... princeps renovare praecepta (schr. K. Hallinger, 1982 [= StAns 85]), 97-124 - P. Godman, L. the Pious and the Poets, Franmkish Politics and Carol. Poetry 1987, 116-130 - Charlemagne's Heir, ed. Ders.-R. Collins, 1990 [Beitr. J. Fried, R. Schieffer, K. f. Werner u.a.] -

    Werner Karl Ferdinand: Seite 443, "Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1.-8. Generation)"

    II. Generation 6
    Das Geburtsjahr der Zwillinge LUDWIG und Lothar ist uns nicht "zu Anfang VIII. 778" (so Brandenburg) belegt. Es fällt lediglich in die Zeit der Abwesenheit des Vaters auf dem spanischen Feldzug V. Hlud. c. 2 und 3.
    Zum aquitanischen Königtum Eiten 35ff. und L'Auzias, Le royaume d'Aquitaine, Toulouse 1937.

    Althoff Gerd: Seite 367, "Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung"
    K 22
    Me: 20.6. Hludouuichus imp(erator) pius filus KAROLI magnus + 940 LUDWIG DER FROMME

    (Es.) Zu den Übernahmen aus älteren Vorlagen beim Beginn des eigenständischen ottonischen Gedenkens, zu denen auch derEintrag LUDWIGS DES FROMMEN gehört, siehe oben Seite 189f.
    Vgl. allgemein Biographisches Wörterbuch 2, Spalte 1710ff; FW K 15.
    Zum Todesdatum: BM Nr. 1014c

    Rappmann Roland/Zettler Alfons: Seite 431, "Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter"

    LUDWIG DER FROMME + 20.6.840
    Necr. A/B 21.6. "Hludouuicus imp. aug", Kaiser 813-840

    Literatur:
    ADB 19 Seite 397ff.; Simson, Jahrbücher; BM² 515q-1014c; Werner, Nachkommen Seite 443f Nrn. 6-6c und Tafel II/6; Biographisches Wörterbuch 2 Spalte 1710ff; Die Klostergemeinschaft von Fulda 2,1 Seite 314 K 15; Althoff, Adels- ud Königsfamilien K 22; Charlemagnde's Heir. Zum Todestag: Simson, ebd. 2 Seite 230 Anmerkung 2; BM² 1014c.

    Aufenthalte LUDWIGS auf der Insel sind nicht bekannt; zu seinen heute noch erhaltenene Urkunden für Reichenau vgl. BM² 601,869,991,994 und Brandi, Urkundenfälschungen Seite 3 Nrm. 12-17 und Seite 115 Nrn. 12-18.
    In den Gedenkbüchern der Bodenseeklöster wird LUDWIG unter den Mitgliedern der Königsfamilie genannt. So erscheint er im Reichenauer Verbrüderungsbuch p. 98 A 4, im St. Galler Gedenkbuch p.3 (Libri confrat., col. 12,1) und p.6 (ebd. col. 22,5*, als Nachtrag) und im Liber viventium fabariensis p. 24; zu den Einträgen vgl. Schmid, Probleme einer Neuedition Seite 54ff und Ders., Zur historischen Bestimmung Seite 503ff.
    LUDWIG wurde 781 von seinem Vater als Unterkönig in Aquitanien eingesetzt. In dem von KARL DEM GROSSEN verfaßten Plan einer Reichsteilung (806) blieb LUDWIG Unterkönig in Aquitanien. Am 11.9.813 wurde er von seinem Vater in Aachen zum Nachfolger designiert und ohne päpstliche Mitwirkung zum Mitkaiser gekrönt. Trotz des glanzvollen väterlichen Vorbildes und trotz einer sorgfältigen Erziehung besaß der neue Kaiser nicht genügend Spannkraft, um das riesige Reich zu lenken. LUDWIG stützte sich besonders gegen die weltlichen Feudalgewalten auf die an der Reichseinheit interessierten Kirche; unter seiner Regierung kam es wiederholt zu Reichsteilungen, die Anlaß zu Auseinandersetzungen zwischen seinen Söhnen gab und den sich aus der heterogenen sozialökonomischen Struktur des Frankenreiches ergebenden Zerfallsprozeß des Reiches einleiteten und widerspiegelten. 816 ließ LUDWIG die durch den Vater vollzogene Kaiserkrönung durch den Papst wiederholen. In der "Ordinatio imperii" von 817 bestimmte LUDWIG I. seinen Sohn LOTHAR I. zum Mitkaiser und sicherte ihm bei seinem Tode die Oberherrschaft über seine Brüder zu. LUDWIG versuchte damit, das durch die zunehmende Feudalisierung bedingte Auseinanderfallen des Reiches aufzuhalten und die Reichseinheit, an der die im gesamten Reich über Grundbesitz verfügende Geistlichkeit interessiert war, zumindest formal zu wahren. 829 übertrug LUDWIG dem von seiner zweiten Gemahlin geborenen Sohn KARL DEM KAHLEN Schwaben, Elsaß, Raetien und Teile Burgunds; dagegen empörten sich seine Söhne aus erster Ehe. 832/33 entzog LUDWIG I. seinem Sohn Pippin Aquitanien und übertrug es KARL DEM KAHLEN. Seine älteren Söhne lehnten sich dagegen auf und LUDWIGS Heer ging auf dem sogenannten Lügenfeld zu Kolmar zu seinen Söhnen über. LUDWIG I. DER FROMME wurde in Soissons zur öffentlichen Kirchenbuße gezwungen, um ihn von der Regierung auszuschließen. Die die ÜbermachtKaiser LOTHARS I. fürchtenden Ludwig der Deutsche und Pippin setzten 834 ihren Vater wieder als Kaiser ein. Nach dem Tode Pippins teilte LUDWIG DER FROMME das Reich zugunsten KARLS DES KAHLEN und LOTHARS I. Ludwig der Deutsche, der nur Bayern erhielt, empörte sich, wurde aber unterworfen.

    Hartmann Wilfried: Seite 44-57, „Ludwig der Fromme (814-840)“ in Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern, Hg. von Karl Rudolf Schnith

    Als KARL DER GROSSE im Januar 814 starb, war sein einziger überlebender Sohn aus einer legitimen Ehe bereits 36 Jahre alt. LUDWIG war schon seit 781 Unterkönig in Aquitanien gewesen und hatte nominell dieses wegen seiner Grenzlage und seiner eigenständigen Entwicklung wichtige Gebiet verwaltet; allerdings hatte ihm sein Vater nur wenig Möglichkeiten zu einer selbständigen Politik gelassen. Nur auf dem Gebiet der Klosterreform konnte LUDWIG ein eigenes Profil entwickeln, und dies verdankte er vor allem seinem wichtigsten Berater in kirchlichen Fragen, dem Westgoten Witiza, der sich als Mönch den programmatischen Namen Benedikt gegeben hatte und der seit ca. 790 die Klöster Aquitaniens im Sinne der Benediktregel reformierte. Als weiterer Berater, der nach 814 zu einer Wirkung im Gesamtreich gelangte, ist Helisachar zu nennen, der die aquitanische Kanzlei LUDWIGS geleitet hatte und der 814 an die Spitze der kaiserlichen Kanzlei berufen wurde. Als weiteren engen Vertrauten brachte LUDWIG aus Aquitanien seinen Hofbibliothekar Ebo mit, der sein Milchbruder gewesen war und den LUDWIG 816 mit dem hohen und wichtigen Amt eines Erzbischofs von Reims belohnte.
    Da LUDWIG neue Berater mit an den Hof brachte, wurden die alten entlassen. Dies betraf besonders die Vettern seines Vaters, Adalhard von Corbie und Wala, die in den letzten Jahren KARLS DES GROSSEN wichtige Stellungen bei Hofe eingenommen hatten; sie mußten sich in abgelegene Klöster zurückziehen. Auch der Einfluß des Bischofs Theodulf von Orleans wurde zurückgedrängt. Dieser hatte noch versucht, als Überbringer der Nachricht vom Tode KARLS bei LUDWIG seine Position zu halten.
    In der Abfolge der karolingischen Herrscher stellte die Ablösung KARLS DES GROSSEN durch LUDWIG DEN FROMMEN eine Ausnehme dar, weil LUDWIG von vorneherein die Alleinherrschaft im Reich antreten konnte. Nun waren zwar seine Brüder vor ihrem Vater gestorben, aber immerhin einer von ihnen - Pippin von Italien - hatte seinerseits einen Sohn hinterlassen, den noch KARL DER GROSSE zum König von Italien erhoben hatte. LUDWIG bestätigte Bernhard von Italien noch im August 814 in dieser Position und übergab zugleich seinen beiden älteren Söhnen LOTHAR und Pippin Bayern und Aquitanien.
    Die Veränderungen beim Herrscherwechsel von KARL DEM GROSSEN zu seinem Sohn beruhten auf tiefgreifenden Verschiedenheiten im Charakter der beiden Herrscher. Die Unterschiede betrafen in erster Linie die Stellung zur Kirche und die persönliche Frömmigkeit, die sich in LUDWIGS Beinamen "Pius" ausdrückt, auch wenn dieser im 9. Jahrhundert noch nicht ganz auf LUDWIG "DEN FROMMEN" beschränkt war (auch Ludwig der Deutsche und Ludwig das Kind werden zeitgenössisch als "Pius" bezeichnet. LUDWIGS persönliche Kirchlichkeit zeigte sich sofort bei seinem Amtsantritt, als der den Hof in Aachen "reinigte" und seine unverheirateten Schwestern samt ihren Kindern vertrieb. Auch seine noch unmündigen Halbbrüder Drogo und Hugo wurden vom Hof entfernt und zu Geistlichen bestimmt. Im Bereich des Ehelebens hat LUDWIG sich ganz anders verhalten als sein Vater, er selbst hatte zwar in seiner Jugend eine Konkubine gehabt, aber seinen Söhnen gestatte er abweichend von der fränkischen Tradition nicht, dass sie bereits vor ihrer legitimen Ehe mit einer Frau zusammenlebten.
    Anders als bei KARL DEM GROSSEN wird das Bild der Regierung seines Sohnes nicht durch äußere Erfolge und durch eine immer weitere Ausdehnung, des Reiches bestimmt, sondern durch den Versuch der inneren Konsolidierung. Dies war nicht nur eine Folge des unterschiedlichen Temperaments, sondern hatte auch objektive Ursachen, denn das Frankenreich war an seine Grenzen gestoßen. Ganz ohne kriegerische Unternehmungen ging es aber auch in der Zeit LUDWIGS nicht; die Reichsannalen und die Viten LUDWIGS sind daher voll von Berichten über Feldzüge. In den ersten Jahren nach 814 war es nötig, gegen einige Grenzvölker Krieg zu führen. Der Kaiser wurde dabei meist nicht selbst aktiv, sondern überließ es den Amtsträgern in den Grenzprovinzen, gegen die Dänen oder die Sorben im Nordosten oder gegen die Basken im SW vorzugehen. Es war eine Ausnahme, wenn LUDWIG persönlich im Sommer 818 einen Feldzug in die Bretagne anführte.
    In den Jahren 817 und 818 ist dann von schweren Attacken der Normannen auf das Reich die Rede; diese fuhren mit ihren Schiffen in die Elbe und die Loire aufwärts und verschwanden rasch wieder, nachdem sie in Kirchen und Klöstern reiche Beute gemacht hatten. Um 820 wurden die flandrischen Küstenorte überfallen, und es begannen die Plünderungszüge auf der Seine. Die Normannen sollten dann im weiteren Verlauf des 9. Jahrhunderts die gefährlichsten Gegner des Frankenreichs werden.
    Aber auch andere Feinde setzten zur Offensive an, so dass dem Kaiser die Initiative entglitt und er nur noch auf Angriffe von außen reagieren konnte. Nachdem die Franken 820 den Friedensvertrag mit den Sarazenen aufgekündigt hatten, griffen diese einige Jahre später die Spanische Mark an und belagerten 827 Barcelona, die wichtigste fränkischen Stadt jenseits der Pyrenäen. 832 erschienen die Sarazenen vor Marseille und begannen mit Plünderungsfahrten im Rhonedelta. Der militärische Druck der Muslims wurde noch stärker, als diese sich seit 827 auf Sizilien festsetzten; seither lag nicht nur die Küste Unteritaliens, sondern auch Mittelitalien in der Reichweite ihrer Schiffe. Es erwies sich dabei als größter Nachteil der Franken, dass sie keine Flotte besaßen.
    Am Ende der zwanziger Jahre, als die Sarazenen zur Rückeroberung der Spanischen Mark ansetzten, kam es auch zu Schwierigkeiten an den anderen Grenzen des Frankenreichs: 826 erhoben sich die Basken, in Dänemark siegte 827 eine heidnische und antifränkische Partei, die Slawen begannen mit Einfällen nach Istrien, und auch die Bulgaren regten sich.
    Im Innern entfaltete der neue Kaiser in den ersten Jahren seiner Regierung eine intensive Tätigkeit, um das von Benedikt von Aniane und Helisachar formulierte Regierungsprogramm "Erneuerung des Frankenreichs" (Renovatio regni Francorum) zu verwirklichen. Dabei wurden organisatorische Veränderungen eingeleitet, die dem Reich eine effektivere Verwaltung und eine bessere Heeresorganisation bringen sollten. Die Grafschaftsverfassung wurde erst jetzt auch in Alemannien weitgehend durchgesetzt, und das Kontrollsystem der Königsboten wurde verfeinert.
    LUDWIG hatte 815 das Kloster Inden (Kornelimünster) bei Aachen gegründet, um seinen Berater Benedikt von Aniane in seiner Nähe zu haben. Auf das Wirken Benedikts gehen die beiden großen Reichssynoden zurück, die 816 und 817 in Aachen tagten. Hier wurden umfangreiche Gesetze beschlossen, durch die die Angehörigen der geistlichen Gemeinschaften nach ihrer Lebensweise und nach ihrer Funktion voneinander abgegrenzt wurden. Die Mönche sollten alle nach der Benediktregel leben, und die nichtmonastischen Gemeinschaften erhielten in den Institutionen für die Kanoniker und die Kanonissen ein gültiges und alle Bereiche ihres Lebens beschreibendes Regelwerk. Ein Kapitular des Jahres 816 regelte einige praktische Rechtsfragen, wie die Beweisaufnahme vor Gericht und die Haftung bei Schulden; auch Bestimmungen über die Auflösung des Lehnsverhältnisses wurden erlassen.
    Die wichtigste Reichsversammlung von 817 war die Regelung der Nachfolge, die in der sogenannten Ordinatio imperii, der "Reichsordnung", festgeschrieben wurde. Der unmittelbare Anlaß dafür, dass schon so kurz nach der Thronbesteigung für eine geordnete Nachfolge gesorgt wurde, war ein Unfall, den der Kaiser zu Ostern 817 erlitten hatte, als auf dem Weg zum Gottesdienst ein gedeckter hölzerner Gang zwischen Pfalz und Kirche zusammenbrach. Obwohl LUDWIG nur leicht verletzt wurde, quälten ihn anscheinend Todesahnungen und er soll sogar den Plan erwogen haben, wie sein Großonkel Karlmann seine Herrschaft niederzulegen und ins Kloster zu gehen. In der Ordinatio imperii wurde nun festgelegt, dass das Frankenreich auch nach dem Tode LUDWIGS DES FROMMEN als Einheit bestehen bleiben sollte; zum Nachfolger im Kaisertum wurde der älteste Sohn LOTHAR bestimmt. Die beiden jüngeren Söhne Pippin und Ludwig erhielten einige Gebiete zur Regierung, Pippin Aquitanien und Ludwig Bayern; sie waren aber dort keine selbständigen Herrscher, sondern standen unter der Oberherrschaft des Kaisers. Damit waren die Prinzipien der Unteilbarkeit des Reiches und des Vorrechts der Primogenitur, die bereits KARLS Nachfolgeordnung von 806 angedeutet hatte, in die fränkische Verfassung aufgenommen worden. Beide Prinzipien haben sich zwar in der weiteren Geschichte des karolingischen Reiches noch nicht durchsetzen können, vielmehr kam es zu den heftigsten inneren Kämpfen, aber in späterer Zeit sind diese Grundsätze zur Grundlage des Erbgangs in allen europäischen Monarchien geworden.
    Weil er in der Thronfolgeordnung von 817 nicht berücksichtigt worden war, entschloß sich König Bernhard von Italien zur Rebellion. Er wurde unterstützt durch oppositionelle Kreise im Frankenreich selbst, zu denen möglicherweise auch Theodulf von Orleans, einer der wichtigsten Berater KARL DES GROSSEN, zählte. LUDWIG DER FROMME reagierte rasch, so dass Bernhards Aufstand zusammenbrach, ehe er richtig begonnen hatte. Ein kaiserliches Gericht verurteilte die Laien, die an der Rebellion teilgenommen hatten, zum Tode; der Kaiser wandelte das Todesurteil in Blendung um. Als diese an Bernhard vorgenommen wurde, starb er an ihren Folgen (17.4.818). Theodulf und weitere Bischöfe, die dem Aufstand nahegestanden hatten, verloren ihre Ämter. Die Halbbrüder des Kaisers, Hugo und Drogo, wurden jetzt endgültig zu Mönchen geschoren, um sie als mögliche Konkurrenten um die Herrschaft auszuschalten. Dieser Sieg über eine nicht ungefährliche Verschwörung bildete den Auftakt zu einem besonders erfolgreichen Jahr für LUDWIG DEN FROMMEN. 818 wurde nämlich die Bretagne unterworfen, und es erschienen Gesandte aus Benevent, aus Dalmatien und Karantanien am Hof. Im Winter 818/19 tagte eine große Reichsversammlung in Aachen, die ein bedeutendes Reformwerk zum Abschluß brachte, von dem eine ganze Reihe von Kapitularien zeugen. Wichtige Probleme der Verfassung der Kirche wurden hier für lange Zeit abschließend geregelt, so die Frage der Eigenkirchen. Auch der rechtliche Schutz der Geistlichen, Witwen und Waisen wurde verbessert, und bestimmte Formen des Gottesurteils wurden verboten. Dabei ist es vielleicht bezeichnend für LUDWIGS Geisteshaltung, dass er eine unter seinem Vater eingeführte unblutige Form des Gottesurteils, die Kreuzprobe, verbot, weil das Kreuz allein dem Gedächtnis an den Sühnetod Christi gelten sollte; der mit Blutvergießen verbundene Zweikampf blieb dagegen als unentbehrliches Mittel des gerichtlichen Beweisverfahrens erhalten, obwohl sich Agobard von Lyon dagegen ausgesprochen hatte.
    Auch in den Kapitularien von 818/19, die nicht speziell kirchlichen Inhalt hatten, ist eine kirchenfreundliche Grundtendenz festzustellen, so etwa, wenn allen Freien zugestanden wird, dass sie ihren Besitz zum Heil ihrer Seele verschenken dürfen, oder wenn Büßer mit einem besonders hohen Bußgeld geschützt werden.
    Am Schluß eines anderen grundlegenden Kapitulars, der sogenannten "Ermahnung an alle Stände des Reiches" von 825, sind Maßnahmen vorgesehen, die eine möglichst weite Verbreitung sichern sollen: die Erzbischöfe und Grafen sollen vom kaiserlichen Erzkanzler Exemplare des Gesetzes erhalten; sie sollen dann ihrerseits den übrigen Bischöfen, Äbten und anderen Getreuen Kopien übergeben, damit der Wortlaut des Gesetzes in allen Teilen des Reiches verlesen werden kann. Der Kanzler soll die Namen derjenigen Bischöfe in eine Liste eintragen, denen er ein Exemplar übergeben hat, und er soll diese Liste dem Kaiser vorlegen. Der Kaiser selbst wolle also die Kontrolle darüber behalten, ob seine Vorschriften auch überall bekanntgegeben wurden.
    Der Höhepunkt der Kapitulariengesetzgebung LUDWIGS DES FROMMEN war Mitte der 20-er Jahre bereits überschritten, und auch die erhaltenen Urkunden zeigen, dass in der ersten Hälfte der Regierung LUDWIGS weit mehr Diplome ausgestellt wurden als in der zweiten, wobei die Jahre 814-816, 819/20 und 825 die Zeiten der intensivsten Aktivität darstellen.
    Für die Regierung LUDWIGS DES FROMMEN brachte das Jahr 821 einen tiefen Einschnitt, denn am 11.2.821 verstarb Benedikt von Aniane. Bereits in den Jahren zuvor waren wichtige Ratgeber LUDWIGS verstorben oder hatten sich - wie der Kanzler Helisachar 819 - vom Hof zurückgezogen. Die Position eines Erzkapellans und Leiters der Hofkapelle nahm seit 819 Abt Hilduin von St. Denis ein, der diesem Amt bis zu seinem Sturz 830 die Entscheidungen LUDWIGS in kirchlichen Dingen beeinflußte. Die zentrale Rolle im Beraterstab des Kaisers nahm seit Oktober 821 aber Adalhard von Corbie ein, der nach siebenjähriger Verbannung wieder an den Hof geholt wurde, wo er trotz seines hohen Alters (er war damals bereits 70 Jahre alt) sofort eine reiche Aktivität entfaltete. Er zog auch seinen Bruder Wala an den Hof, an dem jetzt außerdem die Grafen Matfrid von Orleans und Hugo von Tours eine wichtige Rolle spielten. Die Position Hugos wurde dadurch aufgewertet, dass 821 seine Tochter mit dem Thronfolger und Mitkaiser LOTHAR verheiratet wurde. Eine Schwächung der kaiserlichen Autorität brachte der Reichstag von Attigny im August 822. Es war vielleicht Adalhard von Corbie, der LUDWIG dazu veranlaßt hatte, vor aller Öffentlichkeit ein Schuldbekenntnis wegen des Vorgehens gegen die Verschwörung Bernhards von Italien abzulegen. Nicht nur Blendung und Tod seines Neffen Bernhard, sondern auch die Tonsurierung seiner Halbbrüder Drogo und Hugo sowie die Verbannung Adalhards und Walas wurde von LUDWIG mit einer freiwillig auf sich genommenen Buße gesühnt, die durch reichliche Almosen und Gebete der Geistlichkeit unterstützt wurde.
    Seit 819 hatte sich die persönliche Umgebung LUDWIGS auch deshalb verändert, weil er sich nach den Tod seiner ersten Frau ein zweites Mal verheiratet hatte. Bevor er sich für eine Braut entschied, hatte LUDWIG nach byzantinischem Vorbild eine Art Schönheitskonkurrenz ausschreiben lassen, aus der Judith, eine Angehörige der Familie der WELFEN, als Siegerin hervorging. Judith hat schon bald auf ihren Gemahl großen Einfluß gewonnen, und sie ist für manche Turbulenzen verantwortlich, die in den kommenden Jahren nicht nur den Kaiserhof, sondern das ganze Reich in große Schwierigkeiten brachten. Nach Ablauf des ersten Ehejahres hatte sie eine Tochter geboren; und 823 ging aus der Ehe noch ein Sohn hervor, der den Namen KARL erhielt. Ein Kind mit diesem Namen konnte nicht von der Herrschaft ausgeschlossen werden, das heißt es deutete sich an, dass die Nachfolgeordnung von 817 umgestürzt und dieser Sohn als Haupterbe oder wenigstens als Miterbe eingesetzt werden sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, suchte Judith die Macht ihrer Familie zu vermehren und auch die Verbindung mit ihren Stiefsöhnen zu vertiefen. Ihren Brüdern hatte sie schon gleich nach der Heirat Besitz und wichtige Ämter verschafft; jetzt wurde Judiths jüngster Stiefsohn Ludwig (der Deutsche)mit ihrer Schwester Hemmaverheiratet, und auch ihr Bruder Konrad trat durch seine Ehe mit der Schwägerin des ältesten Kaisersohnes LOTHAR in den Kreis der Verwandten des Kaiserhauses ein. LOTHAR war übrigens 826 Pate seines Halbbruders KARL geworden. In dem Rahmen von Judiths Ehepolitik gehört vielleicht auch die Verbindung Bernhards von Septimanien mit Dhuoda; diese war möglicherweise eine nahe Verwandte Judiths, und Bernhard wurde später für kurze Zeit der mächtigste Mann am Kaiserhof.
    Um die Macht Judiths und ihrer Vertrauten zu stärken, sollten dann auch die bisherigen Berater des Kaisers ausgeschaltet werden. Für dieses Vorhaben war günstig, dass die Reichsversammlung im Februar 828 die Grafen Hugo von Tours und Matfried von Orleans der Feigheit für schuldig erklärte, weil sie im Feldzug gegen die Sarazenen im Vorjahr eine Schlappe erlitten hatten. Und nach dem Einfall der Bulgaren nach Pannonien (827) wurde der zuständige Markgraf Balderich von Friaul abgesetzt. Das Jahr 829 brachte dann geradezu einen Staatsstreich: Auf einer Reichsversammlung in Worms ließ LUDWIG seinem jüngsten Sohn KARL ein eigenes Teilreich (nämlich Schwaben) zusprechen, wodurch das Erbe der älteren Söhne verkleinert wurde. Gleichzeitig mit diesem Bruch der Ordinatio imperii von 817 fand auch ein Revirement am Hof statt, dem Wala zum Opfer fiel. Das wichtige Amt des Kämmerers wurde an Judiths Günstling Bernhard von Septimanien übertragen.
    Die bisherigen Berater ließen sich aber nicht widerstandslos verdrängen. Sie warfen Judith vor, mit ihrem Günstling Bernhard von Septimanien Ehebruch begangen und ihren Gemahl behext zu haben, so dass der seine Schande gar nicht wahrnehmen könne. Im ersten Anlauf erreichten die Verschwörer, dass Judith ins Kloster verbannt wurde; ihre Brüder wurden zu Mönchen geschoren. Die Träger der Revolte von 830 waren in erster Linie Wala und Abt Hilduin von St. Denis sowie weitere Adlige, die sich durch Judith und ihre Leute aus ihren einflußreichen Positionen verdrängt sahen. Sie nahmen aber auch Kontakt zu den Söhnen LUDWIGS auf, von denen anfangs besonders Pippin von Aquitanienund dann auch Kaiser LOTHAR gegen ihren Vater aktiv wurden.
    LUDWIG DER FROMME hat sich in den Kämpfen der folgenden Jahre nicht ungeschickt verhalten, wenn man berücksichtigt, dass er die Mehrzahl seiner alten Getreuen durch die Veränderungen am Hof vor den Kopf gestoßen hatte. Er nützte die Unsicherheit seines ältesten Sohnes aus, der nicht genug Entschlossenheit besaß, um eine völlige Entmachtung des Vaters durchzuführen. Die Revolte von 830 endigte ohne Blutvergießen, denn LUDWIG DER FROMME ließ die Schuldigen nicht hinrichten, sondern in Klöster einweisen. Pippin verlor sein Reich Aquitanien, das dem kleinen KARL übergeben wurde. Judith mußte einen Reinigungseid leisten, mit dem sie sich von den gegen sie erhobenen Vorwürfen reinigte, ehe der Kaiser sie wieder als Gemahlin annahm. Auch Bernhard von Septimanien erschien wieder bei Hofe und erhielt die Erlaubnis, sich durch Eide von den Anschuldigungen zu reinigen.
    Nach dem Bericht der Vita des sogenannten Astronomus erscheint LUDWIG in diesen Jahren der Krise recht aktiv; so eilte er etwa im Frühjahr 832 zuerst nach Bayern, um den Aufstand seines Sohnes Ludwig niederzuwerfen; im Herbst ist er in Orleans, wo es galt, eine Heeresversammlung abzuhalten, um einem neuen Aufstand Pippins entgegenzutreten. Bis in den Winter hinein blieb LUDWIG in Aquitanien und kehrte erst im Januar 833 wieder nach Aachen zurück.
    In diesem Jahr 833 erreichte die Aufstandsbewegung gegen LUDWIG DEN FROMMEN ihren Höhepunkt. LOTHAR war es im Bunde mit seinen Brüdern Ludwig und Pippin sogar gelungen, den ins Frankenreich gereisten Papst Gregor IV. auf seine Seite zu ziehen. Als dann auch noch das Heer des alten Kaisers in der Nähe von Colmar (auf dem sogenannten "Lügenfeld") auf die Seite der Söhne überging, konnten LUDWIG DER FROMME und Judith gefangengenommen werden. Judith wurde von LUDWIG getrennt und nach Oberitalien gebracht, während LUDWIG nach Compiegne geführt wurde. Dort und St. Medard bei Soissons (Oktober und November 833) mußte LUDWIG ein Schuldbekenntnis ablegen; danach wurde er der Insignien seiner Kaiserwürde entkleidet. Dadurch, dass er eine öffentliche Kirchenbuße auf sich nahm, war er als Exkommunizierter nicht mehr regierungsfähig. Thegan berichtet, dass man LUDWIG gedrängt habe, freiwillig ins Kloster einzutreten; dazu war er aber nicht bereit.
    Diese Vorgänge waren möglich geworden, weil die fränkischen Bischöfe 829 auf dem Konzil von Paris Leitsätze formuliert hatten, die eine Kontrolle des Herrschers durch den Episkopat vorsahen. Die wichtigsten Vertreter dieser Vorstellung, dass die Bischöfe für die richtige Regierung des Reiches verantwortlich seien, waren die Erzbischöfe Agobard von Lyon und Ebo von Reims; sie führten bei den Vorgängen in Soissons Regie. Auf der Seite des Adels spielten die Grafen Matfrid von Orleans und Hugo von Tours eine maßgebliche Rolle bei der Absetzung des Kaisers.
    Der Astronomus berichtet davon, dass es schon im Winter 833/34 in verschiedenen Gegenden des Reiches zu einer Mobilisierung der Anhänger des alten Kaisers gekommen sei. Eine gewaltsame Befreiung soll LUDWIG jedoch abgelehnt haben. So wurde der Umschwung durch eine militärische Machtdemonstration Pippins von Aquitanien herbeigeführt, der durch LOTHARS ungeschicktes Verhalten auf die Seite seines Vaters getrieben worden war. LOTHAR zog sich mit seinen engsten Anhängern im Februar 834 nach Burgund zurück.
    LUDWIG DER FROMME wurde am 1.3.834 in St. Denis wieder in die Kirche aufgenommen und mit den königlichen Gewändern und mit seinen Waffen eingekleidet. Der Kaiser lehnte es aber ab, seinen Sohn LOTHAR gewaltsam aus dem Reich zu vertreiben. Die Kämpfe, die sich dennoch an verschiedenen Orten des Frankenreichs erhoben, wurden von den adeligen Parteigängern LUDWIGS DES FROMMEN und LOTHARS getragen; von LUDWIG weiß sein Biograph nur zu berichten, dass er die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten 834 sowie sie Wochen nach Pfingsten mit Jagd und Fischfang in den Ardennen verbracht habe. Wahrlich ein merkwürdiges Verhalten für einen eben wieder in sein Amt gelangten Kaiser, dessen Gegner noch keinesfalls endgültig besiegt waren. Erst ein Feldzug vom Sommer 834, der im wesentlichen von den Herren Ludwigs von Bayern undPippins von Aquitanien getragen wurde, brachte LOTHARSUnterwerfung. Er wurde nach Italien geschickt und dort isoliert, indem die Alpenpässe gesperrt wurden, um eine erneute Konspiration LOTHARS mit den fränkischen Gegnern LUDWIGS DES FROMMEN zu verhindern.
    Am 28.2.835 wurde LUDWIG im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes in der Stephansbasilika in Metz rekonziliert und wieder in sein Amt eingesetzt; sieben Erzbischöfe sangen dabei die Rekonziliationsgebete, und Ebo von Reims erklärte von der Kanzel, dass der Kaiser zu Unrecht abgesetzt worden war. Der alte Kaiser begann jetzt wieder zu regieren, er hielt eine Reichsversammlung in Worms ab (Ostern 835), an der auch Pippin und der jüngere Ludwig teilnahmen; dort wurden auch einige Grafen zur Rechenschaft gezogen, weil sie ihr Amt nachlässig geführt hatten.
    Es war dann Kaiserin Judith, die die Initiative zur Aussöhnung mit LOTHAR ergriff. Denn sie war sich darüber im klaren, dass im Falle des Todes ihres Gatten ihr Sohn KARL nur im Einvernehmen mit LOTHAR, nicht aber gegen ihn einen Anteil am Reich bekommen könne. LUDWIG plante im Jahr 836 anscheinend auch eine Reise nach Rom, um durch sein persönliches Auftreten das Anrecht auf die Herrschaft im gesamten Reich zu betonen. Dazu kam es zwar nicht, weil ein Zug gegen die Normannen nötig geworden war, aber die Macht LOTHARS wurde im Herbst 836 durch eine schwere Seuche dezimiert, der die mächtigsten seiner Anhänger, die mit ihm nach Italien gegangen waren, erlagen. Auch LOTHAR selbst wurde von dieser Krankheit ergriffen und war dadurch längere Zeit in seiner Aktivität behindert.
    Als zu Ostern 837 ein Komet erschien, der den baldigen Tod des Kaisers anzukündigen schien, bat Judith ihren Gemahl, zugunsten ihres Sohnes KARL eine neue Nachfolgeordnung zu erlassen. Im Oktober 837 wurden KARL im Rahmen einer Reichsversammlung in Aachen die Waffen überreicht, dabei wurde er auch mit der Königskrone geschmückt und bekam Neustrien als eigenes Reich übertragen. Damit hatte er das ganze Gebiet zwischen Rhein und Elbe erhalten, "den besten Teil des Reiches", wie es ein Zeitgenosse ausdrückt. In diesem Bereich lag fast das gesamte Reichs- und Hausgut.
    Wieder war es Judith, die nach dem Tod Pippins von Aquitanien(13.12.838) die Initiative zu einem Abkommen mit LOTHAR ergriff und es erreichte, dass am 30.5.839 LOTHARam Hof des Vaters in Worms erschien, wo ihm nach einem Fußfall vor LUDWIG Verzeihung gewährt wurde. Auch seine Anhänger erhielten ihre Lehen und Besitztümer im Frankenreich zurück. Jetzt wurde das Reich unter die beiden Söhne LOTHAR und KARL aufgeteilt; Ludwig (der Deutsche) sollte auf sein kleines Unterkönigtum in Bayern beschränkt bleiben. Die Maas sollte die Grenze zwischen den beiden Reichen LOTHARS und KARLS bilden, für LUDWIG DEN FROMMEN ist es vielleicht bezeichnend, dass er diese Aufteilung erst dann selbst vornahm, als LOTHAR sagte, wegen der Unkenntnis des Landes könne er eine Aufteilung nicht vornehmen. Er durfte aber als erster seinen Erbteil wählen und entschied sich für das Reich östlich der Maas, zu dem auch Italien und das östliche Burgund gehörten. LOTHAR versprach feierlich, mit der Übertragung der westlichen Hälfte an KARL einverstanden zu sein und nach dem Tod des Vaters nur seinen Anteil in Besitz zu nehmen. Der alte Kaiser mahnte seine beiden Söhne, sich zu lieben und gegenseitig zu unterstützen. Zur Sicherung dieser Abmachung waren alle Vorgänge öffentlich vor den Teilnehmern der Reichsversammlung vorgenommen worden.
    Auch auf seinem Sterbelager beschäftigte LUDWIG vor allem anderen die Furcht vor einem neuen Kampf um sein Erbe. Für seine warmherzige und gütige Art spricht auch, dass er am Ende seines Lebens noch seinem Sohn Ludwig, der bis zuletzt gegen ihn gekämpft hatte, zu verzeihen bereit war.
    Über die äußere Erscheinung LUDWIGS wissen wir Bescheid, weil sich sein Biograph Thegan am Vorbild der Vita Karoli Einhards orientiert hatte. Im Unterschied zur realistischen Beschreibung KARLS DES GROSSEN durch Einhard scheint aber Thegan eher ein Idealbild zu zeichnen, wenn auch ein Teil seiner Angaben zutreffen mochte. Thegan schildert LUDWIG als mittelgroß, athletisch gebauten Mann mit einer starken Brust, breiten Schultern und starken Armen, die zum Bogenschießen und Lanzenwerfen vorzüglich geeignet waren, und er rühmt seine männliche Stimme und vor allem seinen milden Charakter, der ganz frei von Zorn gewesen sei. Während die an ihm gerühmte Freigebigkeit noch als typischer Zug eines idealen Herrschers erwähnt sein mag, zeigen andere von Thegan hervorgehobene Eigenschaften ihn als eher mönchischen Charakter. Dazu gehört, dass er beim Gebet in der Kirche mit der Stirn den Fußboden zu berühren pflegte und dabei zuweilen Tränen vergoß und dass er das Lachen gänzlich vermieden haben soll. "Selbst wenn bei den höchsten Festen Schauspieler und Possenreißer bei Tisch erschienen und das Volk in seiner Gegenwart maßvoll lachte, zeigte er nicht einmal seine weißen Zähne beim Lachen."
    LUDWIGS persönliche Religiosität kann wohl am besten aus sein Verhalten in Krisensituationen abgelesen werden. Nach dem Aufstandsversuch seines Neffen Bernhard von Italien, der mit dessen Tod geendet hatte, war LUDWIG in tiefe Depression verfallen. Auf Rat seiner geistlichen Freunde legte der Kaiser ein öffentliches Schuldbekenntnis ab, wie es die kirchlichen Gesetze von einem Delinquenten verlangten. Auch das letztlich passive Verhalten LUDWIGS in den Jahren der Aufstände seiner Söhne (830-833) ist wohl so zu erklären, dass er diese Vorgänge als "Heimsuchungen" Gottes wegen seines sündhaften Lebenswandels ansah. Vielleicht ist auch in der Tatsache, dass LUDWIG schon früh, nämlich im 4. Jahr seiner Regierung, den ältesten Sohn LOTHAR zum Mitkaiser erhob, eine innere Distanz zur Herrschaft zu erkennen.
    Doch hatte er auch durchaus Sinn für herrscherliche Repräsentation: So erschien er an hohen Feiertagen in königlicher Gewandung mit einer goldenen Tunika, einem goldenen Gürtel, goldenen Beinschienen, einem von Gold glänzenden Schwert und einem golddurchwirkten Mantel; dabei trug er Krone und Zepter. Auch seine große Jagdbegeisterung, die ihn jedes Jahr für viele Wochen den Geschäften fernhielt, zeigt ihn als typischen Vertreter des hohen Adels seiner Zeit.
    Im Unterschied zu seinem Vater war LUDWIG schon als Kind literarisch gebildet. Nach Thegan soll er im Lateinischen und Griechischen gut unterrichtet gewesen sein, so dass er Latein wie seine Muttersprache sprechen konnte. Die heidnischen Lieder aber - so betont Thegan -, die er in seiner Jugend gelernt hatte, habe er weder lesen noch hören wollen. Dass LUDWIG sehr stark von seinen Beratern abhängig war, führt Thegan darauf zurück, dass der Kaiser viel lieber Psalmen sang und Bücher las als dass er sich für die Regierungsgeschäfte interessiert hätte. Bei dieser Begeisterung für Bücher ist es nicht verwunderlich, dass die Zeit LUDWIGS DES FROMMEN eine Blütezeit des kulturellen Lebens war; jetzt ging die Saat auf, die die von KARL DEM GROSSEN geholten ausländischen Lehrer ausgestreut hatten. Es waren jetzt fast ausschließlich Reichsangehörige, Franken, Schwaben und Sachsen, die mit teilweise sehr originellen Leistungen hervortraten. In die Zeit LUDWIGS gehört die Wirksamkeit der Rheinfranken Einhard und Hrabanus Maurus, des Alemannen Walahfrid Strabo, des Sachsen Gottschalk und der Westfranken Smaragd von St. Mihiel, Agobard von Lyon, Jonas von Orleans, Amalar von Metz, Florus von Lyon und Lupus von Ferrieres. An der Schreibschule von LUDWIGS Günstling und späterem Gegner Ebo von Reims entstanden bedeutende Kunstwerke wie das Ebo-Evangeliar. Die an Kathedralen und in Klöstern tätigen Schreibschulen fertigten eine ganze Reihe von Widmungsexemplaren für den Herrscher an, die dieser in seine Bibliothek aufnahm.
    Auch am Hof selbst wirkten Schreiber und Buchkünstler, die Prachthandschriften der Evangelien, der Rechtsbücher und antiker Texte herstellten. Es wurden aber auch schmucklose Manuskripte von patristischen und antiken Texten geschrieben, die durch die textliche Qualität und ihre disziplinierte Schrift hervorragen.
    Auch die Kaiserin Judith hat die Buchkunst gefördert und pflegte Kontakte zu wichtigen Autoren: Bischof Frechulf von Lisieux widmete ihr den zweiten Teil seiner Weltchronik, und Hraban sandte ihr Dedikationsexemplare seiner Kommentare der alttestamentarischen Bücher Judith und Esther (834). Walhfrid Strabo, den Judith zum Erzieher ihres Sohnes KARL bestimmt hatte, wurde nach dessen Volljährigkeit als Dank für seine Tätigkeit zum Abt von Reichenau erhoben (838).

