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 Bohrer

von Franken, Ludwig I.

von Franken, Ludwig I.

männlich 778 - 840  (62 Jahre)

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  • Name von Franken, Ludwig 
    Suffix I. 
    Spitzname der Fromme 
    Geburt 16 Apr 778  Chasseneuil-du-Poitou [86360],Vienne,Poitou-Charentes,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort  [1
    Geschlecht männlich 
    Titel/Amt/Status 11 Sep 813  [1
    römischer Kaiser 
    Titel/Amt/Status 814-840  [1
    Frankenkönig 
    Tod 20 Jun 840  Ingelheim am Rhein [55218],Mainz-Bingen,Rheinland-Pfalz,Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort  [1
    • auf einer Rheininsel bei Ingelheim [2]
    Beerdigung Metz [57000],Moselle,Lothringen,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort  [1
    Personen-Kennung I397  Mittelalter
    Zuletzt bearbeitet am 12 Okt 2015 

    Vater von Franken, Karl der Große I.,   geb. 2 Apr 747   gest. 28 Jan 814, Aachen [52056],Nordrhein-Westfalen,Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 66 Jahre) 
    Mutter Hildegard,   geb. 758   gest. 30 Apr 783, Diedenhofen (Thionville) [57100],Moselle,Lothringen,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 25 Jahre) 
    Familien-Kennung F190  Familienblatt  |  Familientafel

    Familie 1 N. 
    Eheschließung 793  [1
    Kinder 
     1. von Franken, Alpais,   geb. 794   gest. 23 Jul 852 (Alter 58 Jahre)
     2. von Franken, Arnulf,   geb. um 794   gest. nach 841 (Alter > 48 Jahre)
    Familien-Kennung F162  Familienblatt  |  Familientafel
    Zuletzt bearbeitet am 12 Okt 2015 

    Familie 2 Irmingard,   geb. um 775/780   gest. 3 Okt 818, Angers [49000],Maine-et-Loire,Pays de la Loire,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 38 Jahre) 
    Eheschließung 794  [1
    Notizen 
    • Bei den Kindern 6 und 7 (ohne Namen) handelt es sich nochmals um die Töchter Hildegard bzw. Rotrud (mit Verknüpfung zu den Ehepartnern)
    Kinder 
    +1. von Franken, Lothar I.,   geb. 795   gest. 29 Sep 855, Prüm [54595],Bitburg-Prüm,Rheinland-Pfalz,Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 60 Jahre)
    +2. von Aquitanien, Pippin I.,   geb. um 797   gest. 13 Dez 838 (Alter 41 Jahre)
     3. von Franken, Rotrud,   geb. 800
     4. von Franken, Hildegard,   geb. um 802   gest. 23 Aug 860 (Alter 58 Jahre)
     5. von Franken, Ludwig II.,   geb. 805/806, Aquitanien,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ortgest. 28 Aug 876, Frankfurt am Main [60311],Hessen,Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 70 Jahre)
    +6. von Franken, (Tochter),   geb. um 800/802
     7. von Franken, (Tochter),   geb. um 800/802
    Familien-Kennung F163  Familienblatt  |  Familientafel
    Zuletzt bearbeitet am 15 Okt 2015 

    Familie 3 Judith,   geb. um 795   gest. 19 Apr 843, Tours [37000],Indre-et-Loire,Centre-Val de Loire,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 48 Jahre) 
    Eheschließung 819  [1
    Kinder 
    +1. von Franken, Gisela,   geb. 819   gest. nach 1 Jul 874 (Alter 55 Jahre)
     2. von Franken, Karl II.,   geb. 13 Jun 823, Frankfurt am Main [60311],Hessen,Deutschland Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ortgest. 6 Okt 877, Avrieux [73500],Savoie,Rhône-Alpes,Frankreich Suche alle Personen mit Ereignissen an diesem Ort (Alter 54 Jahre)
    Familien-Kennung F161  Familienblatt  |  Familientafel
    Zuletzt bearbeitet am 12 Okt 2015 

  • Ereignis-Karte
    Link zu Google MapsGeburt - 16 Apr 778 - Chasseneuil-du-Poitou [86360],Vienne,Poitou-Charentes,Frankreich Link zu Google Earth
    Link zu Google MapsTod - 20 Jun 840 - Ingelheim am Rhein [55218],Mainz-Bingen,Rheinland-Pfalz,Deutschland Link zu Google Earth
    Link zu Google MapsBeerdigung - - Metz [57000],Moselle,Lothringen,Frankreich Link zu Google Earth
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    Pin-Bedeutungen  : Adresse       : Ortsteil       : Ort       : Region       : (Bundes-)Staat/-Land       : Land       : Nicht festgelegt

  • Fotos
    Ludwig I der Fromme als „miles Christi“
    Ludwig I der Fromme als „miles Christi“
    Karl der Große und der junge Ludwig der Fromme.
    Ein Sesquisolidus mit dem Bild Ludwigs des Frommen

  • Notizen 
    • LUDWIG I. DER FROMME
      Frankenkönig (814-840)
      römischer Kaiser seit 11.9.813
      16.4.778 Chasseneuil - 20.6.840 Ingelheim Begraben: Metz
      3. Sohn des Kaisers KARL I. DER GROSSE aus seiner 2. Ehe mit der Hildegard, Tochter von Graf Gerold

      Lexikon de Mittelalters: Band V Spalte 2171, LUDWIG I. DER FROMME, Kaiser
      Juni/August 778, + 20. Juni 840
      Chasseneuil bei Poitiers bei Ingelheim
      Begraben: St. Arnulf in Metz
      Eltern: KARL DER GROSSE und Hildegard

      Kinder:
      - LOTHAR I.
      - Pippin
      - Ludwig der Deutsche
      - KARL DER KAHLE
      - Gisela

      Der jüngste Sohn KARLS DES GROSSEN, dessen Zwillingsbruder gleich nach der Geburt gestorben war und der zum Zeichen der Ansippung an das verdrängte Königsgeschlecht den MEROWINGER-Namen LUDWIG ('Chlodwig') erhielt, wurde bereits 781 von Papst Hadrian I. zum König gesalbt und von KARL als Unterkönig von Aquitanien eingesetzt. Er kümmerte sich seit seiner Mündigkeit (791) besonders um den Ausbau der kirchlichen Organisation des Landes und sicherte in mehreren Feldzügen seine Grenze im Südwesten. Da seine Brüder Karl (+ 811) und Pippin (+ 810) vor ihm starben, wurde er von KARL DEM GROSSEN im September 813 in Aachen zum Mit-Kaiser erhoben, und zwar in Form der Selbstkrönung, der die Akklamation der Franken als Reichsvolk folgte. So trat LUDWIG I. beim Tod KARLS DES GROSSEN (28. Januar 814) sofort in die vollen kaiserlichen Rechte ein, doch deutet sich im Wechsel seiner wichtigsten Berater an, daß er von vornherein ein neues Program anvisierte, das unter der Formel der 'Renovatio imperii Francorum' auf eine umfassende neue Ordnung hinauslief. Sie wurde bereits um 817 im Reichsgesetz der Ordinatio imperii offenbar, das die (auffallend frühe) Regelung der Nachfolge zum Anlaß nahm, die Einheit des Reiches zu sichern. LUDWIG DER FROMME folgte in dem Gesetz, das dem ältesten Sohn LOTHAR mit der Kaiserkrone eine Vorrangstellung vor seinen Brüdern Pippin und Ludwig zuwies, Bestrebungen der fränkischen Einheitspartei, die gegenüber dem alten Teilungsprinzip die unitas imperii als notwendiges Korrelat zur unitas ecclesiae verstand und sie als Forderung der göttlichen Weltordnung interpretierte. Da LUDWIG DER FROMME sich selbst die Oberherrschaft über LOTHAR ausdrücklich vorbehielt, erwuchsen daraus zunächst noch keine Konsequenzen. LUDWIG setzte vielmehr die Kirchenreform, die unter KARL zuletzt an Kraft verloren hatte, verstärkt fort. Wie die kirchliche, so intensivierte er auch die weltliche Reformgesetzgebung, deutlich ablesbar an der Zunahnme der Kapitularien, die allerdings bald wieder abflaute. Ein entsprechnder Wechsel zeichnet sich auch in LUDWIGS Verhältnis zum Papsttum ab, dessen Autorität zunächst nicht etwa eine stärkere, sondern eine geringere Rolle als unter KARL DEM GROSSEN spielte, was aber offenbar in Einklang mit dem programm der Renovatio imperii Francorum stand. Bezeichnend dafür, daß die Vereibarungen mit Stephan IV. und Paschalis I. (816/17), die das Hludowicianum als Besitz- und Autonomiegarantie der römischen Kirche verbriefte, auf eine "Angleichung der römischen an die fränkischen Kirchen" (J. Fried) hinauslief. Durch einen Wechsel der Berater wurde diese Lösung 824 im Sinne KARLS DES GROSSEN korrigiert, und zwar in der Weise, daß die Papstwahl wieder derkaiserlichen Kontrolle unterworfen wurde. Die neuen Berater, vor allem Ebo von Reims, standen auch hinter der 822 einsetzenden Dänenmission, die, durch Thronkämpfe in Dänemark ermöglicht, durch die Taufe des Prätendenten Harald 826 in Ingelheim eingeleitet, Ansgar auf den Weg nach Skandinavien wies, doch bereits 834 ihr vorläufiges Ende fand. Es ist stets das gleiche Bild: es bleibt bei stolzen Anfängen, die früher oder später erlahmen, und stets spielt dabei der Wechsel der Berater eine Rolle. Wie die Reichs- und Kirchenreform der frühen Jahre von Benedikt von Aniane und dem Kanzler Helisachar beeinflußt war, so traten seit 821 vor allem Adalhard von Corbie, Wala, Agobard von Lyon und andere an ihre Stelle. Schon den Zeitgenossen war klar, daß LUDWG DER FROMME von seiner Umgebung abhängig war. Dies wurde vollends deutlich, als der Kaiser sich in 2. Ehe mit der WELFIN Judith verband, die seit der Geburt ihres Sohnes KARLS DES KAHLEN (823) alle anderen Berater in den Schatten stellte. Als LUDWIG 829 auf ihr Drängen KARLgegen die Bestimmungen der Ordinatio von 817 einen eigenen Reichsteil zuwies, löste er mit dem Widerstand der älteren Söhne und der Anhänger der Einheitspartei eine Krise aus, die er nicht mehr beizulegen vermochte. Denn auch LOTHAR, der ihm nach der vor allem gegen Judith gerichteten Empörung von 830, die Macht entriß, vermochte sie nicht zu halten, so daß es in wechselnden Kombinationen zu immer neuen Kämpfen kam. Sie erreichten ihren Tiefpunkt 833 auf dem 'Lügenfeld' bei Colmar, auf dem das Heer LUDWIGS DES FROMMEN unter Mitwirkung des von LOTHAR getäuschten Papstes Gregor IV. zu den Söhnen überlief, worauf LUDWIG I. DER FROMME als Gefangener seiner Söhne in Soissons mit seinem erzwungenen Sündenbekenntnis die tiefste Demütigung erfuhr. Damit war der Bogen überspannt, und die allgemeine Reaktion wandte sich nunmehr gegen LOTHAR I., der sich 834 mit seinen Anhängern anch Italien verwiesen sah. Doch kehrte keine Ruhe ein, da LUDWIG DER FROMME nach wie vor darauf bedacht war,den Reichsteil des nachgeborenen KARL zu vergrößern. So hielten die Spannungen nicht nur an, sondern verstärkten sich noch durch die Bedrohung durch äußere Feinde (Normannen, Slaven, Araber). Obwohl es LUDWIG DEM FROMMEN in dieser Bedrängnis gelang, KARL DEN KAHLEN nach dem Tode Pippins 839 mit dessen Erbteil zwischen Rhone, Saone und Maas auszustatten, war die Entscheidung noch nicht gefallen, als LUDWIG I. DER FROMME starb. Die weiteren Kämpfe zeigten vielmehr an, daß die Einheit des Großreiches nicht mehr zu retten war; sie sollten unter dem Druck des Adels 843 in den Vertrag von Verdun einmünden.