    Schieffer Rudolf:, "Die Karolinger"

    Nie zuvor und nie wieder in karolingischer Zeit fielen Macht und Verantwortung an der Spitze von Reich und Familie so mühelos einem Einzelnen zu wie Anfang 814 nach dem Tode KARLS DES GROSSEN. LUDWIG, der bisherige Unterkönig von Aquitanien und seit wenigen Monaten auch gekrönter Kaiser, war von KARLS legitimen Söhnen allein übrig und eben darum der letztlich unanfechtbare Erbe, auch wenn er bis dahin der Führung des Imperiums ziemlich ferngestanden hatte und nicht eigens auf seine historische Rolle vorbereitet worden war, da der Vater viele Jahre hindurch eher mit seinem älteren Sohn Karl als Nachfolger rechnete. LUDWIG hatte nur eingeschränkte Verantwortung im Südwesten des Reiches erhalten, wo er von Kindheit an als Repräsentant des fränkischen Herrscherhauses fungierte und eine Schulbildung empfing, mit der er den Vater gewiß übertraf. Aus dem beigegebenen Regentschaftsrat war mit der Zeit ein eigener kleiner Hof geworden, der den "König der Aquitanier" im Rahmen der vom Vater gezogenen Grenzen bei seinen Amtshandlungen unterstützte.
    An seiner Seite werden der Kanzler Helisachar sowie der Graf Bego von Toulouse genannt, der um 806 durch Heirat mit LUDWIGS vorehelicher Tochter Alpais sein Schwiegersohn wurde. Eine prägende Persönlichkeit war daneben der westgotische Grafensohn Witiza, der als Gründer und Abt des Klosters Aniane (bei Montpellier) den programmatischen Namen Benedikt angenommen hatte und mit Rückhalt an LUDWIG eine umfassende Erneuerung des aquitanischen Klosterwesens gemäß der Regel des heiligen Benedikt in Gang brachte. In diesem seit jeher vertrauten regionalen Horizont wäre auch LUDWIGS weiteres Leben verlaufen - noch der Reichsteilungsplan von 806 eröffnete ihm nur die Aussicht auf begrenzten Machtzuwachs in Septimanien, der Provence und in Burgund -, wenn nicht der unerwartete Tod der Brüder Pippin und Karl (810/11) bewirkt hätte, dass "in ihm die Hoffnung auf die gesamte Herrschaft erwachte" und der Vater ihn, wenn auch zögernd, zum Kaisertum aufrücken ließ.
    Neben den inhaltlichen Maßgaben, die wenig Spielraum für grundsätzlich Neues ließen, beruhte die kaiserliche Regierungsführung im übrigen auf einem Geflecht persönlicher Bindungen, und hier waren einschneidende Veränderungen unabwendbar. Am Aachener Hof, der jahrzehntelang ganz auf KARL DEN GROSSEN fixiert gewesen war, rückte nun LUDWIGS Familie in den Mittelpunkt, nämlich seine Gemahlin Irmingard, Tochter des Grafen Ingelram (aus dem vornehemen Geschlecht Chrodegangs und Angilrams von Metz), mit der er seit 794 verheiratet war, samt ihren Söhnen LOTHAR (geb. 795), Pippin(geb. um 797) und Ludwig (geb. um 806) sowie den Töchtern Rotrud und Hildegard. Vor ihnen hatten seine bis dahin vielumworbenen, unvermählt gebliebenen Schwestern in verschiedene Klöster zu weichen, und auch ihre jungen, illegitimen Halbbrüder, KARLS späte Söhne Drogo, Hugo und Theuderich, kamen am Hof unter strengere Aufsicht. Für die eigenen Nachkommen sorgte LUDWIG vor, indem er die bereits erwachsenen Söhne LOTHAR und Pippinals Unterkönige in Bayern und Aquitanien einsetzte sowie seinen Schwiegersohn Bego (+ 816) zum Grafen von Paris und seinen illegitimen Sohn Arnulf zum Grafen von Sens machte. Ausgespart blieb Italien, wo der neue Kaiser gemäß dem Willen des Vaters das Königtum des Neffen Bernhard anerkannte, nachdem dieser zur Huldigung in Aachen erschienen war. Dagegen nahm er den Stiefvettern Adalhard und Wala ihren zuletzt bei KARL und Bernhard bedeutenden Einfluß; der ältere wurde nach Noirmoutier an der Loiremümdung verbannt, der jüngere trat ins Kloster Corbie ein. Zu den "neuen Leuten" LUDWIGS gehörte Ebo, ein Gefährte seiner frühen Jugend, der später als Bibliothekar gedient hatte und 816 trotz unfreier Herkunft Erzbischof von Reims wurde. An der Spitze der Hofkapelle verblieb der alte Hildebald von Köln (+ 818), aber neben ihn trat als Kanzler, ausgestattet mit Abteien, der schon in Aquitanien bewährte Helisachar. Auch Benedikt von Aniane kam zu einem wachsenden Wirkungsfeld, da ihm der Kaiser zunächst das elsässische Kloster Maursmünster und dann die Neugründung Inden/Kornelimünster nahe bei Aachen anvertraute, wo er seine Konzepte für weitgreifende Reformen geistlichen Gemeinschaften entwarf.
    Im Oktober 816 wurde der neue Papst Stephan IV. feierlich in Reims empfangen und legte Wert darauf, den Kaiser und seine Gattin Irmingard zu salben und mit einer eigens mitgebrachten, angeblichen Krone Konstantins zu krönen.
    Von der legislativen Entschlußkraft LUDWIGS und seiner Umgebung in diesen frühen Jahren zeugt aber vor allem, wie man auf der Aachener Reichsversammlung vom Juli 817 das zentrale Verfassungsproblem, den Widerstreit zwischen universalem, unteilbarem Kaisertum und traditionell gleichem Erbrecht aller legitimen Königssöhne, aufgriff und zu lösen suchte. Impulse durch den unitarischen Grundzug der Kirchenpolitik sind dabei ebenso offensichtlich wie das gemehrte Selbstbewußtsein des im Vorjahr zusammen mit Irmingard vom Papst gesalbten Kaiser, der nun auch förmlich ihren gemeinsamen Nachkommen die exklusive Aussicht auf künftige Herrschaft sichern wollte. Anders als KARL DER GROSSE in seiner Divisio von 806 ging LUDWIG, der sich von Anfang an nicht mehr rex Francorum, sondern imperator augustus schlechthin tituliert hatte, vom Vorrang der Kaiserwürde aus, die er allein seinem ältesten Sohn LOTHAR I. zusprach und ihm nach Akklamation der Großen auch sogleich durch Krönung aus eigener Hand, also wiederum ohne geistliche Vermittlung, in aller Form verleih. Unter ihm als dem Erben der obersten Verantwortung sollte Pippin, LUDWIGS zweiter Sohn, auch über den Tod des Vaters hinaus nicht mehr als das unwesentlich erweiterte Aquitanien innehaben, während dem noch heranwachsenden Ludwig ("dem Deutschen") das zuvor LOTHAR zugeteilte Bayern samt den slawischen Grenzgebieten in Aussicht gestellt wurde. Die abgestuften Kompetenzen kamen auch darin zum Ausdruck, dass die jüngeren Brüder dem Kaiser regelmäßig Bericht zu erstatten haben würden, nur mit seiner Zustimmung heiraten durften und sich der Reichsversammlung als ungeteiltem Forum der Zentralgewalt beugen mußten. Um weiterer Zersplitterung vorzukommen, wurde festgelegt, dass die beiden Unterkönigreiche ebenso wie das Kaisertum stets nur an einen Erben fallen konnten, gegebenenfalls also unter mehreren Söhnen oder Brüdern eine Wahl der Großen stattzufinden hätte. Offenkundig sollte dieses Thronfolgegesetz von 817 mit der modernen Bezeichnung Ordinatio imperii also Bestand und Struktur des fränkischen Großreiches von den familiären Geschicken des Herrscherhauses unabhängig machen und zwar insofern antidynastisch konzipiert.
    Eine erste Regung von Widerstand trat ganz unmittelbar auf und kann kaum überrascht haben. Sie ging von König Bernhard von Italien, dem jungen Neffen des Kaisers aus, der noch im Vorjahr mit dem ehrenvollen Geleit des Papstes über die Alpen betraut worden war, sich nun aber mit seiner von KARL DEM GROSSEN übertragenen Sonderherrschaft in der Ordinatio imperii gar nicht erwähnt fand und dort stattdessen lesen konnte, Italien solle künftig LOTHAR I. in gleicher Weise unterstehen wie bisher den Kaisern KARL und LUDWIG. Wenn er in seiner Verärgerung offenbar nicht ganz wenige hochgestellte Anhänger fand, so zeigt sich, dass hier über persönliche Spannungen hinaus Weiterreichendes berührt war wie das Thronrecht illegitmer KAROLINGER, die Gültigkeit der von LUDWIG bei seiner Kaisererhebung akzeptierten Verfügungen KARLS und letztlich die Divergenz zwischen der bis 814 dominierenden Elite und den nun tonangebenden "Aquitaniern". Dennoch ist schwer auszumachen, wie weit die Ziele reichten, die Bernhard durchzusetzen suchte, als er sich im Herbst 817 gegen LUDWIG DEN FROMMEN wappnete, doch steht fest, dass die offiziösen Quellen von einer ernsthaften Rebellion sprechen und der Kaiser mit einer umfassenden Mobilisierung von Truppen reagierte, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Nach Besetzung der Alpenpässe gab Bernhard noch vor Jahresende die Sache verloren und erschien mit seinen Getreuen in Chalon-sur-Saone, wo LUDWIG ihn festnehmen ließ. Auf der Aachener Reichsversammlung vom Frühjahr 818 wurden mehrere Bischöfe unter dem Vorwurf des Einverständnisses mit ihm abgesetzt und über die beteiligten Laien mit Bernhard an der Spitze Todesurteile gefällt, die der Kaiser dann in Blendungsstrafen umwandelte. Bernhard, gerade Vater eines kleinen Sohnes namens Pippin geworden (von dem sich die späteren Grafen von Vermandois herleiten), starb an den Folgen der grausamen Prozedur (17.4.818), was sicher ungewollt war, aber für LUDWIGS Regiment eine fühlbare moralische Belastung bedeutete, die bewußt macht, dass auch für den Machtkampf innerhalb des Herrscherhauses mittlerweile strengere sittliche Maßstäbe an Boden gewonnen hatten. Fürs erste freilich ließ der Kaiser seinen Zorn und seinem Mißtrauen freien Lauf, indem er nun auch seine illegitimen Halbbrüder in den geistlichen Stand versetzte, "um die Zwietracht zu mindern" (wie es Thegan ausdrückte): Drogo kam nach Luxeuil, Hugo nach Charroux und der bald verstorbene Theuderich an einen unbekannten Platz.
    Die wiederholten Hinweise der Quellen auf "ruchlose" Ratgeber und prominente Mitverschworene des gescheiterten Bernhard (darunter ein Enkel jenes Grafen Hardrad, der sich 30 Jahre zuvor gegen KARL empört hatte) lassen erneut spüren, wie leicht Familienzwist an der Spitze unruhiger Adelskreise auf den Plan rufen konnte und wie sehr es daher für den jeweiligen Herrscher darauf ankommen mußte, eine Isolierung von wesentlichen Teilen der Führungsschicht zu vermeiden. Es scheint, dass LUDWIG DER FROMME dafür - neben dem bewährten Mittel der Vergabe von Ämtern und Würden - stärker als sein Vater auch Eheverbindungen mit dem Hochadel eingesetzt hat. Er ging selbst voran, als er nach dem Tode der Kaiserin Irmingard (818) als zweite Gattin Judith wählte, die, wie es heißt, ob ihrer Schönheit siegreich aus einer "Besichtigung" der Töchter vornehmer Häuser hervorging, aber gewiß auch dadurch empfohlen wurde, dass sie von dem Grafen Welf aus ursprünglich fränkischer, nun vornehmlich in Alemannien und Bayern begüterter Familie (den älteren WELFEN) und einer edlen sächsischen Mutter abstammte. Dem Vater folgte 821 der junge Kaiser LOTHAR durch seine Heirat mit Irmingard, der Tochter des Grafen Hugo von Tours aus dem alten elsässischen Herzogshaus der ETICHONEN, während sein Bruder Pippin von Aquitanien im nächsten Jahr Ringart heimführte, deren Vater eine neustrische Grafschaft innehatte. Auch die kaiserlichen Prinzessinnen Rotrud und Hildegard wurden, anders als unter KARL, ins dynastische Geflecht einbezogen und mit den aquitanischen Grafen Rather von Limoges und Gerhard von Auvergne vermählt. Unter den solchermaßen in Königsnähe gerückten Geschlechtern gewannen vorerst die WELFEN den größten Einfluß, was kaum zu Unrecht dem energischen Ehrgeiz der neuen Kaiserin Judith zugeschrieben wird. Jedenfalls muß auffallen, dass im Laufe der Zeit ihre Mutter Heilwig die Leitung der vornehmen Königsabtei Chelles erhielt, der eine Bruder Rudolf sich die Verfügung über die Klöster Saint-Riquier und Jumiges sicherte und der andere, Konrad, zum wichtigen Machthaber in Alemannien wurde, überdies verheiratet mit Adelheid, einer weiteren Tochter Hugos von Tours und damit Schwägerin LOTHARS I. Wenn schließlich 827 auch noch Hemma, Judiths jüngere Schwester, dem Kaiser-Sohn Ludwig, einstweiligem Unterkönig von Bayern, angetraut wurde, so kündigten sich zugleich bereits die Gefahren für die inneren Machtbalance an, die in allzu starkem Hervortreten einzelner Adelssippen lag.
    Zusammen mit der Familie gewann auch der Hof mit den Jahren ein neues Profil. Die feste Bindung an die Residenz Aachen lockerte sich in dem Maße, wie Reichsversammlungen wieder in Nimwegen, Diedenhofen, Compiegne oder Ingelheim anberaumt wurden und Reisen bis nach Orleans und Tours, aber auch nach Paderborn und Frankfurt den Kaiser mit einem weiteren Kreis seiner Getreuen zusammenbrachten.
    Auf der Diedenhofener Reichsversammlung vom Oktober 821 begnadigte LUDWIG die überlebenden Teilnehmer der Rebellion Bernhards von Italien und hob die Verbannung Adalhards und Walas, der Stiefvettern KARLS, vom Hof auf; wenig später fiel die Entscheidung, die ins Kloster verdrängten Halbbrüder des Kaisers ebenfalls mit angemessenen Würden zu bedenken, und zwar Drogo mit dem Bischofsstuhl von Metz (ab 823), Hugo mit der Leitung des Klosters Saint-Quentin. Da in Diedenhofen zugleich die Ordinatio imperii von allen Großen eidlich bekräftigt wurde, ist in dem personellen Umschwung kein politischer Kurswechsel zu vermuten, sondern eher der Versuch, für die unveränderten Ziele einen breiteren Rückhalt zu erreichen. Gleichwohl bestand das Bedürfnis, die Überwindung der Zerwürfnisse auch religiös zu manifestieren, und so erlebte die Reichsversammlung von Attigny im August 822 die unter KARL DEM GROSSEN schwer vorstellbare Szene, dass der Kaiser öffentlich seine Verfehlungen gegen Brüder und Vettern sowie seine Mitschuld am Tode des Neffen Bernhardbekannte und sich dafür der Kirchenbuße unterwarf, während die anwesenden Bischöfe ihrerseits unumwunden die eigene Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit eingestanden und Besserung gelobten.
    Ganz im Sinne der allseits beschworenen Hausordnung wurde dem Junior-Kaiser LOTHAR ein Jahr nach seiner Heirat Italien als Bereich eigener Zuständigkeit zugewiesen, wo er ab 822 die Sonderherrschaft Pippins und Bernhards fortführen konnte.
    Die äußeren Rückschläge, die im Jahre 827 fast gleichzeitig in Pannonien, in Spanien und bei den Dänen eintraten, waren an sich ohne ursächlichen Zusammenhang, trafen am Hof aber auf ein Klima der Unsicherheit, das sich aus zunehmenden Spannungen in der Umgebung des Kaisers ergab. Den Hintergrund bildete eine neue familiäre Konstellation, denn LUDWIGS zweiten Gattin Judith hatte nach einer Tochter Gisela am 13.6.823 in Frankfurt einen Sohn zur Welt gebracht, der den Namen seines Großvaters KARL erhielt.
    Gleichwohl blieb die Ordinatio imperii nicht nur abstrakt in Geltung, sondern wurde auch fortschreitend realisiert, soweit das zu LUDWIGS Zeiten überhaupt möglich war: Ende 825 kehrte LOTHAR aus Italien zurück, um künftig als formell gleichberechtigter Mitkaiser an den Regierungsgeschäften beteiligt und in allen Herrscherurkunden genannt zu werden, und 826 hielt man den Kaisersohn Ludwig für alt genug, um das ihm in der Ordinatio zugesprochene Unterkönigreich Bayern auch persönlich zu übernehmen. Da sein Bruder Pippin schon seit Jahren in Aquitanien residierte, verblieben am Hof allein die beiden Kaiser sowie Judith mit ihrem kleinen Sohn. Wie sie miteinander auskamen, wissen wir nicht, doch ist in der zweiten Hälfte der 820er Jahre eine gewisse Stagnation in LUDWIGS innerer Politik nicht zu übersehen. Sichtbar zutage traten die latenten Gegensätze erst, als es galt, auf die akute Bedrohung an den Grenzen zu reagieren. LUDWIG DER FROMME ordnete dazu Anfang 828 nicht nur ein allgemeines Fasten an, sondern verfügte auch auf einem Hoftag in Aachen die Absetzung des Markgrafen Balderich von Friaul, der die Bulgaren nicht hatte abwehren können, sowie der Grafen Hugo von Tours und Matfrid, denen Versagen in Spanien vorgeworfen wurde. Mögen dies nach Lage der Dinge nicht unbegründete Entscheidungen gewesen sein, so griffen sie doch rigoros in die labile Balance unter den führenden Magnaten ein, denn jeder der Entmachteten stand in mannigfachen Bindungen zu anderen Großen, deren Ergebenheit durch solche Sanktionen auf eine harte Probe gestellt wurde. LOTHAR zum Beispiel konnte es nicht gleichgültig sein, dass sein Schwiegervater Hugo um allen Einfluß gebracht und Matfrid in der Grafschaft Orleans ausgerechnet durch Odo, einen Vetter des vor Barcelona siegreichen Grafen Bernhard, ersetzt wurde, der als Judiths Schützling galt. Jedenfalls wuchs dadurch die Zahl der Unzufriedenen, die zumal der Kaiserin nicht trauten. Wala, der 826 seinem verstorbenen Bruder Adalhard als Abt von Corbie nachgefolgt war und durch lange Erfahrung ebenso wie durch karolingische Abkunft besondere Autorität genoß, machte sich zu ihrem Sprecher, als es Ende 828 auf einer neuen Aachener Versammlung eine umfangreiche Denkschrift über Mißstände in Reich und Kirche vorlegte. Doch über diesen umfassenden Versuch einer Neubestimmung der Gewichte in "Abwehr des allzu verfestigten Staatskirchentums" (H. H. Anton), der ihm in einer kompromitierten Fassung vorgelegt wurde, ging Kaiser LUDWIG auf der nächsten Reichsversammlung im Worms (August 829) hinweg, um seinerseits mit dem Entschluß aufzuwarten, sein nunmehr sechsjähriger jüngster Sohn KARL erhalte als vorweggenommenes Erbe einen neugeschaffenen Machtbereich (Dukat), der aus Alemannien, Elsaß, Rätien und Teilen von Burgund gebildet wurde. Da keine Erhebung zum König erfolgte, war die Ordinatio imperii formal nicht außer Kraft gesetzt, doch mußte ihre wesentliche Intention als bedroht, ja gescheitert gelten, eine weitere Aufsplitterung der Macht durch Beschränkung des dynastischen Erbrechts zu unterbinden. Brüskiert fühlte sich LOTHAR, der seine Aussicht auf königliche Gesamtherrschaft schwinden sah, und mit ihm seine adelige Klientel, die an seinem Aufstieg gehofft hatte Anteil zu haben, der auch die jüngeren Brüder Pippin und Ludwig, die weitere Schritte zugunsten des kleinen KARL befürchten mußten, und schließlich die kirchliche Reformpartei, die eben erst weitreichende Konzepte zur inhaltlichen Ausfüllung des Reichseinheitsideals vorgetragen hatte. Der Bruch wurde offenkundig, als LOTHAR, der am 11.9.829 die letzte gemeinsame Urkunde mit dem Vater ausstellte, im Herbst ins Teilreich Italien abgeordnet und auch Wala vom Hof in sein Kloster Corbie verwiesen wurde. Statt ihrer nahm nun Bernhard von Barcelona, der Rivale Hugos und Matfrids, als Kämmerer die Stellung eines "Zweiten in der Herrschaft" ein, getragen vom Vertrauen der Kaiserin Judith (was zu üblen Gerüchten Anlaß gab) und verhaßt bei den bisher tonangebenden Kreisen, die sich über weitere personelle Veränderungen am Hof entrüsteten. Der Vorgang zeigt deutlich die faktischen Grenzen der kaiserlichen Entscheidungsfreiheit auf, denn die verbreitete Mißstimmung in der geistlichen und weltlichen Führungsschicht ließ sich nur den Winter 829/30 über noch unter Kontrolle halten. Als, angeblich auf Betreiben Bernhards, der Aufmarsch zu einem neuen Feldzug gegen die Bretonen ausgerechnet auf den Gründonnerstag (14.4.) angesetzt wurde, gab dies das Fanal zum Umsturz.
    Zum Verständnis der weiteren Entwicklung ist wichtig, dass die aktive Opposition nicht von dem in Italien weilenden Kaiser LOTHAR und auch kaum von seinen königlichen Brüdern ausging, sondern von den um ihren Einfluß gebrachten Großen, die sich bei der Forderung nach Revision der jüngsten Maßnahmen einig in dem Ziel waren, Bernhard und Judith aus ihren Schlüsselpositionen zu verdrängen. Nur für einen Teil der Aufrührer jedoch, für Männer wie Wala von Corbie, den Erzkapellan Hilduin oder den früheren Kanzler Helisachar, ging es darüber hinaus bewußt darum, LUDWIG DEN FROMMEN an der Aufgabe seiner eigenen früheren Pläne zur Wahrung der Reichseinheit zu hindern, - eine Haltung, die um einer höheren Legitimität willen den Vorwurf des Bruchs geleisteter Eide nicht scheute und, wenn überhaupt, nur dann auf breitere Resonanz rechnen konnte, wenn LOTHAR selber die Verteidigung der auf ihn zugeschnittenen Ordinatio imperii energisch und wirksam in die Hand nahm. Er wurde daher eilend über die Alpen herbeigeholt, nachdem sich das Heer statt gegen die Bretonen in den Pariser Raum gewandt und Bernhard sein Heil in der Flucht nach Barcelona gesucht hatte, während Judith in Klosterhaft nach Poitiers verbracht wurde und auch ihre Brüder Konrad und Rudolf in die Hände ihrer Gegner fielen, die sie bezeichnenderweise durch Scheren des Haupthaares aus dem politischen Leben auszuschalten suchten. LOTHARentschied sich nach seiner Ankunft auf einer Reichsversammlung in Compiegne im Mai 830 gegen die Forderung der radikaleren seiner Anhänger, LUDWIG DEN FROMMEN völlig zu entthronen, und zog es in Gegenwart seiner Brüder Pippin und Ludwig vor, allein auf der Rücknahme der Verfügungen aus dem Vorjahr zu bestehen, also wieder zum formellen Doppelkaisertum zurückzukehren. Dabei war nun freilich er der eigentliche Gebieter, hielt den Vater und den kleinen Stiefbruder unter steter Aufsicht und ging auch weiter strafend gegen Parteigänger der verstoßenen Kaiserin vor.
    Statt konkreter politischer Entschlüsse im Sinne der von den Reformern erhofften "Besserung" der allgemeinen Zustände stand, wie sich zeigte, eher die gegenseitige Abrechnung unter den verfeindeten Großen auf der Tagesordnung des folgenden Sommers und erlaubte bald gegen LOTHARS Regiment den Vorwurf, Ungerechtigkeit, Habgier und Gewalttat nur noch weiter gesteigert zu haben, was ihn in den Augen vieler kompromittierte, die seinen Aufstieg herbeigeführt hatten. Die verbreitete Enttäuschung kam dem alten Kaiser zugute, der seine monatelange Passivität überwand und über Mittelsmänner die Söhne Pippin und Ludwig auf seine Seite zog, indem er ihnen eine Vergrößerung ihrer Erbteile in Aussicht stellte. Der Umschwung zeigte sich bereits auf der nächsten Reichsversammlung im Oktober in Nimwegen, wo LUDWIG wieder die Oberhand gewann, seinem kaiserlichen Sohn kampflos einen neuen Treueid abnötigte und die Rückkehr Judiths an seine Seite durchsetzen konnte. Die Anführer der Rebellion sahen sich isoliert, wurden festgesetzt und auf einem Aachener Hoftag im Februar 831 abgeurteilt; Hulduin, der als Erzkaplan durch den Abt Fulco ersetzt wurde, ferner Wala und Helisachar wanderten an verschiedene Verbannungsorte, prominente Laien wurden mit Entzug ihrer Ämter und Güter bestraft. LOTHAR verlor erneut die Teilhabe an der Gesamtherrschaft und wurde nach Italien abgeschoben. Der zweimalige abrupte Wechsel der Machtverhältnisse, der sich binnen Jahresfrist abgespielt hatte, war von noch größerer Tragweite, als die Beteiligten ahnen mochten, den er klärte im Grunde schon, dass die von LUDWIG anfänglich betriebene normative Sicherung der Reichseinheit gescheitert war, weil der Kaiser sie der dynastisch fundierten Begehrlichkeit der übrigen Familienmitglieder geopfert hatte, aber auch weil der zu ihrer Wahrung berufene LOTHAR I. zu entscheidender Stunde weder Entschlußkraft noch Augenmaß bewiesen hatte.
    Wenn es kein Zurück zur Ordinatio imperii mehr gab, so waren die Modalitäten der künftigen Machtverteilung fortan dem freien Spiel der Kräfte überlassen, was im verbleibenden Jahrzehnt LUDWIGS DES FROMMEN zu einer verwirrenden Folge rasch wechselnder, niemals realisierter Zukunftsprojekte geführt und die Autorität des Herrscherhauses im ganzen schwer erschüttert hat. Dabei war LOTHAR als der Verlierer des Jahres 830 zunächst im Nachteil und hatte wohl schon in Aachen eine Regelung hinzunehmen, die ihn, den Kaiser, auch dauerhaft auf Italien beschränken wollte, während nördlich der Alpen Pippin mit einer Erweiterung seines aquitanischen Teilreichs nach Norden bis zur Somme und Ludwig mit einer Ausdehnung seines bayerischen Anteils rechts des Rheins und in der nördlichen Francia belohnt wurden. Dass alles übrige, von Mosel und Mittelrhein südwärts bis zur Provence, womöglich dem jungen KARL gehören sollte, weckte freilich den Unmut Pippins und Ludwigsund legte dem Kaiserhof nahe, zugunsten des Jüngsten eine vorsichtige Annäherung an LOTHAR zu suchen. Der Junior-Kaiser wurde schon im Mai 831 in Ingelheim wieder ehrenvoll empfangen und konnte die Begnadigung etlicher seiner Anhänger aus dem Vorjahr (darunter Hilduin, jedoch nicht Wala) erleben, zog sich dann aber doch nach Italien zurück. Dagegen nahmen die Spannungen mit den beiden anderen Brüdern gewaltsame Formen an, nachdem Pippin zu einem Hoftag im Herbst nicht erschienen und bei einem Weihnachtsbesuch in Aachen eigenmächtig abgereist war. Während der Kaiser deshalb einen Feldzug nach Aquitanien vorbereitete, wurde ihm ein Aufstand Ludwigs gemeldet, der sich von Bayern aus offenbar Teile von KARLS Erbe aneignen wollte. Den fälligen Doppelschlag gegen beide Söhne führte der Vater in der Weise, dass er zunächst gegen Ludwig vorrückte und ihn nach der Unterwerfung im Mai 832 bei Augsburg glimpflich davonkommen ließ, sich dann aber gegen Pippin wandte, den er im Oktober in der Nähe von Limoges zur Ergebung zwang und mit Absetzung sowie Verbannung nach Trier strafte, wodurch der Weg frei wurde, das aquitanische Regnum an Judiths Sohn KARL zu verleihen. Nach anderthalb Jahren war damit auch die Hausordnung von 831 schon wieder hinfällig, und eine Lösung zeichnete sich ab, bei der nur noch LOTHAR und KARLeine wesentliche Rolle spielen würden.
    Tatsächlich hatten LUDWIG und Judith abermals den Bogen überspannt und mit ihren sprunghaften Entschlüssen eine Koalition aller drei älteren Kaisersöhne heraufbeschworen, die sich 833 in einem großen Aufstand gegen sie kehrte. Anders als 830 ging es diesmal nicht mehr um die Zukunft der Reichseinheit, sondern nur noch um die sofortige Sicherung der beanspruchten Anteile vor anderweitiger Vergabe durch den Vater, und nach den jüngsten Erfahrungen wurden für dieses Ziel auch bewaffnete Auseinandersetzungen in Kauf genommen. Der neue Akt des Familiendramas begann damit, dass der enterbte Pippin von Aquitanienschon auf dem Transport ins Trierer Exil entweichen konnte und Fühlung mit LOTHAR aufnahm, der in Italien ein Heer mobilisierte, vor allem aber Papst Gregor IV. dafür gewann, sich ihm "zur Wiederherstellung von Frieden und Eintracht" anzuschließen. Auch Ludwig der Deutsche, der sich zuletzt (vergeblich?) beim Vater für eine milde Behandlung der Teilnehmer seiner kürzlich gescheiterten Rebellion verwandt hatte, trat von Regensburg aus auf ihre Seite. Während der Papst in einem Rundschreiben die fränkischen Bischöfe aufforderte, ihm zur Unterstützung entgegenzueilen, beschied LUDWIG DER FROMME ebenfalls den Episkopat zu sich nach Worms. Außer den adligen Führern der großen Vasallenverbände war damit auch die hohe Geistlichkeit zur persönlichen Stellungnahme herausgefordert, und sie spaltete sich gleichermaßen. LOTHARfand nur zögernde Unterstützung bei Wala, der erst im Vorjahr als einfacher Mönch nach Corbie hatte zurückkehren dürfen, und besaß daher seine hauptsächlichen Wortführer jetzt in den Erzbischöfen Agobard von Lyon und Ebo von Reims, wohingegen sich die kaisertreue Gruppe um Drogo von Metz, den Halbbruder LUDWIGS, scharte. Polemische Manifeste über die geforderte und verletzte Rechte, ja über den Vorrang der Befehlsgewalt von Kaiser oder Papst - ein in dieser Zuspitzung durchaus neuartiges Problem - gingen hin und her, bevor sich Ende Juni 833 auf dem Rotfeld bei Colmar die Heere LUDWIGS und seiner drei Söhne tagelang gegenüberstanden. Gregor verhandelte im Lager des Kaisers um einen Ausgleich, doch ließen sich inzwischen dessen Gefolgsleute mehr und mehr "durch Geschenke, Versprechungen und Drohungen" (wie LUDWIGS Biograph zu wissen glaubte) dazu bewegen, von ihrem Herrn abzufallen und auf die Seite der Söhne zu treten, so dass der alte Kaiser schließlich ohne Machtbasis dastand und sich ergeben mußte. Der Schauplatz so vielfachen Eidbruchs soll schon wenig später das "Lügenfeld" geheißen haben.
    LUDWIG hatte ganz formlos aufgehört, Herrscher zu sein, indem er von den Seinen verlassen wurde und somit nichts mehr zu gebieten hatte. Die Sieger konnten die ihnen zugefallene Macht nicht anders sichern als dadurch, dass sie ihn in dauernder Haft hielten, was in LOTHARS Verantwortung gegeben wurde, und so war es, der den Vater zunächst ins Kloster Saint-Medard in Soissons verbrachte, während der 10-jährige KARL in die Eifelabtei Prüm kam und seine Mutter Judith gar nach Tortona in Italien verbannt wurde. Auch bei der politischen Neuordnung des Reiches fiel das erste Wort LOTHAR, dem Kaiser zu, der in seinen Urkunden sogleich den vollen Imperatortitel LUDWIGS übernahm. Doch falls er (wie anscheinend der Papst und andere seiner geistlichen Parteigänger) geglaubt haben sollten, nach der Ausschaltung LUDWIGS, Judiths und KARLSzur Machtverteilung der Ordinatio imperii von 817 übergehen zu können, so zeigte sich rasch, dass die am Erfolg beteiligten Brüder eine derartige Rückstufung nicht mehr hinzunehmen bereit waren. Vielmehr mußten Pippin und Ludwig, soweit zu erkennen ist, über ihre Unterherrschaften hinaus weitere Landstriche (wohl Neustrien und alle rechtsrheinischen Gebiete) zugestanden werden, und zwar zu sofortiger selbständiger Regierung, wie sich am uneingeschränkten Königstitel ihrer seitherigen Urkunden ablesen läßt. Der Sturz LUDWIGS DES FROMMEN hatte mit innerer Logik die erste effektive Teilung des KARLS-Reiches zur Folge, und wer das nicht gewollt hatte, "kehrte", wie von Papst Gregor berichtet wird, "mit großer Trauer heim". LOTHAR, stark beraten von Agobard und Ebo, nutzte hingegen eine große Reichsversammlung im Oktober in Compiegne, um auch noch eine kirchliche Sanktionierung des Thronwechsels herbeizuführen. Gemäß ihrem 829 prinzipiell reklamierten allgemeinen Aufsichtsrecht stellten die versammelten Bischöfe förmlich fest, der ehemalige Kaiser habe "das ihm übertragene Amt unzulänglich verwaltet", und entsandten unter Ebos Führung eine Abordnung ins nahe Soissons, die LUDWIG ein langes Register seiner Sünden, unter anderem die Gewalttaten gegen seine Verwandten und die ungerechte Bestrafung der Verteidiger der Hausordnung von 817, vortrug und ihn aufforderte, dafür öffentlich Buße zu leisten. Nach einigem Sträuben und gewiß unter massivem Druck wurde er bereit, sich dem Urteil der Bischöfe zu beugen und seine mangelnde Eignung zum Herrscher einzugestehen. Bei aller ernstzunehmender Seelenqual liegt in der Szene ein geradezu atemberaubender Substanzverlust der monarchischen Autorität keine 20 Jahre nach dem Tode KARLS DES GROSSEN.
    Und wieder wendete sich das Blatt, wozu offenbar gerade die erbarmungslose Härte wesentlich beitrug, mit der LOTHAR den gefangenen Vater von Ort zu Ort mitzuschleppen schien. Der jüngere Bruder Ludwig, der bei einem weiteren Umsturz kaum etwas aufs Spiel zu setzten brauchte, forderte schon um die Jahreswende 833/34 eine würdigere Behandlung des alten Kaisers, und zu seinem Sprachrohr machte sich der gelehrte Fuldaer Abt Hrabanus Maurus, der mit einer Schrift "Über die Ergebenheit der Söhne gegen die Väter und der Untertanen gegen die Könige" hervortrat. Die moralische Hypothek, die auf ihm lastete, hinderte LOTHAR auch diesmal daran, seiner Herrschaft den notwendigen breiten Rückhalt bei den Großen zu verschaffen, und als er dann noch Pippins Mißtrauen durch Anstalten weckte, seinen Machtbereich auf dessen Kosten auszuweiten, war erneut die Konstellation beisammen, die LOTHAR schon 830 zu Fall gebracht hatte. Während er Ende Februar in Paris Hof hielt, rückten Pippin von W und Ludwig von Osten mit ihren Heeren gegen ihn vor, doch keine Hand rührte sich zu seiner Verteidigung, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als mit seinen Getreuen den eiligen Durchbruch nach Süden zu wagen und den Vater samt dem Stiefbruder in Saint-Denis zurückzulassen. Dort wurde LUDWIG DER FROMME am 1.3.834 feierlich wieder in die Kirche aufgenommen und, mit Waffen und Krone geschmückt, als Kaiser anerkannt. Auch Pippin und Ludwig fanden sich bald bei ihm ein, und man hörte von der Befreiung der Kaiserin, die nach Wochen in Aachen eintraf. Dennoch war LOTHAR nicht bereit (und vielleicht vor seinen Anhängern auch nicht imstande), sich ohne Gegenwehr geschlagen zu geben, so dass nun noch offene Kämpfe ausbrachen. Unweit der bretonischen Grenze siegten in blutigem Gefecht LOTHARS Parteigänger, die Grafen Lambert (von Nantes) und Matfrid, wobei neben dem kaiserlichen Kanzler Theoto, erst seit kurzem Nachfolger des Fridugis und etlichen Grafen auch Odo, Matfrids Rivale in Orleans, den Tod fand. LOTHAR selber erstürmte beim Vorrücken aus dem Rhonegebiet die Stadt Chalon, was mit manchen, in den Quellen ihm angelasteten Greueltaten verbunden war, schritt dann aber doch nicht zum Äußersten, als er etwa im September bei Blois der überlegenen Heerresmacht des Vaters und der Brüder gegenüberstand. Er unterwarf sich und rettete damit immerhin seine Herrschaft über Italien, freilich nur unter der eidlichen Zusage, das Land nicht mehr eigenmächtig zu verlassen; dorthin wurde auch den wichtigsten seiner geistlichen und weltlichen Parteigänger, also Wala von Corbie, Agobard und mindestens fünf weiteren Bischöfen sowie den Grafen Hugo, Matfrid, Lambert und ihrem Anhang freier Abzug gestattet. LUDWIG DER FROMME, der fortan in seinem urkundlichen Kaisertitel stets der "zurückgewährenden göttlichen Huld" Rechnung trug, war wieder das unbestrittene Oberhaupt des Reiches. Er formierte die Hofkapelle neu, indem er seine Halbbrüder Drogo, den Bischof von Metz, zum Erzkapellan und Hugo, den Abt von Saint-Quentin, zum Kanzler berief, und bestand im übrigen auf einer förmlichen Annullierung der während des Aufruhrs gegen ihn unternommenen Rechtsakte. Das geschah im Februar 835 auf einer Reichsversammlung in Diedenhofen, bei der unter Zustimmung auch von seinerseits beteiligten Bischöfen die Verurteilung LUDWIGS in Compiegne aufgehoben und seine Kirchenbuße von Soissons für nichtig erklärt wurde. Ebo von Reims hatte diese bei einer feierlichen Zeremonie in Drogos Metzer Dom zu verkünden und wurde gleich anschließend auf Antrag des Kaisers von seinem Hirtenamt abgesetzt und mit Klosterhaft belegt.
    Die jahrelange Konzentration aller fränkischer Energien auf den inneren Zwist von Herrscherhaus und Führungsschicht schwächte unausbleiblich die Abwehrkraft des Reiches nach außen und hat vor allem die Gefährdung der nördlichen und westlichen Küsten in folgenreicher Weise gesteigert. Trotzdem überwogen auch in LUDWIGS DES FROMMEN letzten Jahren die innenpolitischen Sorgen. Die schweren Erschütterungen der Jahre 830 und 833/34 hatten nur negativ darüber entschieden, dass für die Reichseinheit über den Tod dieses Kaisers hinaus keine Aussicht mehr bestand, aber sie hatten jedes Einvernehmen über die konkrete Verteilung des Erbes in unabsehbare Ferne gerückt. Zu weit klafften die Ansprüche der Söhne und die Erwartungen der ihnen jeweils verbundenen Großen auseinander, und zu sehr hatte die Autorität des kaiserlichen Vaters Schaden genommen, als dass ein allgemeiner Konsens über künftige Reichsteilungen noch hätte ausgehandelt oder gar verordnet werden können. LUDWIG, in dessen Umgebung neben der Kaiserin Judith nun der Seneschalk Adalhard zu steigendem Einfluß kam, resignierte indes keineswegs und scheint in einzelnen seiner Maßnahmen versucht zu haben, an die Politik der glücklicheren 820er Jahre anzuknüpfen, etwa wenn er 836 eine neue Reformsynode in Aachen veranlaßte, die sich weithin wörtlich die Beschlüsse des Jahres 829 zu eigen machte, oder wenn er durch die Verheiratung seiner Tochter Gisela mit dem Markgrafen Eberhard von Friaul (aus dem fränkischen Hause der UNROCHINGER) ähnlich wie früher einen mächtigen Magnaten sich als Schwiegersohn zu verpflichten suchte, doch ein durchdachtes, konsequent verfolgtes Konzept in der Erbteilungsfrage hatte er nicht, wenn man von dem wohl durch Judiths genährten Wunsch absieht, den nachgeborenen Sohn KARLmöglichst gut zu bedenken.
    Dabei stand nach 834 zunächst im Wege, dass die Anteile der mittleren Söhne Pippin und Ludwig, die durch ihre Schwenkung die Wiedereinsetzung des Vaters herbeigeführt hatten, nicht geschmälert werden konnten, weshalb die Zuweisungen an KARL (Alemannien, später Aquitanien), die den großen Aufstand heraufbeschworen hatten, hinfällig blieben. Die Lösung schien wie 831 in einer Verständigung mit LOTHAR zu liegen, die auf einer Diedenhofener Reichsversammlung 836 versucht wurde, wo Wala als dessen Abgesandter erschien; doch starb der ehemalige Abt von Corbie bald nach seiner Rückkehr, ohne LOTHARSEinlenken erreicht zu haben. Die fortwährend grollende Haltung des ältesten Sohnes, der in Italien sogar gegen Anhänger des Vaters vorging, bewog LUDWIG, für 837 einen Romzug anzukündigen, der zu einer Begegnung mit LOTHARhätte führen müssen, dann aber nicht zustande kam, weil der erneute Wikingereinbruch in Friesland den Kaiser dorthin ablenkte. Danach gab er das Warten auf LOTHAR auf und verfügte Ende des Jahres von sich aus eine erneute Ausstattung KARLS, die zentralen Bereiche der Francia von Friesland über die Gaue zwischen Maas und Seine bis weit nach Burgund umfaßte. Damit verstimmte er nicht nur LOTHAR, sondern auch den jüngeren Ludwig, der sich von Bayern aus mit dem kaiserlichen Bruder zu einer Besprechung in der Nähe von Trient traf und dadurch sogleich das Mißtrauen des Vaters auf sich lenkte. Nach einem vergeblichen Versuch, sich zu rechtfertigen, wurden ihm im Sommer 838 alle rechtsrheinischen Länder bis auf Bayern wieder entzogen. Immer höher stieg der Stern KARLS, der im September in Quierzy nach Vollendung seines 15. Lebensjahres mit dem Schwert umgürtet und von seinem Vater zum König gekrönt wurde, wobei er Neustrien als Unterherrschaft erhielt, anscheinend neben dem im Vorjahr verfügten Erbteil. Bevor es darüber zum Konflikt mit Pippin von Aquitanien kam, dessen Interessen hier berührt waren, traf die Nachricht von seinem offenbar plötzlichen Tod am 13.12.838 ein. Zu Trauer scheint wenig Anlaß gewesen zu sein, denn damit wurde endlich die Bahn frei für die von Judith betriebene Einigung zugunsten LOTHARS und KARLS. LUDWIG DER FROMME, der zunächst durch einen Zug über den Rhein bis zum Bodensee, dem jüngeren Ludwig seine Macht demonstriert hatte, traf Ende Mai 839 mit den beiden anderen Söhnen auf einer Reichsversammlung in Worms zusammen und teilte das Erbe, abzüglich des für Ludwig vorbehaltenen bayerischen "Pflichtteils", entlang von Maas, Saone, Rhone und Westalpen. LOTHAR wählte die östliche, Italien einschließende Hälfte, KARLdie westliche und damit auch den Konflikt mit den Söhnen des eben verstorbenen Bruders Pippin, von denen der ältere, wie KARL wohl gerade volljährige Pippin II. mit manchem Rückhalt im Lande die Herrschaft über Aquitanien als sein väterliches Erbe beanspruchte. Fürs erste gedachte der alte Kaiser selbst die gewaltsame Durchsetzung der neuesten Hausordnung in die Hand zu nehmen, und dementsprechend zog er im Herbst mit Heeresmacht gegen den Enkel Pippin von Aquitanien, brachte es aber in zähem Kleinkrieg nur zu Teilerfolgen. Im nächsten Frühjahr erschien es dringender, gegen Ludwig einzuschreiten, der sich natürlich nicht dauerhaft auf Bayern beschränken ließ, nun aber vom Vater doch aus Thüringen verjagt wurde. Auf einem neuen Hoftag, zu dem LOTHARaus Italien berufen wurde, sollte das weitere Vorgehen gegen Ludwig besprochen werden, doch dazu kam es nicht mehr, denn der Kaiser starb nach kurzer Krankheit 62-jährig auf einer Rheininsel bei Ingelheim am 20.6.840.
    Dass keiner seiner Söhne zugegen war, als er wenig später von Drogo, seinem bischöflichen Halbbruder und letzten Erzkapellan, in der Metzer Kirche des Familienheiligen Arnulf an der Seite seiner Mutter Hildegard bestattet wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bilanz seiner Regierung. In 26 Jahren hatte LUDWIG DER FROMME das Großreich seines Vaters nach außen einigermaßen behaupten können und nach innen zunächst durch weitere vereinheitlichende Reformen gefestigt, später jedoch nur noch, so gut es ging, verwaltet, was Episkopat und Hochadel zu stärkerem politischen Eigengewicht gelangen ließ. Völlig gescheitert war er mit dem Bemühen, die Herrschaftsordnung nach seinem Tode festzulegen, denn sein anfängliches Konzept, auf der Grundlage des Kaisertums dauerhaft eine oberste Zentralgewalt des ältesten Sohnes zu etablieren, stand wegen des antidynastischen Grundzugs von vornherein wohl auf schwachen Füßen, wurde von LUDWIG aber auch nicht wirksam vertreten und schließlich unter dem Druck der Umstände ganz fallen gelassen. Bis dahin war jedoch durch den zweimaligen Zusammenbruch und die anschließende Wiederherstellung seiner Herrschaft sein Handlungspielraum so geschmälert, dass er auch keinen Teilungsplan mehr unwidersprochen durchsetzen konnte und sich am Ende gar in bewaffnete Kämpfe mit seinen Söhnen verstrickte, die dann nahtlos in den Bruderkrieg nach seinem Tode übergingen. Unmittelbar ausgelöst wurde diese Entwicklung durch den schon in den Quellen hervorgehobenen Ehrgeiz der zweiten Kaiserin Judith und die Erbansprüche des Nachkömmling KARL, doch wäre die Vorstellung naiv, ohne eine Wiederverheiratung hätte sich die Reichseinheit auf längere Sicht bewahren lassen. Woran sie letztlich zerbrach, war die Unfähigkiet der fränkischen Führungsschicht (bis hin zu den rivalisierenden Kaisersöhnen), in den Dimensionen des KARLS-Reiches zu denken und dessen monarchisch-imperiale Führung für eine wünschenswerte, ja notwendige Rahmenbedingung auch ihrer eigenen politischen Entfaltung zu halten. Was sich unter KARL DEM GROSSEN in gleichsam spontaner Selbstverständlichkeit eingespielt hatte, war von seinem Sohn weit weniger überzeugend beansprucht und verwirklicht worden.

    793 1. oo Konkubine N.N.
    794 2. oo Irmingard, Tochter des Grafen Ingram (Franke), um 775/80-3.10.818
    819 3. oo Judith, Tochter des Grafen Welf, um 795-19.4.843

    Kinder:
    1. Ehe
    - Alpais Äbtissin von St. Pierre-le-Bas in Reims (816-852) 794-23.7.852
    806 oo Bego Graf 755/60-28.10.816
    - Arnulf Graf von Sens um 794- nach 841

    2. Ehe
    - LOTHAR I. 795-29.9.855
    - Pippin um 797-13.12.838
    - Ludwig II. der Deutsche 806-28.8.876
    - Rotrud 800-
    oo Rather Graf von Limoges -25.6.841
    oder
    oo Gerhard Graf von Auvergne -25.6.841
    - Hildegard Äbtissin von Notre-Dame in Laon 802/04-23.8.860
    oo Rather Graf von Limoges -25.6.841
    oder
    oo Gerhard Graf von Auvergne -25.6.841

    3. Ehe
    - Gisela 819- nach 1.7.874
    836 oo Eberhard Markgraf von Friaul um 810- 866
    - KARL II. DER KAHLE 13.6.823-6.10.877

    Literatur:
    Althoff Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 11,16,56,115 - Althoff Gerd: Otto III. Primus Verlag Darmstadt 1997, Seite 194 - Althoff, Gerd: Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen. Wilhelm Fink Verlag München 1984, Seite 189,367 K 22 - Barth Rüdiger E.: Der Herzog in Lotharingien im 10. Jahrhundert. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1990, Seite 23,179 - Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 60,87,91-95,99-104,106-109,112,115,118-120,129,138,195,198,204,213,216-218,220,225,229,234,238,245,278,280,282, 305,315,322-324,331- Beumann, Helmut: Die Ottonen. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln, Seite 11,17,21,65,69,80,93,108, 144 - Biographien zur Weltgeschichte. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1989, Seite 341 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986, Seite 18,24,29, 33,38,53,60,62,76,89,96,105-108,114,117,127-129,140,144,146,155,158,160,165,171,179,184,197,200,206,211,213,221-223,231,233, 246, 275-280,288- Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984, Seite 81,85,90-92,94-96,98,101-104,108,112,113,116,120,132,135,145, 147,156-158,160,166,180,182,189,192,198,199,202,219-222,224-229, 252-254,257 - Boshof Egon: Die Salier. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1987, Seite 180 - Dahn Felix: Die Völkerwanderung. Germanisch-Romanische Frühgeschichte Europas. Verlag Hans Kaiser Klagenfurt 1977, Seite 503,504,506,511,513,524,531 - Deutsche Geschichte Band 1 Von den Anfängen bis zur Ausbildung des Feudalismus Mitte des 11. 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Kämpfer und Beter. Bechtle Verlag Esslingen 1989, Seite 23,54,62,82,85,129 -



    Neue Deutsche Biographie Ludwig der Fromme

    fränkischer Kaiser, * Sommer 778 Chasseneuil bei Poitiers, † 20.6.840 auf einer Rheininsel bei Ingelheim, ⚰ Metz, Arnulfskloster.

    L. und sein Zwillingsbruder Lothar (früh verstorben) erhielten als erste Karolingersprossen, freilich erst der dritten Königsgeneration, in „Ansippung“ an die abgelöste alte Dynastie, merowing. Namen (Chlodwig und Chlothar). L. wurde am Ostertage (15.4.) 781 in Rom, zusammen mit seinem Bruder Pippin, von Hadrian I. zum König gesalbt und gekrönt. Es ist die erste klar bezeugte, nicht nur erschließbare Krönung im Karolingerhause. Als vom Vater bestellter Unterkönig verbrachte L. seine Jugend in Aquitanien (wie Pippin in Italien). Daß er eine geistlichliterarische Erziehung genoß, findet sich zwar nur andeutungsweise bezeugt, ist aber aus seinem späteren religiös-kirchlichen Eifer mit Sicherheit zu erschließen. In roman. Umwelt aufgewachsen, beherrschte er das Lateinische völlig, verstand aber auch das Griechische, während er der volkssprachlich-fränk. Tradition weniger Interesse entgegenbrachte als sein Vater.

    Bis zur Wehrhaftmachung (791 in Regensburg) blieb L. unter beauftragter vormundschaftlicher Regierung. Er hielt eigene Reichsversammlungen ab (789 in Mourgoudou b. Albi; 790, 795, 801 in Toulouse; 814 in Doué b. Tours) und urkundete 794, 807, 808 als rex Aquitaniae bzw. als rex Aquitanorum. Neben dem Grenzgrafen Wilhelm von Toulouse († 812 als Mönch in seiner Gründung Gellone) nahm L., allmählich in selbständiger Führung, an den Abwehr- und Sicherungskämpfen gegen Basken und Araber beiderseits der Pyrenäen teil (Einnahme von Barcelona 801, von Tortosa 811, Strafzug nach Pamplona 813), doch wurde er oft auch zu Reichsversammlungen und Heereszügen des Vaters und des Bruders Pippin entboten (785 Paderborn, 790 Worms, 791 Ingelheim-Regensburg-Awarenkrieg, 792/93 Italien, 793 Salz, 798 Sachsenkrieg, 797 Herstal, 799 Aachen-Friemersheim-Sachsenzug, 800 Tours, 804 Sachsenzug, 805/06 Diedenhofen, 809 Aachen). In der Divisio von 806 sprach ihm Karl d. Gr. über Wasconien und Aquitanien hinaus das gesamte südliche Gallien zu, aber der Tod der älteren Brüder (810/11) machte diese Regelung hinfällig. Karl d. Gr., inzwischen von Byzanz als Kaiser anerkannt, krönte nach oström.-byzantin. Stil am 11.9.813 in Aachen den nunmehr alleinigen Nachfolger L. zum Mitkaiser.