      Quellen:
      Böhmer-Mühlbacher, RI I, 1908² [Nachdr. 1966] - Thegan, Vita Hludowici, MGH SS II, 505-603 - Astronomus, Vita Hl.i, ebd. 2, 607-648 - Ernoldus Nigellus, In honorem Hl. i....elegiarum carmen, MGH PP II, 4-79; ed. E. Faral, CHF 14, 1932 -

      Literatur:
      B. V. Simson, JDG L. d. Fr., 2 Bde, 1874 [Neudr. 1969] - A. Kleinclausz, L'Empire carol., 1902 - Hauck, 487-524, 578-688 u.ö. - H. Fichtenau, Das karol. Imperium, 1949 - J. M. Wallach-Hadrill, The Frankish Church (Oxford Hist. of the Christian Church, 1983) - J. Semmler, L. d. Fr.(Ks.gestalten des MA, hg. H. Beumann, 1984) - F. L. Ganshof, L. the Pious reconsidered, History 42, 1957, 171-180 - Th. Schieffer, Die Krise des karol. Imperiums (Fschr. G. Kallen, 1957), 1-15 - J. Flecckenstein, Die Hofkapelle der dt. Kg.e, I, 1959 - J. Semmler, Die Beschlüsse des Aachener Konzils v. 816, ZKG 74, 1963, 15-82 - P. Classen, Karl d. Gr. und die Thronfolge im Frankenreich (Fschr. H. Heimpel, 3, 1972), 109-143 - A. Hahn, Das Hludowicianum, ADipl 21, 1975, 15-135 - R. McKitterick, The Frankish Church and the Carol. Reforms 789-895, 1977 - P. R. McKeon, The Empire of L. the Pious, RevBen 90, 1980, 50-62 - H. Beumann, Unitas ecclesiae - unitas imperii - unitas regni (Sett. cent. it. 27, 1981), 531-571 - H. Fuhrmann, Das Papsttum und das kirchl. Leben im Frankenreich, ebd., 419-456 - R. Schieffer, L. d. Fr., Zur Entstehung des karol. Herrschernamens, FMASt 16, 1982, 58-73 - J. Semmler, Jussit ... princeps renovare praecepta (schr. K. Hallinger, 1982 [= StAns 85]), 97-124 - P. Godman, L. the Pious and the Poets, Franmkish Politics and Carol. Poetry 1987, 116-130 - Charlemagne's Heir, ed. Ders.-R. Collins, 1990 [Beitr. J. Fried, R. Schieffer, K. f. Werner u.a.] -

      Werner Karl Ferdinand: Seite 443, "Die Nachkommen Karls des Großen bis um das Jahr 1000 (1.-8. Generation)"

      II. Generation 6
      Das Geburtsjahr der Zwillinge LUDWIG und Lothar ist uns nicht "zu Anfang VIII. 778" (so Brandenburg) belegt. Es fällt lediglich in die Zeit der Abwesenheit des Vaters auf dem spanischen Feldzug V. Hlud. c. 2 und 3.
      Zum aquitanischen Königtum Eiten 35ff. und L'Auzias, Le royaume d'Aquitaine, Toulouse 1937.

      Althoff Gerd: Seite 367, "Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung"
      K 22
      Me: 20.6. Hludouuichus imp(erator) pius filus KAROLI magnus + 940 LUDWIG DER FROMME

      (Es.) Zu den Übernahmen aus älteren Vorlagen beim Beginn des eigenständischen ottonischen Gedenkens, zu denen auch derEintrag LUDWIGS DES FROMMEN gehört, siehe oben Seite 189f.
      Vgl. allgemein Biographisches Wörterbuch 2, Spalte 1710ff; FW K 15.
      Zum Todesdatum: BM Nr. 1014c

      Rappmann Roland/Zettler Alfons: Seite 431, "Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter"

      LUDWIG DER FROMME + 20.6.840
      Necr. A/B 21.6. "Hludouuicus imp. aug", Kaiser 813-840

      Literatur:
      ADB 19 Seite 397ff.; Simson, Jahrbücher; BM² 515q-1014c; Werner, Nachkommen Seite 443f Nrn. 6-6c und Tafel II/6; Biographisches Wörterbuch 2 Spalte 1710ff; Die Klostergemeinschaft von Fulda 2,1 Seite 314 K 15; Althoff, Adels- ud Königsfamilien K 22; Charlemagnde's Heir. Zum Todestag: Simson, ebd. 2 Seite 230 Anmerkung 2; BM² 1014c.

      Aufenthalte LUDWIGS auf der Insel sind nicht bekannt; zu seinen heute noch erhaltenene Urkunden für Reichenau vgl. BM² 601,869,991,994 und Brandi, Urkundenfälschungen Seite 3 Nrm. 12-17 und Seite 115 Nrn. 12-18.
      In den Gedenkbüchern der Bodenseeklöster wird LUDWIG unter den Mitgliedern der Königsfamilie genannt. So erscheint er im Reichenauer Verbrüderungsbuch p. 98 A 4, im St. Galler Gedenkbuch p.3 (Libri confrat., col. 12,1) und p.6 (ebd. col. 22,5*, als Nachtrag) und im Liber viventium fabariensis p. 24; zu den Einträgen vgl. Schmid, Probleme einer Neuedition Seite 54ff und Ders., Zur historischen Bestimmung Seite 503ff.
      LUDWIG wurde 781 von seinem Vater als Unterkönig in Aquitanien eingesetzt. In dem von KARL DEM GROSSEN verfaßten Plan einer Reichsteilung (806) blieb LUDWIG Unterkönig in Aquitanien. Am 11.9.813 wurde er von seinem Vater in Aachen zum Nachfolger designiert und ohne päpstliche Mitwirkung zum Mitkaiser gekrönt. Trotz des glanzvollen väterlichen Vorbildes und trotz einer sorgfältigen Erziehung besaß der neue Kaiser nicht genügend Spannkraft, um das riesige Reich zu lenken. LUDWIG stützte sich besonders gegen die weltlichen Feudalgewalten auf die an der Reichseinheit interessierten Kirche; unter seiner Regierung kam es wiederholt zu Reichsteilungen, die Anlaß zu Auseinandersetzungen zwischen seinen Söhnen gab und den sich aus der heterogenen sozialökonomischen Struktur des Frankenreiches ergebenden Zerfallsprozeß des Reiches einleiteten und widerspiegelten. 816 ließ LUDWIG die durch den Vater vollzogene Kaiserkrönung durch den Papst wiederholen. In der "Ordinatio imperii" von 817 bestimmte LUDWIG I. seinen Sohn LOTHAR I. zum Mitkaiser und sicherte ihm bei seinem Tode die Oberherrschaft über seine Brüder zu. LUDWIG versuchte damit, das durch die zunehmende Feudalisierung bedingte Auseinanderfallen des Reiches aufzuhalten und die Reichseinheit, an der die im gesamten Reich über Grundbesitz verfügende Geistlichkeit interessiert war, zumindest formal zu wahren. 829 übertrug LUDWIG dem von seiner zweiten Gemahlin geborenen Sohn KARL DEM KAHLEN Schwaben, Elsaß, Raetien und Teile Burgunds; dagegen empörten sich seine Söhne aus erster Ehe. 832/33 entzog LUDWIG I. seinem Sohn Pippin Aquitanien und übertrug es KARL DEM KAHLEN. Seine älteren Söhne lehnten sich dagegen auf und LUDWIGS Heer ging auf dem sogenannten Lügenfeld zu Kolmar zu seinen Söhnen über. LUDWIG I. DER FROMME wurde in Soissons zur öffentlichen Kirchenbuße gezwungen, um ihn von der Regierung auszuschließen. Die die ÜbermachtKaiser LOTHARS I. fürchtenden Ludwig der Deutsche und Pippin setzten 834 ihren Vater wieder als Kaiser ein. Nach dem Tode Pippins teilte LUDWIG DER FROMME das Reich zugunsten KARLS DES KAHLEN und LOTHARS I. Ludwig der Deutsche, der nur Bayern erhielt, empörte sich, wurde aber unterworfen.

      Hartmann Wilfried: Seite 44-57, „Ludwig der Fromme (814-840)“ in Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern, Hg. von Karl Rudolf Schnith

      Als KARL DER GROSSE im Januar 814 starb, war sein einziger überlebender Sohn aus einer legitimen Ehe bereits 36 Jahre alt. LUDWIG war schon seit 781 Unterkönig in Aquitanien gewesen und hatte nominell dieses wegen seiner Grenzlage und seiner eigenständigen Entwicklung wichtige Gebiet verwaltet; allerdings hatte ihm sein Vater nur wenig Möglichkeiten zu einer selbständigen Politik gelassen. Nur auf dem Gebiet der Klosterreform konnte LUDWIG ein eigenes Profil entwickeln, und dies verdankte er vor allem seinem wichtigsten Berater in kirchlichen Fragen, dem Westgoten Witiza, der sich als Mönch den programmatischen Namen Benedikt gegeben hatte und der seit ca. 790 die Klöster Aquitaniens im Sinne der Benediktregel reformierte. Als weiterer Berater, der nach 814 zu einer Wirkung im Gesamtreich gelangte, ist Helisachar zu nennen, der die aquitanische Kanzlei LUDWIGS geleitet hatte und der 814 an die Spitze der kaiserlichen Kanzlei berufen wurde. Als weiteren engen Vertrauten brachte LUDWIG aus Aquitanien seinen Hofbibliothekar Ebo mit, der sein Milchbruder gewesen war und den LUDWIG 816 mit dem hohen und wichtigen Amt eines Erzbischofs von Reims belohnte.
      Da LUDWIG neue Berater mit an den Hof brachte, wurden die alten entlassen. Dies betraf besonders die Vettern seines Vaters, Adalhard von Corbie und Wala, die in den letzten Jahren KARLS DES GROSSEN wichtige Stellungen bei Hofe eingenommen hatten; sie mußten sich in abgelegene Klöster zurückziehen. Auch der Einfluß des Bischofs Theodulf von Orleans wurde zurückgedrängt. Dieser hatte noch versucht, als Überbringer der Nachricht vom Tode KARLS bei LUDWIG seine Position zu halten.
      In der Abfolge der karolingischen Herrscher stellte die Ablösung KARLS DES GROSSEN durch LUDWIG DEN FROMMEN eine Ausnehme dar, weil LUDWIG von vorneherein die Alleinherrschaft im Reich antreten konnte. Nun waren zwar seine Brüder vor ihrem Vater gestorben, aber immerhin einer von ihnen - Pippin von Italien - hatte seinerseits einen Sohn hinterlassen, den noch KARL DER GROSSE zum König von Italien erhoben hatte. LUDWIG bestätigte Bernhard von Italien noch im August 814 in dieser Position und übergab zugleich seinen beiden älteren Söhnen LOTHAR und Pippin Bayern und Aquitanien.
      Die Veränderungen beim Herrscherwechsel von KARL DEM GROSSEN zu seinem Sohn beruhten auf tiefgreifenden Verschiedenheiten im Charakter der beiden Herrscher. Die Unterschiede betrafen in erster Linie die Stellung zur Kirche und die persönliche Frömmigkeit, die sich in LUDWIGS Beinamen "Pius" ausdrückt, auch wenn dieser im 9. Jahrhundert noch nicht ganz auf LUDWIG "DEN FROMMEN" beschränkt war (auch Ludwig der Deutsche und Ludwig das Kind werden zeitgenössisch als "Pius" bezeichnet. LUDWIGS persönliche Kirchlichkeit zeigte sich sofort bei seinem Amtsantritt, als der den Hof in Aachen "reinigte" und seine unverheirateten Schwestern samt ihren Kindern vertrieb. Auch seine noch unmündigen Halbbrüder Drogo und Hugo wurden vom Hof entfernt und zu Geistlichen bestimmt. Im Bereich des Ehelebens hat LUDWIG sich ganz anders verhalten als sein Vater, er selbst hatte zwar in seiner Jugend eine Konkubine gehabt, aber seinen Söhnen gestatte er abweichend von der fränkischen Tradition nicht, dass sie bereits vor ihrer legitimen Ehe mit einer Frau zusammenlebten.
      Anders als bei KARL DEM GROSSEN wird das Bild der Regierung seines Sohnes nicht durch äußere Erfolge und durch eine immer weitere Ausdehnung, des Reiches bestimmt, sondern durch den Versuch der inneren Konsolidierung. Dies war nicht nur eine Folge des unterschiedlichen Temperaments, sondern hatte auch objektive Ursachen, denn das Frankenreich war an seine Grenzen gestoßen. Ganz ohne kriegerische Unternehmungen ging es aber auch in der Zeit LUDWIGS nicht; die Reichsannalen und die Viten LUDWIGS sind daher voll von Berichten über Feldzüge. In den ersten Jahren nach 814 war es nötig, gegen einige Grenzvölker Krieg zu führen. Der Kaiser wurde dabei meist nicht selbst aktiv, sondern überließ es den Amtsträgern in den Grenzprovinzen, gegen die Dänen oder die Sorben im Nordosten oder gegen die Basken im SW vorzugehen. Es war eine Ausnahme, wenn LUDWIG persönlich im Sommer 818 einen Feldzug in die Bretagne anführte.
      In den Jahren 817 und 818 ist dann von schweren Attacken der Normannen auf das Reich die Rede; diese fuhren mit ihren Schiffen in die Elbe und die Loire aufwärts und verschwanden rasch wieder, nachdem sie in Kirchen und Klöstern reiche Beute gemacht hatten. Um 820 wurden die flandrischen Küstenorte überfallen, und es begannen die Plünderungszüge auf der Seine. Die Normannen sollten dann im weiteren Verlauf des 9. Jahrhunderts die gefährlichsten Gegner des Frankenreichs werden.
      Aber auch andere Feinde setzten zur Offensive an, so dass dem Kaiser die Initiative entglitt und er nur noch auf Angriffe von außen reagieren konnte. Nachdem die Franken 820 den Friedensvertrag mit den Sarazenen aufgekündigt hatten, griffen diese einige Jahre später die Spanische Mark an und belagerten 827 Barcelona, die wichtigste fränkischen Stadt jenseits der Pyrenäen. 832 erschienen die Sarazenen vor Marseille und begannen mit Plünderungsfahrten im Rhonedelta. Der militärische Druck der Muslims wurde noch stärker, als diese sich seit 827 auf Sizilien festsetzten; seither lag nicht nur die Küste Unteritaliens, sondern auch Mittelitalien in der Reichweite ihrer Schiffe. Es erwies sich dabei als größter Nachteil der Franken, dass sie keine Flotte besaßen.
      Am Ende der zwanziger Jahre, als die Sarazenen zur Rückeroberung der Spanischen Mark ansetzten, kam es auch zu Schwierigkeiten an den anderen Grenzen des Frankenreichs: 826 erhoben sich die Basken, in Dänemark siegte 827 eine heidnische und antifränkische Partei, die Slawen begannen mit Einfällen nach Istrien, und auch die Bulgaren regten sich.
      Im Innern entfaltete der neue Kaiser in den ersten Jahren seiner Regierung eine intensive Tätigkeit, um das von Benedikt von Aniane und Helisachar formulierte Regierungsprogramm "Erneuerung des Frankenreichs" (Renovatio regni Francorum) zu verwirklichen. Dabei wurden organisatorische Veränderungen eingeleitet, die dem Reich eine effektivere Verwaltung und eine bessere Heeresorganisation bringen sollten. Die Grafschaftsverfassung wurde erst jetzt auch in Alemannien weitgehend durchgesetzt, und das Kontrollsystem der Königsboten wurde verfeinert.
      LUDWIG hatte 815 das Kloster Inden (Kornelimünster) bei Aachen gegründet, um seinen Berater Benedikt von Aniane in seiner Nähe zu haben. Auf das Wirken Benedikts gehen die beiden großen Reichssynoden zurück, die 816 und 817 in Aachen tagten. Hier wurden umfangreiche Gesetze beschlossen, durch die die Angehörigen der geistlichen Gemeinschaften nach ihrer Lebensweise und nach ihrer Funktion voneinander abgegrenzt wurden. Die Mönche sollten alle nach der Benediktregel leben, und die nichtmonastischen Gemeinschaften erhielten in den Institutionen für die Kanoniker und die Kanonissen ein gültiges und alle Bereiche ihres Lebens beschreibendes Regelwerk. Ein Kapitular des Jahres 816 regelte einige praktische Rechtsfragen, wie die Beweisaufnahme vor Gericht und die Haftung bei Schulden; auch Bestimmungen über die Auflösung des Lehnsverhältnisses wurden erlassen.
      Die wichtigste Reichsversammlung von 817 war die Regelung der Nachfolge, die in der sogenannten Ordinatio imperii, der "Reichsordnung", festgeschrieben wurde. Der unmittelbare Anlaß dafür, dass schon so kurz nach der Thronbesteigung für eine geordnete Nachfolge gesorgt wurde, war ein Unfall, den der Kaiser zu Ostern 817 erlitten hatte, als auf dem Weg zum Gottesdienst ein gedeckter hölzerner Gang zwischen Pfalz und Kirche zusammenbrach. Obwohl LUDWIG nur leicht verletzt wurde, quälten ihn anscheinend Todesahnungen und er soll sogar den Plan erwogen haben, wie sein Großonkel Karlmann seine Herrschaft niederzulegen und ins Kloster zu gehen. In der Ordinatio imperii wurde nun festgelegt, dass das Frankenreich auch nach dem Tode LUDWIGS DES FROMMEN als Einheit bestehen bleiben sollte; zum Nachfolger im Kaisertum wurde der älteste Sohn LOTHAR bestimmt. Die beiden jüngeren Söhne Pippin und Ludwig erhielten einige Gebiete zur Regierung, Pippin Aquitanien und Ludwig Bayern; sie waren aber dort keine selbständigen Herrscher, sondern standen unter der Oberherrschaft des Kaisers. Damit waren die Prinzipien der Unteilbarkeit des Reiches und des Vorrechts der Primogenitur, die bereits KARLS Nachfolgeordnung von 806 angedeutet hatte, in die fränkische Verfassung aufgenommen worden. Beide Prinzipien haben sich zwar in der weiteren Geschichte des karolingischen Reiches noch nicht durchsetzen können, vielmehr kam es zu den heftigsten inneren Kämpfen, aber in späterer Zeit sind diese Grundsätze zur Grundlage des Erbgangs in allen europäischen Monarchien geworden.
      Weil er in der Thronfolgeordnung von 817 nicht berücksichtigt worden war, entschloß sich König Bernhard von Italien zur Rebellion. Er wurde unterstützt durch oppositionelle Kreise im Frankenreich selbst, zu denen möglicherweise auch Theodulf von Orleans, einer der wichtigsten Berater KARL DES GROSSEN, zählte. LUDWIG DER FROMME reagierte rasch, so dass Bernhards Aufstand zusammenbrach, ehe er richtig begonnen hatte. Ein kaiserliches Gericht verurteilte die Laien, die an der Rebellion teilgenommen hatten, zum Tode; der Kaiser wandelte das Todesurteil in Blendung um. Als diese an Bernhard vorgenommen wurde, starb er an ihren Folgen (17.4.818). Theodulf und weitere Bischöfe, die dem Aufstand nahegestanden hatten, verloren ihre Ämter. Die Halbbrüder des Kaisers, Hugo und Drogo, wurden jetzt endgültig zu Mönchen geschoren, um sie als mögliche Konkurrenten um die Herrschaft auszuschalten. Dieser Sieg über eine nicht ungefährliche Verschwörung bildete den Auftakt zu einem besonders erfolgreichen Jahr für LUDWIG DEN FROMMEN. 818 wurde nämlich die Bretagne unterworfen, und es erschienen Gesandte aus Benevent, aus Dalmatien und Karantanien am Hof. Im Winter 818/19 tagte eine große Reichsversammlung in Aachen, die ein bedeutendes Reformwerk zum Abschluß brachte, von dem eine ganze Reihe von Kapitularien zeugen. Wichtige Probleme der Verfassung der Kirche wurden hier für lange Zeit abschließend geregelt, so die Frage der Eigenkirchen. Auch der rechtliche Schutz der Geistlichen, Witwen und Waisen wurde verbessert, und bestimmte Formen des Gottesurteils wurden verboten. Dabei ist es vielleicht bezeichnend für LUDWIGS Geisteshaltung, dass er eine unter seinem Vater eingeführte unblutige Form des Gottesurteils, die Kreuzprobe, verbot, weil das Kreuz allein dem Gedächtnis an den Sühnetod Christi gelten sollte; der mit Blutvergießen verbundene Zweikampf blieb dagegen als unentbehrliches Mittel des gerichtlichen Beweisverfahrens erhalten, obwohl sich Agobard von Lyon dagegen ausgesprochen hatte.