    Karl starb am 28.1.814; am 27. Februar traf L. in Aachen ein. Als Repräsentant einer stärker verchristlichten Generation, der in Aquitanien die Klöster gefördert und angeblich einmal erwogen hatte, selber Mönch zu werden, übernahm er ein in seinen gewaltigen Dimensionen machtpolitisch saturiertes, von außen vorerst nicht mehr gefährdetes, in der inneren, d. h. auch kirchlichen Ausformung dagegen unfertiges Reich. Die Lebensgeschichte L.s fällt von nun an größtenteils mit der Reichsgeschichte zusammen, in der das individuell-biographische Element im ganzen nur mit ungleicher Deutlichkeit sichtbar wird.

    Von persönlichen Initiativen „außenpolitischer“ Art kann bei L. nicht ernstlich die Rede sein. Durch den feierlichen Empfang einer noch an Karl abgeordneten griech. Gesandtschaft (1.8.814 in Aachen) sanktionierte der neue Kaiser den Ausgleich mit Byzanz. Darin war offensichtlich der Verzicht auf den Römernamen im Kaisertitel vereinbart worden: L. und seine fränk.-deutschen Nachfolger nannten sich bis ins späte 10. Jh. nur Imperator augustus, ohne Attribut. Auch die Umschrift des Bullensiegels Renovatio Roman-[orum] imp[erii] entfiel und wurde durch die Formel Renovatio regni Franc[orum] ersetzt. Griechische Abgesandte sind an L.s Hof noch wiederholt, aber eher beiläufig (817, 824, 826, 827, 833, 839) bezeugt. Im übrigen blieb es unter ihm durchweg bei einer im ganzen defensiven Grenzpolitik. L. nahm 814 die Lehnshuldigung des dän. Thronprätendenten Harald entgegen, hob ihn 826 in Mainz aus der Taufe und sandte Ansgar zur Missionierung des Nordens aus; Harald vermochte sich jedoch in seinem Lande nicht durchzusetzen. An der Elbelinie und besonders im Südosten kam es mit den angrenzenden Slawen wiederholt zu Kämpfen, die ihre Wellen zeitweise bis zu den Bulgaren schlugen, aber|diese Geschehnisse gehören, ebenso wie die Auseinandersetzungen in Italien (Benevent und Venedig), nicht zur Biographie L.s, der in solchen Zusammenhängen zwar gelegentlich Gesandtschaften empfing – insbesondere 826 in Ingelheim –, in aller Regel aber diese Aufgaben den Unterkönigen und Grenzgrafen überließ. Er selber zog 818 und 824 gegen die Bretonen zu Felde, offenbar ohne nachhaltigen Erfolg. Sichtlich kein Heerführer von Rang, griff er auch in Wasconien und Spanien, wo es immer wieder brodelte, nicht persönlich ein.

    In der „Innenpolitik“, in der Regierung des Reiches und der Kirche, steht dagegen, mindestens für den Anfang, der persönliche Wille und Beitrag L.s außer Zweifel. Hier setzte der Generationswechsel von 814 neue Energien zur Festigung und Mehrung des überkommenen Erbes frei. Persönlich zur Strenge, ja zum Mißtrauen geneigt, verwies L. seine Schwestern vom Hof in ihre Klöster und entließ auch die Brüder Adalhard und Wala, seine bisher sehr einflußreichen Seitenverwandten. Auf die Sicherung der Randländer bedacht, entbot er seinen Neffen Bernhard, den Sohn Pippins und italischen Unterkönig, zur Huldigung. Zugleich bestellte er – schon 814 – seine eigenen Söhne Lothar und Pippin zu Unterkönigen in Bayern und Aquitanien. Oberster Hofkaplan blieb der EB Hildebald von Köln; nach dessen Tod (818) folgte der Abt Hilduin von Saint-Denis. Aus Aquitanien brachte L. seinen Kanzler Helisachar an den Hof, ebenso seinen Jugendfreund Ebbo, den er 816 zum Erzbischof von Reims erhob. Als einflußreicher Berater begegnet bald auch der Graf Matfrid von Orléans.

    Der neue Schwung der kaiserlichen Regierung wird von Anfang an in einer ausgiebigen Beurkundungstätigkeit sichtbar. Die insgesamt nahezu 500 Diplome L.s, ausgefertigt unter der Leitung der Kanzler Helisachar (814–19), Fridugis (819–32), Theoto (832–34) und Hugo (834–40, – 844, Halbbruder L.s, Abt von Saint-Quentin), stellen mit ihrer ausgereiften diplomatischen Kursive und der geschliffenen Latinität ihrer Textformulare, so in der Verbindung des Immunitätsprivilegs mit dem Königsschutz, den mustergebenden Höhepunkt frühmittelalterlicher Kanzleigeschichte dar. Überhaupt stehen die ersten Jahre für Reich und Kirche im Zeichen gesetzgeberisch-programmatischer Normung und Fixierung durch regelmäßige Reichsversammlungen, durch eine stattliche Zahl von gewandt formulierten Kapitularien, in der Tradition Karls d. Gr. und zugleich über ihn hinaus. Mit der Konstituierung der Bistümer Hildesheim und Halberstadt und des Missionserzbistums Hamburg sowie der Klöster Corvey und Herford vollendete L. die Basis der sächsischen Kirchenorganisation. Aus Aquitanien berief er den Mönchsreformer Benedikt von Aniane zum Abt der Neugründung Inden (Kornelimünster) und betraute ihn mit der Aufsicht über die Reichsklöster insgesamt, die, wie sich besonders an den Kaiserdiplomen ablesen läßt, mit den Hochstiften zu einer gefestigten, an den Herrscher gebundenen Reichskirche zusammenzuwachsen begannen. Auf einer großen Aachener Synode wurden 816 für die Mönchs- und Nonnenklöster eine neu formulierte, von jeder Mischobservanz gereinigte Benediktregel, für die Kanonikerstifte (und analog für die Kanonissen) eine – freilich nur mittelbar an Chrodegang von Metz orientierte – Institutio unter L.s Autorität als verbindliche Normen verkündet. Es folgten 817-19 weitere Bestimmungen für Bischofskirchen und Klöster (Wahlrecht, Reichslasten, Einkünfteregelung, Sicherung und Beaufsichtigung der Eigenkirchen). Rasche Erfolge dieser Vorschriften sind nicht erkennbar, um so bedeutender aber wurde die prägende Fernwirkung der Statuten von 816 im 10. und 11. Jh.

    Auch die geltende Oberhoheit über Rom wurde neu formuliert. Als der Papst Leo III. 815 eigenmächtig eine Verschwörung blutig unterdrückte, ordnete L. eine Untersuchung durch Kg. Bernhard an, ließ sich aber durch päpstliche Gesandte beruhigen. Bei der durch Leos Tod 816 eintretenden ersten Vakanz unter dem neuen Kaisertum griff man weder in Rom noch in Aachen auf das seit der Mitte des 8. Jh. faktisch erloschene kaiserliche Bestätigungsrecht zurück, aber der neue Papst Stephan IV. (816–17) ließ die Römer einen Treueid auf den Kaiser schwören und begab sich zu L. nach Reims. Eine segnende Festkrönung mit einer angeblichen Konstantinskrone (Okt. 816) brachte den röm. Ursprung des Kaisertums in Erinnerung. Als mittelbares Ergebnis der Reimser Verhandlungen stellt sich das Pactum Hludovicianum von 817 für den nächsten Papst Paschalis I. (817–24) dar, das – nach dem Verlust des Kaiserprivilegs für Stephan IV. – erste und für spätere Zeiten mustergebend ausformulierte Kaiserprivileg für die röm. Kirche. Es bestätigte mit dem Territorium und der internen Autonomie des Kirchenstaates auch die Freiheit der Papstwahl, die erst nach der Weihe dem Kaiser anzuzeigen war.

    Der Wille zur Konsolidierung gewachsener Ordnung gipfelte in einer großzügigen politischen Neuregelung, die, sichtlich von L.s geistlichen Beratern konzipiert, im Juli 817 auf einer Aachener Reichsversammlung verkündet wurde. Die bisher nur faktisch – zuletzt durch die Todesfälle von 810/11 – zustande gekommene Einheit des Gesamtreiches im Zeichen des Kaisertums wurde zum durchdachten Prinzip erhoben. Dem entspricht es, daß seit 814 in den Urkunden hinter dem Kaisertitel auch der Bezug auf Franken und Langobarden verschwunden ist, ungeachtet der erwähnten Bullenumschrift. Dieses Programm wurzelte geistig im christlichen Universalismus, wie ihn mit publizistischer Verve vor allem EB Agobard von Lyon verfocht, es entsprach aber auch, angesichts der über viele Länder verbreiteten Rechte, Ämter und Güter, den sehr konkreten Wünschen der Kirchen und weitverzweigter Adelsgruppen. Lothar wurde (wie L. selber 813) zum Mitkaiser gekrönt und zum Nachfolger bestimmt, während Pippin und Ludwig (der Deutsche) als Unterkönige in Aquitanien und Bayern eingesetzt wurden. Diese Ordinatio imperii untersagte über L.s Tod hinaus weitere Teilungen und gab der nach Sinn und Tradition genossenschaftlichen Teilung eine herrschaftliche Wendung: Die Teilkönige sollten in allem, was über ihre interne Autonomie hinausging, dem Kaiser untergeordnet bleiben. Dieses theologisch fundierte, imperial formulierte Programm war eine kühne Konzeption, geradezu eine verfrühte Reichs- und Staatsidee, die dem Rechtsdenken des Zeitalters weit vorauseilte. Ob und in welchem Ausmaße sie sich in der dynastischaristokratischen Welt auch würde durchsetzen lassen, war die Frage, die L.s weitere Regierungszeit überschattete. Die Widerstände blieben nicht aus, treten für uns aber nur vordergründig, namentlich im Kaiserhause selber, in helles Licht, während die offenbar wechselnden Gruppierungen im Adel oft undeutlich bleiben. Das Persönlichkeitsbild L.s verliert dabei sehr an Festigkeit und wird immer mehr durch die Unausgeglichenheit seines Charakters bestimmt.

    Der ersten Krisen wurde er aber Herr. Der in der Ordinatio übergangene Bernhard von Italien ließ sich zu einer Empörung hinreißen, die jedoch rasch zusammenbrach. Er starb an der Blendung, die L. – statt des Todesurteils der nächsten Aachener Reichsversammlung (April 818) – über ihn verhängte (17.4.818). Erneut mißtrauisch geworden, zwang L. seine jungen Halbbrüder, Karls d. Gr. nicht vollbürtige Söhne Drogo, Hugo und Theuderich, zum Eintritt in den geistlichen Stand und entsetzte den Bischof Theodulf von Orléans seines Amtes. Die Bemühungen um kirchliche Reformen und politische Konsolidierung gingen jedoch weiter, wenn auch seit dem Tode Benedikts von Aniane (821) sichtlich mit geringerer Energie. – Auf den Reichsversammlungen von 821 (im Mai zu Nimwegen, im Oktober zu Diedenhofen) wurde die Ordinatio von 817 beschworen. Ein Ausgleich mit den bisher ausgeschalteten und bekämpften Gruppen zielte auf eine erneute Sammlung der Kräfte. In Diedenhofen wurden die Teilnehmer an der Verschwörung Bernhards begnadigt, ebenso Adalhard, dessen Bruder Wala gleichfalls an den Hof zurückkehrte. Zu Attigny versöhnte sich L. im August 822 auch mit seinen Halbbrüdern; Drogo wurde Erzbischof in der Karolingerstadt Metz. Zugleich sanktionierte L. sein Friedenswerk durch eine öffentliche Buße für alles Unrecht, das er insbesondere den Seinen angetan hatte; mit einem Bekenntnis ihrer Pflichtvergessenheit folgten die Bischöfe seinem Beispiel. Die neuen Ratgeber, unter denen neben Adalhard († 826) und Wala der Erzkaplan Hilduin hervortrat, blieben bei alledem auf eine nachhaltige Festigung der Reichsautorität bedacht. Begleitet und beraten von Wala, begab sich Lothar 822 nach Italien. Er wurde von Paschalis I. nach Rom eingeladen und am Osterfeste 823 gekrönt; es war abermals eine bloße Festkrönung, aber zum ersten Mal seit 800 wieder eine Krönung in Rom, wo der Zweitkaiser sogleich wieder eine unmittelbare Gerichtsgewalt in Anspruch nahm. Nach des Paschalis Tod erwirkte Wala die Erhebung des frankenfreundlichen Aristokraten Eugen II. (824–27), und bei einem abermaligen Aufenthalt in Rom verkündete Lothar 824 die Constitutio Romana über eine Reorganisation des Kirchenstaates, der jetzt im Auftrage des Kaisers einer steten Kontrolle unterworfen, also über die bisherige Praxis hinaus ins Reich einbezogen wurde, zumal der gewählte Papst vor der Weihe dem Vertreter des Kaisers einen Treueid leisten sollte. Lothar kehrte 825 an den Kaiserhof zurück und wurde, auch formell im Titel der Urkunden, Mitregent L.s, dessen wahrscheinlich im August 825 in Aachen erlassene Admonitio ad omnes regni ordines erneut von lebendigem Reformwillen zeugte. – Aus den Kontakten mit Byzanz und Rom ergab sich die Notwendigkeit, nochmals den Bilderstreit zu erörtern; dies geschah 825 auf einer Synode in Paris, blieb aber ein bloßer Nachhall ohne Bedeutung.

    Das erste Jahrzehnt von L.s Regierung darf nach alledem als Höhepunkt der fränk.-karoling. Reichsgeschichte gewertet werden. Die|vielseitige Breitenwirkung der karoling. Bildungsreform relativierte gewiß die bis dahin dominierende Stellung des Kaiserhofes im geistigen Leben, aber seine Schriftkultur, sein hoher Rang und seine ansehnliche Bibliothek bestanden fort und erneuerten sich gar in der Folgezeit; auch L. wurden Verse, theologische Schriften und kostbare Codices gewidmet; nach vorwiegender, jedoch umstrittener Forschungsmeinung war er der Auftraggeber des altsächs. Heliand. Die politische Stabilität geriet dagegen ins Wanken. Es steigerten sich die Unruhen an den Grenzen, im Süden die Übergriffe der Sarazenen, vom Norden her die Vorstöße der Normannen (seit 834 Jahr für Jahr), an deren Abwehr L. nach wie vor keinen Anteil hatte. Die gefährlichen Erschütterungen bahnten sich aber im Innern an. In Reich und Kirche, denen es an einem organisatorischen Unterbau fehlte, lag weiterhin vieles im argen. Angesichts dieser Aufgaben wurden die kaiserliche Autorität, L.s Energie und Führungswille unverkennbar schwächer. Die Passivität des Kaisers hatte zur Folge, daß der hohe Klerus den Kampf um das steckengebliebene Reformwerk stärker als bisher aus eigener Initiative aufnahm und sich seiner Autonomie, ja seines geistigen Führungsanspruches bewußt wurde. Zugleich regten sich in L.s Umgebung, am Hof und im Adel, Widerstände gegen das politische Programm der Ordinatio von 817. Personell zeichnen sich diese rivalisierenden Gruppen weiterhin nicht deutlich ab, doch tritt als zentrale Gestalt allmählich die neue Kaiserin Judith in den Vordergrund, die ehrgeizige Mutter des 823 geborenen vierten Kaisersohnes Karl (des Kahlen). Für ihn gewann sie Lothar als Taufpaten und, 829, den Gelehrten und Dichter Walahfrid Strabo als Erzieher, für ihn erstrebte sie aber auch einen Anteil an der Reichsherrschaft. Das entsprach dem am Teilungsprinzip orientierten überkommenen Rechtsdenken, lief jedoch dem Nachfolgegesetz von 817 zuwider.

    Zwar verteidigte der Gf. Bernhard von Barcelona, der Sohn Wilhelms von Toulouse, 827 erfolgreich seine fränk. Bastion in Spanien, im übrigen aber verliefen die Grenzkämpfe dieses Jahres sehr unglücklich. Die Grafen Hugo von Tours und Matfrid von Orléans, aber auch Mgf. Balderich von Friaul wurden Anfang 828 ihrer Ämter enthoben. Mit den immer lebhafter beklagten Mißständen in Reich und Kirche befaßten sich im Winter 828/29 eine Aachener Versammlung, dann Anfang 829 vier Synoden in Mainz, Lyon, Paris und Toulouse. Hier wurden Reformprogramme sehr grundsätzlicher Art entwickelt, die über die Bemühungen des letzten Jahrzehnts hinaus im Geiste der (schon spätantiken) Lehre von den beiden Gewalten – auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas – auf eine Auflockerung des Staatskirchentums, ja auf eine Art von geistlicher „Normenkontrolle“ des öffentlichen Lebens zielten. L. aber und die Seinen erwiesen sich nicht – jedenfalls nicht mehr – willens und imstande, auch ihrerseits solche Wege zu beschreiten; naiver Machtwille überwucherte die hochfliegenden, im politischen Bereich freilich auch unrealistischen Reformideen – eben daraus ergab sich die schwere Krise der nächsten Jahre.

    Auf die in einer relatio des Episkopats formulierten Reformwünsche ging L. nicht ein. Dagegen übertrug er im Aug. 829 auf einer Wormser Reichsversammlung seinem jüngsten Sohn Karl Alemannien mit Rätien, dem Elsaß und einem Teil Burgunds. Ob dieser Bereich als künftiges regnum im vollen Rechtssinne gedacht war, steht dahin, aber dem Geist der Ordinatio von 817 widersprach diese Regelung sehr, sie bezeichnete einen Sieg Judiths und einen völligen Kurswechsel des Kaiserhofes. Die Verfechter der Reichseinheit waren beiseite geschoben; Lothar, in den Urkunden nicht mehr als Mitregent genannt, wurde nach Italien entlassen; neue Männer, voran der zum Kämmerer berufene Bernhard von Barcelona, herrschten am Hof. Der Kampf um das Programm von 817 wurde ein Kampf um die Macht am Hofe. Die Initiative lag jedoch vorerst nicht bei den älteren Kaisersöhnen. Wala (seit 826 als Nachfolger seines Bruders Adalhard Abt von Corbie), der Erzkaplan Hilduin, der frühere Kanzler Helisachar erscheinen als Anführer einer Gruppe, die durch eine loyale Palastrevolution gegen den Kaiser selber die erstrebte Reichsordnung sichern wollte, sich dabei freilich im Kampf gegen die Gruppe um Judith und Bernhard mit Hugo, Matfrid und anderen Magnaten traf, deren Motive kaum über persönliche Feindschaft hinausreichten. Die Vorbereitungen zu einem auf Frühjahr 830 anberaumten Bretonenfeldzug schlugen in einen großen Aufstand um, dem L. keinen Widerstand entgegenzusetzen wagte. Bernhard floh nach Barcelona, Judith wurde nach Poitiers ins Radegundiskloster verwiesen. Unter der Leitung des aus Italien zurückgekehrten Mitkaisers Lothar tagte im Mai 830 zu Compiègne eine Reichsversammlung, die sich – soweit erkennbar – formal mit der Wiederherstellung des vorherigen Rechtszustandes begnügte: Lothar erscheint jedenfalls wieder als Zweitkaiser in den|Diplomen, in Wirklichkeit aber trat er als Alleinherrscher auf, beschränkte L. auf eine nominelle Rolle und wollte ihn gar zum Eintritt in den Mönchsstand bewegen. Ohne daß wir die Hintergründe im einzelnen durchschauen, gewann L. in kürzester Frist wieder das Übergewicht. Er ließ den jüngeren Söhnen Pippin und Ludwig eine Vergrößerung ihrer Reichsteile anbieten und konnte sich auf der nächsten Reichsversammlung, im Okt. 830 zu Nimwegen, wieder durchsetzen. Lothar leistete einen neuen Treueid, Judith 1 kehrte zurück, die Anführer des Aufstandes wurden vom Hofe verwiesen und dann im Febr. 831 in Aachen abgeurteilt: Wala und Hilduin, nicht mehr Erzkaplan, wurden verbannt; Lothar, nicht mehr Mitregent, mußte nach Italien zurückkehren. Auf dieser Aachener Versammlung wurde wahrscheinlich eine neue Erbteilung verkündet, die Lothar auf Italien beschränkte und im übrigen, wohl im Rückgriff auf die Divisio von 806, Pippins und Ludwigs Anteile weit ins Reichsinnere, Karls. Gebiet um den Mosel- und Rhoneraum erweiterte. Der Aufstand von 830 hatte also nicht zur Sicherung der Ordinatio, sondern zur Preisgabe der Reichseinheit geführt; Judith schien gesiegt zu haben.

    Statt einer Beruhigung kam es bald, bei erneut schwindender Führungskraft L.s und wechselnden Gruppierungen, zu neuen Gegensätzen, die sich, wiederum im einzelnen schwer durchschaubar, für uns nur noch als erbitterter Machtkampf in Dynastie und Hochadel darstellen. Daß die großzügige Ausstattung des jungen Karl die älteren Brüder sehr verstimmt hatte, steht außer Zweifel. Offenbar durch Judiths Bemühen, Lothar auf die Seite ihres Sohnes zu ziehen, kam es jedoch zunächst zu einer halben Aussöhnung: Auf einer Reichsversammlung in Ingelheim empfing L. im Mai 831 Lothar und amnestierte die meisten seiner Anhänger, darunter Hilduin, nicht jedoch Wala. Aber die Spannungen zu den anderen Söhnen bestanden fort. Pippin blieb im Okt. 831 einer Diedenhofener Reichsversammlung fern und verließ gegen Jahresende im Unfrieden den Hof, Ludwig von Bayern empörte sich Anfang 832. Dieser Widerstände wurde der Kaiser jedoch Herr. Er beließ dem jüngeren Ludwig Bayern, verwies Pippin dagegen nach Trier und sprach Aquitanien Karl zu. Die Erbteilung vom Vorjahre war damit schon umgestoßen, ja L. erwog nunmehr eine Teilung des Gesamtreiches (außer Bayern) nur zwischen Lothar und Karl.

    Statt dessen aber flammte Anfang 833 der schwelende Konflikt zu äußerster Heftigkeit auf, da Pippin und der jüngere Ludwig sich jetzt mit ihrem Bruder Lothar verbündeten, in gemeinsamem Widerstande, aber kaum mit klarem gemeinsamem Ziel. Für Lothar war es ein Kampf um seine Rechte aus der Reichsordnung von 817. Um für dieses ja auch religiös konzipierte Programm und überhaupt für die Friedenswahrung mit seiner geistl. Autorität einzutreten, fand sich Papst Gregor IV. (827–44) bereit, Lothar in die Francia zu begleiten. Wala dagegen trat nach den Erfahrungen von 830 nur widerstrebend neben Ebbo von Reims auf Lothars Seite. Wortführer des Aufstandes wurde Agobard von Lyon, während Drogo von Metz mit anderen Bischöfen ebenso entschieden zu L. hielt. So kam es unvermittelt zu einer Konfrontation von kaiserlichem, reichsbischöflichem und päpstlichem Anspruch. Der von L.s Bischöfen als frater angeredete und an seinen Treueid gemahnte Papst berief sich, ebenso wie Agobard, auf den religiösen Vorrang der priesterlichen, insbesondere päpstlichen Gewalt. Über diesen Prinzipienkampf aber ging der Machtkampf hinweg. Während sich die Heere bei Kolmar gegenüberlagen und L. mit dem Papst über einen Ausgleich verhandelte, wußten die Gegner am 24.6.833 seine Anhänger auf ihre Seite zu ziehen, so daß L. sich sechs Tage später gefangen geben mußte. Diese formlose Preisgabe L.s durch seine Getreuen auf dem Rotfelde, das später „Lügenfeld“ genannt wurde, bedeutete im Rechtsdenken der Zeit seine Absetzung. Ebenso formlos ging die Herrschaft an Lothar über, der den kaiserlichen Urkundentitel L.s annahm, aber seinen eigentlichen Anspruch nicht aufrechtzuerhalten vermochte. Seinen Brüdern Pippin und Ludwig, die ihm vielleicht ein Treueversprechen leisteten, räumte er ausgedehnte Länder zu sofortiger selbständiger Herrschaft ein. Karl blieb von dieser Teilung ausgeschlossen, aber auch von der Ordinatio war nur ein schwacher Abglanz übriggeblieben. Gregor IV. sah seine Autorität mißbraucht und kehrte enttäuscht nach Rom zurück.

    Lothar und seine Parteigänger zeigten sich zum äußersten entschlossen, um die labile neue Herrschaft zu stabilisieren. Karl wurde nach Prüm, Judith nach Tortosa, L. in das Medarduskloster nach Soissons verbracht. Von den Erzbischöfen Ebbo und Agobard beraten, wenn nicht gar getrieben, wollte Lothar den Sturz L.s kirchlich sanktioniert und unwiderruflich gemacht wissen. Das Idoneitätsprinzip, die Auffassung vom Herrschertum als einem von Gott verliehenen Amt in der ecclesia, wurde zu einer Waffe|gegen den Kaiser. Im Okt. 833 erklärten die in Compiègne versammelten Bischöfe, L. habe sein Amt – ministerium sibi commissum – schlecht verwaltet und mahnten ihn zur Kirchenbuße. In Saint-Médard zu Soissons folgte eine feierliche Zeremonie, bei der Ebbo von Reims als Ankläger auftrat. Der gestürzte Kaiser bekannte sich ob vielfacher Schuld, insbesondere der Gewalttaten gegen seine Anverwandten und der Verstöße gegen die Reichsordnung, der Herrschaft unwürdig, legte die Waffen ab und nahm als Exkommunizierter das Büßergewand. Seine Thronfähigkeit sollte damit erloschen sein, ja die Kaiser- und Königswürde schien, kaum zwanzig Jahre nach L.s Thronbesteigung, in eine tödliche Krise geraten.

    Lothar und seine Ratgeber hatten jedoch den Bogen überspannt. Der Abt Hrabanus Maurus von Fulda protestierte gegen die Entthronung des alten Kaisers, den Lothar als Gefangenen mit nach Aachen führte und dem abermals der Klostereintritt nahegelegt wurde. In kürzester Zeit kehrten sich die Fronten wieder um. Durch die harte Behandlung des Vaters, anscheinend aber auch durch den Versuch, die politisch-territoriale Position der Brüder wieder zu beschneiden, brachte Lothar zunächst Ludwig von Bayern, dann auch Pippin von Aquitanien gegen sich auf. Er wich nach Saint-Denis aus, ließ dort aber den Vater und den (inzwischen auch an den Hof geholten) Halbbruder Karl zurück und zog am 28.2.834 fluchtartig nach Burgund ab. Schon am 1.3., einem Sonntag, wurde L. dann in Saint-Denis wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen und als Kaiser anerkannt. Pippin und Ludwig fanden sich bei ihm ein, auch Judith wurde befreit. Der jetzt unausweichlich gewordene, mit grausamer Gewalt ausgetragene offene Kampf schien in eine neue Katastrophe L.s einzumünden, denn an der Bretonengrenze wurde sein Heer geschlagen (der Kanzler Theoto fiel), und Lothar eroberte vom Süden her die Stadt Chalon. Auf die letzte Machtprobe mit den überlegenen Kräften des Vaters ließ er es aber schließlich doch nicht ankommen. So konnte L. im Spätsommer oder Herbst 834 bei Blois die Unterwerfung Lothars entgegennehmen. Er beließ ihm Italien, gebot ihm aber, dieses Land nicht eigenmächtig zu verlassen; mit zahlreichen Getreuen, darunter Wala († 836) und Agobard, kehrte Lothar über die Alpen zurück. Ohne die letzte Teilung anzuerkennen, duldete L., daß Pippin ein nach Norden erweitertes Aquitanien, Ludwig anscheinend die rechtsrheinischen Länder behielt. Mit einer Reichsversammlung in Diedenhofen, einer feierlichen Restitution des Kaisers im Dom der Karolingerstadt Metz (28.2.835) und der Resignation Ebbos als Erzbischof von Reims gingen die fünfjährigen Wirren zu Ende.

    Das Amt des obersten Hofkaplans hatte L. anscheinend schon 830 dem nicht sicher bestimmbaren Abt Fulko anvertraut (bezeugt 833), ihn aber wohl gleich 834, spätestens 836 durch seinen in Treue bewährten Halbbruder EB Drogo ersetzt. Die Leitung der Kanzleigeschäfte ging 834 an seinen anderen Halbbruder, den Abt Hugo, über. Am Hofe war damit wieder Stetigkeit eingekehrt, nicht aber im Reich, für dessen Küstenländer sich die Normannen- und Sarazenengefahr von Jahr zu Jahr steigerte. Trotz einer neuen Aachener Reformsynode von 836 fanden auch die kirchlichen Dinge nicht zu wirklicher Konsolidierung. Vor allem aber blieb die Ausstattung des jüngsten Kaisersohnes Karl eine offene Frage. Ohne Verständigung mit Lothar, der sich gegen die Aussöhnungsbemühungen des Hofes sperrte, bestimmte L. 837 in Aachen weite Länder im Raum zwischen Rhein, Seine und Nordküste als – wohl künftigen – Anteil Karls, den er 838 in Quierzy endlich wehrhaft machen und zum König krönen konnte. Der jüngere Ludwig, der sich erneut auflehnte, wurde wieder auf Bayern beschränkt. Als dann aber Pippin I. von Aquitanien am 13.12.838 starb, war die Bahn frei für die von Judith offensichtlich längst erstrebte Lösung. L. überging den Erbanspruch Pippins II, empfing Lothar zu formeller Aussöhnung auf einer Reichsversammlung in Worms (Juni 839), setzte u. a. auch Agobard wieder in sein Erzbistum ein († 840) und ordnete eine Teilung des Gesamtreiches außer Bayern nur zwischen Lothar und Karl an. Italien und die Länder östlich einer Linie von der Maas zum Genfer See sollten an Lothar, der Westen an Karl fallen. Dieser Entscheidung aber widersetzten sich sowohl Ludwig von Bayern wie eine bedeutende Gruppe des aquitanischen Adels, der Pippin II. zum König ausrief. L. zog nun selber zu Felde, 839 nach Aquitanien, 840 gegen Ludwig. In dieser wirren Situation starb L., nachdem er vom Krankenlager aus den Zweitkaiser Lothar durch Zusendung der Reichsinsignien zum Nachfolger designiert hatte. Sein Bruder Drogo setzte ihn im alten Hauskloster der Karolinger bei.

    Einem Herrschernamen das Attribut pius (oder piissimus) beizulegen, gehörte allgemein zur rhetorisch geprägten Topik der Literatur, der Urkunden und der Münzen. Dieses Epitheton begegnet im 9. Jh. und noch darüber hinaus bei L., bei Ludwig dem Deutschen und selbst bei Ludwig dem Kinde. Abgesehen von einem isolierten Zeugnis bei Notker von St. Gallen (Hludovicus agnomine pii, 887) hat sich diese Bezeichnung als individueller Beiname L.s erst im 10. und 11. Jh. eingebürgert. Sie ist auch in der Wissenschaft fester Sprachgebrauch geworden und entbehrt nicht der Berechtigung, denn persönliche Frömmigkeit und Aufgeschlossenheit für Wesen und Anliegen der Kirche treten bei L. ausgeprägt und vertieft zutage. An der schillernden Duplizität der französischen Titel Louis le Pieux und Louis le Débonnaire ist freilich abzulesen, daß dem Beinamen auch eine negative Note im Sinne der Schwäche, der Nachgiebigkeit gegenüber geistlichem Machtanspruch eignen kann. Der unverkennbare Kontrast zu Karl d. Gr., dessen Format L. sicherlich nicht hatte, eine isolierte, unnuancierte Blickrichtung auf die Szenen von 822 und 833, unreflektiert nationalliberale. Wertungskategorien der Geschichtsschreibung haben solche Vorstellungen zu einem Klischee verdichtet, das die älteren Darstellungen und Handbücher beherrscht, in jüngeren Studien aber differenzierend aufgelok-kert worden ist. In L.s Regierung begegnen sich Kulmination und Wende des fränk.-karoling. Zeitalters, aber daß diese Jahrzehnte schlechthin eine Periode des Verfalls gewesen seien, behauptet niemand mehr. In der Kirchenpolitik vor allem der Anfangszeit, aber auch im Willen zur organisatorischen Straffung des Reiches ließ L. es, bei allem Verdienst seiner Berater, nicht an eigener Energie fehlen; das geistige Leben, die sog. Karoling. Renaissance, fand unter ihm zu gesteigerter Entfaltung, der politischen Konzeption einer einheitlichen Reichsstruktur eignet fraglos ein großer Zug. Als sich dann freilich die Probleme türmten, wußte L., jetzt anders beraten und wechselnd beeinflußt, seine anfängliche Energie nicht mehr zu behaupten. Es liegt zwar vordergründig nahe, wäre jedoch unhistorisch, in des Kaisers persönlichem Versagen die primäre Erklärung für diese Wende sehen zu wollen. Die entscheidenden Gründe waren objektiver Art. Das Programm von 817 war eine theoretische, von den Zeitgenossen auch geistig kaum erfaßte Konstruktion geblieben, der es an den wirtschaftlichen und verkehrstechnischen, administrativen und militärischen Voraussetzungen fehlte. Der Weg zu einer innerdynastischen Aufgliederung des Riesenreiches erscheint im historischen Rückblick als ein strukturbedingter Sachzwang, dem auch ein Karl d. Gr. schwerlich Einhalt geboten hätte. So ist L. als eine zentrale Gestalt des noch gemeinsamen german.-roman. Europa zu sehen, eines Zeitalters, das zur gemeinsamen Basis deutscher und franz. Geschichte gehört – L. wird als erster in der langen Reihe franz. Könige dieses Namens gezählt -, das aber in manchen Bezügen, so in der Kloster- und Kirchenreform, in der neuartigen Polarität von Herrschertum, Adel und Episkopat wie auch in der sich anbahnenden staatlichen Pluralität schon spezifische hochmittelalterliche Probleme, teilweise sogar normgebend, vorweggenommen hat.



    Gestorben:
    auf einer Rheininsel bei Ingelheim

    Ludwig heiratete Irmingard in 794. Irmingard (Tochter von Ingram) wurde geboren um 775/780; gestorben am 3 Okt 818 in Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich; wurde beigesetzt in Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich. [Familienblatt] [Familientafel]


  2. 5.  Irmingard wurde geboren um 775/780 (Tochter von Ingram); gestorben am 3 Okt 818 in Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich; wurde beigesetzt in Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: Fränkische Königin
    • Titel/Amt/Status: römische Kaiserin

    Notizen:

    Irmingard
    Fränkische Königin
    römische Kaiserin
    um 775/80-3.10.818 Angers
    Tochter des Grafen Ingram aus einem hochadeligen Geschlecht aus dem Haspengau in der Nähe von Lüttich (Neffe des Bischofs Chrodegang von Metz)

    Treffer Gerd: Seite 42-44, "Die französischen Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert)"

    Irmingard - die Vorbildliche
    * um 780, + 3. Oktober 818 Angers

    Erste Gemahlin LUDWIGS DES FROMMEN (* 778, Kaiser 814-840), Heirat 794

    Als KARL DER GROSSE - ihr Schwiegervater - 814 stirbt, ist Irmingard 34 Jahre alt und seit 20 Jahren mit dem Thronfolger verheiratet. Ihr Gemahl ähnelt dem großen Kaiser körperlich: LUDWIG ist ein schöner, großer, starker Mann. Er ist weithin bekannt für seine Bildung. Die Gelehrten betrachten ihn zu Beginn dieser neuen Herrschaft als einen Weisen. Bald werden sie eines anderen belehrt werden. Irmingard weiß, daß LUDWIG bald vor Leben überschäumt, bald von tiefen Krisen niedergeschlagen ist. Er will sich als "LUDWIG DER FROMME" bezeichnet wissen, hat diesen Zunamen selbst gewählt. Irmingard fürchtete seine religiösen Krisen, die an Mystizismus und Aberglauben rühren. Jetzt aber ist sie die Königin von Frankreich.
    Irmingard ist eine Enkelin des großen Karl Martell. Ihr Vater Ingramm ist Herr einer Grafschaft im Norden der Meuse und hat beachtlichen Grundbesitz, als sie um 780 in Hesbaye zur Welt kommt. 794, 14-jährig mithin, heiratete sie LUDWIG, der zwei Jahre älter ist und von Papst Hadrian I. 781 gesalbt wurde: zum König von Aquitanien. Irmingard ist eine vorbildliche Ehefrau. 25 Jahre lang führt sie mit LUDWIG eine Ehe ohne Skandale.
    Sechs Kinder werden aus dieser Ehe hervorgehen, darunter LOTHAR, der Erstgeborene (795), der 840 Kaiser sein wird, Pippin (803) und Ludwig (806), der spätere König von O-Franken. Irmingard kann also in Ruhe darauf warten, daß ihren Kindern höchste Ämter zufallen. Sie beobachtet den außerordentlichen Aufstieg ihres Schwiegervaters KARL, der am 25. Dezember 800 von Papst Leo III. in Rom zum Kaiser gekrönt wird. Er herrscht fortan über ein Reich, das - in heutiger Definition - Frankreich, Deutschland, Nord- und Mittelitalien, alle Inseln des westlichen Mittelmeeres umfaßt und sich jenseits der Pyrenäern ausdehnt. Ihr Schwiegervater hat ihrem Mann seinen gerechten Teil zuerkannt, gerecht neben seinen Brüdern Pippin und Karl. Irmingard kann zu Frieden sein. - Die Vorsehung entscheidet anders: am 8. Juli 811 stirbt ihres Mannes jüngerer und kurz darauf am 4. Dezember 811 dessen älterer Bruder. Irmingard ist nunmehr die Frau des alleinigen Erben der Kaiserkrone. Am 10. September 813 assoziiert KARL DER GROSSE ihren LUDWIG und läßt ihn zum Kaiser proklamieren. Er krönt ihn selbst. Das Leben des Paares wird sich wirklich aber erst am 28. Januar 814 verändern. KARL DER GROSSE ist tot. Irmingard und LUDWIG verlassen Aquitanien und richten sich in Aachen ein.
    816 wird LUDWIG seinen Beinamen DER FROMME auch förmlich erwerben. 813 von seinem Vater zum Mitregenten erhoben, fehlen dem frommen und kirchentreuen Mann noch die geistlichen Weihen. Um so begeisterter ist er, als es ihm nun gelingt, den Papst zu einer Reise ins Frankenreich zu bewegen und sich von diesem am 5. Oktober 816 zum Kaiser krönen lassen. "Als sie sich in der großen Ebene bei Reims trafen, stiegen sie beide vom Pferde; der Kaiser warf sich dreimal mit ganzem Körper zu den Füßen des höchsten Bischofs nieder. Darauf beehrte der Papst mit großen und vielen Geschenken ihn und die Königin Irmingard und alle seine Vornehmen und Diener. Und am nächsten Sonntag in der Kirche vor der Messe weihte er ihn vor der Geistlichkeit und allem Volke und salbte ihn zum Kaiser; und eine goldene Krone von wunderbarere Schönheit mit den wertvollsten Edelsteinen geschmückte, die er mitgebracht hatte, setzte er ihm auf. Und die Königin Irmingard begrüßte er als Kaiserin und setzte ihr eine goldene Krone aufs Haupt."
    816: die Kathedrale von Reims ist der Ort, auf den sich die Augen der Welt richten. Hier werden LUDWIG I. DER FROMME, und seine Gemahlin Irmingard von Papst Stephan IV. gesalbt und gekrönt. In Frankreich wird es künftig zwei Heiligtümer geben: Saint-Denis, wo die Könige begraben werden, von hier zieht man aus zu Kreuz und Kriegszügen. Und Reims, wo man die rechtmäßigen Herrscher über Frankreich krönt.
    LUDWIG, sagen seine Kritiker, hat nicht das kriegerische Format seines Vaters. In der Tat, er kümmert sich eher um die Verwaltung des ererbten - und gewaltigen - Reiches. Er vertraut die Regierungsgeschäfte der drei Königreiche seinen Söhnen an, die Irmingard ihm geschenkt hat. Irmingard mag in ihrem Herzen Befriedigung finden: drei Söhne, drei Königreiche.
    817 entscheidet LUDWIG über das Los des Reiches. Steht Irmingards Mann nicht unter dem Einfluß seiner religiösen Wahnvorstellungen, ist er durchaus in der Lage, einen souveränen Herrscher abzugeben. LUDWIG beschließt, daß LOTHAR, der älteste Sohn, ihm auf dem kaiserlichen Thron nachfolgen soll, Pippin soll über Aquitanien herrschen und der nachgeborene Ludwig über Bayern. Eine weise Entscheidung. Wäre sie respektiert worden, hätte sie bald für die künftigen Generationenn ein unverletzliches Dogma dargestellt und jahrhundertelange Kriege zwischen christlichen Nationen vermieden.
    Wenig später ist LUDWIGWitwer. Irmingard stirbt am 13. Oktober 818 im Alter von 38 Jahren in Angers. Die nachfolgenden Intrigen bleiben ihr erspart. Ihr Gemahl ist erschüttert. Er erträgt seinen Witwerstand - sagt man - nur schwer. Um eine neue Ehefrau zu finden, bedient er sich eines bislang im westlichen Lebenskreis einzigartigen Verfahrens: wie ein Satrap läßt er die schönsten Frauen seines Reiches zusammenrufen; er veranstaltet einen Schönheitswettbewerb. LUDWIG DER FROMME wird eine Schönheitskönigin wählen.

    Werner Karl Ferdinand: Seite 444, "Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1.-8. Generation)"

    II. Generation 6 b
    Zur Familie der Ermengard (Irmgard) Werner, KdG 1, 119 Anm. 133/34.

    Konecny Silvia: Seite 73,89,99

    "Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert."
    Den etwa 16-jährigen LUDWIG DEN FROMMEN verheiratete KARL DER GROSSE bereits 794 mit Ermengard, der Tochter des Grafen Ingram. Dieser gehörte dem Geschlecht der ROBERTINER an, die schon im 7. Jahrhundert Kontakte zu den KAROLINGERN unterhielten. Noch bevor LUDWIG DER FROMME Ermengard heiratete, scheint er eine Verbindung eingegangen zu sein, der Alpais und Arnulf entstammten. Möglicherweise hatten diese beiden LUDWIGS-Kinder auch verschiedene Mütter, sodaß der anonyme Biograph LUDWIGS vielleicht nicht zu Unrecht bemerkt hat, daß die Ehe mit Ermengard den jungen König vor Ausschweifungen bewahren sollte. Anderseits war in der karolingischen Historiographie Prüderie dieser Art wiederholt ein beliebter Topos, hinter dem sich politische Entscheidungen ersten Ranges verbargen. Es fällt auf, daß LUDWIGS Heirat von verschiedenen Veränderungen in Aquitanien begleitet wurde. LUDWIG, der seit der Heerfahrt nach Benevent am Hof seines Vaters gelebt hatte, kehrte im Frühjahr 794 nach Aquitanien zurück. Ihn begleiteten "comites", die KARL beauftragt hatte, LUDWIGS Stellung in Aquitanien zu festigen. Die Ehe mit Ermengard mag eine Grundlage für die Maßnahmen der folgenden Zeit geschaffen haben, die tatsächlich die Macht des aquitanischen Adels beschnitten. Vielleicht wurde durch die Ehe mit Ermengard auch eine Verbindung beendet, durch die der aquitanische Adel LUDWIG unter seinen Einfluß bringen wollte. LUDWIGS Ehe mit Ermengard scheint in der Form des Konkubinats mit einem adeligen Mädchen eingegangen worden zu sein. Ähnlich wie im Fall der Ehe Pippins III. mit Bertrada herrscht über das Datum dieser Eheschließung Unsicherheit, berichteten doch die Reichsannalen darüber zum Jahre 788, während LUDWIGS und Ermengards ältester Sohn LOTHAR schon 785 geboren wurde. Bezeichnend ist überdies, daß Ermengard erst 816 gekrönt wurde, an LUDWIGS Erhebung zum Mitkaiser im Jahre 813 aber nicht teilnahm.
    LUDWIGS eigene Ehe entsprachen seit seiner Alleinregierung dem "kanonischen" Eherecht. Die Vollehe mit Ermengard, die zunächst wohl seine Konkubine gewesen war, besiegelte der Kaiser bei seiner Festkrönung, die 816 anläßlich der Anwesenheit des Papstes im Frankenreich stattfand. Ermengard wurde ebenfalls gekrönt und gleichzeitig, wie Ermoldus Nigellus berichtet, von LUDWIG als Ehefrau wiederempfangen und behalten. Daraus kann der Zusammenhang zwischen ihrer Stellung als Königin und Ehefrau einer Vollehe vermutet werden. In ähnlicher Weise hatte auch Pippin III. 751 Bertrada zur Königin gemacht.
    Die Stellung von LUDWIGS erster Frau Ermengard ist wenig bezeugt. Sie teilte auch nur vier Jahre der Alleinregierung des Gatten. Im Jahre 816 wurde sie zugleich mit LUDWIG gekrönt und repräsentierte so gemeinsam mit ihm das Kaisertum. Gelegentlich trat sie als Intervenientin auf, gehörte also zu jenem Familienkreis am Hof, der Anliegen und Bitten an den Kaiser weiterleitete. Besonders die aquitanischen Reformer scheinen in Ermengard eine Fürsprecherin gefunden zu haben. Vielleicht bestanden mit Benedikt von Aniane so starke Kontakte, daß auch von einer Teilnahme Ermengards an geistlich-kulturellen Belangen gesprochen werden kann.

    Riche Pierre: Seite 173,179, "Die Karolinger. Eine Familie formt Europa."

    Die WIDONEN waren mit den ROBERTINERN verbunden, einer Familie, die ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zum Herrscherhaus stärken konnte durch die Eheschließung zwischen König Ludwig von Aquitanien und Ermengard, der Tochter des Grafen Ingram, eines Neffen Bischof Chrodegangs von Metz.
    Der neue Kaiser war schon 36 Jahre alt und seit 794 mit Ermengard, Tochter des Grafen Ingram, verheiratet, die ihm drei Söhne geboren hatte: LOTHAR (795), Pippin (797) und Ludwig (806).