      Auch in den Kapitularien von 818/19, die nicht speziell kirchlichen Inhalt hatten, ist eine kirchenfreundliche Grundtendenz festzustellen, so etwa, wenn allen Freien zugestanden wird, dass sie ihren Besitz zum Heil ihrer Seele verschenken dürfen, oder wenn Büßer mit einem besonders hohen Bußgeld geschützt werden.
      Am Schluß eines anderen grundlegenden Kapitulars, der sogenannten "Ermahnung an alle Stände des Reiches" von 825, sind Maßnahmen vorgesehen, die eine möglichst weite Verbreitung sichern sollen: die Erzbischöfe und Grafen sollen vom kaiserlichen Erzkanzler Exemplare des Gesetzes erhalten; sie sollen dann ihrerseits den übrigen Bischöfen, Äbten und anderen Getreuen Kopien übergeben, damit der Wortlaut des Gesetzes in allen Teilen des Reiches verlesen werden kann. Der Kanzler soll die Namen derjenigen Bischöfe in eine Liste eintragen, denen er ein Exemplar übergeben hat, und er soll diese Liste dem Kaiser vorlegen. Der Kaiser selbst wolle also die Kontrolle darüber behalten, ob seine Vorschriften auch überall bekanntgegeben wurden.
      Der Höhepunkt der Kapitulariengesetzgebung LUDWIGS DES FROMMEN war Mitte der 20-er Jahre bereits überschritten, und auch die erhaltenen Urkunden zeigen, dass in der ersten Hälfte der Regierung LUDWIGS weit mehr Diplome ausgestellt wurden als in der zweiten, wobei die Jahre 814-816, 819/20 und 825 die Zeiten der intensivsten Aktivität darstellen.
      Für die Regierung LUDWIGS DES FROMMEN brachte das Jahr 821 einen tiefen Einschnitt, denn am 11.2.821 verstarb Benedikt von Aniane. Bereits in den Jahren zuvor waren wichtige Ratgeber LUDWIGS verstorben oder hatten sich - wie der Kanzler Helisachar 819 - vom Hof zurückgezogen. Die Position eines Erzkapellans und Leiters der Hofkapelle nahm seit 819 Abt Hilduin von St. Denis ein, der diesem Amt bis zu seinem Sturz 830 die Entscheidungen LUDWIGS in kirchlichen Dingen beeinflußte. Die zentrale Rolle im Beraterstab des Kaisers nahm seit Oktober 821 aber Adalhard von Corbie ein, der nach siebenjähriger Verbannung wieder an den Hof geholt wurde, wo er trotz seines hohen Alters (er war damals bereits 70 Jahre alt) sofort eine reiche Aktivität entfaltete. Er zog auch seinen Bruder Wala an den Hof, an dem jetzt außerdem die Grafen Matfrid von Orleans und Hugo von Tours eine wichtige Rolle spielten. Die Position Hugos wurde dadurch aufgewertet, dass 821 seine Tochter mit dem Thronfolger und Mitkaiser LOTHAR verheiratet wurde. Eine Schwächung der kaiserlichen Autorität brachte der Reichstag von Attigny im August 822. Es war vielleicht Adalhard von Corbie, der LUDWIG dazu veranlaßt hatte, vor aller Öffentlichkeit ein Schuldbekenntnis wegen des Vorgehens gegen die Verschwörung Bernhards von Italien abzulegen. Nicht nur Blendung und Tod seines Neffen Bernhard, sondern auch die Tonsurierung seiner Halbbrüder Drogo und Hugo sowie die Verbannung Adalhards und Walas wurde von LUDWIG mit einer freiwillig auf sich genommenen Buße gesühnt, die durch reichliche Almosen und Gebete der Geistlichkeit unterstützt wurde.
      Seit 819 hatte sich die persönliche Umgebung LUDWIGS auch deshalb verändert, weil er sich nach den Tod seiner ersten Frau ein zweites Mal verheiratet hatte. Bevor er sich für eine Braut entschied, hatte LUDWIG nach byzantinischem Vorbild eine Art Schönheitskonkurrenz ausschreiben lassen, aus der Judith, eine Angehörige der Familie der WELFEN, als Siegerin hervorging. Judith hat schon bald auf ihren Gemahl großen Einfluß gewonnen, und sie ist für manche Turbulenzen verantwortlich, die in den kommenden Jahren nicht nur den Kaiserhof, sondern das ganze Reich in große Schwierigkeiten brachten. Nach Ablauf des ersten Ehejahres hatte sie eine Tochter geboren; und 823 ging aus der Ehe noch ein Sohn hervor, der den Namen KARL erhielt. Ein Kind mit diesem Namen konnte nicht von der Herrschaft ausgeschlossen werden, das heißt es deutete sich an, dass die Nachfolgeordnung von 817 umgestürzt und dieser Sohn als Haupterbe oder wenigstens als Miterbe eingesetzt werden sollte. Um dieses Ziel zu erreichen, suchte Judith die Macht ihrer Familie zu vermehren und auch die Verbindung mit ihren Stiefsöhnen zu vertiefen. Ihren Brüdern hatte sie schon gleich nach der Heirat Besitz und wichtige Ämter verschafft; jetzt wurde Judiths jüngster Stiefsohn Ludwig (der Deutsche)mit ihrer Schwester Hemmaverheiratet, und auch ihr Bruder Konrad trat durch seine Ehe mit der Schwägerin des ältesten Kaisersohnes LOTHAR in den Kreis der Verwandten des Kaiserhauses ein. LOTHAR war übrigens 826 Pate seines Halbbruders KARL geworden. In dem Rahmen von Judiths Ehepolitik gehört vielleicht auch die Verbindung Bernhards von Septimanien mit Dhuoda; diese war möglicherweise eine nahe Verwandte Judiths, und Bernhard wurde später für kurze Zeit der mächtigste Mann am Kaiserhof.
      Um die Macht Judiths und ihrer Vertrauten zu stärken, sollten dann auch die bisherigen Berater des Kaisers ausgeschaltet werden. Für dieses Vorhaben war günstig, dass die Reichsversammlung im Februar 828 die Grafen Hugo von Tours und Matfried von Orleans der Feigheit für schuldig erklärte, weil sie im Feldzug gegen die Sarazenen im Vorjahr eine Schlappe erlitten hatten. Und nach dem Einfall der Bulgaren nach Pannonien (827) wurde der zuständige Markgraf Balderich von Friaul abgesetzt. Das Jahr 829 brachte dann geradezu einen Staatsstreich: Auf einer Reichsversammlung in Worms ließ LUDWIG seinem jüngsten Sohn KARL ein eigenes Teilreich (nämlich Schwaben) zusprechen, wodurch das Erbe der älteren Söhne verkleinert wurde. Gleichzeitig mit diesem Bruch der Ordinatio imperii von 817 fand auch ein Revirement am Hof statt, dem Wala zum Opfer fiel. Das wichtige Amt des Kämmerers wurde an Judiths Günstling Bernhard von Septimanien übertragen.
      Die bisherigen Berater ließen sich aber nicht widerstandslos verdrängen. Sie warfen Judith vor, mit ihrem Günstling Bernhard von Septimanien Ehebruch begangen und ihren Gemahl behext zu haben, so dass der seine Schande gar nicht wahrnehmen könne. Im ersten Anlauf erreichten die Verschwörer, dass Judith ins Kloster verbannt wurde; ihre Brüder wurden zu Mönchen geschoren. Die Träger der Revolte von 830 waren in erster Linie Wala und Abt Hilduin von St. Denis sowie weitere Adlige, die sich durch Judith und ihre Leute aus ihren einflußreichen Positionen verdrängt sahen. Sie nahmen aber auch Kontakt zu den Söhnen LUDWIGS auf, von denen anfangs besonders Pippin von Aquitanienund dann auch Kaiser LOTHAR gegen ihren Vater aktiv wurden.
      LUDWIG DER FROMME hat sich in den Kämpfen der folgenden Jahre nicht ungeschickt verhalten, wenn man berücksichtigt, dass er die Mehrzahl seiner alten Getreuen durch die Veränderungen am Hof vor den Kopf gestoßen hatte. Er nützte die Unsicherheit seines ältesten Sohnes aus, der nicht genug Entschlossenheit besaß, um eine völlige Entmachtung des Vaters durchzuführen. Die Revolte von 830 endigte ohne Blutvergießen, denn LUDWIG DER FROMME ließ die Schuldigen nicht hinrichten, sondern in Klöster einweisen. Pippin verlor sein Reich Aquitanien, das dem kleinen KARL übergeben wurde. Judith mußte einen Reinigungseid leisten, mit dem sie sich von den gegen sie erhobenen Vorwürfen reinigte, ehe der Kaiser sie wieder als Gemahlin annahm. Auch Bernhard von Septimanien erschien wieder bei Hofe und erhielt die Erlaubnis, sich durch Eide von den Anschuldigungen zu reinigen.
      Nach dem Bericht der Vita des sogenannten Astronomus erscheint LUDWIG in diesen Jahren der Krise recht aktiv; so eilte er etwa im Frühjahr 832 zuerst nach Bayern, um den Aufstand seines Sohnes Ludwig niederzuwerfen; im Herbst ist er in Orleans, wo es galt, eine Heeresversammlung abzuhalten, um einem neuen Aufstand Pippins entgegenzutreten. Bis in den Winter hinein blieb LUDWIG in Aquitanien und kehrte erst im Januar 833 wieder nach Aachen zurück.
      In diesem Jahr 833 erreichte die Aufstandsbewegung gegen LUDWIG DEN FROMMEN ihren Höhepunkt. LOTHAR war es im Bunde mit seinen Brüdern Ludwig und Pippin sogar gelungen, den ins Frankenreich gereisten Papst Gregor IV. auf seine Seite zu ziehen. Als dann auch noch das Heer des alten Kaisers in der Nähe von Colmar (auf dem sogenannten "Lügenfeld") auf die Seite der Söhne überging, konnten LUDWIG DER FROMME und Judith gefangengenommen werden. Judith wurde von LUDWIG getrennt und nach Oberitalien gebracht, während LUDWIG nach Compiegne geführt wurde. Dort und St. Medard bei Soissons (Oktober und November 833) mußte LUDWIG ein Schuldbekenntnis ablegen; danach wurde er der Insignien seiner Kaiserwürde entkleidet. Dadurch, dass er eine öffentliche Kirchenbuße auf sich nahm, war er als Exkommunizierter nicht mehr regierungsfähig. Thegan berichtet, dass man LUDWIG gedrängt habe, freiwillig ins Kloster einzutreten; dazu war er aber nicht bereit.
      Diese Vorgänge waren möglich geworden, weil die fränkischen Bischöfe 829 auf dem Konzil von Paris Leitsätze formuliert hatten, die eine Kontrolle des Herrschers durch den Episkopat vorsahen. Die wichtigsten Vertreter dieser Vorstellung, dass die Bischöfe für die richtige Regierung des Reiches verantwortlich seien, waren die Erzbischöfe Agobard von Lyon und Ebo von Reims; sie führten bei den Vorgängen in Soissons Regie. Auf der Seite des Adels spielten die Grafen Matfrid von Orleans und Hugo von Tours eine maßgebliche Rolle bei der Absetzung des Kaisers.