    Schieffer Rudolf: Seite 114,117,119, "Die Karolinger"

    Am Aachener Hof, der jahrzehntelang ganz auf KARL DEN GROSSEN fixiert gewesen war, rückte nun LUDWIGS Familie in den Mittelpunkt, nämlich seine Gemahlin Irmingard, Tochter des Grafen Ingram (aus dem vornehmen Geschlecht Chrodegangs und Angilrams von Metz), mit der seit 794 verheiratet war, samt ihren Söhnen LOTHAR (* 795), Pippin (* um 797) und Ludwig(* um 806) sowuie den Töchtern Rotrud und Hildegard.

    Werner Karl Ferdinand: Band I Seite 119, in: Braunfels Wolfgang: "Karl der Große Lebenswerk und Nachleben"

    Den ROBERTINERN war zur Zeit KARLS DES GROSSEN verwandtschaftlich verbunden das Haus der Ingramn, Angilramn, Angilbert, Ingobert, aus dem KARL die Frau für seinen Sohn LUDWIG, den späteren Kaiser, nahm [Der Vater der Kaiserin Ermengard/Irmgard war Graf Ingramn, ein Neffe von Chrodegang von Metz und Enkel von dessen Vater Sigramn, vgl. Paulus Diaconus, Gesta ep. Mettensium, MG SS 2, Seite 267. Zur gleichen Familie gehört Chrodegangs Nachfolger in Metz (768) und Erzkaplan KARL DES GROSSEN (784ff.) Angilramn, vgl. Fleckenstein, Hofkapelle (wie Anmerkung 102), Seite 48ff., namentlich Seite 49 Anmerkung 29.
    Es ist auch darauf hinzuweisen, daß Angilram die Hausabtei des Vaters der Landrada (der Gemahlin des Sigramn), Robert, dux Hasbaniae, nämlich Saint-Trond innehatte und die dortige Geschichtsschreibung ebenso veranlaßte wie diejenige für Metz durch Paulus Diaconus. Dieser enge Zusammenhang der Irmingard-Sippe mit den ROBERTINERN erklärt zugleich die bedeutende Rolle mehrerer Träger dieses Namens unter LUDWIG DEM FROMMEN (vgl. die Liste der Missi von 825, MG. Capit. 1, Nr. 151, Seite 308), darunter des Vaters Roberts des Tapferen (vgl. Glöckner [wie Anmerkung 120]). Sie hat letztlich den Grund gelegt zur starken Stellung Roberts des Tapferen am Hof KARLS DES KAHLEN, der ja vom Adel her gesehen die Verlängerung der Anit-LOTHAR-Partei am Hof LUDWIGS DES FROMMEN war. - Ganz offenbar ein naher Verwandter der Irmgard war ein Ingobertus comes und missus, führender fränkischer Feldherr unter KARL DEM GROSSEN und im Aquitanien König LUDWIGS.]. Die Ursprünge auch dieses Geschlechts weisen auf Neustrien [Sigiramnus im Hochadel ist uns bezeugt in der Umgebung des burgundischen Hausmeiers Flaochad. Gemeinsam mit der Schwester des Flaochad aufgezogen, wird jener Sigiramnus Mundschenk am Hof Chlodwigs II. (639-657), dann aber Kleriker und Gründer eines Klosters auf einer Domäne des Flaochad, das nach ihm Saint-Cyran heißt. Vgl. Vita Sigiramnis abbatis Longorentensis, hrsg. von B. Krusch, MG SS. rer. Merov. 4, Seite 606-625, und die Einleitung Kruschs, ebd. Seite 602ff. Der Vater des Sigiramnus war Sigilaicus, ein fränkischer Großer, der dann Bischof von Tours geworden war. Auch der andere Leitname des Hauses, Ingramn, den der Schwiegervater LUDWIGS DES FROMMEN trug, findet sich schon 693 für einen vornehmen irfanulus Ingramnus, dessen Vater Chaldedramnus hieß und dem gerichtlich ein Besitztum im Gebiet von Verdun erstritten wird, D. Merow. 66 . - Ingobert endlich ist der Name des neustrischen Großen, der zusammen mit Amalbert den Sturz Childerichs III. ins Werk setzte, vgl. Cont. Fred. 2, hrsg. von Walalce-Hadrill, Seite 81. 692 begegnet die Witwe Agantrud, mit Besitz im Gau Chambly (Beauvaisis), D. Merow. 64, und 711 finden wir in der neustrischen Pfalz Montmacq (D. Merow. 79) den inluster vir Ingobertus, der dort den Pfalzgrafen Ratbert vertritt. Wie dieser (siehe oben Seite 117f.) repräsentiert er als die Pippin II. in Neustrien gewogene und dadurch im Dienst der KAROLINGER, auch in Austrien, hervortretende Adelsschicht nicht-austrasischen Ursprungs.].

    Friese Alfred: Seite 98-103, "Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels"

    Von Ebroin aus ihren einflußreichen Stellungen verdrängt und verfolgt, ist die Familie in das Lager Pippins des Mittleren übergetreten und für ihre Verluste im niederrheinischen Kernland der KAROLINGER entschädigt worden. Im Bündnis mit ihnen sind die ROBERTINER in der Mitte des 8. Jahrhunderts nicht nur in reichspolitisch wichtige Missionen an der Kurie und am langobardischen Königshof tätig, sondern auch Grafen im Oberrhein- und Wormsgau (Robert I. und sein Sohn Cancor), wenig später außerdem in der Wetterau und im Lahngebiet (Heimo/Heimerich, comes). Sie gründen 764 das Kloster Lorsch im Weschnitzgrund, das ihr Verwandter Chrodegang, Bischof von Metz und Jugendfreund Pippins I. seit der gemeinsamen Erziehung in der schola palatii [Vita Chrodegangi (MG SS X) Seite 556; M. Buchner in ZRG Kan. Abt. 16, 1927 Seite 1-36 hat die Vita als kirchenpolitische Tendenzschrift für Erzbischof Drgo von Metz, einen illegitimen Sohn KARLS DES GROSEN, interpretiert. - Paulus diac. erzählt in seiner Metzer Bischofsgeschichte (MG SS II) Seite 267 von den Vorfahren des Bischofs: ex pago Hasbaniensis oriundus, patre Sigrammo, matre Landrada, Francorum ex genere primae nobilitatis progenuit. - Die hier genannte Landrada war mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schwester des ROBERTINERS Cancor (comes). Ihre lange angenomme Abstammung von Karl Martell hat E. Hlawitschka: in: Karl der Große I Seite 76 nr. 26 schlüssig widerlegt; ihr Gemahl Sigram entstammt einem neustrischen Adelshaus, das schon mit der Familie des Ingram und Ingobert Anfang des 7. Jahrhunderts in der Umgebung Chlothars II. auftritt (Fred. IV, 42; Vita Sigirammis abb. Longoretensis (ed. B. Krusch) MG SS Rer Mer IV Seite 606-625). Aus dieser Sippe stammt die Gemahlin LUDWIGS DES FROMMEN, Irmgard, deren Vater, Graf Ingram, ein Neffe Chrodegangs von Metz war (Paulus diac. ebd.). So werden die engen Bindungen der ROBERTINER an LUDWIG DEN FROMMEN und ihre Stellungnahme gegen seine aufständischen Söhne im W- und O-Frankenreich erklärlich. Auch der Nachfolger Chrodegangs, Erzbischof Angilram von Metz (768) und Erzkaplan KARLS DES GROSSEN (784), der die Robertinische Hausabtei St. Trond erhielt, gehört in diese Familie; J. Fleckenstein: Hofkapelle Seite 106.], mit Mönchen aus seiner Stiftung Gorze (748) bevölkert und greifen damit nach O-Franken über.

    794 oo LUDWIG I. DER FROMME 16.4.778-20.6.840

    Kinder:
    - LOTHAR I. 795-29.9.855
    - Pippin um 797-13.12.838
    - Ludwig II. der Deutsche 806-28.8.876
    - Rotrud 800-
    oo Rather Graf von Limoges -25.6.841
    oder
    oo Gerhard Graf von Auvergne -25.6.841
    - Hildegard Äbtissin von Notre-Dame in Laon 802/04-23.8.860
    oo Rather Graf von Limoges -25.6.841
    oder
    oo Gerhard Graf von Auvergne - 25.6.841

    Literatur:
    Dümmler Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Verlag von Duncker und Humblot Berlin 1865 Band I Seite 19,42 - Friese Alfred: Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels. Der mainländisch-thüringische Raum vom 7. bis 11. Jahrhundert. Klett-Cotta Stuttgart 1979 Seite 98-103 - Glocker Winfrid: Die Verwandten der Ottonen und ihre Bedeutung in der Politik. Böhlau Verlag Köln Wien 1989, Seite 90 - Konecny Silvia: Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert. Dissertation der Universität Wien 1976, Seite 73,89,99 - Riche Pierre: Die Karolinger. Eine Familie formt Europa. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1991, Seite 173,179 - Schieffer Rudolf: Die Karolinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1992, Seite 114,117,119 - Schneidmüller Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 43,45 - Schnith Karl Rudolf: Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1990, Seite 45,50,60 - Treffer Gerd: Die französischen Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert) Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996, Seite 42 - Werner Karl Ferdinand: Bedeutende Adelsfamilien im Reich Karls des Großen. Band I Seite 83-142 in: Braunfels Wolfgang: Karl der Große Lebenswerk und Nachleben. Verlag L. Schwann Düsseldorf Band I Seite 119 - Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1995, Seite 426 - Wies Ernst W.: Otto der Große. Kämpfer und Beter. Bechtle Verlag Esslingen 1989, Seite 24 -

    Notizen:

    Bei den Kindern 6 und 7 (ohne Namen) handelt es sich nochmals um die Töchter Hildegard bzw. Rotrud (mit Verknüpfung zu den Ehepartnern)

    Kinder:
    1. von Franken, Lothar I. wurde geboren in 795; gestorben am 29 Sep 855 in Prüm [54595],Bitburg-Prüm,Rheinland-Pfalz,Deutschland; wurde beigesetzt in Prüm [54595],Bitburg-Prüm,Rheinland-Pfalz,Deutschland.
    2. von Aquitanien, Pippin I. wurde geboren um 797; gestorben am 13 Dez 838; wurde beigesetzt in Poitiers [86000],Vienne,Poitou-Charentes,Frankreich.
    3. von Franken, Rotrud wurde geboren in 800.
    4. von Franken, Hildegard wurde geboren um 802; gestorben am 23 Aug 860.
    5. 2. von Franken, Ludwig II. wurde geboren in 805/806 in Aquitanien,Frankreich; gestorben am 28 Aug 876 in Frankfurt am Main [60311],Hessen,Deutschland; wurde beigesetzt in Lorsch Kloster [64653],Bergstraße,Hessen,Deutschland.
    6. von Franken, (Tochter) wurde geboren in um 800/802.
    7. von Franken, (Tochter) wurde geboren in um 800/802.

  3. 6.  Welf gestorben um 825.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: Graf im Frankenreich

    Notizen:

    Welf Graf im Frankenreich
    - 3.9. um 825
    Sohn des Grafen Isebrand ?

    Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte 2143

    Welf, Vater der Kaiserin Judith, war Spitzenahn der WELFEN.

    Die Vermählung seiner Tochter Judith mit Kaiser LUDWIG DEM FROMMEN 819 zeigt Welf in der karolingischen Reicharistokratie. Er gehörte einem sehr vornehmen bayerischen Geschlecht an, zu seinen Vorfahren zählte aber auch der fränkische Graf Ruthard um die Mitte des 8. Jahrhunderts. Welf war mit der edlen Sächsin Heilwig verheiratet, die später Äbtissin der berühmten westfränkischen Abtei Chelles wurde (+ nach 833). Ob Welf, wie nachmals sein Sohn Konrad, gräfliche Positionen in Alemannien nördlich des Bodensees ausübte, wo die WELFEN später ihr Herrschaftszentrum hatten, bleibt ungewiß. In der welfischen Tradition des 12. Jahrhunderts begegnet Welf auch unter dem Namen Eticho, der durch die Heirat seines Sohnes Konrad mit der ETICHONIN Adelheid in das Namensgut der Familie eingedrungen ist.

    Heine Alexander (Hg.): Seite 35, "Geschichte der Welfen"

    3. Welf zeugte also einen Sohn namens Eticho und eine Tochter Judith. Die Judith führte Kaiser LUDWIG mit dem Beinamen DER FROMME, der Sohn KARLS DES GROSSEN als Gattin heim, nachdem seine Gemahlin Irmingard [1 Irmingard war am 3. Oktober 818 gestorben, LUDWIG vermählte sich im Februar 819 mit Judith in Aachen.] gestorben war, mit welcher er die Söhne LOTHAR, Pipin und Ludwig gezeugt hatte.

    Thegan: Seite 232, "Das Leben Kaiser Ludwigs. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V"

    26. Im folgenden Jahr aber heiratete er die Tochter seines Herzogs Hwelf, aus einem sehr vornehmen Geschlecht der Bawarier, Namens Judith, welche durch ihre Mutter Eigilwi einem vornehmen sächsischen Geschlecht angehörte, und macht sie zur Königin. Denn sie war schön. In demselben Jahre hielt er eine allgemeine Reichsversammlung in dem Königshof Ingelheim.

    Das Leben Kaiser Ludwigs vom sogenannten Astronomus: Seite 308 in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V

    32. Um diese Zeit dachte er auf den Rat der Seinigen in eine neue Ehe zu treten; denn viele fürchteten, er möchte die Regierung des Reichs ganz niederlegen. Endlich tat er ihrem Willen Genüge und nahm, nachdem er die von allen Seiten her ihm vorgeführten Töchter der Vornehmen gemustert hatte, Judith, des edeln Grafen Welpo Tochter, zur Gemahlin.

    Die Reichsannalen mit Zusätzen aus den sogenannten Einhardsannalen: Seite 118, in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V 819
    Nach Weihnachten wurde zu Aachen ein Reichstag gehalten, auf dem viel über den Zustand der Kirchen und Klöster verhandelt und beschlossen wurde; auch die Gesetze ergänzte man durch einige höchst notwendige Zusatzbestimmungen. Hierauf wählte sich der Kaiser, der zuvor die meisten Töchter der Vornehmen angesehen hatte, Judith, die Tochter des Grafen Welf, zur Gemahlin.

    Thiele, Andreas: Tafel 27"Erzählende genealogische Stammtafeln zur europäischen Geschichte Band I, Teilband 1"

    HEILWIG
    + nach 825 als Äbtissin von Chelles (bei Paris)
    Tochter des Grafen Isanbart in Sachsen (Sohn des Grafen Warin) und der Thietrade, Tochter des KAROLINGERS Bernhard
    oo WELF (WELFHARD) + um 825

    Welf gehörte zur fränkischen Reichsaristokratie, anders sind die Ehen seiner Töchter nicht zu erklären. Er war auf jeden Fall kein Schwabe oder Bayer und wurde in den Quellen sogar schon "Dux" genannt, auch war er Graf in Bayern und Schwaben, ohohne dass genaue Herrschaftsbereiche und Besitzbereiche auszumachen waren. Seine Familie kam wohl erst durch seine Frau zu ihrem Besitz in Schwaben. Er war möglicherweise Graf im Zürichgau und Argengau/Schussenried und wurde nur 819 aus Anlaß der Hochzeit seiner Tochter namentlich genannt. Die wahrscheinlichen Schwiegereltern und Großeltern sind einzige greifbare Vorfahren, agnatisch nirgends faßbar.

    Schmid Karl: Seite 443, "Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter"

    Denn auf Welf, den Vater der Kaiserin Judith, treffen die Aussagen über den freiheitsstolzen, den Kaiserhof und die Kaiserabhängigkeit meidenden Eticho in frappierender Weise zu. Ein einziges Mal nämlich nur, anläßlich der Vermählung seiner Tochter mit dem Kaiser, taucht er in den Quellen auf. Ansonsten schweigt sich die Überlieferung über den Vater der Kaiserin Judith aus, dem immerhin bei seiner Erwähnung die Titel dux und comes zuerkannt wurden und der als Gemahl einer vornehmen Sächsin wohl selbst ein angesehener Mann gewesen sein muß [Der Annahme, Welf sei als "älterer Mann" vor 825 gestorben, da seine "Witwe" Heilwig im Jahre 825 Äbtissin des Klosters Chelles geworden ist, steht entgegen, dass Welfs Kinder erst nach Judiths Vermählung 819 in Erscheinung getreten (Hemmas Heirat: 827, Konrads und Rudolfs erste Bezeugung: 829) und zudem verhältnismäßig spät gestorben sind (Konrad: 863, Rudolf: 866, Hemma: 876) und dass die Äbtissin Heilwig von Chelles zwar sancta Deo, aber nicht "Witwe" genannt wird. Ein "Rückzug" Welfs scheint angesichts der Quellenlage nicht ausgeschlossen.]. Man hat die Königsferne Welfs, die zumindest bis zum Jahr der Heirat Judiths (819) währte, mit dem Schicksal des welfischen Vorfahren Ruthard in Zusammenhang gebracht [Dass die Herkunftssage des Namen Welf auch mit Warins Sohn Isanbard in Verbindung gebracht worden ist, der ebenfalls die Ungnade KARLS DES GROSSEN auf sich gezogen habe, soll nicht unerwähnt bleiben.]. Dieser einflußreiche Sachwalter des fränkischen Königs, der in Alemannien ein eigenmächtiges Regiment zum großen Leidwesen vor allem des St. Galler Abtes Otmar geführt hatte, verlor unter KARL DEM GROSSEN die Gunst des Königs und verschwand von der politischen Bühne, auf der sein Nachfahre Welf in auffallender Entsprechung nicht in Erscheinung trat. Die vage Andeutung der Historia Welforum, der WELFEN-Name sei anfänglich verschmäht worden, könnte sehr wohl auf Ruthards Missetaten dem heiligen Otmar gegenüber und seine Ungnade beim König Bezug nehmen, auf ein Urteil, das möglicherweise auf seinen Nachfahren Welf übertragen worden ist und diesen erbittert hat. Jedenfalls darf dem gewiß nicht unbedeutenden, aber in Distanz zum Hof lebenden Welf jenes Verhalten zugetraut werden, das dem freiheitsstolzen Eticho zugeschrieben wird, der selbst dem Kaiser gegenüber auf Unabhängigkeit pochte.

    Fleckenstein Josef: Seite 72,114, "Die Herkunft der Welfen"

    Die neuere Forschung erblickt in dem Vater der Kaiserin Judith, dem Grafen Welf, mit Recht den ersten, quellenmäßig direkt und damit sicher bezeugten Angehörigen des berühmten Geschlechts der WELFEN.
    Aber schon die erste und einzige sichere Bezeugung Welfs anläßlich der Heirat seiner Tochter und LUDWIGS DES FROMMEN läßt erkennen, dass Welf kein homo novus war: er entstammte einer progenius nobilissima, wird comes nobilissimus und dux genannt - Bezeichnungen, die als Attribute der karolingischen Reichsaristokratie gelten dürfen und die den Grafen Welf als ihr bereits zugehörig ausweisen.
    Die Verknüpfung Ruthards mit den WELFEN erlaubt uns nur, in Welf, dem Vater der Kaiserin Judith, einen Nachkommen Ruthards zu sehen. Ob er sein Sohn, sein Enkel [818 war Welf bereits ein älterer Mann; vor 825 ist er gestorben. Das spricht allerdings dafür, dass er der Sohnes- und nicht der Enkel-Generation Ruthards angehört hat.], vielleicht auch nur sein Neffe gewesen ist, ist nicht bezeugt und muß daher offen bleiben.
    Dass Ruthard die königliche Gunst verloren hatte, bestätigt sich konkret eben dadurch, dass er auch politisch zurückgetreten ist. Dann konnte aber auch Welf unter KARL DEM GROSSEN vermutlich von vornherein nicht stärker hervortreten, wenn er ein Nachkomme Ruthards war, auf den sich die Ungnade des Königs übertragen hatte. Und sein Erscheinen im Jahre 819 bedeutete dann vor allem die Rückgewinnung der königsnahen Stellung, die Ruthard für sich und sein Geschlecht verloren hatte. So spiegelt sich, wie es scheint, auch noch in der vorübergehenden Königsferne der Zusammenhang zwischen Ruthard und Welf.

    oo Heilwiga, Tochter des Grafen Isanbart um 778- nach 833
    Kinder:
    - Judith - 19.4.843
    819 oo 2. LUDWIG I. DER FROMME 16.4.778-20.6.840
    - Hemma - 31.1.876
    827 oo Ludwig II. der Deutsche 806-28.8.8786
    - Konrad I. Graf im Argen- und Linzgau -16.2.863
    - Rudolf Graf im Gau Ponthieu - 6.1.866
    - Hrodroh

    Literatur:
    Annalista Saxo: Reichschronik a. 1126 - Ay, Karl-Ludwig/Maier, Lorenz/Jahn Joachim: Die Welfen. Landesgeschichtliche Aspekte ihrer Herrschaft. Universitätsverlag Konstanz GmbH 1998 Seite 9,25, 29,53,58-62,98,135 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986 Seite 166,169,227, 288 - Boshof Egon: Ludwig der Fromme. Primus Verlag Darmstadt 1996 Seite 152,153 - Das Leben Kaiser Ludwigs vom sogenannten Astronomus. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1974 Seite 308 - Die Reichsannalen mit Zusätzen aus den sogenannten Einhardsannalen. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1974 Seite 118 - Dümmler Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Verlag von Duncker und Humblot Berlin 1865 Band I Seite 28 - Fleckenstein Josef: Über die Herkunft der Welfen und ihre A Anfänge in Süddeutschland.in: Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des Großfränkischen und frühdeutschen Adels Eberhard Albert Verlag Freiburg im Breisgau 1957, Seite 71-136 - Hechberger Werner: Staufer und Welfen 1125-1190. Zur Verwendung von Theorien in der Geschichtswissenschaft Böhlau Verlag-Köln-Weimar Wien 1996 Seite 118, 173-175,179 - Heine Alexander (Hg.): Geschichte der Welfen. Phaidon Verlag GmbH Essen - Herm, Gerhard: Karl der Große. ECON Verlag GmbH, Düsseldorf, Wien, New York 1987 Seite 321 - Jordan, Karl: Heinrich der Löwe, Deutscher Taschenbuch Verlag 1993 Seite 2,295 - Konecny Silvia: Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jahrhundert. Dissertation der Universität Wien 1976 Seite 93 - Rappmann Roland/Zettler Alfons: Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998 Seite 429 - Schmid Karl: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983, Seite 424-453 - Schneidmüller Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000 Seite 18,23-26,30,42,43,45-51,59, 71,114 - Schnith Karl Rudolf: Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1990 Seite 45,60 - Stälin, Paul Friedrich: G Geschichte Württembergs, Gotha 1882 Seite 250 - Tellenbach Gerd: Exkurs Über die ältesten Welfen im West- und Ostfrankenreich. in: Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des Großfränkischen und frühdeutschen Adels Eberhard Albert Verlag Freiburg im Breisgau 1957, Seite 335-340 - Thegan: Das Leben Kaiser Ludwigs. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1974 Seite 232 - Thiele, Andreas: Erzählende genealogische Stammtafeln zur europäischen Geschichte Band I, Teilband 1, R. G. Fischer Verlag Frankfurt/Main 1993 Tafel 27 -

    Gestorben:
    3.9.

    Welf heiratete Heilwiga. Heilwiga (Tochter von Isanbart und Thietrade) wurde geboren um 778; gestorben nach 833. [Familienblatt] [Familientafel]


  4. 7.  Heilwiga wurde geboren um 778 (Tochter von Isanbart und Thietrade); gestorben nach 833.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Beruf: Chelles [77500],Seine-et-Marne,Île-de-France,Frankreich; Äbtissin von Kloster Chelles
    • Titel/Amt/Status: Gräfin

    Notizen:

    Heilwiga Gräfin
    Äbtissin von Kloster Chelles
    um 778- nach 833
    Tochter des Grafen Isanbart

    Thegan: Seite 232, "Das Leben Kaiser Ludwigs. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V"

    26. Im folgenden Jahr aber heiratete er die Tochter seines Herzogs Hwelf, aus einem sehr vornehmen Geschlecht der Bawarier, Namens Judith, welche durch ihre Mutter Eigilwi einem vornehmen sächsischen Geschlecht angehörte, und macht sie zur Königin. Denn sie war schön. In demselben Jahre hielt er eine allgemeine Reichsversammlung in dem Königshof Ingelheim.

    Heilwiga war höchstwahrscheinlich eine Mutterschwester des Ekbert dux und wurde als Witwe Äbtissin von Chelles bei Paris (825/26-833).

    Schneidmüller Bernd: Seite 43,46.49,51, "Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung."

    Welf war mit der sächsischen Adligen Eigilwi/Heilwig vermählt, die mit ihren Kindern etwas klarer in der Gedenküberlieferung bezeugt ist und als Äbtissin des bedeutenden Königsklosters Chelles 825/26 verstarb.
    Mehr über Judiths Eltern meldete im 9. Jahrhundert allein der Trierer Chorbischof Thegan, der Kaiser LUDWIGS Taten noch zu dessen Lebzeiten beschrieb: "Im folgenden Jahr vermählte er sich mit der Tochter seines Herzogs Welf, der einer hochadeligen Familie der Bayern entstammte. Das Mädchen hieß Judith und gehörte von seiten seiner Mutter Heilwig einem hochadeligen sächsischen Geschlecht an. Judith erhob er zur Königin; denn sie war von großer Schönheit." Die Ehe Welfs mit der sächsischen Adligen Heilwig, später Äbtissin im Kloster Chelles (um 825), markiert die Fähigkeit zu weitgespannter adliger Heiratsverbindung
    Die vielfache KAROLINGER-Nähe in der Generation LUDWIGS DES FROMMEN und seiner Söhne zeigte indirekt die Bedeutung Welfs und seiner Gattin Heilwig an.

    Borgolte Michael: Seite 169,288, "Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie."

    Im Verbrüderungsbuch glaubt man Konrad zweimal nachweisen zu können (Tellenbach, Welfen). Auf der ersten Seite der NOMINA AMICORUM UIUENTIUM des Reichenauer Codex steht im Anschluß an karolingische Herrscher und ihre Frauen die Sequenz: Heiluuig, Chuonrat, Ruadolf, Ruadroh, Hemma, Morentio (98 A2): Davon dürfte der Name Heilwig die Gemahlin des älteren Welf (I), Chuonrat, Ruadolf und Hemma deren Kinder, Geschwister der Kaiserin Judith, bezeichnen.
    Man erfährt dabei, daß Welf de nobilisima progenie Baworiorum hervorgegangen und mit Heilwig verheiratet war, die 'aus edelstem sächsischen Geschlecht' stammte (Thegan). Die weitreichenden Beziehungen Welfs, die unter anderem in der Vermählung mit Heilwig aufscheinen, lassen es durchaus im Ungewissen, wo der Vater Judiths zu Amt und Ansehen gelangt war (zu Heilwig: Wenskus, Sächsischer Stammesadel 253,275; Hlawitschka, Liudolfinger 153 A. 252; Metz, Heinrich "mit dem goldenen Wagen" 142-149).
    Nach der Translatio s. Baltechildis (284f.) ist Welfs Gemahlin Heilwig um 826 Äbtissin des Klosters Chelles geworden; daraus ist seit Stälin (252) wiederholt gefolgert worden, Welf sei vor diesem Termin verstorben (sepp 1 A. 1, Fleckenstein 114 mit A. 238, danach Schnath und Jordan 295). Demgegenüber hat Schmid (Welfisches Selbstverständnis 406 A. 38) mit Recht betont, daß die Bezeichnung sacrata Deo abbatissa für Heilwig nicht unbedingt auf Witwenschaft schließen lasse. Schmid meinte, daß die Kaiserferne, durch die Eticho, der Vater Heinrichs "mit dem goldenen Wagen", in der welfischen Historiographie charakterisiert ist, auf Welf passe, so daß dem ältesten belegten WELFEN nach der Kaiserheirat der Tochter ein "Rückzug" zuzutrauen sei; durch diesen könne dann auch Heilwig veranlaßt worden sein, den Schleier zu nehmen.
    Ein Eintrag im Liber Viventium von Pfäfers (pag. 165) bietet eines der beiden bisher bekannten sicheren Zeugnisse; er lautet: Pro Rodulfo comite. Rodulf, Roduna, Hemma, Heiluuic, Velf, Chvanrat (...). Welf steht hier neben seiner Ehefrau Heilwig und nach seiner Tochter Hemma.

    Hlawitschka, Eduard: Seite 153 A. 252, "Zur Herkunft der Liudolfinger und zu einigen Corveyer Geschichtsquelle"

    W. Metz, Heinrich mit dem goldenen Wagen (wie Anmerkung 202) Seite 143 ff., möchte die Verwandtschaft der EGBERTINER/COBBONEN mit den KAROLINGERN in ganz anderer Weise erklären, und zwar über die WELFEN. Er möchte Eigilwi/Heilwich, die Gemahlin des Grafen Welf und Mutter der zweiten Gemahlin LUDWIGS DES FROMMEN namens Judith, und Graf Egbert als Geschwister (eventuell auch als Cousin und Cousine) auffassen. Die Verwandtschaft Haduwys von Herford mit KARL DEM KAHLEN wird also über KARLS Mutter Judith aufzurollen versucht. Das aber läßt mit der Translatio S. Pusinnae insofern nicht vereinbaren, als von Äbtissin Haduwwy über die unbekannte Schwester Warins zu Egbert und weiter zu dessen unbekannten Eltern NN 3 Schritte zu zählen sind und von KARL DEM KAHLEN über seine Mutter Judith und deren Mutter Eigilwi/Heilwich zu den beiden Linien gemeinsamen Stammaltern NN wiederum nur 3 Schritte. Erforderlich ist aber die Zählbarkeit tertio quartoque cognationis gradu. (Geht man einen Schritt weiter zurück und wollte man die etwa zur gleichen Zeit lebenden Egbert und Heilwich nur als Cousin und Cousine werten so hieße die Zählung 4 : 4, nicht aber 3 : 4). Zudem sind die wenigen beigebrachten Argumente für eine Verwandtschaft der EGBERTINER/COBBONEN mit den WELFEN nicht überzeugend, was aber hier nicht weiter zu behandeln ist. Außerdem sind die oben Seite 150 angeführten Argumente für die Notwendigkeit der rekonstruktion der Verwandtschaft Haduwys mit KARL DEM KAHLEN über Ida - und nicht über Egbert - übergangen!

    Störmer Wilhelm: Seite 58-61, "Die süddeutschen Welfen unter besonderer Berücksischtigung ihrer Herrschaftspolitik im bayerisch-schwabischen Grenzraum" in: Ay, Karl-Ludwig/Maier, Lorenz/Jahn Joachim: Die Welfen. Landesgeschichtliche Aspekte ihrer Herrschaft.

    Thegan, der Biograph Kaiser LUDWIGS DES FROMMEN (814-840), bezeichnte den Schwiegervater des Kaisers, nämlich den Grafen Welf, als dux und sagt, er sei de nobilissima progenie Bavariorum. Die Tochter dieses Grafen namens Judith wiederum, die Kaiser LUDWIG heiratete, hatte als Mutter - wie Thegan eigens betont - eine adelige Dame Eigilwi nobilissimi generis Saxonici.
    Thegan verweist also nachdrücklich darauf, daß beide Eltern Judiths von hochadeligem (nobilissima) Geschlecht gewesen seien. Auffallend ist, daß der bayerische Vater Judiths mit einer hochadeligen Sächsin vermählt war. Stellen wir diesen Sachverhalt in die politische Situation der Zeit, dann ergibt sich für mich die Schlußfolgerung, daß der für König/Kaiser KARL DEN GROSSEN offenbar hochwichtige Graf Welf im Bayern des Umbruchs nach der AGILOLFINGER-Herrschaft (788) eingesetzt und gleichzeitig mit einer KARL gegenüber loyalen bedeutenden Adelsfamilie im noch recht unruhigen Sachsen vermählt worden war. Während seine Frau Eigilwi/Heilwig wenigstens mit ihren Kindern Chuonrad, Ruadolf, Ruadhoh und Hemma (die spätere Gemahlin Ludwigs des Deutschen) um 825 im Verbrüderungsbuch des Klosters Reichenau unter den viventes, also den Lebenden, erscheint, ist Graf Welf sonderbarerweise nicht mehr zu fassen.

    oo Welf Graf - 3.9.um 825
    Kinder:
    - Judith - 19.4.843
    819 oo 2. LUDWIG I. DER FROMME 16.4.778-20.6.840
    - Hemma - 31.1.876
    827 oo Ludwig II. der Deutsche 806-28.8.8786
    - Konrad I. Graf im Argen- und Linzgau -16.2.863
    - Rudolf Graf im Gau Ponthieu - 6.1.866
    - Hrodroh

    Literatur:
    Ay, Karl-Ludwig/Maier, Lorenz/Jahn Joachim: Die Welfen. Landesgeschichtliche Aspekte ihrer Herrschaft. Universitätsverlag Konstanz GmbH 1998 Seite 58-61 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986 Seite 169,227,288 - Boshof Egon: Ludwig der Fromme. Primus Verlag Darmstadt 1996 Seite 152,191 - Dümmler Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Verlag von Duncker und Humblot Berlin 1865 Band I Seite 28 - Fleckenstein Josef: Über die Herkunft der Welfen und ihre Anfänge in Süddeutschland. in: Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des Großfränkischen und frühdeutschen Adels Eberhard Albert Verlag Freiburg im Breisgau 1957, Seite 71-136 - Hlawitschka, Eduard: Zur Herkunft der Liudolfinger und zu einigen Corveyer Geschichtsquelle, in Stirps Regia von Eduard Hlawitschka, Verlag Peter Lang Frankfurt am Main Seite 153 A. 252 - Schieffer Rudolf: Die Karolinger. W. Kohlhammmer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1992 Seite 120 - Schmid Karl: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983 - Schneidmüller Bernd: Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000 Seite 43,46,49,51 - Thegan: Das Leben Kaiser Ludwigs. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band V Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1974 Seite 232 - Wenskus Reinhard: Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel. Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen 1976 Seite 253,275 -

    Name:
    (Eigilwi)

    Kinder:
    1. Konrad I. wurde geboren um 800; gestorben am 16 Feb 863.
    2. Rudolf I. gestorben am 6 Jan 866.
    3. Hrodroh
    4. Judith wurde geboren um 795; gestorben am 19 Apr 843 in Tours [37000],Indre-et-Loire,Centre-Val de Loire,Frankreich; wurde beigesetzt in Tours [37000],Indre-et-Loire,Centre-Val de Loire,Frankreich.
    5. 3. Hemma wurde geboren um 808; gestorben am 31 Jan 876 in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland; wurde beigesetzt in Regensburg [93047],Regensburg,Bayern,Deutschland.


Generation: 4

  1. 8.  von Franken, Karl der Große I.von Franken, Karl der Große I. wurde geboren am 2 Apr 747 (Sohn von Pippin III. und von Laon, Bertrada); gestorben am 28 Jan 814 in Aachen [52056],Nordrhein-Westfalen,Deutschland; wurde beigesetzt in Aachen [52056],Nordrhein-Westfalen,Deutschland.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: Langobardisches Königreich; König der Langobarden
    • Titel/Amt/Status: seit 25 Dez 800; römischer Kaiser
    • Titel/Amt/Status: 768-814, Fränkisches Reich; König der Franken

    Notizen:

    Genealogie-Mittelalter - KARL I. DER GROSSE

    König der Franken (768-814)
    römischer Kaiser seit 25.12.800
    König der Langobarden
    2.4.742/47-28.1.814 Aachen Begraben: Pfalzkapelle in Aachen
    Ältester Sohn des Franken-Königs Pippin III. der Kleine und der Bertrada der Jüngeren von Laon, Tochter von Graf Heribert

    Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 956

    KARL DER GROSSE (KAROLUS MAGNUS), König der Franken seit 768 und Langobarden seit 774

    Erster mittelalterlicher Kaiser seit 800
    * wohl 2. April 747, + 28. Januar 814 Begraben: Pfalzkapelle in Aachen
    Eltern: König Pippin III. der Jüngere und Bertrada (Berta)

    1. oo Tochter des Langobarden-Königs Desiderius (nach einjähriger Ehe 771 verstoßen)
    2. oo Hildegard, de gente Suaborum
    Kinder:

    Karl
    Pippin
    LUDWIG
    Hrotrud
    Berta
    Gisela

    3. oo Fastrada, O-Fränkin
    2 Töchter
    4. oo Luitgart Alemannin, kinderlos


    [I] ANFÄNGE, POLITIK GEGENÜBER LANGOBARDEN UND ITALIEN

    Nachdem KARL mit seinem jüngeren Bruder Karlmann bereits 754 in St- Denis von Papst Stephan II. zum König gesalbt und beide zusammen mit ihrem Vater zum patricius Romanorum ernannt worden waren, traten die Brüder 768 nach erneuter Salbung in Noyon (KARL) und in Soissons (Karlmann) die Nachfolge ihres Vaters an, von denen KARL den größeren. nördlichen, sich von Aquitanien bis nach Thüringen erstreckenden Teil, Karlmann den kleineren, südlichen von Burgund bis Alemannien reichenden Teil erhielt, so daß beide an den fränkischen Kerngebieten Austrien und Neustrien Anteil hatten und der Reichsteil KARLS den Karlmanns wie eine Klammer umgriff. Die Ehe KARLS mit der Tochter des Desiderius nahm Karlmann auch noch von Süden her in die Zange und verschärfte das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen den Brüdern, das in offene Feindschaft umzuschlagen drohte, als Karlmann 771 unerwartet starb; für KARL die Gelegenheit, unter Mißachtung des Erbanspruchs der Söhne Karlmanns das ganze Reich an sich zu ziehen. Da die Heirat der Langobardin den Widerstand von Papst Hadran I. hervorgerufen hatte, schickte KARL seine langobardischen Gemahlin wieder zu ihrem Vater zurück und stellte damit nicht nur das gute Verhältnis zum Papst wieder her, sondern nahm zugleich auch die Langobardenpolitik Pippins wieder auf, um diesmal freilich ganze Arbeit zu leisten: Er eroberte Pavia, setzte Desiderius ab und machte sich selbst zum rex Langobardorum (774). Anschließend erneuerte er in Rom die donatio Pippini (Pippinische Schenkung) und übernahm als patricius Romanorum die Schutzherrschaft über den Kirchenstaat, das sogenannte patrimonium Petri. 781 wurde auf seinem zweiten Romzug ein neues Pactum geschlossen, in dem der Herrschaftsbereich des Papstes für den Dukat von Rom, den Exarchat von Ravenna und die Pentapolis feierlich bestätigt wurde. Der gleiche Romzug brachte als weiteren Gewinn, daß KARL Papst Hadrian dafür gewann, seinen vierjährigen Sohn Pippin zu taufen und zum König von Italien, seinen jüngsten Sohn LUDWIG zum König von Aquitanien zu salben. Beide Reiche hatten damit den Status von relativ selbständigen Unterkönigtümern innerhalb des Frankenreiches erlangt. Italien aber, in dem KARL 787 auch noch den Herzog von Benevent zur Anerkennung seiner Oberhoheit zu bringen vermochte, war praktisch bis auf den byzantinischen Süden in die Herrschaft KARLS einbezogen.

    [II] FELDZÜGE GEGEN DAS ISLAMISCHE SPANIEN

    Noch während er um die Ausweitung und Verfestigung seiner Herrschaft in Italien bemüht war, schaltete KARL sich in Spanien gegen die Araber ein. Anlaß bot die aquitanisch-spanische Nachbarschaft: sie bewog KARL 778, auf den Hilferuf des Statthalters von Barcelona hin gegen die OMAYYADEN vorzugehen, um auch hier neuen Bden zu gewinnen. Sein erster Feldzug, der über die Pyrenäen nach Zaragoza führte, blieb zunächst ohne Erfolg. Auf dem Rückzug überfielen 778 christliche Basken die fränkische Nachhut unter Markgraf Hruodland, der (nach der Sage bei Roncesvalles) fiel. KARL zog aus der Niederlage die Konsequenz, zunächst Aquitanien als Grenzbastion auszubauen und zu sichern, und schob in den folgenden Jahren in mehreren Feldzügen die fränkische Macht Schritt für Schritt vor. Auf diese Weise gewann 795 die spanische Mark Gestalt, die 801 bis zum Ebro reiche. Der Kampf gegen die OMAYYADEN brachte KARL in Verbindung mit dem Kalifen Harun ar-Raschid in Bagdad, der ihm Schutzrecht über Kirchen in Jerusalem zugestand.

    [III] SACHSENKRIEG

    Wie sein Biograph Einhard (cap. 7) erklärt, hat KARL DER GROSSE den "langwierigsten, grausamsten und anstrengendsten" seiner Kriege gegen die Sachsen geführt: er zog sich in wechselnden Phasen und mit Unterbrechungen über 33 Jahre (772-804) hin. Als Fortsetzung uralter Grenzkriege 772 begonnen, sollte er zunächst die unruhigen Nachbarn so hart bestrafen, daß sie in Zukunft Ruhe hielten. KARL stieß deshalb auf dem ersten Feldzug bis in das sächsische Kerngebiet der Engern durch, eroberte die Eresburg und zerstörte das sächsische Heiligtum der Irminsul. Die Folge war eine scharfe Reaktion der Sachsen, deren Empörung wiederum KARLS Gegenschlag folgte. Im Hin und Her der sich steigernden Kämpfe änderte sich KARLS Ziel: es war, seit 777 erkennbar, nicht mehr nur auf Bestrafung, sondern auf Unterwerfung der Sachsen gerichtet, die jetzt der Edeling Widukind, KARLS größter Gegner, zu erbittertem Widerstand antrieb. Denn inzwischen hatte KARL auf dem Reichstag in Paderborn (777) die Einteilung Sachsens in Missionssprengel veranlaßt: ein eindeutiges Zeichen dafür, daß achsen bereits im Begriff war, christianisiert und in das fränkische Reich einbezogen zu werden. Als KARL nach weiteren heftigen Kämpfen 782 auf dem Reichstag in Lippspringe die fränkische Grafschaftsverfassung durchsetzte, war dieses Ziel erreicht: Sachsen war nunmehr in den fränkischen Staatsverband eingegliedert. Dies war ein wesentlicher Fortschritt, der der Tatsache zu verdanken war, daß ein wachsender Teil des sächsischen Adels sich mit den Franken arrangiert hatte und zum Christentum übergetreten war. Hingegen verschärfte Widukund mit seinem Anhang den Widerstand, fest entschlossen, das alte gegen das neue Recht zu behaupten. Nach fränkischem Recht galt der Überfall am Süntel (782) als Verrat, für den KARL im "Blutbad von Verden" grausame Rache nahm. Weitere Erfolge der Franken (783 Siege bei Detmold und an der Haase) haben offenbar in Widukind die Vorstellung geweckt, daß der Christengott den alten Göttern überlegen war. Angesichts der Aussichtslosigkeit seiner Lage entschloß er sich 785 zur Unterwerfung und zur Annahme der Taufe in Attigny. Danach kam es zu keinem weiteren Volksaufstand mehr, sondern nur noch zu Teilempörungen, im wesentlichen im Norden des Landes. KARL nutztte die Atempause, um die Christianisierung des Landes weiter voranzutreiben, indem er ihr durch den Aufbau einer kirchlichen Organisation festeren Rückhalt gab. Gleichzeitig verschärfte er den Druck auf die noch unentschiedenen Sachsen, indem er in Anwendung der 782 erlassenen Capitulatio de partibus Saxoniae jede Emörung mit den schärfsten Strafen ahnden ließ. Aber obwohl der sächsische Adel bereits weitgehend gewonnen war, hielten sich noch immer Inseln des Widerstands, und 792 brach nach siebenjähriger Ruhe erneut ein Aufstand aus, der diesmal allerdings auf das nordelbische Sachsen beschränkt blieb. Mit ihm waren die Sachsenkriege in ihre letzte Phase eingetreten. Um ihren Abschluß zu erzwingen, wandte KARLeine doppelte Taktik an: er griff einerseits seit 792 zudem radikalen Mittel der Massendeportation; nach Einhard (cap. 7) sollen 10.000 Sachsen von ihm gezwungen worden sein, ihre Heimat zu verlassen, um in den verschiedensten Gebieten des Reiches angesiedelt zu werden. Andererseits kam er ihnen, den Mahnungen Alkuins folgend, entgegen, indem er vor allem 797 die alte, strenge Capitulatio durch das Capitulare Saxonicum ersetzte, das den Rechtsstatus der Sachsen spürbar verbesserte. 802 veranlaßte er darüber hinaus die Aufzeichnung des sächsischen Volksrechts, das er damals als gültig anerkannte; das heißt die Sachsen waren bereits vor Beendigung des Krieges vollgültige Glieder des fränkischen Reiches geworden. Doch klang der Krieg nach einem letzten Feldzug gegen Nordelbien mit dem Ergebnis aus, daß die Sachsen nach den Worten Einhards "den christlichen Glauben aufnahmen und mit den Franken ein Vlk wurden". Sachsen war endgültig in die christliche Gemeinschaft des großfränkischen Reiches eingefügt.

    [IV] POLITIK GEGENÜBER BAYERN, AVARENKRIEG, ERRICHTUNG DER DÄNISCHEN MARK

    Noch während der Sachsenkriege hatte KARL DER GROSSE in Bayern eingegriffen und hier klare Verhältnisse geschaffen, nachdem der AGILOLFINGER-Herzog Tassilo III. Anlaß gegeben hatte, an seiner Treue zu zweifeln. 788 in einem Prozeß in Ingelheim der felonie und der Verbindung mt den Avaren beschuldigt, wurde er als Herzog abgesetzt uns zu lebenslänglicher Klosterhaft verurteilt. Damit war das letzte Stammes-Herzogtum in KARLS Herrschaftsbereich beseitigt und Bayern durch die Einführung der fränkischen Grafschaftsverfassung fest in das Frankenreich eingegliedert. KARL brachte zugleich die von Bonifatius eingeleitetete kirchliche Organisation Bayerns zum Abschluß, indem er mit Hilfe des Papstes in Salzburg eine eigene Kirchenprovinz begründete.
    Die Eingliederung Bayerns löste den Reichskrieg gegen die Avaren (791-796) aus. Er wurde betont als Missionskrieg geführt und in mehreren Feldzügen (791/95) schließlich durch die Eroberung ihrer großen "Ringe" im Zentrum ihrer Macht in der Pußtaebene entschieden. In den "Ringen", die zerstört wurden, erbeuteten die fränkischen Heere den vielbestaunten Avarenschatz. Letzte Versuche der Avaren, sich der fränkischen Botmäßigkeit zu entziehen, endeten 811 mit einem letzten Feldzug, mit dem ihr Reich veraschwand: es ist in der avarischen Mark aufgegangen, fortan dem östlichen Grenzgebiet des Frankenreiches, das damit bis zur Raab und zum Plattensee reichte.
    Auf ähnliche Weise entstand im Norden, vorbereitete durch ein Bündnis mit den Abodriten und den Friedensschluß mit den Dänen (810), die dänische Mark.