      Der Astronomus berichtet davon, dass es schon im Winter 833/34 in verschiedenen Gegenden des Reiches zu einer Mobilisierung der Anhänger des alten Kaisers gekommen sei. Eine gewaltsame Befreiung soll LUDWIG jedoch abgelehnt haben. So wurde der Umschwung durch eine militärische Machtdemonstration Pippins von Aquitanien herbeigeführt, der durch LOTHARS ungeschicktes Verhalten auf die Seite seines Vaters getrieben worden war. LOTHAR zog sich mit seinen engsten Anhängern im Februar 834 nach Burgund zurück.
      LUDWIG DER FROMME wurde am 1.3.834 in St. Denis wieder in die Kirche aufgenommen und mit den königlichen Gewändern und mit seinen Waffen eingekleidet. Der Kaiser lehnte es aber ab, seinen Sohn LOTHAR gewaltsam aus dem Reich zu vertreiben. Die Kämpfe, die sich dennoch an verschiedenen Orten des Frankenreichs erhoben, wurden von den adeligen Parteigängern LUDWIGS DES FROMMEN und LOTHARS getragen; von LUDWIG weiß sein Biograph nur zu berichten, dass er die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten 834 sowie sie Wochen nach Pfingsten mit Jagd und Fischfang in den Ardennen verbracht habe. Wahrlich ein merkwürdiges Verhalten für einen eben wieder in sein Amt gelangten Kaiser, dessen Gegner noch keinesfalls endgültig besiegt waren. Erst ein Feldzug vom Sommer 834, der im wesentlichen von den Herren Ludwigs von Bayern undPippins von Aquitanien getragen wurde, brachte LOTHARSUnterwerfung. Er wurde nach Italien geschickt und dort isoliert, indem die Alpenpässe gesperrt wurden, um eine erneute Konspiration LOTHARS mit den fränkischen Gegnern LUDWIGS DES FROMMEN zu verhindern.
      Am 28.2.835 wurde LUDWIG im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes in der Stephansbasilika in Metz rekonziliert und wieder in sein Amt eingesetzt; sieben Erzbischöfe sangen dabei die Rekonziliationsgebete, und Ebo von Reims erklärte von der Kanzel, dass der Kaiser zu Unrecht abgesetzt worden war. Der alte Kaiser begann jetzt wieder zu regieren, er hielt eine Reichsversammlung in Worms ab (Ostern 835), an der auch Pippin und der jüngere Ludwig teilnahmen; dort wurden auch einige Grafen zur Rechenschaft gezogen, weil sie ihr Amt nachlässig geführt hatten.
      Es war dann Kaiserin Judith, die die Initiative zur Aussöhnung mit LOTHAR ergriff. Denn sie war sich darüber im klaren, dass im Falle des Todes ihres Gatten ihr Sohn KARL nur im Einvernehmen mit LOTHAR, nicht aber gegen ihn einen Anteil am Reich bekommen könne. LUDWIG plante im Jahr 836 anscheinend auch eine Reise nach Rom, um durch sein persönliches Auftreten das Anrecht auf die Herrschaft im gesamten Reich zu betonen. Dazu kam es zwar nicht, weil ein Zug gegen die Normannen nötig geworden war, aber die Macht LOTHARS wurde im Herbst 836 durch eine schwere Seuche dezimiert, der die mächtigsten seiner Anhänger, die mit ihm nach Italien gegangen waren, erlagen. Auch LOTHAR selbst wurde von dieser Krankheit ergriffen und war dadurch längere Zeit in seiner Aktivität behindert.
      Als zu Ostern 837 ein Komet erschien, der den baldigen Tod des Kaisers anzukündigen schien, bat Judith ihren Gemahl, zugunsten ihres Sohnes KARL eine neue Nachfolgeordnung zu erlassen. Im Oktober 837 wurden KARL im Rahmen einer Reichsversammlung in Aachen die Waffen überreicht, dabei wurde er auch mit der Königskrone geschmückt und bekam Neustrien als eigenes Reich übertragen. Damit hatte er das ganze Gebiet zwischen Rhein und Elbe erhalten, "den besten Teil des Reiches", wie es ein Zeitgenosse ausdrückt. In diesem Bereich lag fast das gesamte Reichs- und Hausgut.
      Wieder war es Judith, die nach dem Tod Pippins von Aquitanien(13.12.838) die Initiative zu einem Abkommen mit LOTHAR ergriff und es erreichte, dass am 30.5.839 LOTHARam Hof des Vaters in Worms erschien, wo ihm nach einem Fußfall vor LUDWIG Verzeihung gewährt wurde. Auch seine Anhänger erhielten ihre Lehen und Besitztümer im Frankenreich zurück. Jetzt wurde das Reich unter die beiden Söhne LOTHAR und KARL aufgeteilt; Ludwig (der Deutsche) sollte auf sein kleines Unterkönigtum in Bayern beschränkt bleiben. Die Maas sollte die Grenze zwischen den beiden Reichen LOTHARS und KARLS bilden, für LUDWIG DEN FROMMEN ist es vielleicht bezeichnend, dass er diese Aufteilung erst dann selbst vornahm, als LOTHAR sagte, wegen der Unkenntnis des Landes könne er eine Aufteilung nicht vornehmen. Er durfte aber als erster seinen Erbteil wählen und entschied sich für das Reich östlich der Maas, zu dem auch Italien und das östliche Burgund gehörten. LOTHAR versprach feierlich, mit der Übertragung der westlichen Hälfte an KARL einverstanden zu sein und nach dem Tod des Vaters nur seinen Anteil in Besitz zu nehmen. Der alte Kaiser mahnte seine beiden Söhne, sich zu lieben und gegenseitig zu unterstützen. Zur Sicherung dieser Abmachung waren alle Vorgänge öffentlich vor den Teilnehmern der Reichsversammlung vorgenommen worden.
      Auch auf seinem Sterbelager beschäftigte LUDWIG vor allem anderen die Furcht vor einem neuen Kampf um sein Erbe. Für seine warmherzige und gütige Art spricht auch, dass er am Ende seines Lebens noch seinem Sohn Ludwig, der bis zuletzt gegen ihn gekämpft hatte, zu verzeihen bereit war.
      Über die äußere Erscheinung LUDWIGS wissen wir Bescheid, weil sich sein Biograph Thegan am Vorbild der Vita Karoli Einhards orientiert hatte. Im Unterschied zur realistischen Beschreibung KARLS DES GROSSEN durch Einhard scheint aber Thegan eher ein Idealbild zu zeichnen, wenn auch ein Teil seiner Angaben zutreffen mochte. Thegan schildert LUDWIG als mittelgroß, athletisch gebauten Mann mit einer starken Brust, breiten Schultern und starken Armen, die zum Bogenschießen und Lanzenwerfen vorzüglich geeignet waren, und er rühmt seine männliche Stimme und vor allem seinen milden Charakter, der ganz frei von Zorn gewesen sei. Während die an ihm gerühmte Freigebigkeit noch als typischer Zug eines idealen Herrschers erwähnt sein mag, zeigen andere von Thegan hervorgehobene Eigenschaften ihn als eher mönchischen Charakter. Dazu gehört, dass er beim Gebet in der Kirche mit der Stirn den Fußboden zu berühren pflegte und dabei zuweilen Tränen vergoß und dass er das Lachen gänzlich vermieden haben soll. "Selbst wenn bei den höchsten Festen Schauspieler und Possenreißer bei Tisch erschienen und das Volk in seiner Gegenwart maßvoll lachte, zeigte er nicht einmal seine weißen Zähne beim Lachen."
      LUDWIGS persönliche Religiosität kann wohl am besten aus sein Verhalten in Krisensituationen abgelesen werden. Nach dem Aufstandsversuch seines Neffen Bernhard von Italien, der mit dessen Tod geendet hatte, war LUDWIG in tiefe Depression verfallen. Auf Rat seiner geistlichen Freunde legte der Kaiser ein öffentliches Schuldbekenntnis ab, wie es die kirchlichen Gesetze von einem Delinquenten verlangten. Auch das letztlich passive Verhalten LUDWIGS in den Jahren der Aufstände seiner Söhne (830-833) ist wohl so zu erklären, dass er diese Vorgänge als "Heimsuchungen" Gottes wegen seines sündhaften Lebenswandels ansah. Vielleicht ist auch in der Tatsache, dass LUDWIG schon früh, nämlich im 4. Jahr seiner Regierung, den ältesten Sohn LOTHAR zum Mitkaiser erhob, eine innere Distanz zur Herrschaft zu erkennen.
      Doch hatte er auch durchaus Sinn für herrscherliche Repräsentation: So erschien er an hohen Feiertagen in königlicher Gewandung mit einer goldenen Tunika, einem goldenen Gürtel, goldenen Beinschienen, einem von Gold glänzenden Schwert und einem golddurchwirkten Mantel; dabei trug er Krone und Zepter. Auch seine große Jagdbegeisterung, die ihn jedes Jahr für viele Wochen den Geschäften fernhielt, zeigt ihn als typischen Vertreter des hohen Adels seiner Zeit.
      Im Unterschied zu seinem Vater war LUDWIG schon als Kind literarisch gebildet. Nach Thegan soll er im Lateinischen und Griechischen gut unterrichtet gewesen sein, so dass er Latein wie seine Muttersprache sprechen konnte. Die heidnischen Lieder aber - so betont Thegan -, die er in seiner Jugend gelernt hatte, habe er weder lesen noch hören wollen. Dass LUDWIG sehr stark von seinen Beratern abhängig war, führt Thegan darauf zurück, dass der Kaiser viel lieber Psalmen sang und Bücher las als dass er sich für die Regierungsgeschäfte interessiert hätte. Bei dieser Begeisterung für Bücher ist es nicht verwunderlich, dass die Zeit LUDWIGS DES FROMMEN eine Blütezeit des kulturellen Lebens war; jetzt ging die Saat auf, die die von KARL DEM GROSSEN geholten ausländischen Lehrer ausgestreut hatten. Es waren jetzt fast ausschließlich Reichsangehörige, Franken, Schwaben und Sachsen, die mit teilweise sehr originellen Leistungen hervortraten. In die Zeit LUDWIGS gehört die Wirksamkeit der Rheinfranken Einhard und Hrabanus Maurus, des Alemannen Walahfrid Strabo, des Sachsen Gottschalk und der Westfranken Smaragd von St. Mihiel, Agobard von Lyon, Jonas von Orleans, Amalar von Metz, Florus von Lyon und Lupus von Ferrieres. An der Schreibschule von LUDWIGS Günstling und späterem Gegner Ebo von Reims entstanden bedeutende Kunstwerke wie das Ebo-Evangeliar. Die an Kathedralen und in Klöstern tätigen Schreibschulen fertigten eine ganze Reihe von Widmungsexemplaren für den Herrscher an, die dieser in seine Bibliothek aufnahm.
      Auch am Hof selbst wirkten Schreiber und Buchkünstler, die Prachthandschriften der Evangelien, der Rechtsbücher und antiker Texte herstellten. Es wurden aber auch schmucklose Manuskripte von patristischen und antiken Texten geschrieben, die durch die textliche Qualität und ihre disziplinierte Schrift hervorragen.
      Auch die Kaiserin Judith hat die Buchkunst gefördert und pflegte Kontakte zu wichtigen Autoren: Bischof Frechulf von Lisieux widmete ihr den zweiten Teil seiner Weltchronik, und Hraban sandte ihr Dedikationsexemplare seiner Kommentare der alttestamentarischen Bücher Judith und Esther (834). Walhfrid Strabo, den Judith zum Erzieher ihres Sohnes KARL bestimmt hatte, wurde nach dessen Volljährigkeit als Dank für seine Tätigkeit zum Abt von Reichenau erhoben (838). [1]
    • Schieffer Rudolf:, "Die Karolinger"