    [V] INNERER AUSBAU UND GRAFSCHAFSTVERFASSUNG

    In jahrzehntelangen, langwierigen Kämpfen hatte KARL DER GROSSE die Grenzen seines Reiches weit in den S, SW und O vorgeschoben und es zur führenden Großmacht neben Byzanz und dem Kalifat von Bagdad ausgebaut. Zeitgenossen feierten ihn als den pater Europae, und an seinem Hof griff das Bewußtsein um sich, daß Europa im Frankenreich Gestalt gewann. Dieses Bewußtsein basierte auf der Tatsache, daß mit der äußeren Ausweitung des Reiches sein innerer Ausbau Hand in Hand gegangen war. In der Tat war KARL DER GROSSE von Anfang an darauf bedacht, sein expandierendes Reich im Innern zu vereinheitlichen und zu festigen. Die politische Signatur dieser Vereinheitlichung war die allgemeine Einführung der Grafschaftsverfassung. Mit ihr wurde der Graf die Zentralfigur, die Grafschaft das wichtigste Instrument der Einheit des Reiches. Da die Grfaschaft in dem Riesenreich auf unterschiedlichen Voraussetzungen basierte (so insbesondere im W auf der civitas, im auf dem Gau/pagus) blieben dieser Einheit allerdings Grenzen gesetzt. Doch ist das Einheitsbestreben KARLS unverkennbar, und es ist wesentlich, daß die Ausübung der gräflichen Gewalt auf königlichen Auftrag (Verleihung des Grafenbanns) zurückgeht. - Das Grafenamt wurde wie alle großen Ämter und Lehen nach Möglichkeit großen Adligen anvertraut, die auf diese Weise mit dem Reich verwuchsen und als Angehörige der sogenannten Reichsaristokratie zu Mitträgern der Reichseinheit wurden (was freilich nicht ausschloß, daß auf die Dauer wieder ihre Eigeninteressen mit denen des Königtums konkurrierten). KARL selbst band sie jedenfalls an Thron und Reich.
    Er hat auch das Recht, das in der Form der Kapitularien intensive Pflege fand, in den Dienst der Vereinheitlichung des Reiches gestellt. Er intensivierte das Institut der Königsboten (Missus) und erlegte ihnen auf, die Ausführungen seiner Erlasse zu überwachen.

    [VI] KIRCHENPOLITIK

    Als das vielleicht stärkste Band der Einheit hat sich jedoch die Kirche erwiesen. KARL DER GROSSE hat sie stärker als zuvor in den Dienst des Reiches gezogen, sie dafür aber auch durch reiche Schenkungen belohnt und gestärkt. Im Anschluß an die Bemühungen des hl. Bonifatius setzte er die Reform der Kirche fort, indem er den Kloster die Befolgung der Benediktregel zur Pflicht machte, der Stiftsgeistlichkeit die vita communis auferlegte und die bereits von Pippin begonnene Liturgieform durchführte. Er griff darüber hinaus auch in die dogmatischen Streitigkeiten seiner Zeit ein. So wurde auf der Synode von Frankfurt (794) unter dem Vorsitz der besonders durch den spanischen Bischof Felix von Urgel propagierte Adoptianismus wie vor allem auch der (mißverstandene) Beschluß des Konzils von Nikaia über die Bilderverehrung verurteilt, wofür die in seinem Auftrag verfaßten Libri Carolini die theologische Begründung lieferten. Das Werk macht deutlich, daß KARL DER GROSSE unter Betonung seiner Rechtgläubigkeit beanspruchte, der einzige legitime Vorkämpfer der Christenheit zu sein.

    [VII] BILDUNGSREFORM

    Die Sorge um den rechten Glauben spielte auch in seine Bemühungen um die Erneuerung der Bildung im Frankenreich hinein. Darum schloß er an die Reform der Kirche eine Reform der Bildung an. Selbst von unersättlichem Wissensdurst und von großer Hochschätzung der Bildung erfüllt, versammelte KARL DER GROSSE die angesehensten Gelehrten seiner Zeit (Alkuin, Petrus von Pisa, Paulus Diaconus, Theodulf von Orleans und andere) an seinem Hof, um ihr Wissen und Können für seine großen Aufgaben zu aktivieren. Als erstes sollte sie der Hofschule zur Blüte verhelfen: sie wurde gleichsam zur Hofschule des Reiches. Von hier aus sollte ihr Wirken weitere Kreise ziehen. Mit dem Fernziel, die gesamte Überlieferung zu sammeln und zu reinigen, emendierten sie die Werke der Kirchenväter wie der weltlichen Autoren, um deren Kenntnis in ihren eigenen Werken, die als Muster galten, zu verbreiten, und leiteten damit eine neue Epoche in der Pflege der sacre und der saeculares litterae ein. KARLS Auftrag ging sogar noch weiter, indem er seine Gelehrten veranlaßte, sich auch um die eigene Sprache und die heimischen Heldenlieder zu kümmern. Wenn es hier bei Ansätzen blieb, so wurde insesamt doch viel erreicht. Auf den Leistungen der karolingischen Hofgelehrten basiert die künftige Bildung Europas. Charakteristisch sind die Geschichtsschreibung, die einen starken Aufschwung nimmt, der neue Schrifttyp der an den Schreibschulen entwickelt wird, und nicht zuletzt die karolingische Kunst. Die Hofgelehrten hatten Grund, in alledem die Zeichen einer neuen zeit zu sehen, die KARL DER GROSSE heraufgeführt hat.

    [VIII] KAISERTUM, SPÄTE REGIERUNGSJAHRE UND REGELUNG DER NACHFOLGE

    KARL DER GROSSE selbst leitete aus seiner Stellung und den Erfolgen, auf die er sich stützen konnte, seine Gleichrangigkeit mit dem östlichen Kaisertum ab. Es entsprach wohl seiner eigenen Auffassung, wenn Alkuin erklärt, daß KARLS Macht ihn über den Papst und über den Basileus erhob. Er hat aber seinerseits zunächst nicht nach dem Kaisertum gestrebt. Nicht er, sondern der Papst, damals Leo III., gab den Anstoß zu KARLS Hinwendung zum Kaisertum. Von einer römischen Adelspartei hart bedrängt, floh Leo III. 799 zu KARL DEM GROSSEN nach Paderborn und rief ihn um Hilfe an die KARL, als patricius Romanorum zur defensio ecclesiae Romanae verpflichtet, nicht verweigern konnte. Bei den Verhandlungen in Paderborn kam es zu Absprachen über das Kaisertum. Nach Rom zurückgeführt, reinigte sich Leo durch einen Eid und setzte KARL DEM GROSSEN am Weihnachtstag 800 im Petersdom die Kaiserkrone auf, wobei die Römer akklamierten. Damit war, ohne Rücksicht auf Byzanz, das römische Kaisertum im W erneuert.
    KARL DER GROSSE legte jedoch Wert darauf, sich mit dem Kaiser des O zu arrangieren. 812/15 einigte man sich auf eine gegenseitige Anerkennung, wobei KARL DER GROSSE auf das römische Attribut seines Kaisertums verzichtete. Wie schon sein Titel zeigte, kam es ihm vor allem auf den fränkischen und christlichen Charakter seines Kaisertums an. Fortan gab es neben dem imperium orientale ein imperium occidentale: KARLS Kaisertum wurde der Inbegriff der abendländischen Welt. Die letzten Jahre der Herrschaft KARLS sind durch zwei Tendenzen gekennzeichnet, die ihre fränkische und ihre christliche Komponente betonen.
    Die fränkische Komponente kam in der divisio regnorum von 806 zum Ausdruck. Obwohl das Kaisertum sich auf die Einheit des Imperiums bezog, hielt KARL DER GROSSE am fränkischen Brauch der Herrschaftsteilung fest. So wies er 806 seinem ältesten Sohn Karl die fränkischen Kerngebiete Neustrien und Austrien mit den östlichen Eroberungen, Pippin Italien und Burgund mit Oberdeutschland bis zur Donau LUDWIG DEM FROMMEN Aquitanien mit Teilen S-Frankreichs zu. Eine Verfügung über das Kaisertum unterblieb; sie wurde offenbar zurückgestellt. Da Karl und Pippin vorzeitig (811 bzw. 810) starben, wurde der divisio die Grundlage entzogen, woraufhin KARL DER GROSSE den überlebenden LUDWIG 813 in Aachen unter Umgehung der Krönung durch den Papst zum Mitkaiser erheben ließ, so daß die Einheit des Reichs erhalten blieb.
    Die christliche Komponente tritt besonders deutlich in einem neuen Treueid und allgemein in der Gesetzgebung hervor. So ist vor allem der Treueid von 802 symptomatisch, der das Kaisertum zum Anlaß nimmt, die Treuepflichten der Untertanen zu verstärken und zugleich religiöse Pflichten wie die Einhaltung der Zehn Gebote in ihn einzubeziehen. In dem Kapitular, das ihn forderte, führt KARL den Titel imperator christianissimus. Ähnliche Wendungen erscheinen auch in den Arengen der Urkunden. Sie bestätigen KARLS Anspruch, Führer und Vorkämpfer der Christenheit zu sein. Als er am 28. Januar 814 in seiner Lieblingspfalz Aachen starb, huldigte ihm die Grabinschrift als imperator orthodoxus, der das regnum Francorum in 47-jähriger Herrschaft nobiliter erweitert hat.
    Im Bewußtsein der Nachwelt bleibt KARL DER GROSSE, was wer schon für die Hofgelehrten war: der "Vater Europas"

    Quellen:
    Böhmer-Mühlbacher, RI I, 1908² [Nachdr. 1966; mit Bibliogr.] -
    speziell: Einhardi Vita Karoli Magni, ed. O. Holder-Egger, MGH SRG [Neudr. 1947] -
    anektodenhaft: Gesta Karoli, ed. H. F. Haefele, MGH SRG NS, 1959 - Karolus Magnus et Leo papa. Paderborner Epos v. J. 799, 1966 -

    Literatur:
    S. Abel-B. Simson, JDG K. d. Gr. I, 1888²; 2, 1883 - J. Calmette, Charlemagne, 1945 - P. Classen, K. d. Gr., das Papsttum und Byzanz, Beitr. zur Gesch. und Q. kunde des MA 9, 1985 - H. Beumann, Nomen imperatoris, HZ 185, 1988 - Braunfels, KdG, 4 Bde, 1965-1967 - L. Halphen, Charlemagne et l'Empire Carol., 1947 - D. A. Bullough, The Age of Charlemagne, 1965 [dt. 1966] - H. Löwe, K. d. Gr. [Die gr. Dt. I, 1966] - G. Tessier, Charlemagne, 1967 - J. Boussard, Charlemagne et son temps, 1968 - A. Kleinklausz, Charlemagne, 1974 - P. Riche, Les Carolingiens, 1983 [dt. 1987] - J. Fleckenstein; K. d. Gr. (Persönlichkeit und Gesch., 1990²) - R. Folz, Le Couronnement imperial de Charlemagne, 1904 - E. Patzelt, Die karol. Renaissance, 1924 - H. Pirene, Mahomet er Charlemgane, 1946 [dt. o. J., Fischer Bücherei Nr. 533, 1963] - W. Ohnesorge, Das Zweikaiserproblem im früheren MA, 1947 - F. L. Ganshof, The Imperial Coronation of Charlemagne, 1949 - P. Classen, Romanum gubernans imperium, DFA 9, 1951/52 - P. E. Schramm, Die Anerkennung K.s d. Gr. als Ks., HZ 172, 1951 - E. Delaruelle, Charlemagne et l'Eglise RHF 39, 1953 - H. Fichtenau, K. d. Gr. und das Ksm., MIÖG 61, 1953 [Neudr. 1971] - J. Fleckenstein, Die Bildungsreform K.s d. Gr. als Verwirklichung der norma ectituinis, 1953 - L. Wallch, Alcuin and Charlemagne, 1959 - K. Hauck, Paderborn, Das Zentrum von K.s Sachsenmission 777 (Adel und Kirche [Sachsen und das Frankenreich hg. W. Lammers, 1970] - K. F. Werner, Das Geburtsdatum K.s d. Gr., Francia I, 1972 - Zum Ksm. K.s d. Gr., hg. G. Wolf, Beitr. und Aufsätze, 1972 - K. Schmidt, Aachen und Jerusalem (Das Einhardkreuz, hg. K. Hauck, AAG, 1974) -
    Am 28.7.754 wurde KARL und sein Bruder Karlmann in St. Denis von Papst Stephan II. gesalbt. Unter seiner Herrschaft erreichte das Frankenreich seine größte Ausdehnung und eine vorübergehende innere Festigung. Er setzte zur Verwaltung des fränkischen Reiches die Grafschaftsverfassung allgemein durch und suchte ohne dauerhaften Erfolg die freien Bauern gegenüber den Feudalisierungsversuchen zu schützen und ihre Wehrfähigkeit zu erhalten, die er für seine zahlreichen Kriegszüge besonders beanspruchte. KARL DER GROSSE erwarb als erster fränkischer Herrscher die Kaiserwürde, die seitdem von den mittelalterlichen deutschen Königen immer wieder als Zeichen imperialer Macht erstrebt wurde. Durch den Tod seines Bruders Karlmann (+ 4.12.771) wurde KARL faktisch Alleinherrscher im fränkischen Reich. 773 von Papst Hadrian I. gegen die Langobarden zu Hilfe gerufen, eroberte er das Langobardenreich und nahm den Titel "Rex Francorum et Langobardum" an. Den Titel "Patricius Romanorum" verlieh ihm der Papst gegen die Erneuerung der Pippinschen Schenkung. Einen Aufstand des langobardischen Adels konnte KARL unterdrücken (776). 778 ging er gegen die OMAIJADEN in Cordova vor und belagerte Saragossa vergeblich. Im Tal Roncesvalles wurde die fränkische Nachhut unter dem bretonischen Markgrafen Hruodland (Roland) von den Basken vernichtet. 781 setzte KARL seinen Sohn Pippin als Unterkönig in Italien und seinen Sohn LUDWIG als Unterkönig in Aquitanien ein. Mit der Taufe des Edelings Widukind in Attigny 785 endete der seit 772 andauernde Krieg gegen die Sachsen. 787 zog KARL nach Italien gegen Arichis von Benevent und zwang ihn zur Anerkennung der fränkischen Oberhoheit. Nach dem Reichskonzil von Nicäa 787, das universelle Bedeutung für seine Beschlüsse beanspruchte, wurde die 781 geschlossene Verlobung von KARLS Tochter Rotrud mit Konstantin VI. gelöst. 788 nahm KARL den gegen die fränkische Oberhoheit rebellierenden Herzog Tassilo III. von Bayern, der das bayrische Herzogtum zu verselbständigen suchte und 787 von KARL DEM GROSSEN zur Leistung des Vasalleneides gezwungen wurde, auf der Reichsversammlung in Ingelheim fest und schickte ihn ins Kloster. Er beseitigte damit das letzte Stammesherzogtum und führte in Bayern die Grafschaftsverfassung ein. 789 zog KARL gegen die Wilzen und zwang sie zur Anerkennung der fränkischen Oberhoheit. Im gleichen Jahr befahl er die Leistung eines Untertaneneides zur Stärkung der königlichen Autorität. Diesen Eid, der 802 nach der Kaiserkrönung, 806 anläßlich des Planes zur Reichsteilung und 812/13 nach dem Tod der Söhne Pippin und Karl wiederholt wurde, mußte jeder freie Mann vom 12. Lebensjahr an, alle feudalabhängigen Bauern und die Unfreien, die Benefizien besaßen und Vasallendienste leisteten, schwören. 795/96 unterwarfen Markgraf Erich von Friaul und Pippin das durch Adelskämpfe geschwächte Awarenreich. Nach der Niederlage des Grafen Wilhelm von Toulouse bei Narbonne errichtete KARL 795 die Spanische Mark, die in der folgenden Zeit die Gebiete von Barcelona bis Pamplona und bis zum Ebro erfaßte. Im Jahre 800 zog KARL DER GROSSE nach Italien, um die gegen den Papst vorgebrachten Beschwerden zu prüfen. Am 25.12.800 krönte Papst Leo III. KARL DEN GROSSEN in der Peterskirche zu Rom zum Kaiser. Die hegemoniale Stellung KARLS DES GROSSEN als Beherrscher des fränkischen Großreiches fand im Kaisertum seinen staatsrechtlichen Ausdruck, dessen materielle Machtgrundlagen nördlich der Alpen lagen. KARL DER GROSSE wollte zudem als Kaiser dem byzantinischen Kaiser, der als Nachfolger der römischen Kaiser Herrschaftsansprüche auf das ehemalige römische Gesamtreich ableiten konnte, gleichberechtigt gegenüberstehen. Der byzantinische Kaiser wertete die Krönung KARLS als Usurpation. 801 eroberte KARL Barcelona und erweiterte damit die 795 gegründete Spanische Mark. 805/06 wurde Böhmen unterworfen und tributpflichtig gemacht. 806 bekriegte des Kaisers Sohn Karl die Sorben zwischen Elbe und Saale und unterwarf sie. In dem von KARL DEM GROSSEN verfaßten Plan einer Reichsteilung (806) blieben LUDWIG und Pippin Unterkönige in Aquitanien und Italien; Karl, der älteste Sohn KARLS DES GROSSEN, sollte den verbleibenden Teil des Reiches erhalten. 810 befahl KARL den Bau einer Flotte zur Abwehr der dänischen Plünderungszüge. Nach langen Kämpfen mit den Byzantinern in Italien erkannte der oströmische Kaiser Michael im Vertrag von Aachen die Kaiserwürde KARLS an, der auf Venedig, Dalmatien und in seinem Kaisertitel auf die Bezeichnung "Romanum imperium gubernas" (das römische Reich regierend) verzichtete, das heißt, Byzanz wurde als einziger legitimer Nachfolger des römischen Reiches anerkannt. KARL designierte 813 seinen einzigen am Leben gebliebenen Sohn LUDWIG zum Nachfolger, den er ohne päpstliche Mitwirkung in der Kaiserpfalz zu Aachen zum Mitkaiser krönte bzw. selbst krönen ließ. Damit brachte er zum Ausdruck, dass er souverän, unabhängig vom Papst über das Kaisertum verfügen und irgendwelche Rechtsansprüche vom Papst auf die Krone von vornherein ausschließen wollte. KARLS fortschrittliche Bedeutung bestand darin, dass er auf allen Gebieten die feudalen Entwicklungstendenzen förderte. Mit der Einbeziehung aller germanischer Stämme rechts des Rheins in sein Reich schuf er die Voraussetzung für die spätere Herausbildung eines deutschen Staates.
    KARL starb an Padogra.


    Hartmann Wilfried: Seite 21-41, „Kaiser Karl der Große (768/800-814)“

    in Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern. Von den Karolingern zu den Staufern (Hg. Karl Rudolf Schnith)
    Der Biograph KARLS DES GROSSEN, Einhard, berichtet in seiner Vita Karoli Magni (verfaßt nach 830), dass er über Geburt, Kindheit und Jugend seines Helden keine sicheren Nachrichten habe; auch das Geburtsjahr kenne er nicht. Es spricht einiges dafür, dass KARL 747 geboren wurde (und nicht 742, wie die ältere Forschung annahm) als erstes Kind aus der Ehe Pippins mit Bertrada, die 744 geschlossen worden war. Im Jahr 751 erhielt KARL einen Bruder namens Karlmann. Zum Geburtsjahr 747 paßt besser als zu 742, dass KARL bis 768, dem Todesjahr seines Vaters, nicht als Anführer selbständiger Unternehmungen hervorgetreten ist. Pippinhat nach seiner Erhebung zum König seine beiden Söhne gleich behandelt und dem älteren keine Vormachtstellung eingeräumt; er hatte wohl von Anfang an beabsichtigt, das Frankenreich in zwei gleiche Teile aufzuteilen. Die Anfänge der Regierung KARLS treten in den Quellen nicht deutlich hervor; vielleicht sollten später die Spannungen zwischen den beiden Brüdern verwischt oder allein als Schuld Karlmanns dargestellt werden. Im Jahre 768 mußte noch einmal in Aquitanien gekämpft werden; im Verlauf dieses Kriegszugs scheint der Konflikt zwischen KARL und Karlmann ausgebrochen zu sein. KARL hat nämlich versucht, seinen Bruder aus Aquitanien zu verdrängen.
    Die Jahre 770 und 771 bedeuteten einen Stillstand in den schon seit vielen Jahren sich vollziehenden Expansion des Frankenreichs; 770 wurde Tassilo III. von Bayern die Selbständigkeit zugebilligt, und auch mit den Langobarden kam es zu einer Abmachung, nach der die Franken auf Interventionen in Italien verzichteten. Hinter diesen Friedensschlüssen stand eine innerfränkische Koalition von Pippins Witwe Bertrada (Bertha) mit ihren älteren Sohn KARL, die gegen Karlmanngerichtet war und diesen ausmanövrieren wollte. Ein wichtiger Baustein in diesem gegen Karlmanngerichteten Bündnis war KARLS Ehe mit einer Tochter des langobardischen Königs Desiderius, durch die KARL zugleich der Schwager des bayerischen Fürsten Tassilo wurde; damit war der Reichsteil Karlmanns "eingekreist".
    Der Tod Karlmanns (4.12.771) veränderte die politische Lage vollkommen. KARL schwenkte in seiner Italienpolitik auf die Linie seines Vaters ein; er brach mit den Langobarden und auch mit Bayern, er verstieß seine langobardische Gemahlin und heiratete Hildegard, die aus einem alemannischen Adelsgeschlecht stammte, um seine Position in diesem wichtigen Gebiet, das bis dahin zu Karlmanns Reich gehört hatte, zu festigen. Denn mit Karlmanns Tod war KARL noch nicht selbstverständlich Alleinherrscher im fränkischen Reich, da sein Bruder Söhne hinterlassen hatte, die allerdings noch sehr klein waren. Es war schon in merowingischer Zeit umstritten gewesen, ob nach dem Tod eines Bruders das Erbrecht von dessen Söhnen wirksam werden sollte oder ob es ein Eintrittsrecht des überlebenden Bruders gab, das stärker war als das Erbrecht in direkter Linie. Dieser Konflikt, der durch KARL rasch und endgültig in seinem Sinn gelöst wurde, sollte sich im Verlauf des 9. Jahrhunderts noch mehrfach wiederholen. Die eher unsicheren Anfänge der Regierung KARLS DES GROSSEN lassen jedenfalls noch nicht erkennen, dass dieser Herrscher durch seine Leistung und seine Persönlichkeit das Schicksal Europas ganz nachhaltig beeinflussen sollte. Seine gesamte Regierungszeit war geprägt von seinen zahlreichen Kriegen: Mit Ausnahme des Jahres 790 berichten die Annalen von jedem Jahr, dass Kriegszüge durchgeführt wurden. Dabei ist es zweifelhaft, ob der König von Anfang an eine umfassende Konzeption besaß, die er nach und nach verwirklichte. Es scheint eher so gewesen zu sein, dass KARL durch seine Erfolge beflügelt wurde, sich immer neue Ziele zu setzen. Man kann sicher nicht sagen, dass KARL nur "Glück" hatte, aber zweifellos wurde die erfolgreiche Bildung eines großen Reiches dadurch begünstigt, dass die politische Großwetterlage eine solche Reichsbildung zuließ.
    Den ersten großen Erfolg konnte KARL in Italien erringen. Dorthin war Karlmanns Witwe Gerberga Anfang 772 mit ihren Kindern und ihren Anhängern geflohen; sie wurde von König Desiderius aufgenommen. Die Gefahr, die von der Familie seitens des verstorbenen Bruders für seine Herrschaft ausging, war ein wichtiger Grund dafür, dass KARL so rasch einen Feldzug gegen die Langobarden unternahm, wie ihn die Päpste schon seit längerem gefordert hatten. Anders als sein Vater beabsichtigte KARL wohl von Anfang an, das Langobardenreich zu übernehmen. Von diesem Entschluß ließ er sich auch nicht abbringen, als es nötig war, die Hauptstadt Pavia neun Monate lang zu belagern; die Stadt ergab sich im Juni 774; nicht nur der König mit seinem gesamten Hofstaat und seinen Beamten fielen KARL in die Hände, sondern auch der reiche Kronschatz. Desiderius verschwand in einem Kloster; sein Sohn konnte nach Byzanz fliehen.
    Nach dem Fall der Hauptstadt brach das zuvor so mächtige Reich der Langobarden rasch und fast widerstandslos zusammen, so dass KARL glaubte, er könne die langobardischen Amtsträger in ihren Ämtern belassen. 775 kam es jedoch zu einer größeren Aufstandsbewegung mit Zentrum in Friaul; erst das persönliche Eingreifen KARLS in einem weiteren Italienzug von 776 konnte die fränkische Herrschaft sichern. Nach weiteren Italienzügen 780/81 wurde das Langobardenreich nach fränkischem Muster umorganisiert, und es wurden fränkische Grafen als Amtsträger nach Italien geschickt, die vom König mit Amt und Ländereien ausgestattet wurden; sie machten dort zum Teil bedeutende Karrieren. Auch nach seiner Eroberung bewahrte das Langobardenreich seine Eigenständigkeit; KARL hatte 774 den Titel eines "Königs der Franken und Langobarden" angenommen und billigte damit den Langobarden die Rolle eines zweiten Reichsvolks zu.
    Im Verlauf des ersten Italienzuges KARLS kam es zu einer Begegnung mit dem Papst, seit 772 war dies Hadrian I., der von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit den Franken setzte. Schon vor dem Fall von Pavia zog KARL nach Rom, wo ihn zu Ostern 774 eine päpstliche Abordnung mit hohen Ehren empfing. Als erster fränkischer König war KARL bis Rom vorgestoßen, und er erreichte noch mehr, nämlich den Einzug in die Stadt selbst, was den langobardischen Königen immer verwehrt geblieben war. Jedoch der Beherrscher Roms sollte auch der Frankenkönig nicht sein, daher durfte er nicht in den Mauern der Stadt wohnen, sondern mußte in der Nähe von St. Peter nächtigen. Während dieses Romaufenthalts erneuerte KARL das von seinem Vater Pippin 754 gegebene Versprechen, bestimmte Gebiete Italiens dem Papst zu überlassen (sogenannte Pippinsche Schenkung). Ein Teil dieser Zusagen wurde im Verlauf des zweiten Romzugs KARLS (781) tatsächlich verwirklicht.
    So wie KARLS Italienzug durch den Hilferuf des Papstes angestoßen worden war, so ging auch sein Zug gegen das moslemische Spanien auf einen Hilferuf zurück, den 777 der Emir von Barcelona hatte ergehen lassen. Was der fränkische König bei seinem Feldzug vom Jahr 778 beabsichtigte, ist unklar; er konnte nicht im Ernst hoffen, mit dem von ihm aufgebotenen kleinen Heer jenseits der Pyrenäen dauernde Eroberungen zu machen. Nach mäßigen Erfolgen kam es im August 778 auf dem Rückmarsch zu einer Katastrophe, als die Nachhut in den Pyrenäen von den Basken überfallen und vollkommen vernichtet wurde. Das Rolandslied hat diese Niederlage im Gedächtnis der Nachwelt erhalten. KARL hat danach für längere Zeit auf eine Offensive gegen die Mauren verzichtet. Erst 801 führte sein Sohn LUDWIG einen Angriff gegen Barcelona durch, das nach langer Belagerung erobert werden konnte: Das Gebiet bis zum Ebro konnte nun als Spanische Mark dem Frankenreich eingegliedert werden.
    Für die deutsche Geschichte waren aber zwei andere Eroberungen wichtiger, weil durch sie die ausgedehnten Gebiete der mit den Franken stammesverwandten Bayern und Sachsen zum Frankenreich kamen. Dabei konnte Bayern ohne Krieg angegliedert werden: Nach dem Ende des Langobardenreichs, auf das sich Tassilo III. als Schwiegersohn des Desiderius vor allem gestützt hatte, hatten die Franken es anscheinend verstanden, den bayerischen Adel auf ihre Seite zu ziehen. Als es 787/88 zum Konflikt zwischen KARL DEM GROSSEN und dem Bayernherzog kam, war Tassilo isoliert, denn der Papst stand auf der Seite der Franken. Tassilo mußte sich daher 787 bereitfinden, einen Vasalleneid zu leisten und sein Reich als Lehen aus der Hand des fränkischen Königs anzunehmen. Im Sommer des folgenden wurde Tassilo nach Ingelheim befohlen; er wurde mit Frau und Kindern gefangengenommen. In einem Hochverratsprozeß traten bayerische Adelige als Ankläger auf und sagten aus, dass Tassilo mit den Awaren gegen die Franken konspiriert habe. Nach dem Quellen, die allerdings die fränkische Version der Angelegenheit wiedergeben, soll Tassilo ein Schuldbekenntnis abgelegt haben. Um ihn vollends zu vernichten, wurde ein 25 Jahre zurückliegendes Vergehen ausgegraben: Er habe sich 763 eigenmächtig vom Heer entfernt und damit das todeswürdige Verbrechen der "Harizliz" (Fahnenflucht) begangen. Tassilo wurde von seinen Landsleuten zum Tod verurteilt, aber von KARL zur Klosterhaft begnadigt.
    Um das gewonnene Land zu sichern, verbrachte der Frankenkönig zwei aufeinanderfolgende Winter in der alten bayerischen Herzogsstadt Regensburg (791-793), ehe er seinen Schwager Gerold zum Präfekten in Bayern einsetzte. Es scheint aber immer noch Anhänger des alten Herzogshauses gegeben zu haben. Daher war es nötig, Tassilo noch einmal aus seinem Kloster vor eine Reichssynode zu holen, wo er (794 in Frankfurt) schriftlich für sich und seine Nachkommen auf Bayern verzichtete. Dass die Historiker die Vorgänge um Tassilo nur aus dem Blickwinkel KARLS schildern durften und dass wir keine sicheren Nachrichten darüber besitzen, wo und wann Tassilo gestorben ist, zeigt, wie sehr KARL persönlich darüber wachte, dass sein Nachruhm nicht durch sein Vorgehen gegen seinen Vetter und Schwager beeinträchtigt wurde.
    Bayern blieb übrigens nicht nur als politische Einheit bestehen (unter einem Präfekten), sondern es wurde auch eine bayerische Kirchenprovinz geschaffen, als deren erster Metropolit Arn von Salzburg im Jahr 796 das Pallium erhielt.
    Obwohl wir heute nicht mehr beweisen können, ob Tassilo tatsächlich - wie ihm vorgeworfen wurde - mit den Awaren paktiert hat, steht fest, dass dieses Steppenvolk, das seit über 200 Jahren in Pannonien ansässig war, 788 Einfälle nach Italien und nach Bayern unternahm. In einem ersten Zug gegen die Awaren (791) konnten die Franken trotz eines großen Heeres keinen Sieg erringen, denn die Awaren stellten sich nicht zur Schlacht, sondern zogen sich weit nach Pannonien hinein zurück. Aber das Auftauchen der Franken in ihrem eigenen Gebiet hatte ihnen einen schweren Schock versetzt. Als dann KARL den nächsten Feldzug gründlicher vorbereitete, konnte der Erfolg kaum ausbleiben. Bei diesen Vorbereitungen zeigte er sich als bedeutender Stratege, der auch über die Möglichkeiten seiner Zeit hinauszugreifen imstande war.
    792 ließ er eine bewegliche Brücke bauen, die auf Schiffen donauabwärts bewegt werden konnte und so immer wieder die leichte Überquerung der Donau ermöglichte. Im darauffolgenden Jahr wurde ein Versuch gemacht, die Stromgebiete von Rhein und Donau miteinander zu verbinden, um den Nachschub leichter nach SO transportieren zu können. Das für diese Absicht ausgewählte Gebiet war ideal gelegen: In der Nähe von Weißenburg/Bayern sind die Flußläufe von Rezat (einem Nebenfluß der Pegnitz) und Altmühl nur 1.500 bis 1.800 m voneinander entfernt, und es war ein Höhenunterschied von ca. 20 m zu bewältigen. Dennoch scheiterte dieses Unternehmen, weil es in damaliger Zeit nicht möglich war, die für die umfangreichen Erdarbeiten nötigen Menschen zu ernähren, und auch - nach dem Bericht der Annalen - weil heftige Regenfälle die Arbeiten erschwerten.
    Als man 795 von inneren Kämpfen bei den Awaren erfuhr, drang ein kleines fränkisches Kommando bis ins Zentrum des Awarenreichs vor. Im folgenden Jahr zogen zwei Heere gegen die Awaren: das eine unter dem Königs-Sohn Pippin zog donauabwärts, das zweite stieß von Friaul aus nach NO vor. Ohne Kampf unterwarfen sich die Awaren. Die Schätze, die sie seit vielen Jahrzehnten in ihren Ringburgen angehäuft hatten, fielen den Franken in die Hände. Die Kriegsbeute wurde teils an die Krieger aufgeteilt, teils der Kirche geschenkt. Als Dank für die Hilfe Gottes, die ihre Gebete erreicht hatten, erhielten mehrere Klöster wertvolle Goldgefäße, die zu Gefäßen für den kirchlichen Gebrauch umgearbeitet wurden. Für den König selbst blieb noch so viel übrig, dass in Aachen eine eigene Schatzkammer für die Awarenbeute eingerichtet werden mußte. Die endgültige Unterwerfung brachte ein Zug im Jahr 805, der wegen eines Aufstands nötig gewesen worden war. Der Sieg über die Awaren war es vor allem, der KARL Ansehen bei den slawischen Völkern des ostmitteleuropäischen Raums befestigte, so dass sein Name bei ihnen zur Bezeichnung des Herrschers wurde (Karl, Kral, Krol = König).
    Die längsten Kämpfe mußten mit den Sachsen ausgefochten werden: Einhard schildert das Ringen mit diesem Stamm als einen über 30 Jahre dauernden Krieg; in Wahrheit wurde zwar nur von 772-785 und dann wieder - in kleinerem Rahmen - von 792-804 gekämpft; aber auch dies sind zusammen über 24 Jahre. Grenzkriege gegen die Sachsen hatte es auch schon früher gegeben.
    Einige merowingische Könige, dann Karl Martell und KARLS Vater Pippin hatten immer wieder einzelne Vorstöße geführt, um sich für Überfälle zu rächen und um den Sachsen die Macht des Frankenreichs zu demonstrieren. Anscheinend plante KARL aber im Unterschied zu diesen begrenzten Feldzügen von Anfang an, ganz Sachsen zu unterwerfen und durch die Christianisierung in sein Reich einzugliedern.
    Nachdem bereits 770 eine militärische Aktion durchgeführt worden war, rückte KARL im Sommer 772 mit einem bedeutenden Heer in das Gebiet der Engern ein (südlich von Paderborn). Die dem Kriegsgott geweihte Eresburg wurde dabei eingenommen und die weiter nördlich gelegene Itminsul, ein gewaltiger Baumstamm in einem heiligen Hain, wurde zerstört. In die Eresburg wurde eine fränkische Besatzung gelegt, und das Land sollte durch die Ausrottung des Heidentums und eine rasche Christianisierung befriedet werden. Der erfolgreiche Angriff auf ein zentrales Heiligtum hat die Sachsen aber nicht verunsichert, sondern stachelte sie zu einem Gegenschlag auf, der während KARLS Italienzug 773/74 durchgeführt wurde. Die fränkische Aktion von 774 zeigte, dass der sächsische Adel bereit war, sich - wie in Italien oder in Bayern - dem überlegenen fränkischen Heer zu unterwerfen, wohl auch in der Hoffnung auf Teilhabe an Beute und Herrschaft im expandierenden Frankenreich. An den Quellen der Pader wurde eine Karlsburg errichtet, und in Paderborn fand im Jahr 777 eine gesamtfränkische Reichsversammlung statt, auf der eine große Anzahl von sächsischen Adeligen erschien, die den Franken ihre Loyalität erklärten. Damit schien die Eingliederung Sachsens in das Frankenreich abgeschlossen. Der Widerstand gegen die Fremdherrschaft und gegen die Christianisierung wurde jetzt hauptsächlich von den freien Bauern getragen, die durch KARLS Niederlage auf dem Rückmarsch von Spanien zum Losschlagen unter ihrem adeligen Anführer Widukind ermuntert wurden. Die Karlsburg wurde niedergebrannt, und die Sachsen drangen bis zum Rhein und bis nach Fulda vor. Im Gegenzug errichteten die Franken zahlreiche Klöster und Kirchen als Stützpunkte ihrer Herrschaft, und KARL übertrug 782 die fränkische Grafschaftsverfassung ins eroberte Sachsen, wobei mächtige sächsische Adelige als Lohn für ihre Treue zum Frankenkönig zu Grafen gemacht wurden.
    Den frisch bekehrten Sachsen wurde der Kirchenzehnt auferlegt, eine Abgabe, die von ihnen als große Schmach und als Zeichen der Sklaverei angesehen wurde. Die alte sächsische Verfassung mit ihrer Volksversammlung wurde abgeschafft. 782 oder 785 erließ KARL ein Kapitular, das Angriffe auf den christlichen Glauben und seine Repräsentanten sowie Illoyalität gegen die Franken mit drakonischen Strafen bedroht. Nicht nur die Ermordung eines Klerikers oder die Zerstörung einer Kirche sollte mit dem Tode bestraft werden, sondern auch der Versuch, sich der Taufe zu entziehen, die Ausübung heidnischer Praktiken oder das Einäschern der Leiche eines Verstorbenen. Die Folge dieser Maßnahmen war ein Aufstand von solcher Heftigkeit, wie ihn KARL nicht mehr erwartet hatte: die Priester als Repräsentanten des verhaßten Systems wurden erschlagen oder vertrieben; ein fränkische Heeresgruppe wurde in offener Feldschlacht vernichtet (783). KARL selbst mußte eingreifen, er konnte das Hauptheer umzingeln, und der sächsische Adel lieferte die Rädelsführer des Aufstands aus; Widukind allerdings war entkommen. Bei Verden an der Aller wurden die Empörer hingerichtet; die Zahl von 4.500 enthaupteten Sachsen ist sicher übertrieben; auch handelte es sich bei dieser Maßnahme nicht um bloßen Terror, sondern um die rechtlich gebotene Bestrafung von Hochverrätern. An dieser Episode hat sich später heftige Kritik an KARL DEM GROSSEN entzündet, die bis zum Beinamen "Sachsenschlächter" reichte, mit dem KARL von der offiziellen Geschichtsbetrachtung der Nationalsozialisten belegt wurde.
    Um die Sachsen durch eigene Präsenz zu beeindrucken, verbrachte KARL drei Winter hintereinander im Land (782-784), und er gab ihnen vor allem in den Jahren 784 und 785 keine Gelegenheit, ihre Kräfte wieder zu sammeln. Von dieser Festigkeit beeindruckt, kam der Sachsenführer Widukind zu Weihnachten 785 in die königliche Pfalz Attigny und ließ sich zusammen mit seinen engsten Gefährten taufen. KARL persönlich übernahm die Patenschaft für Widukind, über dessen weiteres Schicksal wir nichts Genaueres wissen. Es ist ungewiß, ob er wie Desiderius oder Tassilo III. sein Leben im Kloster beschloß; die Nachrichten über einen Aufenthalt auf der Reichenau sind jedenfalls recht undeutlich.
    Ein letztes Aufbäumen des sächsischen Freiheitsdranges gab es in den Jahren 793 und 797, als die Franken durch den Krieg mit den Awaren auf einem anderen Schauplatz beschäftigt schienen. Obwohl wieder die Pfalz in Paderborn zerstört wurde, war die fränkische Herrschaft schon zu fest verwurzelt, als dass sie noch beseitigt hätte werden können. Nur im Mündungsgebiet von Weser und Elbe sowie in Nordalbingien war der Widerstand längere Zeit erfolgreich. Nach den Feldzügen von 797, 802 und zuletzt 804 wurden die aufständischen Bauern an der unteren Elbe und in Holstein zu Tausenden planmäßig deportiert und im ganzen Reich verstreut neu angesiedelt; hier eher als beim Blutbad von Verden zeigte sich KARL als despotischer Herrscher. Ein Friedensschluß von 803 wurde durch eine größere Anzahl von sächsischen Geiseln bekräftigt; ein Verzeichnis von 37 Namen von sächsischen Großen, die in alemannischen Klöstern verwahrt werden sollten, ist noch erhalten.
    Zur endgültigen Befriedung trug auch bei, dass KARL 797 das strenge Sachsenkapitular durch ein milderes Gesetz ablöste, in dem die meisten Vergehen durch Geldbußen abgegolten werden konnten, so wie das in den fränkischen Rechtsbüchern der Zeit auch üblich war. Im Jahr 802 wurde das sächsische Rechtsbuch, die Lex Saxonum, kodifiziert, in dem das alte Stammesrecht mit fränkischem Reichsrecht und christlichen Elementen zu einer neuen Einheit verbunden wurde.
    Nachdem KARL an die Stelle der deportierten Sachsen in Transalbingien Franken und vor allem die elbslawischen Abodriten angesiedelt hatte, kam es seit 804 zu Konflikten mit den Dänen unter ihrem König Göttrik, der ganz Sachsen und Friesland zu unterwerfen suchte. Nicht nur die Franken, sondern auch die Dänen versuchten nämlich in jenen Jahren, ein Großreich zu errichten. Mit fränkischer Hilfe gelang es aber den Abodriten in O-Holstein, sich von der dänischen Oberhoheit freizuhalten.
    Mit den östlich von Sachsen und Thüringen wohnenden slawischen Stämmen hatte das Frankenreich bereits unter KARL DEM GROSSEN feindliche und auch freundschaftliche Beziehungen. 789 führte KARL persönlich einen Feldzug gegen die Wilzen durch, und nach der endgültigen Unterwerfung der Sachsen gelang auch die Eingliederung der Sorben ins Frankenreich (806). Ein großer Zug nach Böhmen (805/06) brachte auch dieses Gebiet unter fränkische Oberhoheit.
    Am Ende seines Lebens herrschte KARL über ein Reich von ca. 1 Million km²; aber die Größe dieses Reichs brachte erhebliche Probleme bei seiner Verwaltung mit sich, und an seinen Grenzen gab es mehrere Unruheherde, die KARL nicht hatte befriedigen können. Dabei brachten die Emanzipationsbestrebungen der Bretonen oder der Elbslawen das Reich in keine bedrohliche Lage, aber am Ende von KARLS Regierung machten sich bereits die Normannen bemerkbar, deren Streifzüge das Frankenreich später in die Defensive drängen sollten. Notker von St. Gallen hat dies in einer schönen Anektode dargestellt: Die Normannen, die eine Stadt am Mittelmeer überfallen wollten, hätten erfahren, dass sich KARL DER GROSSE dort aufhielt; darauf seien sie aus Furcht vor dem großen Kaiser abgezogen. KARL sei ans Fenster getreten und habe bittere Tränen vergossen, weil er voraussah, dass die Normannen schwere Leiden über seine Nachfahren und deren Untertanen bringen würden.
    Nach den Eroberungen in Italien, NO-Spanien, Bayern und Pannonien sowie in Sachsen mit der Oberherrschaft über die slawischen Stämme östlich der Elbe war KARL der mächtigste Herrscher in der den damaligen Menschen bekannten Welt - mit Ausnahme des Kaisers, der in Konstantinopel seinen Sitz hatte. KARLS vertrauter Ratgeber Alkuin hatte schon nach den Siegen über die Sachsen und die Awaren nach angelsächsischem Muster von KARL als imperator, als Kaiser gesprochen, und er hatte auch die Aufgaben seines Amtes gegenüber dem neuen Papst Leo III. weitgespannt angegeben: "Unsere Aufgabe ist es, die Kirche Christi nach außen mit Waffengewalt gegen heidnische Angriffe zu verteidigen und gegen Zerstörungen durch die Ungläubigen zu schützen, aber auch nach innen die Anerkennung des rechten Glaubens sichern."
    Als Papst Leo III. nach einem auf ihn verübten Attentat im Sommer 799 den fränkischen König in Paderborn aufsuchte, wurde wahrscheinlich auch über das Kaisertum gesprochen und dabei der Aspekt erörtert, dass am ehesten ein Kaiser durch ein abschließendes Urteil die Anklagen gegen den Papst aus der Welt schaffen könne.
    Nachdem KARL bereits am Beginn seines Romzugs vom Jahr 800 mit kaiserlichen Ehren empfangen worden war und im roten Kaisermantel und mit roten Kaiserstiefeln auftrat, konnte es kaum überraschend sein, dass ihm Papst Leo während der Weihnachtsmesse in St. Peter die Kaiserkrone auf das Haupt setzte. Die Römer stimmten diesem Vorgang zu, indem sie riefen: "Dem Augustus KARL, dem von Gott gekrönten, großen und friedliebenden Kaiser der Römer, Leben und Sieg!" Das Vorbild für diese Kaisererhebung kam aus Byzanz: so wie dort das Volk den neuen Kaiser akklamierte und der Patriarch die Krönung vornahm, so agierten am Weihnachtstag 800 das Volk von Rom als Akklamator und der Papst als Koronator des Kaisers.
    Einhard berichtet allerdings, KARL habe gesagt, dass er trotz des hohen Festtags nicht in die Kirche gegangen wäre, wenn er gewußt hätte, dass ihm der Papst die Kaiserkrone aufsetzen würde. Diese Aussage muß wohl als authentisches Zeugnis des Kaisers gewertet werden; sie ist aber mit großer Wahrscheinlichkeit eine Aussage nach dem Ereignis, das heißt sie gibt kaum KARLS Zustimmung am Weihnachtstag 800 wieder. Dass KARL gegen Ende seines Lebens dem Papst keine Mitwirkung bei der Kaiserkrönung zubilligen wollte, zeigt sich am besten darin, dass er seinem Sohn LUDWIG am 11.9.813 zum Mitkaiser erhob, indem er ihm selbst die Krone aufsetzte. Damit übernahm KARL die in Byzanz übliche Zeremonie zur Erhebung eines Mitkaisers.
    Die Distanz KARLS DES GROSSEN gegen ein römisches, das heißt an die Stadt Rom gebundenes Kaisertum zeigt sich auch darin, dass er nach 800 nie mehr nach Rom kam, vielmehr seine Residenz Aachen zu einem Rom des Nordens ausbaute, wo es nach dem Vorbild der Ewigen Stadt einen Lateran und eine mit antiken Säulen geschmückte Pfalzkapelle geben sollte.
    Durch KARLS Kaiserkrönung erhielt das Verhältnis zwischen Byzanz und dem Frankenreich eine neue Qualität. Wie man in gewissen Kreisen die Vorgänge von Weihnachten 800 im Osten sah, können wir einer Notiz in der Chronik des byzantinischen Mönchs Theophanes entnehmen: "Papst Leo vergalt KARL seine Hilfe und krönte ihn zum Kaiser der Römer in der Kirche des heiligen Apostels Petrus, indem er ihn von Kopf bis Fuß mit Öl salbte und ihm ein kaiserliches Gewand und eine Krone antat." Da das byzantinische Zeremoniell keine Kaisersalbung kannte, sollte wohl durch die übertriebene Schilderung dieser Handlung die barbarische Ahnungslosigkeit verdeutlicht werden, mit der die Westler ihren usurpatorischen Akt vollzogen hatten. In Byzanz konnte man sich nicht vorstellen, dass es zwei Kaiser nebeneinander geben konnte; man rechnete daher wohl mit einem Angriff aus dem Westen. Theophanes deutet aber noch eine andere Lösung des Zweikaiserproblems an, wenn er berichtet, dass 802 eine fränkische Gesandtschaft in Konstantinopel erschienen sei, die der Kaiserin Irene einen Heiratsantrag KARLS überbracht hätte. Die fränkischen Gesandten hätten sich noch in Byzanz befunden, als Irene durch ihren Logotheten Nikephoros gestürzt wurde.
    Zu unserer Einschätzung von KARLS Mentalität paßt es nicht, dass er tatsächlich eine Eheverbindung mit der byzantinischen Kaiserin geplant hat; keine abendländische Quelle berichtet von diesem Eheprojekt.
    Mit dem neuen Kaiser Nikephoros kam es zu Kämpfen, in denen es vordergründig um die Beherrschung der Adriaküste ging, im Hintergrund stand aber die Frage nach der Gleichberechtigung der beiden Kaiser. Militärisch endete dieser Krieg mit einer Niederlage der Franken, da sie im Gegensatz zu den Byzantinern keine Flotte besaßen. Nach dem Friedensschluß von 810 suchte 812 eine byzantinische Gesandtschaft KARLS Residenz in Aachen auf; die Gesandten akklamierten KARL in griechischer Sprache als Kaiser und redeten ihn wie den oströmischen Kaiser als Basileus Romaion (Kaiser der Römer) an. Auch KARL bemühte sich in seinem Antwortschreiben an den Kaiser im fernen Konstantinopel, die Gleichrangigkeit seiner eigenen Würde mit der des oströmischen Herrschers auszudrücken, ohne dessen Selbsteinschätzung zu verletzen. Wegen der langen Reisewege und der Herrscherwechsel im Osten wie im Westen war der Austausch der Friedensurkunden erst im September 815 abgeschlossen.
    Nicht nur zum christlichen Kaiser im Osten, sondern auch zu den moslemischen Staatenbildungen unterhielt KARL Kontakte. Schon sein Vater Pippin hatte in seinen letzten Lebensjahren, 765-768, eine Gesandtschaft ins Kalifat nach Bagdad entsandt. Bei ihrer Rückkehr brachten die fränkischen Gesandten auch eine Legation des Kalifen mit; sicher ein Beweis für freundschaftliche Beziehungen. Erst 30 Jahre später entsandte KARL DER GROSSE eine Legation in den Osten, von der wir die Namen der Teilnehmer kennen. Darunter befand sich der sprachkundige Jude Isaak, der wohl zu den jüdischen Fernhändlern gehörte, die auch noch nach dem Einbruch des Islams im gesamten Mittelmeerraum Handel trieben. Dieser Isaak brachte bei seiner Rückkehr als Geschenk des Kalifen Harun ar-Raschid (786-809) einen Elefanten mit, dessen Namen unsere Quellen überliefern: Abul Abbas (das ist der Name des Onkels des Propheten, den die Kalifen von Bagdad als ihren Stammvater verehrten). Der Elefant wurde so gut und kundig gehalten, dass er zehn Jahre im Frankenreich lebte.
    Eine zweite Gesandtschaft reiste 802 nach Bagdad und erreichte es nach dem Bericht Einhards, dass der Kalif KARL die Verfügungsgewalt über das Grab Christi und damit das wichtigste Pilgerziel im Heiligen Land übergab. Sein Prestige stieg dadurch gewaltig; denn nicht dem oströmischen Kaiser, der das Christentum so lange gegen die islamische Expansion verteidigt hatte, sondern dem Kaiser des Westens wurde der Schutz der Pilger und der christlichen Geistlichkeit in Jerusalem übertragen. Die fränkischen Chronisten verzeichnen denn auch stolz die Geschenke, die eine zweite Gesandtschaft Harun ar-Raschids nach Aachen brachte; ein großes Zelt, kostbare Seidengewänder, Duftstoffe und Salben sowie eine Wasseruhr.
    Dank Einhards wertvoller Biographie können wir uns KARLS äußere Erscheinung recht gut vorstellen: "KARL war kräftig und stark, dabei von hoher Gestalt, die aber das rechte Maß nicht überstieg. Es ist allgemein bekannt, dass er sieben seiner Füße groß war. Er hatte einen runden Kopf, seine Augen waren sehr groß und lebhaft, die Nase etwas lang; er hatte schöne graue Haare und heiteres und fröhliches Gesicht. Seine Erscheinung war immer imposant und würdevoll, ganz gleich ob er stand oder saß. Sein Nacken war zwar etwas dick und kurz, und sein Bauch trat ein wenig hervor, doch fielen diese Fehler bei dem Ebenmaß seiner Glieder nicht sehr auf. Sein Gang war selbstbewußt, seine ganze Körperhaltung männlich und seine Stimme klar, obwohl sie nicht so stark war, wie man bei seiner Größe hätte erwarten können."
    Die Tatsache, dass KARL gar nicht als Idealtyp eines Heldenkönigs geschildert ist, sondern auch sein kurzer Nacken und sein Bauch oder seine dünne Stimme erwähnt werden, dürfte die Wahrheit dieser Beschreibung verbürgen. Dabei muß man allerdings beachten, dass Einhard (geboren um 770) erst seit ca. 796 in der Umgebung KARLS auftaucht, das heißt dass er KARL nur als über Fünfzigjährigen älteren Mann kannte. Aber wichtige Einzelheiten, wie etwa KARLS Körpergröße von ca. 1,90 m, werden durch andere Quellen, in diesem Fall durch Messungen an seinem Skelett, bestätigt.
    Auch viele andere persönliche Züge, die wir von KARL - im Unterschied zu den meisten anderen mittelalterlichen Herrschern - kennen, verdanken wir Einhards kleiner Schrift. So wissen wir von seiner lebhaften Art, die sein Biograph geradezu als Geschwätzigkeit bezeichnet, und wir kennen seine Abneigung gegen die Ärzte, die ihm verboten, sein geliebtes Bratenfleisch zu essen, seine Mäßigkeit im Trinken und seine Liebe zur Jagd und zum Schwimmen. Durch Einhard wissen wir auch über den etwas eigenartigen Tagesrhythmus des Kaisers Bescheid, der zwar nach dem Mittagessen eine lange Ruhepause einlegte, aber in der Nacht mehrfach aufstand, sich ankleiden ließ und dann "regierte", das heißt Audienzen gewährte, Gerichtssitzungen abhielt und Anweisungen für den kommenden Tag gab.
    Eine Ausbildung, die ihn auf seine künftigen Aufgaben als Herrscher über ein großes Reich vorbereitet hätte, hat KARL anscheinend nicht erhalten. Einhard vermittelt den Eindruck, als sei KARL ein äußerst lernbegieriger Autodidakt gewesen, der erst als König viele Kenntnisse erworben habe. Von KARLS Sprachkenntnissen weiß Einhard zu berichten, dass er nicht nur seine Muttersprache, sondern auch Latein vorzüglich verstanden und gesprochen habe; selbst Griechisch soll er verstanden haben. KARLS Interesse für das Rechnen und für die Astronomie wird nicht nur von Einhard betont, sondern wird auch belegt durch eine Anzahl von Briefen, in denen sich KARL über Himmelserscheinungen informieren ließ. Für seine Lernbegeisterung ist es bezeichnend, dass KARL sich noch im Alter darum bemühte, das Schreiben zu erlernen. So habe der Kaiser unter seinem Kopfkissen immer Wachstafeln und Blätter bereitliegen gehabt, um sich in Zeiten der Schlaflosigkeit im Schreiben zu üben.
    Obwohl der Kaiser also nicht selbst schrieb, dürfte er das Lesen beherrscht haben; seine Kenntnis der Literatur und der Geschichte wurde auch dadurch gefördert, dass während des Mittagessens historische Werke oder Schriften des Augustinus, besonders dessen "Gottesstaat", vorgelesen wurden. Als um 790 am Hof KARLS die fränkischen Theologen eine Schrift über die Verehrung der Bilder verfaßten, die sich gegen die bilderfreundliche Entscheidung des Konzils von Nizäa 787 richtete, wurde sie anscheinend in Gegenwart des Königs vorgelesen, der sie mit Ausrufen wie "sehr gut", "sehr wahr", "sehr schön argumentiert" und ähnlich kommentierte, die ein Stenograph in tironischen Noten auf dem Rand der heute noch vorhandenen Handschrift festhielt.
    KARLS großes Interesse an Fragen der Bildung und der Schriftkultur zeigt sich auch darin, dass er es verstand, bedeutende Gelehrte an seinen Hof zu ziehen und dort zu halten. Es hatte zwar schon unter seinem Vater Pippin eine Palastschule gegeben, aber überragende Leistungen sind aus dieser nicht hervorgegangen. KARL hat daher auswärtige Gelehrte angeworben, wie den Langobarden Paulus Diaconus, den Angelsachsen Alkuin und den Westgoten Theodulf. Eine ganze Reihe von Gedichten dieser und anderer Männer vermittelt uns ein lebendiges Bild von KARLS "Hofakademie", deren Mitglieder sich mit Namen aus der Antike oder aus dem Alten Testament schmückten. KARL selbst ließ dieses Tun nicht nur zu, sondern war intensiv mitbeteiligt. Der bedeutendste Literat war wohl Theodulf, dem KARL 798 das Bistum Orleans übergab. In seinen Gedichten übte dieser auch Kritik an den Zuständen im Reich, wobei er sich nicht scheute, den Herrscher selbst zu kritisieren. Andere Mitglieder des Hofkreises versuchten dagegen, sich durch teilweise penetrantes Herrscherlob gegenseitig zu übertreffen. Erst in der zweiten Generation der Gelehrten tauchen dann auch Franken auf, von denen hier Angilbert, der Lebensgefährte von KARLS Tochter Bertha, und Einhard genannt seien. Beide waren keine Geistlichen, sondern Laien; aber Angilbert erhielt 790 die Abtei St. Requier an der Somme, um die er sich sehr kümmerte, wobei er besonders die Bibliothek und die Reliquienschätze seines Klosters förderte. Seit 804 leitete Alkuins Schüler Hrabanus Maurus aus Mainz die Klosterschule in Fulda; den Höhepunkt seiner Bedeutung und seines Einflusses erreichte Hrabanus aber erst unter LUDWIG DEM FROMMEN und Ludwig dem Deutschen.
    Eine wesentliche Arbeit der Hofgelehrten bestand darin, die schriftliche Überlieferung der zentralen Texte des christlichen Glaubens von Fehlern zu reinigen. Daher waren Theodulf und Alkuin damit befaßt, nicht nur neue Handschriften der Bibel herstellen zu lassen, sondern auch dafür zu sorgen, dass in diesen Manuskripten ein möglichst fehlerfreier Text wiedergegeben wurde. Die Sorge um einen reinen Text bezog sich auch auf die Benediktregel und auf das Kirchenrecht.
    Mit dem Namen KARLS DES GROSSEN verbunden ist weiterhin eine Reform der Schrift: Noch unsere heutige Druckschrift benutzt im wesentlichen jene Buchstaben, die in KARLS Zeit entwickelt wurden: die karolingischen Minuskel. Die klare, schnörkellose und gut lesbare Schrift machte es leichter, die Forderung nach möglichst fehlerloser Abschrift von wichtigen Texten zu erfüllen.
    Auch der Volkssprache galt sein Interesse. Einhard berichtet davon, dass KARL den Monaten und den Winden volkssprachliche Bezeichnungen gegeben habe. Auch die Lieder, in denen die Helden der heidnischen Vorzeit verherrlicht wurden, ließ er aufzeichnen. Einzig das Hildebrandlied ist als Zeugnis für diese Bemühungen auf uns gekommen. Ein zentrales Anliegen KARLS war es, die Rechtsprechung auf schriftliches Recht zu gründen. Die bereits schriftlich vorhandenen Rechte der Franken (Lex Salica und Lex Ribvaria) sollten verbessert und den veränderten Verhältnissen angepaßt werden. Die noch ungeschriebenen Gesetze der anderen Stämme ließ er sammeln und aufzeichnen; von diesem Bemühen zeugen noch die Leges der Friesen, Sachsen und Thüringer. Auf einer Reichsversammlung des Jahres 802 wurden die Gesetze den anwesenden Großen des Reichs in ihrer Sprache vorgelesen.
    Während die geplante Reform der alten Leges den Franken nicht abgeschlossen werden konnte, hat KARL eine große Zahl von Kapitularien, das heißt von in Kapiteln gegliederten Verordnungen, erlassen, die eine Vielzahl von Themen betreffen. Das erste bedeutende Gesetz in dieser Reihe ist im Jahr 779, also unmittelbar nach dem Ende der ersten Reihe von Eroberungskriegen, entstanden. Die beiden schweren Niederlagen des Jahres 778 (gegen die Basken und gegen die Sachsen) konnten KARL also nicht davon abhalten, mit der inneren Reform seines Reiches zu beginnen. Das bedeutendste Kapitular aus den Anfängen seiner Regierungszeit stammte aus dem Jahr 789 und wird als Admonitio generalis ("allgemeine Ermahnung") bezeichnet. Dieses Gesetz richtete sich in erster Linie an die Geistlichen, denen zahlreiche Vorschriften nach dem Vorbild des alten Kirchenrechts gegeben werden. Es war vermutlich Alkuin, der die Formulierung dieses Schriftstücks besorgte und der auch für seine Verbreitung verantwortlich war. Die heute noch vorhandenen Exemplare dieses Gesetzes zeigen, dass das Ziel erreicht wurde, das Gesetz in allen Regionen des Reiches zu versenden.
    In der Kapitulargesetzgebung KARLS bedeutet die Kaiserkrönung einen wichtigen Einschnitt: danach ist eine verstärkte Hinwendung zur Aufstellung von Normen zu beobachten, die in den Fürstenspiegeln von einem christlichen Herrscher erwartet werden, nämlich der Schutz von Armen und Schwachen und die Aufrechterhaltung von Frieden und Eintracht im Reich. KARL beschränkte sich in diesen Jahren jedoch nicht auf allgemeine Ermahnungen, sondern griff ganz konkrete Mißstände auf, die beseitigt werden sollten. Für die armen Freien wurden der Zwang zum Heerdienst und die Pflicht, auf allen Gerichtsversammlungen zu erscheinen, gemildert; denn diese Pflicht ermöglichte es den Grafen als den Inhabern der königlichen Gerichtsbarkeit und des militärischen Oberbefehls, manche Freien in den unfreien Status herabzudrücken, indem sie planmäßig in ungünstigen Zeiten zur Gerichtsverhandlung befohlen oder zum Kriegsdienst eingezogen wurden.
    In seinem letzten Kapitular, das wahrscheinlich am Ende des Jahres 813 erlassen wurde, hat KARL dem Zweifel Ausdruck verliehen, ob seine Gesetze überhaupt den Menschen in seinem Reich bekannt geworden seien oder ob seine legislative Arbeit vergeblich gewesen sei. Aber auch diese resignierte Äußerung veranlaßte KARL nicht dazu, seine Anstrengungen aufzugeben, sondern nur dazu, eine bessere Verbreitung für die Korrektheit seiner Gesetze zu fordern.
    Eine gewisse Gewähr für die Korrektheit der Verwaltung schien immerhin dadurch gegeben, dass KARL die Grafen durch besondere Vertrauensleute kontrollieren ließ, die immer zu zweit auftraten (ein Bischof und ein weltlicher Machthaber), was ihre Durchsetzungskraft erhöhte und ihren Hang zur Korruption bremsen konnte.
    Um 800 ließ KARL das Königsgut im gesamten Reich verzeichnen, das heißt er ließ Inventare anlegen, in denen für jeden einzelnen Königshof der Bestand an Gebäuden, an Vieh und an Gerätschaften bis hin zum letzten hölzernen Rechen aufgenommen wurde. Das berühmte Capitulare de Villis (Kapitular über die Königshöfe) enthält dann Vorschriften über den Betrieb der königlichen Gutshöfe, wobei sich KARL mit der Anpflanzung von Obstbäumen und Weinreben, mit der sorgfältigen Nutzung des Waldes, mit der Aufzucht von Pferden, Rindern und Geflügel und mit den Lieferungen für den Unterhalt des Königs und seines Hofes befaßte. Über den Verkauf der erwirtschafteten Überschüsse sollte dem Herrscher genau Rechnung gelegt werden.
    Auch über die Ehen und Konkubinate KARLS DES GROSSEN wissen wir besser Bescheid als bei anderen Herrschern des Mittelalters. Weil Einhard in seiner Biographie die Kaiserviten Sueons nachahmen wollte, hat er auch das private Leben seines Helden ausführlich geschildert. Schon in jungen Jahren (um 763) hatte sich KARL mit einem adeligen Mädchen namens Himiltrud verbunden; aus dieser Beziehung ging ein Sohn hervor, der den Namen Pippin erhielt und der damit als vollberechtigter Erbe bezeichnet war, obwohl die Verbindung mit Himiltrud kaum eine Vollehe gewesen ist. Auch KARLS Großvater Karl Martell war ja aus einer nicht voll gültigen Ehe hervorgegangen.
    Die Ehe mit der Tochter des Langobarden-Königs Desiderius war ein politisch begründetes Bündnis; sie war die einzige Ehe mit einer Ausländerin, die in karolingischer Zeit von einem Franken-König eingegangen wurde. Aus politischen Gründen trennte sich KARL von ihr und heiratete Hildegard, ein noch junges Mädchen, das mütterlicherseits vom alemannischen Herzogshaus abstammte. Diese Ehe war politisch die wichtigste für KARL, denn sie verschaffte ihm einen sicheren Stand im östlich des Rheins gelegenen Gebiet. Aus dieser Ehe gingen bis zum frühen Tod Hildegards (783) 9 Kinder hervor, 4 Söhne und 5 Töchter. Die ersten beiden Söhne erhielten typische KAROLINGER-Namen, nämlich Karl und Karlmann; die beiden 778 geborenen Zwillingsbrüder wurden LUDWIG und Lothar genannt. Bei KARLS zweitem Romaufenthalt (781) übernahm Papst Hadrian I. die Patenschaft über die beiden älteren Söhne. Damit war ein Namenswechsel des zweiten Sohnes verbunden, der jetzt nicht mehr Karlmann, sondern Pippinheißen sollte. Der ältere Pippin aus KARLS Friedelehe hatte damit sein Recht auf Nachfolge im Frankenreich verloren; er hat 791/92 versucht, Verbindung zur Adelsopposition gegen seinen Vater aufzunehmen, um eine Teilhabe am Erbe zu erhalten; nach dem Scheitern dieses Aufstands endigte Pippin "der Bucklige" im Kloster Prüm. Mit der Benennung der Zwillinge nahm KARL die Namen der bedeutendsten Könige aus dem Haus der MEROWINGER auf, denn Chlodwig als Reichsgründer und Chlothar II. als bedeutender Herrscher am Beginn des 7. Jahrhunderts lebten sicher noch im Gedächtnis der Franken fort. Aus diesen MEROWINGER-Namen hat man geschlossen, die KAROLINGER seien entweder Blutsverwandte der MEROWINGER gewesen oder sie hätten versucht, sich an die alte Dynastie "anzusippen". Beide Erklärungen gehen wohl fehl, denn KARL hatte es nicht nötig, sich auf Königsheil der alten Dynastie zu stützen; es war jedoch geschichtsbewußt genug, seine eigene Familie an die großen Leistungen der MEROWINGER zu erinnern.
    Bald nach den Tode Hildegards heiratete KARL Fastrada, die Tochter eines ostfränkischen Grafen; aus dieser Ehe gingen zwei Töchter hervor. Einhard berichtet mit einiger Kritik davon, dass Fastrada einen bedeutenden politischen Einfluß ausübte. Nach ihrem Tode (794) ging KARL zunächst keine neue Vollehe ein, sondern lebte mit der Alemannin Liutgard zusammen. Erst während der Anwesenheit von Papst Leo III. im Frankenreich (799) wird sie als Königin bezeichnet, das heißt KARL dürfte in dieser Zeit seine Verbindung "legalisiert" haben. Als Liutgard wenig später (800) starb, lebte KARL nur noch mit Konkubinen zusammen. KARL hielt es wohl für politisch unklug, sich nach der Erlangung der Kaiserwürde mit einer bestimmten Adelsfamilie zu verbinden und diese damit vor allen übrigen Familien um Frankenreich auszuzeichnen. Außerdem waren ja aus der Ehe mit Hildegard drei vollbürtige Söhne vorhanden, die zur Aufrechterhaltung des Erbgangs zu genügen schienen.
    Dass solche Gedankengänge bei KARL eine Rolle spielten, können wir aus seinem Verhalten bei der Verehelichung seiner eigenen Kinder entnehmen. Der älteste, der wohl schon früh als Thronerbe in Aussicht genommen war, blieb unverheiratet, während seine beiden jüngeren Brüder Karlmann-Pippin und LUDWIG (Lothar war schon als kleines Kind verstorben) recht früh mit adeligen Mädchen verheiratet wurden, die aus den ihnen zugewiesenen Unterkönigreichen stammten. Schon KARL hatte ja die Heiraten mit Hildegard und Fastrada dazu benutzt, sich mit dem Adel in wichtigen Regionen zu verbinden. Eine Ehe des ältesten Sohnes und Thronerben sollte wohl deshalb möglichst lange hinausgezögert werden, um die Anzahl seiner Nachkommen und damit der möglichen Erben zu beschränken.
    Das Nachfolgekonzept KARLS DES GROSSEN kennen wir aus dem Reichsteilungsgesetz (Divisio imperii) von 806. Demnach sollte der jüngste noch lebende Sohn, LUDWIG, Aquitanien, den größten Teil Burgund und die Provence erhalten; der zweite, Pippin, sollte zu Italien auch Bayern und das südlich Alemannien (bis zur Donau) bekommen; der älteste endlich, Karl der Jüngere, sollte mit Neustrien und Austrien das ganze altfränkische Kernland und zudem noch Sachsen, Thüringen, Friesland sowie Teile Bayerns, Alemanniens und Burgunds bekommen. Es waren auch bereits Grenzen festgelegt, wenn nach dem Tod eines der drei Söhne die beiden anderen den verstorbenen Bruder beerben sollten. In einem bezeichnenden Kapitel hatte KARL seinen Söhnen für den Eintritt des Erbfalls auferlegt, dass keiner von ihnen einen Angehörigen der kommenden Generation, Sohn oder Neffen, ohne gerechtes Gericht töten, verstümmeln, blenden oder zwangsweise ins Kloster einweisen lassen dürfe: Die Kenntnisse KARLS von der Geschichte der MEROWINGER und seine eigenen Erfahrungen über die Erbgänge beim Tode seines Großvaters und Vaters schlugen hier durch.
    Auch für seine Töchter hatte KARL ein ganz bestimmtes Konzept, was ihre persönliche Lebensgestaltung anging. Die älteste, Rotrud, war fünf Jahre lang (781-786) mit dem byzantinischen Kaiser Konstantin VI. verlobt; nicht also ein hochadeliger Bräutigam aus dem Frankenreich, sondern nur der am höchsten stehende christliche Herrscher kam nach KARLS Auffassung als Ehepartner in Frage. Nach dem Scheitern dieser Verlobung behielt KARL seine Töchter an seinem Hof und in seiner Munt. Sie lebten hier in eheähnlichen Verhältnissen mit wichtigen Ratgebern des Kaisers und hatten auch Kinder.
    Diese unregelmäßigen "Zustände" am Kaiserhof und auch das lebhafte Sexualleben des Kaisers haben sofort nach seinem Tod heftige Kritik hervorgerufen. Nicht nur, dass sein Sohn und Nachfolger LUDWIG DER FROMME die Schwestern mit ihren Kindern aus Aachen vertrieb, sondern die Jenseitsvision des Reichenauer Mönchs Wetti (aus dem Jahre 824) weiß zu berichten, dass der Kaiser trotz seiner großen Verdienste um die Verteidigung Glaubens und die Leitung der Kirche wegen seines Lebenswandels unter den Verdammten schmachte.
    Die merowingischen Könige hatten keine richtige Hauptstadt besessen; obwohl Paris eine gewisse Sonderrolle unter ihren Aufenthaltsorten innehatte, hielten sich die Könige an verschiedenen Pfalzen im Tal der Oise auf, von denen vor allem Compiegne und Quierzy zu nennen sind. Herstal (bei Lüttich) und Attigny (bei Reims) besaßen als Residenzen der austrasischen Herrscher große Bedeutung. Noch Pippin hatte sich meist an diesen merowingischen Pfalzorten aufgehalten. Unter KARL wird dann rasch deutlich, dass sich der Schwerpunkt seines Reiches nach Osten verlagert hatte. Frankfurt, Ingelheim, Diedenhofen und Worms treten zu den alten Aufenthaltsorten hinzu; hier hielt sich der König auf, wenn er nicht auf einem Kriegszug war oder wenn er nicht in einem neu eroberten Gebiet überwintern mußte.
    Während KARL nur je zwei Winter in Attigny und Diedenhofen verbrachte, je drei in Quierzy und Worms und vier in Herstal, wurde Aachen seit dem Ende des 8. Jahrhunderts der alleinige Winterpalast KARLS DES GROSSEN; hier hat er 18 Winter verbracht. Die Vorbilder für die Wahl einer dauernden Residenz waren wohl das Langobardenreich, das in Pavia eine richtige Hauptstadt besessen hatte, und das Kaiserreich in Konstantinopel. Außerdem spielte auch Ravenna als Residenz des großen Barbarenkönigs Theoderich eine Rolle. Von dort ließ KARL 801 eine Statue dieses Goten-Königs nach Aachen transportieren, und dessen Kirche San Vitale war mit ihrem Oktogon ein wesentliches Vorbild für die Architektur der Pfalzkapelle in Aachen. Für diesen Ort sprach vor allem, dass KARL hier in den nahegelegenen großen Waldungen seiner geliebten Jagd nachgehen und in den warmen Quellen schwimmen konnte.
    Das Ansehen des Kaisers war bereits bei seinen Zeitgenossen groß; Dichter und Hofhistoriographen nannten ihn "Leuchtturm Europas", "Vater Europas". Und auch der Beiname Magnus, "der Große", wird ihm seit den achtziger Jahren des 8. Jahrhunderts immer wieder gegeben. Die Päpste Hadrian I. und Leo III. hatten KARL als "großen König" angesprochen. Diese Bezeichnung findet sich auch in privaten Urkunden und nach 800 auch in offiziellen Aktenstücken. In seinem Epitaph wird er "großer und rechtgläubiger Kaiser" (magnus et orthodoxus imperator) genannt, und sein Sohn und Nachfolger LUDWIG hat für seinen Vater den Beinamen "der Große" gebraucht. Sein Enkel, der Historiker Nithard, sagte schließlich: "KARL wurde verdientermaßen von allen Völkern großer Kaiser genannt." Damit sind wir bei der Nachwirkung KARLS DES GROSSEN, von der zahlreiche Legenden zeugen. Das große Interesse der Nachlebenden an diesem Herrscher zeigt sich darin, dass die erste Biographie, Einhards Vita Karoli Magni, noch heute in über 80 mittelalterlichen Handschriften erhalten ist. Gegen Ende des 9. Jahrhunderts widmete der St. Gallener Mönch Notker KARL III. eine Vita KARLS DES GROSSEN, in der bereits viele Ereignisse sagenhaft ausgeschmückt und märchenhaft beleuchtet sind. Dieses Werk bezeugt, dass sich die Phantasie des Volkes mit dem Leben und den Taten des großen Kaisers beschäftigte. Notker hat KARLS Leistung aber auch in ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung gewürdigt, indem er das Reich der Franken als Fortsetzung des untergegangenen Römerreichs ansah. KARLS Wirkung auf seine Nachfolger zeigt am schönsten die Wallfahrt Kaiser OTTOS III. nach Aachen, der sich in die Gruft seines Vorgängers begab, dem auf dem Thron sitzenden Toten die Fingernägel schnitt und ihm die abgebrochene Nasenspitze durch Gold ergänzen ließ; einen Zahn nahm er als Reliquie mit. Mit dem hohen Ansehen KARLS DES GROSSEN hängt es auch zusammen, dass die Quote der auf seinen Namen gefälschten Privilegien höher ist als bei allen übrigen Kaisern: von den 262 erhaltenen Urkunden KARLS sind 98, das heißt zwei Fünftel, gefälscht. Jedes Kloster, das etwas auf sich hielt, wollte mit einem Privileg des so hochverehrten Kaisers prunken.

    Jäckel Gerhard: Seite 11-14, "Die deutschen Kaiser"

    Auszug:
    Aus seiner Ehe mit Hildegard hatte KARL vier Söhne und fünf Töchter. Nach dem Tod Hildegards 783 heiratete er Fastrada, Tochter des Grafen Radulf, die zwei Töchter zur Welt brachte und 794 starb. Die letzte Ehe mit der Schwäbin Liutgard blieb kinderlos. Daneben liebte er während und nach seinen rechtmäßigen Ehen noch mindestens 4 Nebenfrauen, von denen er 18 Kinder hatte. Wegen diesen Lebenswandels sah der Mönch Wettin den allerfrömmsten KARL später im Fegefeuer. Trotz ihrer von der Hofdichtung gepriesenen Schönheit blieben alle ehelichen Töchter unverheiratet, weil KARL sich nicht von ihnen trennen mochte. Doch er duldete, dass die Natur ihr Recht forderte. So hatte Hrotrud vom Grafen Rorico von Maine einen Sohn, der spätere Abt von St. Denis wurde. Bertha lebte in freier Ehe mit dem Hofdichter Angilbert, aus der der Dichter und Historiker Notker der Stammler hervorging. Es heißt, dass von allen jungen Frauen am Aachener Hof nur KARLS Nichte Gundrada Jungfrau geblieben ist.
    Schon 806, sieben Jahre vor seinem Tod, legte KARL DER GROSSE die Erbfolge fest. Nach fränkischem Recht hätte er das Reich gleichmäßig unter seinen drei rechtmäßigen Söhnen teilen müssen. Er entschied sich für einen Mittelweg. Karl, der älteste, sollte den größten Teil und höchstwahrscheinlich auch die Kaiserwürde erben, Pippin Italien und LUDWIG Aquitanien, zu deren Königen sie schon 781 gekrönt worden waren. Aber Pippin starb 810, Karl ein Jahr darauf. Beide hatten sich im Unterschied zu dem nun allein überlebenden LUDWIG als Heerführer bewährt. Im September 813 krönte KARL den frommen LUDWIG zum Mitkaiser.
    Seit dieser Zeit war KARL DER GROSSE leidend, im Winter begann er ernstlich zu kränkeln. Auch das Fasten brachte dem Fiebernden keine Erleichterung. In der Nacht zum 27. Januar 814 empfing er von seinem Erzkaplan Hildibald das Abendmahl und starb morgens um 9 Uhr. Noch am gleichen Tag wurde er in der Aachener Marienkirche beigesetzt. Dass er sitzend auf seinem Thron bestattet worden wäre, ist eine Sage.

    Schieffer Rudolf: "Die Karolinger"

    Seit Ende 811 ließ sich absehen, dass alle Macht dem einzig verbliebenen Sohn aus legitimer Ehe, König Ludwig von Aquitanien, zufallen würde, doch ist bei KARL und seiner Aachener Umgebung ein deutliches Zögern zu bemerken, daraus praktische Konsequenzen zu ziehen. Der Universalerbe wurde keineswegs sogleich an den zentralen Hof berufen; vielmehr traf man ohne seine Beteiligung 812 zunächst eine ursprünglich wohl nicht vorgesehene Entscheidung über Italien, wo der junge, bis dahin in Fulda wohl zum Kleriker erzogene Bernhard trotz seiner anfechtbaren Abkunft gut zwei Jahre nach dem Tod des Vaters Pippin als König mit Adalhards Halbbruder Wala, selber einem illegitimen KAROLINGER, als maßgeblicher Berater eingesetzt wurde. Was der künftige Kaiser LUDWIG als einschränkende Hypothek für seine Allgewalt hinzunehmen hatte, scheint Adalhard, Wala und anderen führenden Männern um KARL zur langfristigen Sicherung eines eigenen politischen Aktionsfeldes, wenn nicht gar als dynastische Alternative, erstrebenswert gewesen zu sein. Ihre kühle Reserve gegenüber dem aquitanischen König und seinem Anhang zeigte sich auch noch 813, als es mehrfacher Beratungen in Aachen bedurfte, bis der 35-jährige dorthin eingeladen und von einer Reichsversammlung im September auf Befragen KARLS als Kaiser anerkannt wurde. Formell ging die Rangerhöhung am folgenden Sonntag (11.9.) in der Pfalzkaplle vonstatten: Nach einem gemeinsamen Gebet hielt der Vater dem Sohn eine lange Mahnrede, die ihm bezeichnenderweise die Sorge für "seine Schwestern und jüngeren (Halb-)-Brüder, seine Neffen und alle übrigen Verwandten" ans Herz legte, und befahl ihm dann - vielleicht weil er selber dazu physisch nicht mehr imstande war -, eine goldene Krone vom Altar zu nehmen und sich aufs Haupt zu setzen. Die erstmalige Weitergabe des neuen Kaisertums war nicht zu trennen von der Einsetzung zum künftigen Familienoberhaupt und vollzog sich anders als 800 nach byzantinischem Muster ohne Einschaltung des Papstes oder anderer höherer Geistlicher. Sie vermittelte jedoch immer noch keinen sofortigen Anteil an der Regierung des Imperiums, denn LUDWIG wurde abermals in sein aquitanisches Unterkönigreich entlassen, wo er den folgenden Winter verbrachte.
    So konnte er nur aus der Ferne verfolgen, wie die Kräfte des kaiserlichen Vaters in diesen Monaten mehr und mehr verfielen. Nach wiederholten Fieberanfällen trat der Tod am Morgen des 28.1.814 ein; noch am selben Tage, berichtet Einhard, wurde KARL in der Aachener Pfalzkapelle beigesetzt, genau genommen wohl unter einem Thron im Atrium davor. Dass er nicht mehr zur traditionsreichen Grabstätte seines Vaters und seines Großvaters nach Saint-Denis überführt wurde, aber auch kein karolingischer Herrscher wieder in Aachen bestattet worden ist, bringt noch einmal symbolhaft seinen singulären Rang in der Geschichte des Hauses zum Bewußtsein. Zahlreiche Quellenzeugnisse über Trauer und Erschütterung bei KARLS Tod geben zu erkennen, dass schon die Mitwelt das Empfinden hatte, einen historischen Wendepunkt, das Ende einer stolzen Ära zu erleben.



    Familie

    768 1. oo Himiltrud (Konkubinat)

    769 2. oo Disiderta, Tochter des Langobarden-Königs Desiderius

    770 3. oo Hildegard, Tochter des Grafen Gerold (Franke) und der Imma (Alemannin), 758-30.4.783

    783 4. oo Fastrada, Tochter des Grafen Radulf - 10.8.794

    794 5. oo Liutgard (Schwäbin) - 4.6.800

    Kinder:

    1. Ehe

    - Pippin der Bucklige 770- 811

    3. Ehe

    - Karl der Jüngere 772/73-4.12.811
    - Adelheid September 773/Juni 774- Juli/August 774
    - Rotrud 775-6.6.810
    - Pippin (eigentlich Karlmann) 777-8.7.810
    - LUDWIG I. DER FROMME 16.4.778-20.6.840
    - Lothar 16.4.778 - 779/80
    - Bertha 779- nach 14.1.823
    - Gisela vor Mai 781- nach 814
    - Hildegard 8.6.782-8.6.783

    4. Ehe

    - Theodrada Äbtissin von Argenteuil 785-9.1.844/53
    - Hiltrud 787- nach 814

    Illegitm

    - Hruodhaid 784- nach 814
    - Ruothild Äbtissin von Faremoutiers von Madelgard - 24.3.852
    - Adalthrud von Sächsin Gersvind (+ nach 800) - nach 800
    - Drogo Bischof von Metz (823-855) von Regina, 17.6.801-8.12.855
    - Hugo Abt von St. Quentin (822/3-844) von Regina, 802/06-14.6.844
    - Theoderich (Dietrich) von Adalindis (+ nach 800), 807- nach 818



    Literatur:

    Althoff Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite10,16,18,27,72,75,95 ,99,125,183,193,205,231,233,240 - Althoff Gerd: Otto III. Primus Verlag Darmstadt 1997, Seite 2,7,11,15,17, 27,117,149,155,187 - Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 40,56,60,62,75,79-82,84,86-88,90-92,94,99,104,109,114-118,120,122,125,165,187,190-195,198,200,203, 206-208,210,213,215-220,223,225,229,234,245,252,254-256,274,278,280-282,293,314, 316-318,322,324,331 - Beumann, Helmut: Die Ottonen. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln, Seite 7,12-15,17,20,22,26,43,45,53,56,58,66-70,80,88,90,102,112,116,120,127, 143,150-152 - Biographien zur Weltgeschichte. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1989, Seite 280 - Black-Veldtrup Mechthild: Kaiserin Agnes (1043-1077) Quellenkritische Studien. Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 1995, Seite 10,103,283,292,326 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986, Seite 36,40,44,46,64,74,76,86,89,97,103,106,114,116,123-126,151,159,184,196,200,202,205,207,213,216-218,230, 234,238,241,246,248,250,260,269,271,285,288,297- Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984, Seite 27,68,70,73,89,101,110,118,139,146,
    155,172,176,177,191-193,201,205,219-222,224,250,253 - Boshof Egon: Die Salier. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1987, Seite 8,40,45,89,94,167,225,246,250,274 - Classen Peter: Karl der Große, das Papsttum und Byzanz, Band I Seite 537-608 in: Braunfels Wolfgang: Karl der Große Lebenswerk und Nachleben. Verlag L. Schwann Düsseldorf - Dahn Felix: Die Franken. Emil Vollmer Verlag 1899 - Dahn Felix: Die Völkerwanderung. Germanisch-Romanische Frühgeschichte Europas. Verlag Hans Kaiser Klagenfurt 1977, Seite 97,357,437,444,460,483,492,496,499 - Deutsche Geschichte Band 1 Von den Anfängen bis zur Ausbildung des Feudalismus Mitte des 11. Jahrhunderts. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1982, Seite 274-470 - Die Salier und das Reich, hg. 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(1002-1024) Herrscher am Ende der Zeiten, Verlag Friedrich Puset Regensburg 1999, Seite 12,32,37,48,56,62,77-79, 207,209,232,236,240 - Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1995, Seite 35,52,72,247,258,308,320,336,352,363,367,381,383,388,391-412,414-424,426,432,438,442,444,451, 455,464,468,475,479,498,520,523,529 - Werner Matthias: Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1982, Seite 14-328 - Widukind von Corvey: Die Sachsengeschichte. Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stutggart 1981, Seite 19,51,57,75,105 - Wies Ernst W. Kaiser Heinrich IV. Canossa und der Kampf um dei Weltherrschaft. Bechtle Verlag Esslingen 1996, Seite 9,21,29,36,59,66,113,195,248,256,290 - Wies Ernst W.: Karl der Große. Kaiser und Heiliger. Bechtle Verlag Esslingen 1986 - Wies Ernst W.: Otto der Große. Kämpfer und Beter. Bechtle Verlag Esslingen 1989, Seite 15,59,72,78,88,95,102,129,134,196,202, 214,216,223,231,248,252,272,276,280,284,290,294 -



    Neue Deutsche Biographie - Karl I. der Große

    fränkischer König und Kaiser, * 2.4.747 (kaum 742), † 28.1.814 Aachen, ⚰ Aachen.

    Leben
    Mit der in jüngster Forschung gewonnenen Einsicht, daß von den überlieferten und errechneten Geburtsjahren K.s nicht 742, sondern 747 höhere Glaubwürdigkeit verdient, erledigt sich die Frage einer vorehelichen Geburt, die zu unterstellen war, da die Eheschließung der Eltern zu 744 bezeugt ist. Daß K. als ältester Sohn des Königs neuer Dynastie, der die bonifatian. Reform rezipiert hatte, eine geistliche Erziehung genoß, ist als sicher anzunehmen und wird durch seine späteren Bildungsinteressen mittelbar bestätigt, aber ausdrückliche Nachrichten darüber liegen nicht vor. – K. wurde von seinem Vater um die Jahreswende 753/54 von Diedenhofen aus dem Papst Stephan II. entgegengesandt, um ihn nach Ponthion zu geleiten. Mit seinem Bruder Karlmann wurde er an Ostern 754 an dem Schenkungsversprechen Pippins für die römische Kirche beteiligt und empfing zusammen mit dem Vater und dem Bruder am 28.7.754 in Saint Denis vom Papst die Königssalbung und den Titel patricius Romanorum; in den Briefen Stephans II. und Pauls I. an Pippin (Codex Carolinus) wird er seit 755 oft erwähnt. Er erscheint am 10.6.760 und am 13.8.762 in Urkunden des Vaters, begleitete diesen 761 und 762 auf Feldzügen nach Aquitanien und Wasconien und wurde 763, wie sein Bruder, mit der Verwaltung einiger (nicht näher bezeichneter) Grafschaften betraut. Pippin verfügte vor seinem Tode (24.9.768) eine Reichsteilung, die von der traditionellen Aufgliederung – Austrien und Neustrien – völlig abwich: diese beiden Kernländer blieben beieinander und fielen zusammen mit dem Westen Aquitaniens an K., der die südliche Ländergruppe Karlmanns vom Westen und Norden her umfaßte, aber von Italien abgeschnitten war. Am 9.10.768 fand die Thronerhebung (vielleicht auch eine Krönung) K.s in Noyon, jene Karlmanns in Soissons statt. Der Übergang des Königtums an die 2. karolingische Generation vollzog sich somit kampflos.

    Pippin hatte in den letzten Jahren seine politisch-militär. Energie auf das südwestl. Gallien konzentriert. Anderes war darüber in der Schwebe geblieben, so die offensive Abwehr der Sachsen, das unbereinigte Verhältnis zu Bayern, wo Herzog Tassilo III. sich 763 durch harisliz (Verweigerung der Heerfolge) der Reichs- und Lehnshoheit entzogen hatte, und vor allem die mindestens latente Spannung zu dem Langobardenkg. Desiderius, der sich mit dem unter Pippins Schutz gegründeten Kirchenstaat nicht wirklich abgefunden hatte. Angesichts dieser ungelösten Aufgaben bedeutete die Teilung eine schwere Belastung des Frankenreiches, zumal die Beziehungen zwischen den Brüdern von vornherein sehr unfreundlich waren, wenn sie auch zunächst gemeinsam 12 fränkische Bischöfe aus beiden Reichsteilen zu der Lateransynode entsandten, die Stephan III. (768–72) im April 769 hielt. Im gleichen Frühjahr 769 aber trat K. einen Feldzug nach Aquitanien an, wo sich – in Fortführung der Kämpfe aus Pippins letzten Jahren – unter der Führung Herzog Hunoalds der einzige Widerstand gegen die neuen Könige regte. Karlmann traf sich an einem nicht mit voller Sicherheit bestimmbaren Ort (Duasdives, wohl Moncontour im Poitou) mit seinem Bruder, verweigerte jedoch die Teilnahme an der Heerfahrt, vielleicht weil K. gewillt war, ganz Aquitanien an sich zu ziehen. Der Feldzug wurde ein voller Erfolg: der Baskenfürst Lupus lieferte den zu ihm geflüchteten Hunoald aus, die Auflehnung Aquitaniens gegen die fränkisch-karolingische Herrschaft war zu Ende. Eine erneute gemeinsame geistl. Gesandtschaft nach Rom (769/70) läßt auf ein wiederhergestelltes Einvernehmen K.s und Karlmanns schließen, aber es war nicht von Dauer.

    In dem Bestreben, die auf dem Reich lastenden Spannungen zu beseitigen, betrieb die Königinmutter Bertrada eine umfassende Friedensaktion, aus der sich, in Abwendung von der politischen Linie Pippins, eine völlige Umkehr der Fronten ergab. Nach einer Begegnung mit Karlmann im elsässischen Selz (Mai 770) reiste sie nach Bayern, Oberitalien und Rom. Sie erwirkte einen Ausgleich mit Tassilo (der des Desiderius Schwiegersohn war), aber auch mit den Langobarden, indem sie die Vermählung K.s mit einer (dem Namen nach unbekannten) Tochter des Kgs. Desiderius vermittelte. Der über diese Wendung entsetzte Papst Stephan III. sollte durch|langobardische Restitutionszusagen für den Kirchenstaat beruhigt werden. Karlmann versuchte, diesen poltischen Kurs zu durchkreuzen, sah sich aber um die Jahreswende 770/71 isoliert und eingekreist. K. wollte offenbar gegen den Bruder die Alleinherrschaft erkämpfen und dürfte sich vornehmlich in dieser Absicht auf die gewagte Kombination eingelassen haben, die den fränkischen Interessen zuwiderlief und zu raschem Scheitern verurteilt war, da Rom sehr bald dem fränkischen Einfluß entglitt, so daß sich auch der Papst dem Langobardenkönig fügen mußte. Als Desiderius 771 vor Rom zog, ließ Stephan III. zu, daß die Anführer der fränkischen Partei beseitigt wurden. Darüber zerbrach das fränkisch-langobardisches Bündnis. Nach einjähriger Ehe, also wohl noch 771, verstieß K. seine langobardische Gemahlin (daß keine persönliche Schuld der Königin vorlag, bezeugen die im übrigen sehr knappen Quellen ausdrücklich) und vermählte sich mit Hildegard. Der bevorstehende Entscheidungskampf innerhalb des Karolingerhauses aber kam nicht zum Ausbruch, da Karlmann am 4.12.771 starb. Während seine Witwe Gerberga mit ihren beiden Söhnen zum einstigen Widersacher Desiderius floh, nahm K. noch im Dezember 771 auf einem Huldigungstage in Corbeny bei Laon vom Reich des Bruders Besitz. Die Teilung des Reiches, aber auch die politische Frontenverkehrung dieser Anfangsjahre war eine Episode ohne Folgen geblieben.