      Nie zuvor und nie wieder in karolingischer Zeit fielen Macht und Verantwortung an der Spitze von Reich und Familie so mühelos einem Einzelnen zu wie Anfang 814 nach dem Tode KARLS DES GROSSEN. LUDWIG, der bisherige Unterkönig von Aquitanien und seit wenigen Monaten auch gekrönter Kaiser, war von KARLS legitimen Söhnen allein übrig und eben darum der letztlich unanfechtbare Erbe, auch wenn er bis dahin der Führung des Imperiums ziemlich ferngestanden hatte und nicht eigens auf seine historische Rolle vorbereitet worden war, da der Vater viele Jahre hindurch eher mit seinem älteren Sohn Karl als Nachfolger rechnete. LUDWIG hatte nur eingeschränkte Verantwortung im Südwesten des Reiches erhalten, wo er von Kindheit an als Repräsentant des fränkischen Herrscherhauses fungierte und eine Schulbildung empfing, mit der er den Vater gewiß übertraf. Aus dem beigegebenen Regentschaftsrat war mit der Zeit ein eigener kleiner Hof geworden, der den "König der Aquitanier" im Rahmen der vom Vater gezogenen Grenzen bei seinen Amtshandlungen unterstützte.
      An seiner Seite werden der Kanzler Helisachar sowie der Graf Bego von Toulouse genannt, der um 806 durch Heirat mit LUDWIGS vorehelicher Tochter Alpais sein Schwiegersohn wurde. Eine prägende Persönlichkeit war daneben der westgotische Grafensohn Witiza, der als Gründer und Abt des Klosters Aniane (bei Montpellier) den programmatischen Namen Benedikt angenommen hatte und mit Rückhalt an LUDWIG eine umfassende Erneuerung des aquitanischen Klosterwesens gemäß der Regel des heiligen Benedikt in Gang brachte. In diesem seit jeher vertrauten regionalen Horizont wäre auch LUDWIGS weiteres Leben verlaufen - noch der Reichsteilungsplan von 806 eröffnete ihm nur die Aussicht auf begrenzten Machtzuwachs in Septimanien, der Provence und in Burgund -, wenn nicht der unerwartete Tod der Brüder Pippin und Karl (810/11) bewirkt hätte, dass "in ihm die Hoffnung auf die gesamte Herrschaft erwachte" und der Vater ihn, wenn auch zögernd, zum Kaisertum aufrücken ließ.
      Neben den inhaltlichen Maßgaben, die wenig Spielraum für grundsätzlich Neues ließen, beruhte die kaiserliche Regierungsführung im übrigen auf einem Geflecht persönlicher Bindungen, und hier waren einschneidende Veränderungen unabwendbar. Am Aachener Hof, der jahrzehntelang ganz auf KARL DEN GROSSEN fixiert gewesen war, rückte nun LUDWIGS Familie in den Mittelpunkt, nämlich seine Gemahlin Irmingard, Tochter des Grafen Ingelram (aus dem vornehemen Geschlecht Chrodegangs und Angilrams von Metz), mit der er seit 794 verheiratet war, samt ihren Söhnen LOTHAR (geb. 795), Pippin(geb. um 797) und Ludwig (geb. um 806) sowie den Töchtern Rotrud und Hildegard. Vor ihnen hatten seine bis dahin vielumworbenen, unvermählt gebliebenen Schwestern in verschiedene Klöster zu weichen, und auch ihre jungen, illegitimen Halbbrüder, KARLS späte Söhne Drogo, Hugo und Theuderich, kamen am Hof unter strengere Aufsicht. Für die eigenen Nachkommen sorgte LUDWIG vor, indem er die bereits erwachsenen Söhne LOTHAR und Pippinals Unterkönige in Bayern und Aquitanien einsetzte sowie seinen Schwiegersohn Bego (+ 816) zum Grafen von Paris und seinen illegitimen Sohn Arnulf zum Grafen von Sens machte. Ausgespart blieb Italien, wo der neue Kaiser gemäß dem Willen des Vaters das Königtum des Neffen Bernhard anerkannte, nachdem dieser zur Huldigung in Aachen erschienen war. Dagegen nahm er den Stiefvettern Adalhard und Wala ihren zuletzt bei KARL und Bernhard bedeutenden Einfluß; der ältere wurde nach Noirmoutier an der Loiremümdung verbannt, der jüngere trat ins Kloster Corbie ein. Zu den "neuen Leuten" LUDWIGS gehörte Ebo, ein Gefährte seiner frühen Jugend, der später als Bibliothekar gedient hatte und 816 trotz unfreier Herkunft Erzbischof von Reims wurde. An der Spitze der Hofkapelle verblieb der alte Hildebald von Köln (+ 818), aber neben ihn trat als Kanzler, ausgestattet mit Abteien, der schon in Aquitanien bewährte Helisachar. Auch Benedikt von Aniane kam zu einem wachsenden Wirkungsfeld, da ihm der Kaiser zunächst das elsässische Kloster Maursmünster und dann die Neugründung Inden/Kornelimünster nahe bei Aachen anvertraute, wo er seine Konzepte für weitgreifende Reformen geistlichen Gemeinschaften entwarf.
      Im Oktober 816 wurde der neue Papst Stephan IV. feierlich in Reims empfangen und legte Wert darauf, den Kaiser und seine Gattin Irmingard zu salben und mit einer eigens mitgebrachten, angeblichen Krone Konstantins zu krönen.
      Von der legislativen Entschlußkraft LUDWIGS und seiner Umgebung in diesen frühen Jahren zeugt aber vor allem, wie man auf der Aachener Reichsversammlung vom Juli 817 das zentrale Verfassungsproblem, den Widerstreit zwischen universalem, unteilbarem Kaisertum und traditionell gleichem Erbrecht aller legitimen Königssöhne, aufgriff und zu lösen suchte. Impulse durch den unitarischen Grundzug der Kirchenpolitik sind dabei ebenso offensichtlich wie das gemehrte Selbstbewußtsein des im Vorjahr zusammen mit Irmingard vom Papst gesalbten Kaiser, der nun auch förmlich ihren gemeinsamen Nachkommen die exklusive Aussicht auf künftige Herrschaft sichern wollte. Anders als KARL DER GROSSE in seiner Divisio von 806 ging LUDWIG, der sich von Anfang an nicht mehr rex Francorum, sondern imperator augustus schlechthin tituliert hatte, vom Vorrang der Kaiserwürde aus, die er allein seinem ältesten Sohn LOTHAR I. zusprach und ihm nach Akklamation der Großen auch sogleich durch Krönung aus eigener Hand, also wiederum ohne geistliche Vermittlung, in aller Form verleih. Unter ihm als dem Erben der obersten Verantwortung sollte Pippin, LUDWIGS zweiter Sohn, auch über den Tod des Vaters hinaus nicht mehr als das unwesentlich erweiterte Aquitanien innehaben, während dem noch heranwachsenden Ludwig ("dem Deutschen") das zuvor LOTHAR zugeteilte Bayern samt den slawischen Grenzgebieten in Aussicht gestellt wurde. Die abgestuften Kompetenzen kamen auch darin zum Ausdruck, dass die jüngeren Brüder dem Kaiser regelmäßig Bericht zu erstatten haben würden, nur mit seiner Zustimmung heiraten durften und sich der Reichsversammlung als ungeteiltem Forum der Zentralgewalt beugen mußten. Um weiterer Zersplitterung vorzukommen, wurde festgelegt, dass die beiden Unterkönigreiche ebenso wie das Kaisertum stets nur an einen Erben fallen konnten, gegebenenfalls also unter mehreren Söhnen oder Brüdern eine Wahl der Großen stattzufinden hätte. Offenkundig sollte dieses Thronfolgegesetz von 817 mit der modernen Bezeichnung Ordinatio imperii also Bestand und Struktur des fränkischen Großreiches von den familiären Geschicken des Herrscherhauses unabhängig machen und zwar insofern antidynastisch konzipiert.