    Erst von der Jahreswende 771/72 an ist demnach K.s wirkliche Regierung als Erbe Pippins zu zählen, der die Königsgewalt der neuen Dynastie politisch begründet und durch die kirchliche Weihe, insbesondere durch den Bund mit der römischen Kirche, auch religiös sanktioniert hatte. K. gab diesem Selbstverständnis neuen und zusätzlichen Ausdruck durch die Einführung der Formel gratia Dei in den abendländ. Herrscherstil, aber auch durch die Übernahme der merowing. Namen Chlodwig (Ludwig) u. Chlothar (Lothar) in die karolingische Familie. In der gesicherten Macht gründete eine sehr bewußte und gesteigerte Herrscherverantwortung für eine Friedenssicherung im fränkisch geführten Vielvölkerstaat durch den Ausbau geordneter Verwaltung und Rechtspflege, für eine Regeneration der Kirche als kanonisch geordneter romverbundener Landeskirche und als Trägerin eines am christlich-lateinischen Kulturerbe orientierten Bildungswesens, mit dem sich ein selbstverständliches germ. Eigenbewußtsein sehr wohl vertrug. Für diesen im weitesten Wortsinne „innenpolitischen“ Bereich kann durchaus von einer Programmatik, von früh erkennbaren Konzeptionen K.s gesprochen werden. Differenzierter stellte sich die Aufgabe der Friedenssicherung nach außen. Für einen abwägenden Vergleich K.s mit seinen Vorgängern und Nachfolgern muß sehr ins Gewicht fallen, daß es in seiner Zeit keinen äußeren Feind gab, der das weite, dabei seefremde Reich gefährlich hätte treffen können: die arabischen Angriffe hatten ausgesetzt, die Wikingereinfälle hatten noch nicht begonnen. Das Gesetz des Handelns, die Entscheidung über politisch-militärische Aktionen ist K. nie entglitten, er sah sich nie in eine reine Defensive gedrängt. Dem steht nicht entgegen, daß seine Unternehmungen wiederholt durch Anstöße von außen provoziert wurden, daß wir also seine „außenpolitische“ Aktivität nicht als durchweg vorauskonzipiert verstehen dürfen. Das gilt ganz besonders von seiner augenfälligsten Leistung, der gewaltigen territorialen Expansion des Reiches.

    K.s gesamte Regierung erscheint durch einen sehr ausgeprägten monarchisch-persönlichen Stil gekennzeichnet. Das ist ohnehin bedingt durch die weit weniger institutionelle als personale politische Struktur des gesamten Zeitalters, liegt aber ohne jeden Zweifel auch in K.s außergewöhnlicher Persönlichkeit begründet, deren Rolle durch die einseitige Blickrichtung der Quellen – sowohl Chronisten wie Urkunden und Gesetze – noch akzentuiert wird, so daß der Anteil seiner Berater, Helfer und Beauftragten meist in unverdientem Halbdunkel bleibt. Für den der Nachwelt erreichbaren Wissensstand fällt daher die Lebensgeschichte K.s fast mit der bewegten Reichsgeschichte dieser Jahrzehnte zusammen. Sie verteilt sich überdies, vor allem im äußeren Geschehen, räumlich und zeitlich auf so viele Schauplätze, kennt aber auch so viele Bereiche, die sich zeitlicher Präzisierung entziehen, daß eine rein chronologisch angelegte Darstellung in verwirrender Unübersichtlichkeit unablässig hin- und herspringen müßte. Obgleich K.s persönlicher Wille, wenn nicht gar seine Initiative, auch da als mindestens möglich, wenn nicht gar als wahrscheinlich zu unterstellen ist, wo unsere Zeugnisse nicht ausdrücklich davon sprechen, soll und muß hier versucht werden, den Bericht tunlichst auf die erkennbaren biographischen Züge zu beschränken, die Darstellung aber, beginnend mit der Expansion, nach Sachgebieten zu gliedern. Ein chronologischer Rückblick soll dann auf die quer und längs verlaufenden Zusammenhänge hinweisen, die bei einer solchen Verteilung des Stoffes nicht deutlich werden können.

    Italien. Im engsten Zusammenhang mit den Ereignissen der Jahre 769-71 steht die politische Umgestaltung Italiens, zu der K. jedoch keineswegs von vornherein entschlossen war. Er wandte sich 772 den Sachsen zu und hätte es in Italien, wo der neue Papst Hadrian I. (772–795) sich von den Langobarden zu lösen begann, vorerst beim Status quo belassen. Da Desiderius aber Teile des Kirchenstaates besetzte, vom Papst die Königssalbung der Söhne Karlmanns verlangte und Rom bedrohte, erging um die Jahreswende 772/73 ein Hilferuf Hadrians an K. Dieser empfing den päpstlichen Boten in Diedenhofen, scheint aber zunächst einem militärischen Eingreifen widerstrebt zu haben. Er nahm Verhandlungen mit Desiderius auf und bot ihm sogar eine Entschädigung für die päpstlichen Restitutionsforderungen an. Erst nach dem Fehlschlag dieser Bemühungen bot er im Sommer 773 den fränkischen Heerbann auf. K. und Desiderius standen sich am Mont-Cenis gegenüber, aber als eine andere fränkische Abteilung über den Sankt Bernhard vorstieß, wichen die Langobarden in die Poebene zurück. Im Herbst 773 begann eine langwierige Belagerung der Hauptstadt Pavia, wo Desiderius sich verschanzt hatte. In Verona fiel unterdes die Familie Karlmanns in K.s Gewalt, während Adelchis, der Sohn des Desiderius, nach Byzanz floh.

    Von dem Lager vor Pavia aus begab sich K. im Frühjahr 774 mit großem Gefolge nach Rom, wo er mit dem für den kaiserlichen Exarchen und Patricius üblichen Zeremoniell empfangen wurde, aber außerhalb der Stadt bei Sankt Peter Quartier bezog. Er nahm an den kirchlichen Osterfeiern teil und erneuerte dem Papst am 6.4. den Freundschaftsbund und das Schenkungsversprechen von Quierzy (754) das sich auf ganz Mittelitalien erstreckte, aber weder von Pippin noch von K. selber jemals erfüllt worden ist. Dieser Widerspruch erklärt sich wahrscheinlich aus einem jetzt offenbar kurzfristig entschiedenen grundsätzlichen Wandel der Italienpolitik. Als Pavia Anfang Juni 774 fiel, schloß K. keinen Frieden, sondern ließ Desiderius in ein fränkisches Kloster bringen und trat selber die Nachfolge als König der Langobarden an. Der erstmals am 5.6.774 begegnende Doppeltitel rex Francorum et Langobardorum und die Fortgeltung langobardischen Rechts geben eine Sonderstellung Italiens im fränkisch-karolingischen Reichsverband zu erkennen. Als dritten Titel nahm K. alsbald – erstmals belegt 16.7.774 – die bisher nie geführte Bezeichnung patricius Romanorum auf. Er verstand sich demnach als Schutzherr über Rom, aber auch als italischer Territorialherr, der an einer Ausweitung des Kirchenstaates auf Kosten „seines“ Langobardenreiches nicht mehr interessiert war. Er realisierte zwar die von Desiderius verweigerten Restitutionen, ging aber nicht darüber hinaus: alle dringenden, über Jahre hin oft wiederholten Bitten des Papstes um Erfüllung der Territorialzusagen von 754 und 774 blieben vergeblich.

    Im Langobardenreich vollzog sich der Herrscherwechsel anscheinend ohne ernstliche Erschütterungen; K. kehrte wenige Wochen nach dem Fall Pavias ins Frankenreich zurück. In erfolgreichem Widerstand verharrte zunächst nur der Süden Italiens, wo Herzog Arichis von Benevent, des Desiderius Schwiegersohn, 774 den Titel princeps gentis Langobardorum annahm. Ob der Aufstand, der Ende 775 unter der Führung Herzog Hrodgauds von Friaul ausbrach, wirklich – wie der Papst gemeldet hatte – mit einer weitverzweigten Verschwörung für eine langobardische Restauration mit Rückhalt an Byzanz zusammenhing, bleibt unsicher. Immerhin hielt K. es für geboten, Anfang 776 wieder persönlich über die Alpen zu eilen, die Insurrektion niederzuwerfen und ein halbes Jahr in Italien zu verweilen. Ohne systematische Ausschaltung der Langobarden leitete er seitdem eine Durchdringung Italiens mit fränkischer Besatzungen und Siedlern, mit Beamten, Befehlshabern und Bischöfen vor allem aus fränkischem Adel ein.

    Die unabgeklärten italischen Verhältnisse veranlaßten K. Ende 780 abermals zu einem mindestens halbjährigen Aufenthalt südlich der Alpen, bei dem er wichtige Entscheidungen traf, die offenbar als eine politische Flurbereinigung gedacht waren. Er verkündete Kapitularien und ließ an Ostern 781 seinen Sohn Karlmann vom Papste, der zugleich die Patenschaft übernahm und K.s Gevatter (compater) wurde, auf den Namen Pippin taufen. Die Söhne Pippin und Ludwig wurden sodann vom Papst zu Königen gesalbt und gekrönt – es ist die erste ausdrücklich bezeugte Krönung überhaupt. Den 4jährigen Pippin bestimmte K. zum Unterkönig in Italien, den 3jährigen Ludwig für Aquitanien. Diese Regelung kam dem Eigenbewußtsein Italiens entgegen, doch bedeutete sie keine politische Verselbständigung, sie verstärkte vielmehr durch die Einsetzung einer einheimischen Regierung noch die administrative und personelle Angleichung an das Frankenreich. Dem Papst bestätigte K. den Kirchenstaat und erweiterte ihn um die Sabina. Dazu kamen später noch andere Zugeständnisse kleineren Ausmaßes, aber im|übrigen mußte Hadrian seine territorialen Forderungen aufgeben.

    Durch das Ausgreifen nach Italien waren die Franken überdies wieder in Berührung mit Byzanz getreten. Die seit 780 regierende Kaiserin Irene suchte den Ausgleich mit dem Westen und vereinbarte, ebenfalls 781, die Verlobung ihres Sohnes Konstantin VI. mit K.s Tochter Rotrud, was zugleich die erste Anerkennung der fränkischen Herrschaft in Italien durch das „Römische Reich“ bedeutete. – Außerhalb dieser allseitigen Konsolidierung, die sich in Nord- und Mittelitalien langfristig bewährte, war das langobardische Herzogtum Benevent geblieben, der stets unruhige südliche Nachbar des Kirchenstaates, mit reichen, der römischen Kirche seit Jahrzehnten entfremdeten Patrimonien. K. konnte sich erst Ende 786 wieder persönlich Italien zuwenden. Wieder verkündete er ordnende Erlasse, suchte Rom auf, wollte seine Autorität jetzt aber auch im Süden geltend machen und rückte im März 787 nach Capua vor. Arichis wich einem Kampf aus: er erkannte die fränkische Hoheit an, leistete den Treueid, stellte Geiseln und verstand sich zur Abtretung von Capua und anderen Grenzplätzen an den Kirchenstaat. Mit dieser Intervention fällt zeitlich – vermutlich aber auch kausal – die Auflösung der byzantinischen Verlobung zusammen; überdies begann das bisherige Bündnis kirchenpolitischen Spannungen zu weichen. – K. zog wieder ab, verbrachte das Osterfest 787 in Rom und kehrte über Pavia zurück. Nach dem Tode Herzog Arichis (26.8.787) entließ er trotz der dringenden Warnungen des Papstes den Nachfolger Grimoald I. aus dem Geiselgewahrsam. Diese gewagte Entscheidung bewährte sich fürs erste, denn Grimoald wehrte 788 im Bunde mit den Franken ein byzantinisches Heer ab, mit dem der langobardische Prätendent Adelchis, sein Oheim, nach Italien gekommen war. Freilich blieb es nicht lange bei dieser Konstellation. Benevent entzog sich sehr bald wieder der fränkischen Hoheit und trat in erneute Beziehungen zu Byzanz. K. griff nach 787 nicht mehr selber im Süden ein, sondern überließ die – im ganzen wenig erfolgreiche – Kriegführung seinem Sohn Pippin als dem zuständigen Unterkönig und dem Herzog von Spoleto. Auch ein neuer Friede mit Grimoald II. 812 änderte nichts daran, daß Italien politisch aufgeteilt, daß der Süden außerhalb des fränkisch-karolingischen Großreiches blieb.

    Aquitanien u. Spanien. Das südwestl. Gallien, wo die erst von Pippin erkämpfte Reichshoheit noch 769 der Sicherung bedurft hatte, war seit drei Generationen gefahrvoller Berührung mit der spanisch-islamischen Welt ausgesetzt. Aber eben hier sah sich K. nach seinen Siegen in Italien und Sachsen dazu berufen, eine entscheidende Wendung herbeizuführen. Ausgelöst wurde diese Aktion durch einen verlockenden Anstoß, der aus dem feindlichen Lager selber kam und die Aufgabe sehr zu erleichtern schien. Erbitterte innerislam. Gegensätze führten dazu, daß muslim. Magnaten auf dem Paderborner Reichstag von 777 erschienen und den Frankenkönig um Hilfe gegen den Emir von Córdoba baten. Mit offensichtlich weitgespannten Plänen gegen Basken und Mauren überschritt K. 778 an der Spitze eines großen Aufgebotes die Pyrenäen, besetzte Pamplona und vereinigte sich vor Saragossa mit einem anderen Heer, das über Barcelona gezogen war. Aber das Unternehmen schlug sowohl politisch wie militärisch fehl. K. zog ab und ließ die Befestigungen von Pamplona schleifen; das Heer erlitt am 15.8.778 in den Pyrenäen schwerste Verluste durch jenen askanischen Überfall, an den Jahrhunderte später das Rolandslied anknüpfte. Im Pyrenäenraum griff K. seitdem nicht mehr persönlich ein. Das aquitanische Unterkönigtum, mit dem er den Sohn Ludwig 781 (vorerst nominell) betraute, diente der Sicherung und Reorganisation des Südwestens. Im Zusammenwirken mit den einheimischen Christen schob sich die fränkische Herrschaft trotz schwerer Rückschläge (maurische Vorstöße bis zu den Pyrenäen 781-83, bis Narbonne 793) allmählich über das Grenzgebirge vor (Einnahme von Barcelona 801), erreichte aber nicht die Ebrolinie. Ein von K. mit maur. Abgesandten 810/12 in Aachen geschlossener Friede beendete die Kämpfe.

    Sachsen. Stetiger persönlicher Einsatz K.s kennzeichnet sein Ringen mit dem letzten kontinentalgerm. Stammesverband, den bisher weder die fränkische Reichsgewalt noch die christliche Mission erfaßt hatte. Die Sachsen waren schon seit merowing. Zeiten unruhige Nachbarn des Reiches. Der Kampf mit ihnen war für K. eine von den Vorgängern überkommene Aufgabe, deren er sich unverzüglich und mit harter Energie annahm. Sobald die Krise der Anfangsjahre überwunden war, trat er 772 von Worms aus eine Heerfahrt an, eroberte die Eresburg (Obermarsberg) an der Diemel und zerstörte die Irminsul, ein als Bild der Weltsäule verehrtes Heiligtum. Ob dieses Unternehmen mehr als eine Strafexpedition sein und bereits eine Ausweitung des Reiches anbahnen sollte, muß offen bleiben. Ein ununterbrochener 33jähriger Krieg mit der Gesamtheit der Sachsen, wie es sich bei|dem Kaiserbiographen Einhard (c. 7) in summarischer Rückschau liest, wurde es jedenfalls nicht, aber es wurde ein langer und heftiger Kampf, auf dessen Verlauf, vor allem im häufigen Wechsel von Friedensschlüssen und neuen Aufständen der „treulosen Sachsen“, sich offenbar stark die archaische Sozialstruktur der Sachsen auswirkte, indem die Edelinge sich eher als die streng von ihnen abgesonderten unteren Stände (Frilinge und Lazzen) zum Anschluß an Frankenreich und Christentum bereitfanden. Angesichts der globalen Quellenberichte, die kurzerhand von „den Sachsen“ zu sprechen pflegen, kann es nicht zwingend erwiesen werden, aber die Zusammenhänge lassen sich kaum anders verstehen, als daß die Friedensschlüsse, Unterwerfungen und Treueide nicht von den gleichen (regionalen u. sozialen) Gruppen eingegangen und „gebrochen“ wurden.

    Der Zug von 772 hatte wenig gefruchtet; während des italischen Unternehmens fielen die Sachsen 773/74 in Hessen ein. Als Sieger aus Italien zurückgekehrt, griff K. jetzt weiter aus. Mit einem großen Aufgebot brach er 775 von Düren auf, nahm die Sigiburg (Hohensyburg) an der Ruhr, drang über die Weser bis zur Oker vor, zwang Engern, Ostfalen und Westfalen zum Treueid (vermutlich also zu einer vasallitischen Huldigung des Adels) und sicherte diese Länder durch befestigte Plätze. Ein neuer Aufstand veranlaßte ihn 776, nach der Niederwerfung Hrodgauds, in Eilmärschen bis ins Quellgebiet der Lippe vorzustoßen. Hier mußten sich die Sachsen zur Unterwerfung unter die fränkische Herrschaft und zur Annahme des Christentums verpflichten. Es bleibt jedoch immer noch zwelfelhaft, ob damit die Einverleibung des gesamten Stammesverbandes bis zur Elbe proklamiert werden sollte, denn es wurde nur eine – freilich tief gestaffelte – westfälische Grenzmark errichtet. In Paderborn hielt K. 777 die erste Reichsversammlung auf sächsischem, jetzt zum Reich zählenden Boden: Er nahm eine erneute, mit Massentaufen verbundene Unterwerfung der Sachsen entgegen und begann wohl bereits mit der Einteilung des Landes in Missionsbezirke. Er hielt Sachsen für so weit befriedet, daß er im folgenden Jahr den Zug nach Spanien wagte.

    Aber der Höhepunkt der Kämpfe stand erst bevor. Der westfälische Edeling Widukind, der sich dem Paderborner Huldigungstage von 777 durch die Flucht zum Dänenkönig entzogen hatte, wurde die Seele einer franken- und christenfeindlichen Partei, die zugleich als eine Auflehnung der unteren Stände gegen die Adelsherrschaft verstanden werden darf. Bei der Rückkehr aus Spanien sah sich K. 778 einem von Widukind entfesselten gewaltigen Sachsenaufstand gegenüber, der sich bis zur Rheinlinie ergoß. Wieder von Düren aus trat er 779 einen Heereszug an, unterwarf nach einem Kampf bei Bocholt (?) die Westfalen und bezog an der Weser ein Lager, wo er Abgesandte der Engem und Ostfalen empfing. Im Jahre darauf hielt er in Lippspringe eine Reichsversammlung und leitete die kirchliche Neuordnung wieder ein, überschritt jetzt aber die Oker, rückte, anscheinend ohne Kämpfe, bis zur Elbe, also bis zur Slawengrenze vor und „regelte alles“. Spätestens damit war der Entschluß zur Eingliederung des gesamten Sachsenlandes offenkundig geworden. K. vollzog sie formell 782 auf einem zweiten Reichstag in Lippspringe durch die Errichtung von Grafschaften, die er mindestens teilweise an sächsische Edelinge übertrug.

    Seine Erwartung, das Land sei befriedet, trog wiederum. Widukind, der auch in Lippspringe nicht erschienen war, rief zu neuem Aufstand auf; ein gegen die Sorben ausgesandtes fränkisches Heer wurde am Süntel vernichtet (782). Als K. jedoch auf diese Nachricht hin mit eilig zusammengerafften, also keinesfalls sehr starken Truppen im Herbst heranrückte, regte sich kein Widerstand, wich Widukind abermals zu den Dänen aus. In Verden nahm K. wiederum eine Unterwerfung entgegen. Die Anstifter und Anführer des Aufstandes wurden ihm ausgeliefert; er ließ sie als hochverräterische Untertanen nach Kriegsrecht hinrichten. In dem knappen Satz der Reichsannalen über dieses Ereignis findet sich zwischen tradiderunt … ad occidendum und quod ita et factum est der syntaktisch überaus unbeholfene und schwer verständliche Einschub D, der graphisch dem Zahlzeichen für 4 500 entspricht und bereits einige Jahrzehnte später auch so aufgefaßt worden ist. Nach allem aber, was wir über Bevölkerungszahlen, Heeresstärken und Waffentechnik des Zeitalters wissen oder abschätzen können, ist eine solche Zahl – von Anstiftern und Anführern! – als schlechthin absurd zu verwerfen. Es hätte auf sächsischer und fränkischer Seite geradezu gigantischer Armeen bedurft, um eine solche Masse kampffähiger Männer gefangenzunehmen, zu entwaffnen und ad occidendum zu übergeben. Es handelt sich, sofern nicht ein Mißverständnis vorliegt, um eine Phantasiezahl getöteter Feinde, wie sie selbst bei sonst zuverlässigen Chronisten, auch in den Reichsannalen, nicht selten begegnet. Der Kampf aber flammte zu äußerster Heftigkeit auf. Im|Jahre 783 mußte K. bei Detmold und an der Hase offene Feldschlachten austragen, bei denen „viele tausend“ Sachsen gefallen sein sollen. Auch 784 durchzog er unter Verheerungen weite sächsische Landschaften bis zur Elbe, und selbst den darauffolgenden Winter verbrachte er im Weserraum. Nachdem K. 785 wieder eine Reichsversammlung in Paderborn gehalten und auch den Bardengau westlich der unteren Elbe bezwungen hatte, gab Widukind den Kampf auf. Gegen Ende 785 (wohl Weihnachten) nahm er in der Pfalz Attigny die Taufe; K. selber war sein Pate. Der Sachsenkrieg war zu Ende. Zu dieser Zeit, wenn nicht schon 782, verkündete K. die überaus strenge Capitulatio de partibus Saxoniae, die, freilich im Stil altsächsisch-heidn. Rechts, selbst für geringe Verstöße gegen die neue politisch-kirchliche Ordnung Todesstrafen androhte. Es war und blieb ein hartes Regiment, das viel Mißstimmung schuf, nicht zum wenigsten durch die Einführung der Kirchenzehnten – aber es folgten sieben Friedensjahre.

    Im Jahre 789 unternahm K. seinen einzigen großen Slawenzug, der sich gegen die Wilzen richtete und ihn möglicherweise bis zur Peene führte. Es gab in der Folgezeit noch wiederholte Kämpfe mit westslaw. Stämmen, aber ohne K.s persönliche Beteiligung. Mit den Abodriten jenseits der unteren Elbe, den Nachbarn der Sachsen, unterhielt er dagegen stets gute Beziehungen. – Dieses Bündnis gewann unmittelbare militärische Bedeutung, nachdem 792, von den nördlichen Landschaften ausgehend, neue Unruhen der Sachsen ausebrochen waren, über deren Hintergründe nichts Konkretes bekannt ist. 794-99 zog K. wieder Jahr für Jahr zu Felde, mit Vorzug nach Wigmodien und dem Bardengau. Wir hören zu 798 von „4 000“ gefallenen Sachsen, im ganzen jedoch mehr von Verwüstungen als von größeren Kämpfen, vor allem aber veranlaßte K. nunmehr neben militärischen Aktionen die planmäßige Umsiedlung von Sachsen ins Reichsinnere und die Verpflanzung fränkischer Siedler ins nördliche Sachsenland bis zur Elbe. Die allmähliche Konsolidierung ermöglichte zugleich den Verzicht auf das harte Sonderrecht der Capitulatio; sie wurde 797 durch das weit mildere Capitulare Saxonicum ersetzt. Die 802 in endgültiger Fassung redigierte Lex Saxonum sanktionierte die überkommene Rechts- und Ständeordnung des Stammes. Im gleichen Jahre konnte K. ein sächsisches Heer nach Nordalbingien entsenden. Zu 803 wird, wenn auch erst in später Quelle, von einem in Salz an der Fränk. Saale vereinbarten formellen Sachsenfrieden berichtet. Ein nochmaliger Zug K.s bis zur Elbe, eine letzte große Umsiedlungsaktion, die zugleich Nordalbingien den Abodriten einräumte, zogen 804 einen Schlußstrich unter die Sachsenkriege.

    Durch diese Expansion war das Reich in territoriale Berührung mit den Dänen getreten, die 810 auch von der See her Friesland bedrängten. K. rüstete bereits zum Kampf, griff wieder nach Nordalbingien aus, bezog ein Lager in Verden, traf Vorkehrungen für Küstenschutz und Flottenbau, doch kam es zu seinen Lebzeiten noch nicht zu größeren Konflikten; das Zeitalter der Wikinger kündigte sich erst an.

    Bayern und Awaren. Lange ließ K. sich Zeit, die offene Südostflanke des Reiches zu schließen; er scheint bewußt gewartet zu haben, bis er gegen Tassilo die Hände frei hatte. Gefahr drohte ihm von Bayern ohnehin nicht, da ein Teil des Adels und vor allem der Episkopat mehr dem Frankenkönig als dem eigenen Herzog zuneigten und die langobardische Katastrophe von 773/74 diesen des entscheidenden Rückhaltes beraubte. Offenbar wegen der sächsischen, spanischen und italischen Angelegenheiten schob K. die entscheidende Aktion immer wieder hinaus. Von Rom aus ordneten König und Papst um Ostern 781 eine Gesandtschaft ab, die den Herzog an seine Treupflicht gegen die Karolinger gemahnte. Tassilo fand sich daher in Worms ein, um seinen Vasallitätseid zu erneuern und durch Geiseln zu sichern. Aber erst als der Sachsenkrieg 785 beendet war und 787 der offene Kampf gegen den mit Tassilo verschwägerten Herzog Arichis von Benevent einsetzte, holte K. zum Schlag gegen den Bayernherzog aus, ohne daß eine formale Begründung recht erkennbar würde. Tassilo trotzte zwar einer neuen Vorladung nach Worms, wagte aber keinen Kampf, als K. aufmarschierte und es sich zeigte, daß „alle Bayern dem König K. treuer waren als ihm“. Auf dem Augsburger Lechfeld unterwarf er sich am 3.10.787 dem König, leistete den Vasalleneid und nahm Bayern zu Lehen. Aber K. war zur Vernichtung des Agilolfingers entschlossen. Auf einem Hoftag in Ingelheim wurde Tassilo, der inzwischen Verbindung zu den Awaren aufgenommen haben sollte, 788 festgenommen, unter Berufung unter anderem auf den harisliz von 763 zum Tode verurteilt, aber vom König begnadigt und mit seiner Familie ins Kloster verwiesen. Vor der Synode von Frankfurt mußte er 794 nochmals Schuldbekenntnis und Verzicht aussprechen.

    Noch im gleichen Jahre 788 begab sich K. nach Regensburg. Mit der unmittelbaren Herrschaft über Bayern war auch der Kampf|mit dem in der Donauebene ansässigen, freilich längst im Niedergang begriffenen Volk der Awaren Königssache geworden. Von Regensburg aus unternahm Karl I. 791 einen Heereszug auf der Donaulinie bis zur Raab, sah sich aber in den nächsten Jahren durch den neuen Sachsenaufstand in Anspruch genommen. Mit der Vorbereitung des weiteren Awarenkampfes wird der begonnene, aber nicht zu Ende geführte Kanal vom Main zur Donau zusammengehangen haben. An den entscheidenden Kämpfen, die 795/96 zur politischen Vernichtung der Awaren führten, war K. nicht mehr beteiligt. Die Reichsgewalt konnte nunmehr weit über den altbayerischen Stammesraum hinaus in die Donau- und Alpenländer ausgreifen.

    Die Reichsherrschaft. Anders als die „Außenpolitik“ fügt sich die Regierung und Verwaltung des weiten Reiches, wie schon angedeutet, kaum einer an datierbarem Geschehen und radikalen Veränderungen orientierten, spezifisch biographischen Betrachtung. Daß K. auch und gerade in diesem Bereich energische eigene Impulse entwickelte, ist offenkundig, aber es handelte sich weniger um eine Neuschöpfung als um die Konsolidierung und Entfaltung einer von den Vorgängern überkommenen Gesamtstruktur, um ordnende Reformansätze, bei denen sich sein persönlich-individueller Anteil längst nicht immer ausmachen läßt.

    K.s sehr persönlich geprägte Herrschaft wurde fraglos oft als hart empfunden. Wir haben nur sehr vordergründige Kunde von 2 Auflehnungsversuchen, die jedoch sofort erstickt wurden: von der Erhebung einer von Graf Hardrad angeführten Thüringergruppe (785/86) und – 792 – einer Hofverschwörung um K.s ältesten, als illegitim geltenden Sohn Pippin den Buckligen, der zur Strafe in das Kloster Prüm verwiesen wurde. Diese Erfahrungen werden den Anstoß dazu gegeben haben, daß K. im Rückgriff auf alte fränkische Rechtsgewohnheiten 789 und 793 einen allgemeinen Treueid verlangte, um das Bewußtsein der persönlichen Bindung an den König lebendig zu erhalten. Als Kaiser ordnete er 802 eine neue Vereidigung an, deren Formel dem Treuschwur des Vasallen angeglichen war. Die für das Mittelalter charakteristische Feudalisierung der „öffentlichen“ Rechtsordnung zeichnet sich also auch unter K. ab, doch erfaßte sie in voller Wirkung vorerst nur das Militärwesen: die beweglichen Truppen, mit denen K. seine Feldzüge durchführte, sind im wesentlichen als berittene Vasallenheere zu denken. Im übrigen aber blieben Untertanenverband, Verwaltung, Justiz, Gesetzgebung durch eine im Königshof gipfelnde amtsrechtliche Ordnung bestimmt.

    Der Königshof – als palatium im Sinne eines mehr oder minder beständigen Personenkreises – nahm meist in einem palatium, einer „Pfalz“, Aufenthalt. Durch die Ausweitung des Reiches gewannen die Rhein-Maas-Gebiete den Rang einer von K. bevorzugten Zentrallandschaft. Seit 794 wurde Aachen, jedenfalls für die Wintermonate, nahezu feste Residenz des Königs und Kaisers. An der Zentrale des Reiches bestanden weiterhin die in altgerman. Zeit wurzelnden Haus- und Hofämter und neue geistliche Ämter, nachdem die einschneidenden Neuerungen bereits unter Pippin Platz gegriffen hatten, das heißt vor allem der Wegfall des Hausmeieramtes und die Einrichtung der „Hofkapelle“, deren cappellani die Mantelreliquie (cappella) des heiligen Martin hüteten, die aber auch als notarii oder cancellarii die merowingerzeitlichen referendarii in der Ausfertigung der Urkunden abgelöst hatten. Die Regierung K.s ist durch eine Ausgestaltung und Intensivierung dieser Ordnung gekennzeichnet, indem etwa die Inhaber der Hofämter (Seneschall, Kämmerer, Marschall, Oberschenk) oft mit politischen und militärischen Aufgaben betraut wurden oder der Pfalzgraf als Vertreter des Königs immer häufiger als selbständiger Vorsitzer des Königsgerichts begegnet. Es gab weiterhin in ziemlicher Regelmäßigkeit, meist – aber keineswegs immer – mit dem Aufgebot des Heeres verbunden, die Reichsversammlung, die mindestens formal für die großen Entscheidungen und Verpflichtungen zuständig blieb, daneben von Fall zu Fall den kleineren „Hoftag“ als erweiterten Rat des Königs. In welchem Ausmaße solche Gremien die politische Willensbildung zu beeinflussen und den König zu binden vermochten, war ein Politicum, das aufs stärkste von der persönlichen Autorität des Herrschers bestimmt wurde. Der von den Texten vermittelte Eindruck, daß K.s gebietende Persönlichkeit sich auf diesen Versammlungen mit Selbstverständlichkeit durchsetzte, wird im ganzen zutreffen, doch darf bei der Abwägung dieser Frage wiederum die einseitige Stilisierung unserer so gut wie ausnahmslos offiziösen Quellen nicht übersehen werden.

    Auch auf der regionalen und lokalen Stufe ergaben sich unter und durch K. keine substantiellen Änderungen. In der Grafschaft (comitatus) einem an Gau (pagus) oder civitas angelehnten Bezirk, vereinigte der Graf (comes) als ständiger Beauftragter und Sachwalter des Königs alle gerichtlichen, fiskalischen, militärischen und polizeilichen Funktionen. Die Grafschaftsverfassung (mit den Hundertschaften als Unterbezirken) war ein charakteristisches Struktur- und Herrschaftselement des fränkischen Staates und breitete sich – wie schon unter K.s Vorgängern – vom Kernraum aus nach und nach über das ganze Reich aus, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen, Ausgestaltungen und Bezeichnungen.

    Anders stand es bei K. um die Mittelgewalten. Der Beseitigung des agilolfing.-bayerischen, des letzten Stammesherzogtums kommt grundsätzliche Bedeutung zu. K. ließ gewiß am Rande des Reiches die Bretagne, Wasconien, Karantanien und Benevent als selbständige Gebilde bestehen, denen mehr oder minder auch der Kirchenstaat zugezählt werden kann, innerhalb des Reiches aber war er bodenständigen, zu eigener politischer Aktion fähigen Gewalten zwischen König und Graf im Prinzip sehr abgeneigt, ohne darum jedoch die historisch gewachsenen größeren Einheiten zu zerschlagen. Die Sonderstellung, die er 781 Italien und Aquitanien durch die Einsetzung Pippins und Ludwigs einräumte, bedeutete sowohl Zugeständnis wie Bindung, denn die Söhne – vorerst als Kinder ohnehin nicht selber regierungsfähig – residierten zwar im Lande, blieben aber K.s Unterkönige und Statthalter, auch als er ihnen später eigene administrative und militärische Funktionen überließ. Auf ungefähr vergleichbare Weise walteten in Bayern nach 788 die praefecti Gerold und Audulf († circa 819). Undeutlicher sind die Nachrichten, die auf eine ähnliche, aber wohl nur zeitweilige Stellung seines Sohnes Karl des Jüngeren im neustr. Maine (788/90) und später des Vetters Wala in Sachsen schließen lassen. Da sich in K.s Zeiten die Bestellung von Grenzmarkgrafen mit überregionalen Dauerbefugnissen nur an der Pyrenäenlinie und für den Südosten, gegen Awaren und Slawen, zeitweilig als geboten erwies, blieb somit auch die Einrichtung abgeleiteter Zwischengewalten im ganzen begrenzt. K. suchte im Gegenteil eine unmittelbare Aufsicht über das Gesamtreich zu sichern, indem er das an sich schon ältere Institut der Königsboten (missi dominici) zu einem ständigen Bindeglied zwischen dem Hof und den Regionalinstanzen ausbaute. Ihre erste Erwähnung in dieser Aufgabe findet sich schon zu 779. Nach einem 802 verkündeten Statut sollten sie, in der Regel zu zweien (ein Kleriker und ein Laie), einen bestimmten Bezirk, ihr missaticum, bereisen, um Verwaltung und Rechtspflege zu überwachen, selber Gericht zu halten, den Treueid entgegenzunehmen und überhaupt als Kommissare des Königs aufzutreten.

    Die Bestellung der Königsboten ist charakteristisch für K.s „Innenpolitik“, die gewiß auf Straffung und Herrschaftssicherung, aber zugleich auf Bekämpfung von Mißständen, auf konservative Reformen zum Wohle der Untertanen bedacht war. Eben dabei dokumentiert sich der monarchische Stil in einer regen Gesetzgebung. Die Herrscherverordnungen, nach der Einteilung in capitula als Kapitularien bezeichnet, durchziehen K.s ganze Regierung. Sie konnten Angelegenheiten jeder Art: politische, rechtliche, wirtschaftliche, namentlich auch religiös-kirchliche im großen und im kleinen betreffen. Insbesondere aus den Jahren 779, 789, 794, 802, 805 sind umfangreiche Kapitularien programmatischen Charakters erhalten, aus denen ein auf Ordnung und Gerechtigkeit gerichteter, sehr entschiedener Herrscherwille spricht, selbst mit einem im frühen Mittelalter sehr ungewöhnlichen Zug zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Eine Großtat Pippins und K.s war die Neuordnung des Geldwesens durch die Einführung eines einheitlichen, im gesamten Reich umlaufenden Silberdenars, mit Recht berühmt – nicht zum wenigsten auch als agrargeschichtliche Quelle von einmaligem Rang – ist das gegen Ende des 8. Jahrhunderts erlassene Capitufare de villis über die Verwaltung und Bewirtschaftung der Königsgüter. Die Wirkung der Gerichtsreform, die K. anscheinend schon früh anordnete, reicht bis auf den heutigen Tag: er führte, spätestens 780, die Schöffen (scabini) als ständige Beisitzer des Richters (vornehmlich also des Grafen) ein und beschränkte die allgemeine Gerichtspflicht der Freien auf jährlich drei, offenbar regelmäßige Termine (tria placita generalia). Wenn neben dem Vasallenheer der allgemeine volksrechtliche Heerbann, mindestens als Landwehrpflicht der Freien, weiterhin galt, so war K. auch dabei auf soziale Erleichterungen bedacht, indem er, jedenfalls in späterer Zeit (802, 805), durch ausdrückliche Anordnungen die militärische und wirtschaftliche Belastung nach dem Besitz abstufte.

    Von der Herrscherautorität K.s, von der starken Zentralgewalt mit ihrer vergleichsweise hoch entwickelten Schriftlichkeit – mehr als 150 Urkunden K.s, an Empfänger im ganzen Reiche gerichtet, sind uns im Wortlaut bekannt –, von den Kapitularien als königliche Reichssatzung (im übrigen auch von dem seiner Natur nach gleichmäßigen Kirchenrecht) ging eine gezielte integrierende Wirkung aus, die keinen partikularen politischen Willen mehr duldete. Einer völligen|Einebnung des fränkisch geführten Vielvölkerstaates stand aber das allenthalben für Germanen und Romanen fortgeltende Prinzip der Personalität des Rechtes entgegen, das von den karolingischen Hausmeiern und Königen, auch von K., bewußt respektiert wurde. In Ergänzung der in früheren Generationen aufgezeichneten Stammesrechte veranlaßte er 802/03 ein abschließendes Kodifikationswerk, indem er die schon erwähnte Lex Saxonum, ferner ein nordthüring. und ein teilfränk. Recht (Lex Angliorum et Werinorum hoc est Thuringorum; Ewa Chamaworum) schriftlich fixieren, eine Lex Frisionum vorbereiten und ältere Leges überarbeiten ließ. Von einer politischen Sprengkraft solcher personal bestimmten Rechtspluralität kann keine Rede sein, da sie sich nicht als territoriales Ordnungsprinzip auswirkte.

    Im übrigen aber muß das aus den Quellen aufscheinende idealtypische Bild vom Großreich K.s als einem gleichmäßig aufgegliederten Gesamtgefüge mit durchorganisierter Amtsverfassung sehr relativiert werden. Den administrativen Unterbau, den eine solche, fast schon moderner Staatlichkeit vergleichbare Ordnung erfordert hätte, konnte selbst K.s energische Herrschaft nicht zustande bringen. Daß ein lückenloses Netz funktionsfähiger, vom Königshof überwachter und bis in die Hundertschaften (verschiedenster Nomenklatur) hinein wirkender Grafschaften sich so, wie es fraglos dem Willen K.s entsprach, tatsächlich überall durchgesetzt hätte, bleibt mehr als zweifelhaft, nicht zum wenigsten für weite ostrhein. Länder. In welchem Ausmaß aber auch zum Beispiel der wiederholt geforderte allgemeine Treueid wirklich geleistet wurde und welche bindende Kraft von ihm ausging, wissen wir nicht. Nachdrücklich muß davor gewarnt werden, die Kapitularien in ihrer Wirkung wie moderne Gesetze zu verstehen. Die nahezu gleichen Mahnungen, Gebote und Verbote kehren, vor allem in K.s späterer Regierungszeit, mit bemerkenswerter Häufigkeit wieder. Dies darf durchaus als Anzeichen eines empfindlicher gewordenen Verantwortungsbewußtseins, eines gesteigerten Reformwillens gedeutet werden, der sich noch über K.s Tod hinaus fortsetzte, aber daß hinter solchen Konzeptionen und Forderungen die Wirklichkeit zurückblieb, zurückbleiben mußte, wird eben dadurch nicht minder offenkundig.

    Die Unvollkommenheit dieser Amtsordnung war ebenso zeit- und strukturbedingt wie die scheinbare Durchbrechung des Amtssystems einerseits durch das unmittelbar-persönliche Band der Vasallität, anderseits durch die an den Urkunden ablesbare Privilegierung kirchlicher Institute mit Schutz und Immunität. In Wirklichkeit ergänzten und stützten solche partikularen Rechtsbeziehungen zum König eine im Denken der Zeit noch wenig verwurzelte und darum labile Amtsverfassung, der sich die auf eigene Herrschaft und Hoheit bedachte bodenständige Grundbesitz- und Waffenaristokratie nur bedingt fügte. Nur aus diesem Adel aber konnte K. seine Grafen und sonstigen Beauftragten nehmen. Wenn dann, in einer gewandelten Situation, seine außergewöhnliche persönliche Autorität ausfiel und sich gar noch äußere Gefährdungen des Reiches abzeichneten, auf die rasch reagiert werden mußte, konnte die Einwurzelung erblich-feudaler Grafendynastien, konnte aber auch der Aufstieg neuer Mittelgewalten nicht mehr aufgehalten werden. Aber alle Unfertigkeit, ja die latente Brüchigkeit von K.s gesamtfränkische Herrschaft ändert nichts daran, daß die Elemente der fränkischen Reichsordnung auf Jahrhunderte in der europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte fortgewirkt haben.



    Kirchen- und Kulturpolitik.
    In den zahlreichen Kapitularien K.s, die von kirchlichen Dingen handeln, dokumentiert sich die als Herrschaft und Verpflichtung verstandene monarchische Kirchenhoheit des Frühmittelalters auf einem geschichtlichen Höhepunkt. Der Weg zur institutionellen und geistigen Regeneration der fränkischen Reichskirche als einer romverbundenen Staatskirche war schon von Bonifatius und Pippin gewiesen worden. Von einer prinzipiellen Neuschöpfung durch K. kann also auch hier nicht die Rede sein, aber in der Entfaltung überkommener Ansätze tritt eine durch rationale Planung gekennzeichnete, sehr persönliche, wenn auch wiederum kaum biographisch präzisierbare Initiative zutage, auf die sich der moderne Begriff der Kulturpolitik durchaus anwenden läßt. Gewiß ist K.s eigener Anteil vor allem in Anstoß und Weisung zu sehen, während Vollbringung und Leistung sich auf viele Helfer verteilen, aber unsere Vorstellungen von seiner Kompetenz und Bildungsstufe dürfen sich dabei nicht kurzschlüssig an dem bekannten Bericht Einhards (c. 25) von den späten und kaum erfolgreichen Schreibübungen K.s orientieren. Mindestens solange noch keine Gebrauchskursive verbreitet war, blieb das Schreiben ein schwieriges Kunsthandwerk, das zu erlernen noch auf Jahrhunderte nicht jedermanns und schon gar nicht Sache des Königs war. Keinesfalls fiel es als Forderung, als Bildungskriterium mit der|Lesefähigkeit in eins – daß auch K. zu lesen verstand, darf vorausgesetzt, ja muß aus einer Andeutung Einhards (c. 26) erschlossen werden. Er habe sich gewandt auszudrücken gewußt, in der latein. sowohl wie in seiner fränkischen Sprache, und habe auch das Griechische wenigstens verstanden, heißt es an anderer Stelle bei Einhard (c. 25); diese Nachricht, an der zu zweifeln kein Anlaß besteht, veranschaulicht den nachhaltigen Lern- und Bildungswillen, der K.s gesamte Persönlichkeit kennzeichnet.

    Zwar kaum sehr rasch, aber ohne erkennbare Konflikte reifte ein unter Bonifatius und Pippin steckengebliebenes kirchlich-institutionelles Reformprogramm, in dem von etwa 780 an die Metropolitanverfassung wieder auflebte und zugleich die später deutschen Landschaften erfaßte (Mainz, Köln, Trier, Salzburg). K.s persönlicher Anteil an dieser Wiederherstellung der Kirchenprovinzen klingt nur in seinem von Einhard (c. 32) überlieferten Testament aus dem Jahre 811 an (in welchem er die Metropolitankirchen besonders bedenkt), ist aber auch ohne ausdrückliche Nachrichten als ebenso selbstverständlich zu unterstellen wie bei der Einbeziehung des Sachsenlandes in die fränkische Reichskirche. K. übertrug (wohl 777) dem Abt Sturmi von Fulda die Leitung der Sachsenmission, an der zahlreiche Bischofskirchen und Klöster des südlichen und westlichen Umkreises mitzuwirken hatten, und er veranlaßte 787 die Weihe des Angelsachsen Willehad zum Bischof von Bremen. Die kanonische Errichtung der Bistümer Bremen, Münster, Osnabrück, Minden und Paderborn kam jedoch erst nach 800 zustande und ist großenteils durch spätere Fälschungen so verdunkelt, daß es an konkreten Zeugnissen für K.s persönliches Handeln fehlt. Auch bei dem Missionswerk, das seit 796 von Passau, Salzburg und Aquileja aus den Südosten zu erfassen begann, tritt K. selber kaum in Erscheinung.