      Eine erste Regung von Widerstand trat ganz unmittelbar auf und kann kaum überrascht haben. Sie ging von König Bernhard von Italien, dem jungen Neffen des Kaisers aus, der noch im Vorjahr mit dem ehrenvollen Geleit des Papstes über die Alpen betraut worden war, sich nun aber mit seiner von KARL DEM GROSSEN übertragenen Sonderherrschaft in der Ordinatio imperii gar nicht erwähnt fand und dort stattdessen lesen konnte, Italien solle künftig LOTHAR I. in gleicher Weise unterstehen wie bisher den Kaisern KARL und LUDWIG. Wenn er in seiner Verärgerung offenbar nicht ganz wenige hochgestellte Anhänger fand, so zeigt sich, dass hier über persönliche Spannungen hinaus Weiterreichendes berührt war wie das Thronrecht illegitmer KAROLINGER, die Gültigkeit der von LUDWIG bei seiner Kaisererhebung akzeptierten Verfügungen KARLS und letztlich die Divergenz zwischen der bis 814 dominierenden Elite und den nun tonangebenden "Aquitaniern". Dennoch ist schwer auszumachen, wie weit die Ziele reichten, die Bernhard durchzusetzen suchte, als er sich im Herbst 817 gegen LUDWIG DEN FROMMEN wappnete, doch steht fest, dass die offiziösen Quellen von einer ernsthaften Rebellion sprechen und der Kaiser mit einer umfassenden Mobilisierung von Truppen reagierte, die ihre Wirkung nicht verfehlte. Nach Besetzung der Alpenpässe gab Bernhard noch vor Jahresende die Sache verloren und erschien mit seinen Getreuen in Chalon-sur-Saone, wo LUDWIG ihn festnehmen ließ. Auf der Aachener Reichsversammlung vom Frühjahr 818 wurden mehrere Bischöfe unter dem Vorwurf des Einverständnisses mit ihm abgesetzt und über die beteiligten Laien mit Bernhard an der Spitze Todesurteile gefällt, die der Kaiser dann in Blendungsstrafen umwandelte. Bernhard, gerade Vater eines kleinen Sohnes namens Pippin geworden (von dem sich die späteren Grafen von Vermandois herleiten), starb an den Folgen der grausamen Prozedur (17.4.818), was sicher ungewollt war, aber für LUDWIGS Regiment eine fühlbare moralische Belastung bedeutete, die bewußt macht, dass auch für den Machtkampf innerhalb des Herrscherhauses mittlerweile strengere sittliche Maßstäbe an Boden gewonnen hatten. Fürs erste freilich ließ der Kaiser seinen Zorn und seinem Mißtrauen freien Lauf, indem er nun auch seine illegitimen Halbbrüder in den geistlichen Stand versetzte, "um die Zwietracht zu mindern" (wie es Thegan ausdrückte): Drogo kam nach Luxeuil, Hugo nach Charroux und der bald verstorbene Theuderich an einen unbekannten Platz.
      Die wiederholten Hinweise der Quellen auf "ruchlose" Ratgeber und prominente Mitverschworene des gescheiterten Bernhard (darunter ein Enkel jenes Grafen Hardrad, der sich 30 Jahre zuvor gegen KARL empört hatte) lassen erneut spüren, wie leicht Familienzwist an der Spitze unruhiger Adelskreise auf den Plan rufen konnte und wie sehr es daher für den jeweiligen Herrscher darauf ankommen mußte, eine Isolierung von wesentlichen Teilen der Führungsschicht zu vermeiden. Es scheint, dass LUDWIG DER FROMME dafür - neben dem bewährten Mittel der Vergabe von Ämtern und Würden - stärker als sein Vater auch Eheverbindungen mit dem Hochadel eingesetzt hat. Er ging selbst voran, als er nach dem Tode der Kaiserin Irmingard (818) als zweite Gattin Judith wählte, die, wie es heißt, ob ihrer Schönheit siegreich aus einer "Besichtigung" der Töchter vornehmer Häuser hervorging, aber gewiß auch dadurch empfohlen wurde, dass sie von dem Grafen Welf aus ursprünglich fränkischer, nun vornehmlich in Alemannien und Bayern begüterter Familie (den älteren WELFEN) und einer edlen sächsischen Mutter abstammte. Dem Vater folgte 821 der junge Kaiser LOTHAR durch seine Heirat mit Irmingard, der Tochter des Grafen Hugo von Tours aus dem alten elsässischen Herzogshaus der ETICHONEN, während sein Bruder Pippin von Aquitanien im nächsten Jahr Ringart heimführte, deren Vater eine neustrische Grafschaft innehatte. Auch die kaiserlichen Prinzessinnen Rotrud und Hildegard wurden, anders als unter KARL, ins dynastische Geflecht einbezogen und mit den aquitanischen Grafen Rather von Limoges und Gerhard von Auvergne vermählt. Unter den solchermaßen in Königsnähe gerückten Geschlechtern gewannen vorerst die WELFEN den größten Einfluß, was kaum zu Unrecht dem energischen Ehrgeiz der neuen Kaiserin Judith zugeschrieben wird. Jedenfalls muß auffallen, dass im Laufe der Zeit ihre Mutter Heilwig die Leitung der vornehmen Königsabtei Chelles erhielt, der eine Bruder Rudolf sich die Verfügung über die Klöster Saint-Riquier und Jumiges sicherte und der andere, Konrad, zum wichtigen Machthaber in Alemannien wurde, überdies verheiratet mit Adelheid, einer weiteren Tochter Hugos von Tours und damit Schwägerin LOTHARS I. Wenn schließlich 827 auch noch Hemma, Judiths jüngere Schwester, dem Kaiser-Sohn Ludwig, einstweiligem Unterkönig von Bayern, angetraut wurde, so kündigten sich zugleich bereits die Gefahren für die inneren Machtbalance an, die in allzu starkem Hervortreten einzelner Adelssippen lag.
      Zusammen mit der Familie gewann auch der Hof mit den Jahren ein neues Profil. Die feste Bindung an die Residenz Aachen lockerte sich in dem Maße, wie Reichsversammlungen wieder in Nimwegen, Diedenhofen, Compiegne oder Ingelheim anberaumt wurden und Reisen bis nach Orleans und Tours, aber auch nach Paderborn und Frankfurt den Kaiser mit einem weiteren Kreis seiner Getreuen zusammenbrachten.
      Auf der Diedenhofener Reichsversammlung vom Oktober 821 begnadigte LUDWIG die überlebenden Teilnehmer der Rebellion Bernhards von Italien und hob die Verbannung Adalhards und Walas, der Stiefvettern KARLS, vom Hof auf; wenig später fiel die Entscheidung, die ins Kloster verdrängten Halbbrüder des Kaisers ebenfalls mit angemessenen Würden zu bedenken, und zwar Drogo mit dem Bischofsstuhl von Metz (ab 823), Hugo mit der Leitung des Klosters Saint-Quentin. Da in Diedenhofen zugleich die Ordinatio imperii von allen Großen eidlich bekräftigt wurde, ist in dem personellen Umschwung kein politischer Kurswechsel zu vermuten, sondern eher der Versuch, für die unveränderten Ziele einen breiteren Rückhalt zu erreichen. Gleichwohl bestand das Bedürfnis, die Überwindung der Zerwürfnisse auch religiös zu manifestieren, und so erlebte die Reichsversammlung von Attigny im August 822 die unter KARL DEM GROSSEN schwer vorstellbare Szene, dass der Kaiser öffentlich seine Verfehlungen gegen Brüder und Vettern sowie seine Mitschuld am Tode des Neffen Bernhardbekannte und sich dafür der Kirchenbuße unterwarf, während die anwesenden Bischöfe ihrerseits unumwunden die eigene Nachlässigkeit und Pflichtvergessenheit eingestanden und Besserung gelobten.
      Ganz im Sinne der allseits beschworenen Hausordnung wurde dem Junior-Kaiser LOTHAR ein Jahr nach seiner Heirat Italien als Bereich eigener Zuständigkeit zugewiesen, wo er ab 822 die Sonderherrschaft Pippins und Bernhards fortführen konnte.
      Die äußeren Rückschläge, die im Jahre 827 fast gleichzeitig in Pannonien, in Spanien und bei den Dänen eintraten, waren an sich ohne ursächlichen Zusammenhang, trafen am Hof aber auf ein Klima der Unsicherheit, das sich aus zunehmenden Spannungen in der Umgebung des Kaisers ergab. Den Hintergrund bildete eine neue familiäre Konstellation, denn LUDWIGS zweiten Gattin Judith hatte nach einer Tochter Gisela am 13.6.823 in Frankfurt einen Sohn zur Welt gebracht, der den Namen seines Großvaters KARL erhielt.