    Der inneren Festigung, Ordnung und Reinigung der fränkischen Kirche dienten die Reichssynoden, die meist mit großen Reichsversammlungen einhergingen (zum Beispiel Paderborn 777, Herstal 779, Frankfurt 794, Aachen 797, 802). Sie waren bevorzugter Anlaß der vielgestaltigen, mahnenden und regelnden staatskirchlichen Gesetzgebung, meist im Gemenge mit allgemeinen Kapitularien, aber auch in gesonderten Texten im Stil der sogenannten Admonitio generalis von 789. Bei eben diesen Bemühungen wird die Romverbundenheit K.s und der Franken sichtbar: sie bedeutete keineswegs eine Regierung der fränkischen Kirche von Rom aus, erschöpfte sich aber auch nicht in dem – ungeachtet mancher Enttäuschungen des Papstes – offenbar sehr persönlichen Vertrauensverhältnis K.s zu Hadrian I. Die römische Kirche war vielmehr seit des Bonifatius Tagen auch für die Franken die berufene Hüterin der Tradition und Norm, die bei der innerkirchlichen Erneuerung als grundsätzliche Richtschnur galt. Vom Papst nahm K. 774 die römische Rechtssammlung der Dionysio-Hadriana entgegen, nach deren Vorschriften, soweit sie in Verbindung mit spanischen und gallischen Texten auf fränkische Verhältnisse anwendbar waren, er das Kirchenwesen vereinheitlichend geordnet sehen wollte; vieles ist unmittelbar in jene Admonitio von 789 eingegangen. Im Geiste solcher Prinzipien war K. auf eine Festigung der bischöflichen Diözesanhoheit und auf eine Straffung der Klosterzucht bedacht, für deren Normierung er 787 in Monte Cassino den authentischen Text der Regula s. Benedicti abschreiben ließ. Andererseits sanktionierte K. auch jüngere Rechtsformen, die über das altkanonische Kirchentum hinausgeführt hatten: weit davon entfernt, das Eigenkirchenwesen in Frage zu stellen, bezog er Stiftungen der voraufgegangenen Generation wie Lorsch, Fulda, Hersfeld in den Kreis der unmittelbar königseigenen Klöster ein und beschränkte sich darauf, Auswüchse eigenkirchlicher Rechtsverhältnisse einzudämmen, sicherte den Kirchen aber auch neuartige Stützen mit der endgültigen Durchsetzung des Zehntgebots und der Einführung der ständigen Vogtei (um 790), eines vor allem in der deutschen Geschichte sehr zukunftsreichen Rechtsinstituts.

    Im Zusammenhang, ja im Dienste dieses kirchlichen Erneuerungswillens stand eine zielstrebige Schul- und Bildungsreform, bei der wiederum K.s persönliche Initiative, etwa durch die an den Abt Baugulf von Fulda gerichtete Epistola de litteris colendis (wohl 784/85), zur Genüge bezeugt ist. Als elementare Schrift- und Sprachbereinigung hat sie eine schlechthin unabsehbare Bedeutung gewonnen, denn die aus dieser Reform erwachsene, durch Gleichmäßigkeit und Vierlinienschema gekennzeichnete „karolingische Minuskel“, die Grundlage unserer Schrift, ist zu einem Charakteristikum des „abendländischen“ Kulturkreises geworden, während die Rückbesinnung auf die patristische Latinität ein nunmehr von den romanischen Sprachen bewußt geschiedenes Schriftlatein zur literarisch-wissenschaftlichen Hochsprache des Abendlandes werden ließ. Kirchlich-praktische und gelehrte, schon philologisch anmutende, aber eher schulisch gemeinte Bemühungen gingen schon bald bei der Sorge um zuverlässige Fassungen der kanonischen Vorschriften und monastischen Regeln ineinander über. In ähnlicher Weise drängte K. auf die Herstellung gesicherter Bibeltexte und auf eine Vereinheitlichung des Gottesdienstes. Als Grundlage dienten wiederum römische liturgische Bücher, darunter ein auf K.s Bitten von Hadrian I. wohl um 785/86 übersandtes Sakramentar. Sie wurden in K.s Umgebung jedoch einer neuen Redaktion unterzogen, die manches an gallisch-fränkischen Texten einfügte. Aber auch außerhalb der kirchlichen Zweckbestimmung wandte sich den Texten antiker Autoren ein gesteigertes, sehr aktives Interesse zu. Somit haben Schrift, Latinität, Bibeltext, Liturgie, Kirchenrecht, Mönchsregel, Klassikerüberlieferung in der von K. geförderten Auswahl und Ausprägung Kirche und Bildung des Mittelalters – und noch darüber hinaus – aufs stärkste geprägt.

    Dieses Erneuerungswerk erhielt über Jahrzehnte hin wesentliche Impulse vom Königshof und von K. selber, der für den institutionellen Ausbau der Hofschule Sorge trug, eine ansehnliche Hofbibliothek sammelte und bedeutende Persönlichkeiten sowohl der Wissenschaft wie der Literatur in seine Umgebung zog. Über diesen Kreis sind wir weit besser unterrichtet als über seine Helfer in Politik, Verwaltung und Heer. Die Leiter der Hofkapelle – der Abt Fulrad von Saint Denis († 784), die Bischöfe Angilram von Metz († 791) und Hildebald von Köln († 819), beide mit dem erzbischöflichen Titel ausgezeichnet – waren sehr einflußreich, treten aber „bildungspolitisch“ kaum hervor. Kennzeichnend ist unter diesem Aspekt vielmehr die große Zahl auswärtiger Kirchenmänner aus den Ländern alter Kulturtradition, die sich am Hofe K.s einfanden. Zu ihnen zählt vielleicht der Ire Dungal, wenn er mit dem als Hibernicus exul bezeichneten Autor von Hofgedichten identisch ist, vor allem aber waren es Gelehrte aus Italien und England, darunter schon früh (776 ff.) die Grammatiker Petrus von Pisa (den laut Einhard c. 25 K. persönlich „hörte“) und Paulinus, der langobardische Dichter, Theologe und Historiker →Paulus Diaconus (etwa 782-86 am Hofe), der aus Spanien geflüchtete Westgote Theodulf, ein formgewandter Dichter und Theologe (vor 790), als hervorragendste Gestalt aber seit 781/82 der allseitig gelehrte Alkuin aus York, der für K. wichtige Kapitularien und Briefe formulierte, die Leitung der Hofschule übernahm und durch seine Lehrbücher in einer bis dahin unbekannten Breite das spätantike Bildungsgut vermittelte. Noch vor der Jahrhundertwende, als Alkuin sich nach Tours zurückzog (796), Theodulf Bischof von Orléans wurde (spätestens 798), begannen auch Franken in diesem Kreise literarisch hervorzutreten, so der Hofdichter Angilbert und K.s späterer Biograph Einhard, der Alkuin in der Leitung der Hofschule ablöste und die Aachener Pfalzbauten beaufsichtigte, denn eine Wiedergeburt der Kunst – mit dem Oktogon des Aachener Münsters als berühmtestem Denkmal – gehört nicht minder zu dieser Erneuerung, für die in der Forschung die Bezeichnung „karolingische Renaissance“ in Gebrauch gekommen ist, wenn auch nicht ohne Widerspruch gegen eine so extensive Anwendung des Renaissancebegriffs.

    Mit seinen Vertrauten und Gelehrten traf sich K. zu wissenschaftlich-literarischem Austausch in einem Freundeskreise, dessen Mitglieder biblische oder antike Pseudonyme führten (K.: David). Mag die Bezeichnung „Akademie“ hier zu hoch gegriffen sein, so sichert die Nachricht von einer solchen intellektuellen Tafelrunde doch in sehr bestimmter Weise die persönlich-biographische Note dieser Bildungsrezeption. Eine betonte persönliche Aufmerksamkeit wandte K. aber auch, nach Einhards glaubhaftem Bericht (c. 29), der eigenen germanisch-fränkischen Sprache zu. Mehr noch als die Namen der Winde und Monate fällt dabei das Interesse an den Heldenliedern und erst recht der Plan einer Grammatik ins Gewicht, der auf die Ausbildung zur Schriftsprache hinzudeuten scheint. Bei aller – und durchaus dominierenden – Offenheit K.s für die lateinische Kulturtradition darf dieser Wille zu einer sowohl politischen wie kulturellen Eigenständigkeit gegenüber der Antike nicht übersehen werden.

    Eben dieser Selbstbehauptungswille begann sich alsbald, wiederum auf einen Anstoß von außen hin, auch kirchenpolitisch, ja theologisch zu artikulieren. Die Kaiserin Irene setzte dem innergriech. Bilderstreit ein Ende, nahm die seit Jahrzehnten abgerissene Verbindung mit Rom wieder auf und versammelte 787 in Nicaea eine Synode, die als VII. Ökumenisches Konzil unter der nominellen Leitung päpstlicher Legaten verkündete, den Bildern werde Verehrung (proskýnesis) geschuldet, die jedoch von einer Anbetung (latreía) streng zu scheiden sei. In dem Jahre, da er selber in Unteritalien eingriff und die Verlobung seiner Tochter Rotrud mit Konstantin VI. aufgehoben wurde, war K. über eine Rückwendung Roms zu den Griechen schon aus politischen Gründen sehr befremdet. Geradezu empört aber waren er und seine Hoftheologen über die Ignorierung der fränkischen Reichskirche durch ein dem Anspruch nach ökumenisches Konzil, das in Wirklichkeit|eine griechische Reichssynode war. Die Heftigkeit des Protestes gründet des weiteren darin, daß der eher nüchtern-rationale Westen, der selber keinen Überschwang des Bilderkultes gekannt hatte, dem ganzen Problem wenig Verständnis entgegenbrachte und sich gegen den Führungs-, ja Ausschließlichkeitsanspruch des Ostens auflehnte. Im Namen K.s, des Herrschers über Gallien, Germanien und Italien, wurde 791 eine Gegenschrift ausgearbeitet, als deren Verfasser in der heutigen Forschung Theodulf gilt. Diese Libri Carolini begegnen dem römisch-griechischen Kaisertum und Irene persönlich in hochfahrender Geringschätzung, sie verwerfen unterscheidungslos jegliche Bilderverehrung, bestreiten den ökumenischen Rang des Konzils von 787 und berufen sich gegenüber den Griechen auf den Glaubensprimat der römischen Kirche, mit der die Franken in „heiliger Gemeinschaft“ lebten. Eine sehr alte, freilich nicht vollständige Handschrift der Libri Carolini, die das Autograph sein könnte, enthält kritische, meist zustimmende Randnotizen, die auf Äußerungen K.s bei der Verlesung zurückzugehen, also seine persönliche Anteilnahme in ganz ungewöhnlicher Weise zu bezeugen scheinen. Obgleich (oder weil) die Libri Carolini sich mit Nachdruck auf den römischen Primat beriefen, geriet Hadrian I. in arge Bedrängnis; er konnte sich nur mit Mühe der Zumutung entziehen, die unter seiner eigenen Mitwirkung gefaßten Konzilsbeschlüsse von 787 zu verurteilen. Freilich kam auch kein westlich-ökumenisches Gegenkonzil zustande. Die von K. 794 nach Frankfurt einberufene Versammlung, die nochmals jeden Bilderkult verwarf, blieb eine fränkische Reichssynode. Von einem Bilderstreit in der Westkirche, den es ohnehin nur theoretisch gegeben hatte, verlautet dann nichts mehr.

    Dagegen hatte sich das Frankfurter Konzil noch mit einer christologischen Glaubensfrage zu befassen. Der Bischof Felix von Urgel im fränkischen Teil Spaniens hatte sich der toletanischen Lehre von einer doppelten Sohnschaft Christi angeschlossen, der als Mensch nur Adoptivsohn Gottes sei. Er war auf Geheiß K.s vorgeladen worden, hatte 792 in Regensburg und Rom widerrufen, dann aber in Spanien seine Lehre erneut verkündet. Die Frankfurter Synode sprach daher eine ausdrückliche Verurteilung des Adoptianismus aus, ebenso der Papst Leo III. im Jahre 798. Felix fand sich 799 in Aachen zu einer Disputation mit Alkuin und erneutem Widerruf ein, durfte dann aber nicht in sein Bistum zurückkehren. Bemerkenswert ist hier die selbstverständlich gewordene und sehr fundierte Mitsprache der fränkischen Kirche in der Theologie, doch ist dabei eine stärkere persönliche Anteilnahme K.s so wenig zu erkennen wie bei der gleichzeitig einsetzenden trinitarischen Kontroverse um das Filioque im Glaubensbekenntnis, einem großen west-östlichen Konfliktsthema des 9. Jahrhunderts

    Chronologischer Rückblick. Erst in der Rückschau auf dieses vielgestaltig verflochtene Neben- und Nacheinander erscheint es möglich, die für eine historische Sicht unverzichtbare zeitliche Abfolge des Wollens, Handelns und Geschehens von 772 bis zur Jahrhundertwende wenigstens in der Hauptlinie nachzuzeichnen – nicht zum wenigsten auch um den vordergründigen Eindruck einer unproblematisch-geradlinigen Stetigkeit auf das rechte Maß zurückzuführen. K. übernahm ein Reich, das sich von Aquitanien bis Alemannien erstreckte. Es war in seinem Bestände gefestigt, bedurfte aber noch der inneren Konsolidierung durch eine gestärkte Königsgewalt und eine von Pippin längst behutsam in Gang gebrachte kirchliche Regeneration in römisch-kanonischem Geiste und im Bunde mit dem Papst, über dessen noch jungen Kirchenstaat der Frankenkönig seine schützende Hand hielt, ohne darum die politische Struktur Italiens grundsätzlich umgestalten zu wollen. Zu offensiver Aktion drängten den neuen König dagegen die seit jeher gefährdete Nordostflanke des Reiches und die Unbotmäßigkeit des Bayernherzogs.

    K.s erste Initiative richtete sich 772 gegen die Sachsen. Wenn er dabei, was sehr wohl möglich ist, von vornherein weitgesteckte Ziele verfolgte, so sah er seine Pläne alsbald von außen durchkreuzt. Nicht K.s eigene Initiative, sondern die Aktion des Desiderius gegen Rom, die der Frankenkönig nur unter schwerstem Prestigeverlust hätte dulden können, lösten 773/74 die Intervention in Italien aus. Erst in ihrem Verlauf entschloß sich K. zu der radikalen Lösung, die in der europäischen Geschichte das Ende der aus der Völkerwanderung hervorgegangenen Staatenordnung bezeichnet, zugleich aber die germanisch-romanische Welt enger zusammenfügte. Möglicherweise war es dann wieder ein äußerer Anstoß – der Sachseneinfall nach Hessen 773/74 –, der K. zu dem Entschluß brachte, auch jenseits des Rheines weiter auszugreifen als ursprünglich geplant. Mit dem Feldzug 775, mit der Bezwingung langobardischer und sächsischer Auflehnungen 776 folgte Sieg auf Sieg. Der Paderborner Reichstag von 777 bezeichnet einen ersten Höhepunkt, K. schien bereits als der Gesamtherrscher des germanisch-lateinischen Kontinentaleuropa dazustehen, der die Grenzen seines Reiches und der Christenheit noch ausgeweitet hatte.

    Ob diese ersten Siege zu leicht errungen waren? Jedenfalls ließ sich K. eben in Paderborn, in verhängnisvoller Fehleinschätzung der politisch-militärischen Kräfte, für das spanische Unternehmen gewinnen. Die Katastrophe von 778 war mehr als ein Rückschlag, sie steht am Anfang schwerer Krisenjahre, die vor allem durch die in zwei Wellen – 779/80, 782-85 – verlaufenden erbitterten Sachsenkämpfe, aber auch durch die Passivität der Franken an der Pyrenäenfront gekennzeichnet sind. Es ist jedoch zugleich eine Zeit umsichtiger Regierungs- und Reformaktivität, zu der das 779 in Herstal verkündete große Kapitular das Signal gegeben haben dürfte. Vieles, im Zeitansatz oft nur zufällig und fragmentarisch bekannt, ist in diesem Zusammenhang zu sehen, so die beginnende administrative und kirchliche Durchdringung Sachsens (von der freilich auch die harte Capitulatio nicht auszunehmen ist), die Regelung der italischen Verhältnisse und die Einsetzung der Unterkönige Pippin in Italien und Ludwig in Aquitanien (781), die byzantinische Verlobung der Prinzessin Rotrud (781), aber auch das um 780 sichtbar werdende Reforminstitut der Gerichtsschöffen und vollends die mit der Ankunft Alkuins (781/82) dem Höhepunkt zustrebende geistige Erneuerung, in der sich die Bildungskontinuität des nachantik-lateinischen Europa aus italienischer, spanischer, irischer, angelsächsischer Tradition mit der neuen politischen Führungsmacht zu vielgestaltigem Neubeginn verschmolz. Mit der Taufe Widukinds (785), der Niederwerfung Hardrads (785/86) war die Krise überwunden, trat relative Ruhe ein, hatte K. neue Bewegungsfreiheit gewonnen. Die Franken begannen südlich der Pyrenäen Fuß zu fassen (785 ff.), K. setzte sich gegen Benevent durch und ließ es auf einen Bruch mit Byzanz ankommen (787/88), er holte endlich zum entscheidenden Schlag gegen Tassilo aus, um Bayern vollends dem Reiche einzugliedern (787/88), er wagte 789 den Zug über die Elbe ins Slawenland und trat 791 ein groß angelegtes Unternehmen gegen die Awaren an. Auch die Innen- und Kulturpolitik gewann neuen Schwung; davon zeugen die Kapitularien von 789 mitsamt der Admonitio, das jetzt erkennbar werdende Institut der regulierten Kirchenvogtei, auf besondere Art nicht minder die Libri Corolini und die nicht präzis datierbaren, um diese Zeit aber sicherlich im Gang befindlichen Bemühungen um eine einheitliche Liturgie. Nochmals aber lösten empfindliche Rückschläge, deren Hintergründe und Zusammenhänge für uns nicht recht durchschaubar sind, eine ernste Krise aus. Blieb schon der Awarenfeldzug von 791 ohne rechten Erfolg, so mußte den König dann schwer die Hofverschwörung um seinen Sohn Pippin treffen (792). Sie fiel zeitlich zusammen mit neuen Aufständen im nördlichen Sachsenlande, die von 793 an weitere Kreise zogen, mit einem arabischen Vorstoß über die Pyrenäen (793) und mit der Abkehr des Herzogtums Benevent vom Frankenreich (792/93). Erneute Anspannung der Kräfte wurde jedoch seit 794 auch dieser Gefahr Herr, zumal K. die – freilich wieder sehr harten – Kämpfe jetzt zum guten Teil seinen Söhnen und Markgrafen überlassen konnte. Er selber zog Jahr für Jahr im Norden zu Felde und brach endgültig den Widerstand der Sachsen; das „normalisierte“ Copitulare Saxonicum von 797 bedeutet hier den Abschluß des Dauerkrieges. Pippin von Italien und Markgraf Erich von Friaul zerschlugen 796 endgültig die Awarenmacht. Im Südosten setzte ein behutsames Missionswerk ein, bei dem man aus den unguten Erfahrungen bei der gewaltsamen Christianisierung der Sachsen Lehren zu ziehen wußte. Unter der Führung Ludwigs von Aquitanien und des Grafen Wilhelm von Toulouse schoben sich die Franken jetzt endgültig, wenn auch nur allmählich, an der Pyrenäenlinie vor. Weniger erfolgreich verliefen die langwierigen Kämpfe Pippins mit Benevent, aber von einer Gefahr für die Südflanke des Reiches konnte keine Rede sein. Neben alledem darf die Frankfurter Synode von 794 als Symptom für die von der Krise unberührte geistige Kraft der Reichskirche, der Residenzrang der Aachener Pfalz (seit 794) als Symbol für die gesicherte Stetigkeit der Reichsherrschaft, das diesen Jahren angehörende Capitulare de villis als Ausdruck ungebrochenen Reformwillens verstanden werden.

    Kaisertum und Nachfolge. Ungeachtet aller Krisen und Unzulänglichkeiten war das Frankenreich unter K.s Führung zu einer neuartigen Weltstellung aufgestiegen, in der sich respektgebietende Macht mit geistigem Rang verband. Von weltweiter Anerkennung zeugt der Austausch von Gesandtschaften mit dem Kalifen Harun ar-Raschid von Bagdad (797, 801/02, 807), zeugt auch das Bemühen der Kaiserin Irene, die seit dem – von ihr selber herbeigeführten – Sturz ihres Sohnes Konstantin VI. (797) im eigenen Namen regierte, den Frieden mit dem Westen wiederherzustellen. Die Franken aber fühlten sich zwar dem christlich antiken Kulturerbe, keineswegs jedoch dem Reich und Kaisertum heidnisch-antiker Tradition verbunden: in ihren liturgischen Gebeten klingt in bewußtem Kontrast eine eigene, christlich-fränkische Reichsidee an. Zur politischen Konkretisierung, zur Sichtbarmachung der neuen Weltstellung aber bedurfte es wiederum eines äußeren Anstoßes. Den neuen Papst Leo III. (795–816) hatte K. mit einem von Alkuin formulierten Schreiben begrüßt, das in berühmt gewordener Antithese (nostrum est – vestrum est) den Schutz und die Ausbreitung des christlichen Glaubens nach innen und außen als Sache des Königs verkündet, den der Papst mit seinem Gebet unterstützen solle. Mehr noch als sein Vorgänger suchte Leo III. Anlehnung an K., zumal er in Rom erbitterte Feinde hatte, die seinen Sturz planten. Er wurde am 25.4.799 überfallen, mißhandelt und in Haft genommen, entkam jedoch und begab sich unter fränkischen Schutz. K. empfing den Papst feierlich im Juli 799 in Paderborn, aber auch Leos Gegner brachten beim König Klagen vor. Damit stellte sich die doppelte Grundsatzfrage nach der Gerichtshoheit in Rom (die dem Kaiser zustand) und nach einer Gerichtsbarkeit über den Papst (die im kirchl. Rechtsdenken längst als unzulässig galt). Mehr als das: nach allem, was 2 Jahre zuvor in Konstantinopel und nunmehr in Rom geschehen war, schienen Kaisertum und Papsttum ihren Rang in der überkommenen Weltordnung eingebüßt zu haben, erscheine K. als rector populi christiani, heißt es bei Alkuin, aber es ist nicht erkennbar, ob solche Erwägungen sich bereits in politische Pläne umsetzten. Eine von K. mit der Untersuchung beauftragte Kommission unter Führung der Erzbischöfe Hildebald von Köln und Arn von Salzburg geleitete Leo nach Rom zurück (29.11.799) und ließ die Anführer des römischen Aufstandes ins Frankenreich verbringen. Erst 1 Jahr später, am 23.11.800, traf K. selber in Rom ein und wurde von vornherein mit dem Zeremoniell des adventus Caesaris empfangen. Die Beschuldigungen gegen Leo III. wurden, unter Vermeidung eines Synodalurteils, durch einen in der Gerichtspraxis keineswegs ungewöhnlichen Reinigungseid erledigt, den der Papst am 23.12. in Sankt Peter ablegte.

    Was in diesen Wochen außerdem erwogen wurde und in den Quellen durchweg übergangen wird, klingt nur in den – gleichzeitigen – Lorscher Annalen an: Da das Kaisertum seit der Usurpation Irenes (797) vakant sei, gebühre K., dem Herrscher über Rom und über die sonstigen sedes der Caesaren in Italien, Gallien und Germanien, der kaiserliche „Name“. Für die Weihnachtsmesse vom 25.12.800 war eine Königssalbung und -krönung Karls des Jüngeren vorgesehen, des ältesten legitimen Sohnes, der seit langem als Haupterbe des regnum Francorum galt, bisher jedoch nicht formell zum König erhoben worden war. Diese Zeremonie fand auch statt, wurde aber völlig dadurch überschattet, daß Leo III. vorher K. eine Krone aufsetzte und ihm die kniefällige Proskynese erwies, während das Volk ihn als „Kaiser der Römer“ akklamierte. Diese Ausrufung – als Konstitutivakt wichtiger denn die Krönung – ist aus der Sicht des Papstes und der Römer wörtlich zu verstehen: K. wurde – gegen Byzanz – zum römischen Kaiser schlechthin proklamiert, nicht zum weström. Teilkaiser oder gar zum „fränkischen“ Kaiser. Das bedeutete für Rom die formelle staatsrechtliche Trennung von Byzanz und zugleich die Wiederherstellung einer höchsten stadtröm. Gerichtsinstanz, vor der sich Leos III. Widersacher nunmehr verantworten mußten. Nach allem, was namentlich in den letzten Wochen voraufgegangen war, ist ein Zweifel an K.s grundsätzlicher Bereitschaft zur Übernahme der Kaiserwürde kaum möglich, aber Einhards Andeutung (c. 28), der König sei durch das consilium des Papstes aufs unangenehmste überrascht worden, kann durchaus besagen, daß K. mit der von Leo III. möglicherweise eigenmächtig inszenierten Proklamation nicht einverstanden war. Sein späteres Verhalten berechtigt zu der Vermutung, daß ihm einerseits die offene Brüskierung des griechischen Hofes, zum andern die allein den Römern zugespielte Rolle des „Reichsvolkes“ in besonderer Weise widerstrebte. Offen bleiben muß dann freilich die Frage, welche Form der Kaisererhebung dem König und seinen Franken erwünscht gewesen wäre.

    K. erfüllte jedoch die ihm von Leo III. zugedachte Kaiseraufgabe, indem er über die Aufrührer gegen den Papst zu Gericht saß; sie wurden zum Tode verurteilt, aber zur Verbannung begnadigt. K. nahm die Bullenumschrift Renovatio Romani imperii auf und führte in Anlehnung an den in Italien üblichen amtlichen Stil einen Urkundentitel ein, der den römischen Kaiseranspruch kundtat, aber am Franken- und Langobardennamen festhielt: Karolus serenissimus augustus a deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam dei rex Francorum et Langobardorum (erstmals bezeugt am 29.5.801). Im Verhältnis zu Byzanz, wo man den Akt vom Weihnachtstage 800 natürlich als eine unerhörte Usurpation empfand, beanspruchte|K. keine Herrschaft über Rom und den Kirchenstaat hinaus, suchte er keinen Kampf, bemühte er sich vielmehr um die Anerkennung seiner Kaiserwürde. In der Tat kamen 801/02 diplomatische Kontakte mit der Kaiserin Irene in Gang. Daß K. ihr gar eine Heirat angeboten habe, wie ein griechischer Chronist wissen will, erscheint freilich nicht eben glaubhaft, wurde jedenfalls durch den Sturz Irenes (31.10.802) gegenstandslos. Einem Gesandten des neuen Kaisers Nikephoros I. (802–811) übergab K. 803 in Salz einen (nicht erhaltenen) Vertragsentwurf, der zweifellos eine gegenseitige Anerkennung, ein legalisiertes Doppelkaisertum vorsah. Nikephoros ließ sich darauf nicht ein, aber offensichtlich wollte keine Seite die gewaltsame Auseinandersetzung, zumal es – da Süditalien unter der Führung Benevents weiterhin eine Pufferzone blieb – zunächst an territorialer Berührung fehlte. K. empfing Ende 804 in Reims Leo III., der eine Begegnung gewünscht hatte; er verbrachte mit ihm das Weihnachtsfest in Quierzy und geleitete ihn nach Aachen, wo er ihn am 14.1.805 entließ. Daß bei diesem Anlaß die Kaiserfrage zur Erörterung stand, ist als sicher zu unterstellen, aber es fehlt an jeder Nachricht darüber. Wir erfahren lediglich, daß Angelegenheiten der Kirchenprovinz Aquileja-Grado zur Sprache kamen. In diesem Raum setzte sich um eben diese Zeit eine frankenfreundliche Partei durch, und K. verfügte um die Jahreswende 805/06 die Einbeziehung Venetiens und Dalmatiens in sein Reich. Erst damit war eine „Front“ gegen das Ostreich aufgerissen. Die Griechen aber waren zur See überlegen und stellten 807 ihre Herrschaft wieder her; Pippin von Italien mußte einen Waffenstillstand eingehen.

    Das saturierte und kaum ernstlich gefährdete Reich erforderte von K. kaum mehr eigene militärische Aktivität. Welche Bedrohungen sich mit der Beunruhigung durch Wikinger im Norden und Sarazenen im Süden abzuzeichnen begannen, wurde von den Zeitgenossen schwerlich bereits erfaßt. K. hielt sich jetzt vorwiegend in den zentral gelegenen Pfalzen Aachen, Nimwegen, Diedenhofen auf. Auf diese späten Jahre bezieht sich fraglos die (im ganzen Zeitalter einzig dastehende) Schilderung von K.s äußerer Erscheinung bei Einhard (c. 22): er sei 7 Fuß groß gewesen, breit und kräftig, sogar ein wenig zur Korpulenz neigend, rundschädelig mit schönem Grauhaar und kurzem Nacken, mit etwas übergroßer Nase und auffallend heller Stimme. Als Kaiser wandte er seine Energie mit Vorzug der inneren Ordnung zu. Davon zeugen – schon erwähnt – die erneute Vereidigung von 802 ebenso wie die Volksrechtskodifikationen von 802/03, nicht minder aber auch die jetzt in großer Zahl sich wiederholenden Kapitularien, Instruktionen für Königsboten und ähnliche Texte. Einen letzten Höhepunkt bezeichnen 5 Synoden, die 813 ungefähr gleichzeitig in Arles, Reims, Mainz, Chalon und Tours tagten und ausführliche Reformkanones verkündeten.

    Zu den Fragen, die einer rechtzeitigen Klärung bedurften, gehörte insbesondere die Regelung der Nachfolge. Seit mehr als 4 Jahrzehnten regierte K. allein, aber er war nicht gewillt, sich kurzerhand über die Rechtstradition der Teilung hinwegzusetzen, was freilich auch kaum mehr möglich gewesen wäre, nachdem seine 3 Söhne bereits zu Königen gesalbt und gekrönt waren. Von der Ordnung zu gleichen Teilen aber wich er ab, als er am 6.2.806 in Diedenhofen eine Divisio verkündete: der Anteil Pippins von Italien wurde um Bayern und das südliche Alemannien, das Teilreich Ludwigs von Aquitanien auf die Südhälfte Galliens erweitert, alle übrigen Länder aber, voran die ungeteilt bleibende eigentliche Francia, sollten dem ältesten Sohn Karl zufallen. Über die Nachfolge im Kaisertum verfügte K. noch nicht, aber durch den Kaisertitel, durch die Wendung imperium vel regnum und durch erneuten Kontakt zum Papst, dem Einhard die Divisio zur Unterschrift überbrachte, bekannte er sich zum Kaisertum römischer Tradition. Es ist zwar nur undeutlich bezeugt, aber sehr wahrscheinlich, daß Karl der Jüngere für die Nachfolge im Kaisertum ausersehen war. Im noch unbereinigten Verhältnis zu Byzanz darf der Grund dafür vermutet werden, daß K. eine öffentliche und formelle Entscheidung dieser Art vorerst vermied.

    Nach dem Ablauf des Waffenstillstandes lebten die Kämpfe an der Adria wieder auf, Pippin war in Abwehr und Gegenschlag erfolgreich (809/10). Überdies von den Bulgaren bedrängt, ergriff Nikephoros 810 selber die Initiative zu Ausgleichsverhandlungen, die durch den zweimaligen Thronwechsel in Byzanz (Michael I. 811-13, Leon V. 813-20) nur verzögert, nicht mehr gefährdet wurden. Im Jahr 812 stand K. am Ziel: er wurde in Aachen von den griechischen Gesandten als Basileus akklamiert. Der weitere Austausch von Gesandten und Briefen zog sich zwar noch bis nach K.s Tod hin, aber der Friede war geschlossen: Byzanz erkannte ein gleichrangiges Westkaisertum, ein verselbständigtes Abendland an; dem Ostkaiser, der die Hoheit über Rom mindestens faktisch preisgab,|überließ K. Venetien und Dalmatien, aber auch den Römertitel, den er seinerseits ohnehin vermieden hatte, den Byzanz dagegen jetzt in den Amtsstil aufnahm, während die fränkischen und deutschen Nachfolger K.s nahezu 2 Jahrhunderte lang den Kaisertitel (imperator augustus) ohne römisches Attribut führten.

    Der Weg zur Weitergabe des Kaisertums war damit freigeworden, aber unter völlig veränderten Voraussetzungen, denn am 8.7.810 war Pippin, am 4.12.811 war Karl der Jüngere gestorben. Nach längerem Zögern setzte K. 812/13 Pippins Sohn Bernhard, der, nach dem Namen zu schließen, kaum als vollbürtig gelten konnte, als Unterkönig in Italien ein, ohne ihm jedoch einen gleichberechtigten Anteil an der Reichsherrschaft zuzuerkennen. Reich und Kaisertum gingen ungeteilt an Ludwig von Aquitanien über, den einzigen überlebenden Sohn aus vollgültiger Ehe – die durch den Erbfolgezufall geschaffene Reichseinheit wurde erst in der nächsten Generation ein politisches Programm. Nachdem 813 jene 5 Reformsynoden getagt hatten, die auf ihre Art gleichfalls zu Ludwigs des Frommen ersten Jahren überleiteten, hielt K. im September zu Aachen seine letzte Reichsversammlung: hier krönte er selber Ludwig zum Mitkaiser, unter Akklamation durch die Franken, also nicht nach päpstlicher römischer Stil, sondern als gleichrangiger Westkaiser in Anlehnung an byzantinischen Brauch.

    Noch am Todestage wurde K. in der Aachener Pfalzkirche beigesetzt. Otto III. ließ im Jahr 1000 das Grab öffnen; die in diesem Zusammenhang begegnende Nachricht von einer Sitzbestattung verdient jedoch keinen Glauben. Auf dem Höhepunkt des Konfliktes mit Alexander III. erhob Friedrich I. am 29.12.1165 die Gebeine K.s und ließ ihn mit Vollmacht seines Gegenpapstes Paschalis III. heiligsprechen. Der Kult verbreitete sich im nördlichen und südwestlichen Deutschland, seit dem späteren Mittelalter auch in Frankreich und hielt sich bis ins 19. Jahrhundert. Im Aachener Münster – wo der im Jahr 1215 fertiggestellte kostbare Karlsschrein die Gebeine birgt – wird der 28. Januar als Festtag noch heute begangen. Schon der auf ihn folgenden Generation galt K. als „der Große“. Die ideale Stilisierung seiner Gestalt setzt bereits um 830 mit Einhards – in der Substanz durchaus wahrheitsgetreuer – Biographie ein und hat auf Jahrhunderte, großenteils losgelöst von der Wirklichkeit, in Literatur und Geschichtsbewußtsein weitergewirkt. Die kritische Geschichtsschreibung sieht nüchterner die durch äußere und innere Gegebenheiten begünstigte Einmaligkeit ebenso wie die Grenzen seiner Erfolge und Leistungen, seiner kulturell überhöhten politischen Machtballung, die nur als zeitweilige Realisation an einem Wendepunkt der Weltgeschichte Bestand haben konnte, die aber, sowohl in der territorialen Ausformung wie in der Rechtsordnung und der Bildungstradition, dem abendländ. Mittelalter, insbesondere der französisch und noch mehr – mit dem Kaisertum – der deutschen Geschichte den Weg gewiesen hat.

    Literatur
    ADB 15; Regg. Imp. I; Ann. regni Francorum, hrsg. v. F. Kurze = MGH SS rer. Germ., 1895; Vita Karoli magni d. Einhard, hrsg. v. O. Holder-Egger, = MGH SS rer. Germ., 61911; MGH DD Karol. I, MG Capit. I; Conc. II 1, Cod. Carol., in: MG Epp. III; zahlreich Einzelzeugnisse in: MG Epp. IV, MGH Poetae I; Neuausgg. aus jüngerer Zeit: Karolus magnus et Leo papa, Ein Paderborner Epos v. J. 799, mit Btrr. v. H. Beumann, F. Brunhölzl, W. Winkelmann, 1966; Capitulare de villis, hrsg. v. C. Brühl, 1971 (Faks.-Ed. mit Transkription, übers. [v. G. Franz] u. Glossar); S. Abel u. B. Simson, Jbb. d. Fränk. Reiches, K. d. Gr. I, 21888, II, 1883. - Gesamtdarst.: L. Halphen, Charlemagne et l'Empire carolingien, 1949; R. Folz, Le couronnement impérial de Charlemagne, 1964; J. Fleckenstein, K. d. Gr., 21967; J. Boussard, Charlemagne et son temps, 1968; S. Epperlein, K. d. Gr., Eine Biogr., 41974; H. Löwe, in: Die Gr. Deutschen I, 1956, S. 19-34; H. Löwe, in: Gebhardt-Grundmann, Hdb. d. dt. Gesch. I, 91970, §§ 41-43 (Literatur); E. Ewig, in: Hdb. d. KG, hrsg. v. H. Jedin, III, 1, 1966, S. 62-118; K. Folz, De l'antiqué au monde médiéval, 1972, S. 315-75 (Literatur); Th. Schieffer, in: Th. Schieder, Hdb. d. Europ. Gesch. I, 1977, §§ 68-71 (Literatur).



    Karl der Große und die Sachsen

    ZDF Mediathek - Karl der Große und die Sachsen - Die Deutschen

    Der große Frankenkaiser schafft wichtige Voraussetzungen.
    Er galt schon bei seinen Zeitgenossen als "Vater Europas": Karl der Große (vermutlich 748-814). Viele europäische Völker haben ihre Wurzeln in der Zeit des großen Frankenkaisers. Karl der Große hat wichtige Voraussetzungen späterer Entwicklungen auf deutschem Boden geschaffen.



    Sogenannte Reiterstatuette Karls des Großen (9. Jahrhundert), heute im Louvre, eine herrschaftliche Inszenierung in Anlehnung an die Reiterstatuen antiker römischer Kaiser. Möglicherweise handelt es sich jedoch in Wirklichkeit um eine Darstellung Karls des Kahlen.

    Charlemagne Louvre OA8260 n1



    Das Signum Karls des Großen unter einer am 31. August 790 in Kostheim ausgefertigten Urkunde: Eigenhändig ist nur der v-förmige Vollziehungsstrich innerhalb des rautenförmigen O des sogenannten Karlsmonogramms, durch den die obere Hälfte des O zugleich als A (für KAROLVS) gelesen werden soll. Der lineare Text beiderseits des Kreuzrhombus-Monogramms lautet Signum (M.) Caroli gloriosissimi regis („Zeichen des überaus glorreichen Königs Karl“).

    Karldergrossesignatur



    Darstellung Karls des Großen in der Chronik des Ekkehard von Aura um 1112/14, Cambridge, Corpus Christi College, Ms. 373, fol. 24r

    Karl der Große in der Chronik des Ekkehard von Aura



    Karl der Große auf der Frontseite des Karlsschreins

    Karl der Große auf der Frontseite des Karlsschreins.



    Karl der Große (links) und sein erster Sohn Pippin der Bucklige, darunter ein Schreiber; Miniatur aus dem 10. Jahrhundert, Kopie einer verlorenen für Graf Eberhard von Friaul hergestellten Miniatur.

    Karl der Grosse - Pippin der Bucklige



    Geburt:
    (kaum 742)

    Begraben:
    Pfalzkapelle

    Karl heiratete Hildegard um 771. Hildegard (Tochter von Gerold und Imma) wurde geboren in 758; gestorben am 30 Apr 783 in Diedenhofen (Thionville) [57100],Moselle,Lothringen,Frankreich; wurde beigesetzt in Metz [57000],Moselle,Lothringen,Frankreich. [Familienblatt] [Familientafel]


  2. 9.  Hildegard wurde geboren in 758 (Tochter von Gerold und Imma); gestorben am 30 Apr 783 in Diedenhofen (Thionville) [57100],Moselle,Lothringen,Frankreich; wurde beigesetzt in Metz [57000],Moselle,Lothringen,Frankreich.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: Fränkisches Reich; Fränkische Königin

    Notizen:

    Ausschnitt aus der Kemptener Klosterchronik von 1499: Hildegard ist zusammen mit Karl dem Großen ganz rechts abgebildet.

    Klosterchronik1499



    Begraben:
    St. Arnulf

    Gestorben:
    (7.4.783 Isenburg)

    Kinder:
    1. von Franken, Karl wurde geboren in 772; gestorben am 4 Dez 811.
    2. von Franken, Adelheid wurde geboren in 773/774 in Pavia [27100],Lombardei,Italien; gestorben um Jul 774 in Pavia [27100],Lombardei,Italien.
    3. von Franken, Rotrud wurde geboren in 775; gestorben am 6 Jun 810.
    4. von Italien, Pippin wurde geboren in 777; gestorben am 8 Jul 810; wurde beigesetzt in Mailand [20100],Lombardia,Italien.
    5. 4. von Franken, Ludwig I. wurde geboren am 16 Apr 778 in Chasseneuil-du-Poitou [86360],Vienne,Poitou-Charentes,Frankreich; gestorben am 20 Jun 840 in Ingelheim am Rhein [55218],Mainz-Bingen,Rheinland-Pfalz,Deutschland; wurde beigesetzt in Metz [57000],Moselle,Lothringen,Frankreich.
    6. von Franken, Lothar wurde geboren am 16 Apr 778; gestorben in 779/780.
    7. von Franken, Bertha wurde geboren in 779; gestorben nach 14 Jan 823.
    8. von Franken, Gisela wurde geboren vor Mai 781; gestorben nach 814.
    9. von Franken, Hildegard wurde geboren am 8 Jun 782; gestorben am 8 Jun 783.

  3. 10.  Ingram

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Wohnort: Hespengau,Belgien
    • Titel/Amt/Status: Graf

    Notizen:

    Neffe des Bischofs Chrodegang von Metz

    Kinder:
    1. 5. Irmingard wurde geboren um 775/780; gestorben am 3 Okt 818 in Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich; wurde beigesetzt in Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich.

  4. 14.  Isanbart (Sohn von Warin und von Spoleto, Adellinde); gestorben nach 806.

    Anderer Ereignisse und Attribute:

    • Titel/Amt/Status: Thurgau,Schweiz; Graf im Thurgau
    • Titel/Amt/Status: Sachsen,Deutschland; Graf in Sachsen

    Notizen:

    Isanbart
    Graf in Sachsen
    Graf im Thurgau
    - nach 806 (um 824?)
    Sohn des Grafen Warin im Thurgau und der Adellinde von Spoleto, Tochter von Herzog Hildebrand

    Notker: Seite 388, "Taten Karls. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band VII"

    Nun wollten fast alle ihren Herrn zu Gefallen ihre Hosen ausziehen, aber er verhinderte es mit den Worten: In solcher Verfassung muß ich vor Hildegard [66 Hildegard war seit 783 tot.] treten. Isambard [67 Isambard ist als Thurgaugraf 774-779 bezeugt. Kloster St. Gallen erhielt von ihm von 798-806 mehrfach Schenkungen: Urkundenbuch Nr. 154 (Seite 146). Nr. 190 (Seite 180).] aber, der Sohn Warins [68 Warin aus moselfränkischem Geschlecht, erstmals 754 bezeugt (Wartmann, Urkundenbuch Band I Seite 22) als Graf im Thurgau, letztmals 772 (ebd. Seite 63f.), gründete um 770 das Chorfrauenstift Buchau im Federsee.], des Verfolgers Eures Schutzheiligen Othmar, setzte dem Tier nach, warf seine Lanze, da er nicht wagte in größere Nähe heranzukommen, traf es zwischen Hals und Schulter ins Herz und übergab es noch zuckend dem Kaiser. Dieser tat als bemerke er es nicht, überließ das Wild seinen Gefährten und kehrte nach Hause zurück. Hier rief er die Königin herbei, zeigte ihr die Löcher im Beinkleid und sagte: Was verdient derjenige, welcher mich von einem Feind befreit hat, der mir dies angetan hat? Und als sie "Alles Gute" antwortete, erzählte ihr der Kaiser alles der Reihe nach, wies die gewaltigen Hörner zum Zeugnis vor und brachte die Herrscherin dazu, daß sie weinte, seufzte und sich an die Brust schlug. Und als sie gar erfuhr, daß der gehaßte und aller Lehen beraubte Isambard den Kaiser vor einem solchen Gegner gerettet hatte, warf sie sich dem Kaiser zu Füßen und erlangte für ihn alles, was man ihm genommen hatte, beschenkte ihn aber selbst mit reichen Gaben.

    Isanbart war eine KAROLINGER-Stütze und war mit einer Tochter des in Sachsen sehr mächtigen, mit einer Sächsin verheirateten KAROLINGERS Bernhard vermählt.

    Schmid Karl: Seite 444, "Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter"

    Ähnlich wie sein Onkel Ruthard zog auch Isanbart die Ungnade KARLS DES GROSSEN auf sich.

    Fleckenstein Josef: Seite 97,98, "Die Herkunft der Welfen"

    Eine umfangreiche Schenkung Isanbards, des Sohnes Warins, an St. Gallen zeigt deutlich, wie wirkungsvoll das Kloster seine Klagen vorzubringen wußte und wie es sie vom Vater auf den Sohn übertrug. Die Schenkung erfolgte ausdrücklich, um diese Klagen ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen; nur unter dieser Voraussetzung sollte sie auch gelten. Damit hätte Isanbard aber auch das Unrecht seines Vaters gut gemacht.
    Scheint es hiernach bereits, dass die WELFEN mit Ruthard enger verbunden waren als mit Warin, so können wir andrerseits mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, dass Warin und sein Sohn Isanbard, ein Zeit- und Altersgenosse Welfs [Die erwähnte Tradition Isanbards ist vom 29. Oktober 806, seine früheste Bezeugung von 771/74], des Vaters der Kaiserin Judith, nicht dem gleichen Mannesstamm wie Welf angehört haben können; denn so wenig wie ihre Namen (Isanbard hatte noch einen Bruder Swabo) sich mit den bekannten welfischen Namen berühren, so wenig kehrt auch nur eine ihrer Besitzungen in der Hand der WELFEN wieder. Vielmehr spricht alles dafür, dass sie dem Verwandtschaftskreis der WIDONEN zuzurechnen sind.



    oo Thietrade, Tochter des KAROLINGERS Bernhard Abt von Sankt Quentin
    Cousine KARLS DES GROSSEN


    Kinder:

    - Heilwig - nach 833
    oo Welf - 825
    - Adallinde
    oo Sigefried Er war begütert in Clerf (Luxemburg).
    - Adalung Abt von Lorsch - 837


    Literatur:
    Ay, Karl-Ludwig/Maier, Lorenz/Jahn Joachim: Die Welfen. Landesgeschichtliche Aspekte ihrer Herrschaft. Universitätsverlag Konstanz GmbH 1998 Seite 42,44,51 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986 Seite 44,94,112,132,150-156,199,217,221,234,237,252,283-286 - Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit. Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984 Seite 86,92,109,154,191,200,202,232,250 - Fleckenstein Josef: Über die Herkunft der Welfen und ihre Anfänge in Süddeutschland. in: Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des Großfränkischen und frühdeutschen Adels Eberhard Albert Verlag Freiburg im Breisgau 1957, Seite 71-136 - Herm, Gerhard: Karl der Große. ECON Verlag GmbH, Düsseldorf, Wien, New York 1987 Seite 235 - Notker: Taten Karls. Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte Band VII Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1969 Seite 388 - Schmid Karl: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte Beiträge. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983 -

    Gestorben:
    um 824?

    Isanbart heiratete Thietrade. [Familienblatt] [Familientafel]


  5. 15.  Thietrade

    Notizen:

    Nach These von Decker-Hauff war Isanbrand verheiratet mit Theodrada, Tochter des PIPPINIDEN Bernhard (Hlawitschka, Vorfahren 81, Nr. 53). Eine Begründung dieser Vermutung fehlt allerdings.

    Name:
    Theodrada

    Kinder:
    1. Adallinde
    2. Adalung gestorben in 837.
    3. 7. Heilwiga wurde geboren um 778; gestorben nach 833.