      Gleichwohl blieb die Ordinatio imperii nicht nur abstrakt in Geltung, sondern wurde auch fortschreitend realisiert, soweit das zu LUDWIGS Zeiten überhaupt möglich war: Ende 825 kehrte LOTHAR aus Italien zurück, um künftig als formell gleichberechtigter Mitkaiser an den Regierungsgeschäften beteiligt und in allen Herrscherurkunden genannt zu werden, und 826 hielt man den Kaisersohn Ludwig für alt genug, um das ihm in der Ordinatio zugesprochene Unterkönigreich Bayern auch persönlich zu übernehmen. Da sein Bruder Pippin schon seit Jahren in Aquitanien residierte, verblieben am Hof allein die beiden Kaiser sowie Judith mit ihrem kleinen Sohn. Wie sie miteinander auskamen, wissen wir nicht, doch ist in der zweiten Hälfte der 820er Jahre eine gewisse Stagnation in LUDWIGS innerer Politik nicht zu übersehen. Sichtbar zutage traten die latenten Gegensätze erst, als es galt, auf die akute Bedrohung an den Grenzen zu reagieren. LUDWIG DER FROMME ordnete dazu Anfang 828 nicht nur ein allgemeines Fasten an, sondern verfügte auch auf einem Hoftag in Aachen die Absetzung des Markgrafen Balderich von Friaul, der die Bulgaren nicht hatte abwehren können, sowie der Grafen Hugo von Tours und Matfrid, denen Versagen in Spanien vorgeworfen wurde. Mögen dies nach Lage der Dinge nicht unbegründete Entscheidungen gewesen sein, so griffen sie doch rigoros in die labile Balance unter den führenden Magnaten ein, denn jeder der Entmachteten stand in mannigfachen Bindungen zu anderen Großen, deren Ergebenheit durch solche Sanktionen auf eine harte Probe gestellt wurde. LOTHAR zum Beispiel konnte es nicht gleichgültig sein, dass sein Schwiegervater Hugo um allen Einfluß gebracht und Matfrid in der Grafschaft Orleans ausgerechnet durch Odo, einen Vetter des vor Barcelona siegreichen Grafen Bernhard, ersetzt wurde, der als Judiths Schützling galt. Jedenfalls wuchs dadurch die Zahl der Unzufriedenen, die zumal der Kaiserin nicht trauten. Wala, der 826 seinem verstorbenen Bruder Adalhard als Abt von Corbie nachgefolgt war und durch lange Erfahrung ebenso wie durch karolingische Abkunft besondere Autorität genoß, machte sich zu ihrem Sprecher, als es Ende 828 auf einer neuen Aachener Versammlung eine umfangreiche Denkschrift über Mißstände in Reich und Kirche vorlegte. Doch über diesen umfassenden Versuch einer Neubestimmung der Gewichte in "Abwehr des allzu verfestigten Staatskirchentums" (H. H. Anton), der ihm in einer kompromitierten Fassung vorgelegt wurde, ging Kaiser LUDWIG auf der nächsten Reichsversammlung im Worms (August 829) hinweg, um seinerseits mit dem Entschluß aufzuwarten, sein nunmehr sechsjähriger jüngster Sohn KARL erhalte als vorweggenommenes Erbe einen neugeschaffenen Machtbereich (Dukat), der aus Alemannien, Elsaß, Rätien und Teilen von Burgund gebildet wurde. Da keine Erhebung zum König erfolgte, war die Ordinatio imperii formal nicht außer Kraft gesetzt, doch mußte ihre wesentliche Intention als bedroht, ja gescheitert gelten, eine weitere Aufsplitterung der Macht durch Beschränkung des dynastischen Erbrechts zu unterbinden. Brüskiert fühlte sich LOTHAR, der seine Aussicht auf königliche Gesamtherrschaft schwinden sah, und mit ihm seine adelige Klientel, die an seinem Aufstieg gehofft hatte Anteil zu haben, der auch die jüngeren Brüder Pippin und Ludwig, die weitere Schritte zugunsten des kleinen KARL befürchten mußten, und schließlich die kirchliche Reformpartei, die eben erst weitreichende Konzepte zur inhaltlichen Ausfüllung des Reichseinheitsideals vorgetragen hatte. Der Bruch wurde offenkundig, als LOTHAR, der am 11.9.829 die letzte gemeinsame Urkunde mit dem Vater ausstellte, im Herbst ins Teilreich Italien abgeordnet und auch Wala vom Hof in sein Kloster Corbie verwiesen wurde. Statt ihrer nahm nun Bernhard von Barcelona, der Rivale Hugos und Matfrids, als Kämmerer die Stellung eines "Zweiten in der Herrschaft" ein, getragen vom Vertrauen der Kaiserin Judith (was zu üblen Gerüchten Anlaß gab) und verhaßt bei den bisher tonangebenden Kreisen, die sich über weitere personelle Veränderungen am Hof entrüsteten. Der Vorgang zeigt deutlich die faktischen Grenzen der kaiserlichen Entscheidungsfreiheit auf, denn die verbreitete Mißstimmung in der geistlichen und weltlichen Führungsschicht ließ sich nur den Winter 829/30 über noch unter Kontrolle halten. Als, angeblich auf Betreiben Bernhards, der Aufmarsch zu einem neuen Feldzug gegen die Bretonen ausgerechnet auf den Gründonnerstag (14.4.) angesetzt wurde, gab dies das Fanal zum Umsturz.
      Zum Verständnis der weiteren Entwicklung ist wichtig, dass die aktive Opposition nicht von dem in Italien weilenden Kaiser LOTHAR und auch kaum von seinen königlichen Brüdern ausging, sondern von den um ihren Einfluß gebrachten Großen, die sich bei der Forderung nach Revision der jüngsten Maßnahmen einig in dem Ziel waren, Bernhard und Judith aus ihren Schlüsselpositionen zu verdrängen. Nur für einen Teil der Aufrührer jedoch, für Männer wie Wala von Corbie, den Erzkapellan Hilduin oder den früheren Kanzler Helisachar, ging es darüber hinaus bewußt darum, LUDWIG DEN FROMMEN an der Aufgabe seiner eigenen früheren Pläne zur Wahrung der Reichseinheit zu hindern, - eine Haltung, die um einer höheren Legitimität willen den Vorwurf des Bruchs geleisteter Eide nicht scheute und, wenn überhaupt, nur dann auf breitere Resonanz rechnen konnte, wenn LOTHAR selber die Verteidigung der auf ihn zugeschnittenen Ordinatio imperii energisch und wirksam in die Hand nahm. Er wurde daher eilend über die Alpen herbeigeholt, nachdem sich das Heer statt gegen die Bretonen in den Pariser Raum gewandt und Bernhard sein Heil in der Flucht nach Barcelona gesucht hatte, während Judith in Klosterhaft nach Poitiers verbracht wurde und auch ihre Brüder Konrad und Rudolf in die Hände ihrer Gegner fielen, die sie bezeichnenderweise durch Scheren des Haupthaares aus dem politischen Leben auszuschalten suchten. LOTHARentschied sich nach seiner Ankunft auf einer Reichsversammlung in Compiegne im Mai 830 gegen die Forderung der radikaleren seiner Anhänger, LUDWIG DEN FROMMEN völlig zu entthronen, und zog es in Gegenwart seiner Brüder Pippin und Ludwig vor, allein auf der Rücknahme der Verfügungen aus dem Vorjahr zu bestehen, also wieder zum formellen Doppelkaisertum zurückzukehren. Dabei war nun freilich er der eigentliche Gebieter, hielt den Vater und den kleinen Stiefbruder unter steter Aufsicht und ging auch weiter strafend gegen Parteigänger der verstoßenen Kaiserin vor.
      Statt konkreter politischer Entschlüsse im Sinne der von den Reformern erhofften "Besserung" der allgemeinen Zustände stand, wie sich zeigte, eher die gegenseitige Abrechnung unter den verfeindeten Großen auf der Tagesordnung des folgenden Sommers und erlaubte bald gegen LOTHARS Regiment den Vorwurf, Ungerechtigkeit, Habgier und Gewalttat nur noch weiter gesteigert zu haben, was ihn in den Augen vieler kompromittierte, die seinen Aufstieg herbeigeführt hatten. Die verbreitete Enttäuschung kam dem alten Kaiser zugute, der seine monatelange Passivität überwand und über Mittelsmänner die Söhne Pippin und Ludwig auf seine Seite zog, indem er ihnen eine Vergrößerung ihrer Erbteile in Aussicht stellte. Der Umschwung zeigte sich bereits auf der nächsten Reichsversammlung im Oktober in Nimwegen, wo LUDWIG wieder die Oberhand gewann, seinem kaiserlichen Sohn kampflos einen neuen Treueid abnötigte und die Rückkehr Judiths an seine Seite durchsetzen konnte. Die Anführer der Rebellion sahen sich isoliert, wurden festgesetzt und auf einem Aachener Hoftag im Februar 831 abgeurteilt; Hulduin, der als Erzkaplan durch den Abt Fulco ersetzt wurde, ferner Wala und Helisachar wanderten an verschiedene Verbannungsorte, prominente Laien wurden mit Entzug ihrer Ämter und Güter bestraft. LOTHAR verlor erneut die Teilhabe an der Gesamtherrschaft und wurde nach Italien abgeschoben. Der zweimalige abrupte Wechsel der Machtverhältnisse, der sich binnen Jahresfrist abgespielt hatte, war von noch größerer Tragweite, als die Beteiligten ahnen mochten, den er klärte im Grunde schon, dass die von LUDWIG anfänglich betriebene normative Sicherung der Reichseinheit gescheitert war, weil der Kaiser sie der dynastisch fundierten Begehrlichkeit der übrigen Familienmitglieder geopfert hatte, aber auch weil der zu ihrer Wahrung berufene LOTHAR I. zu entscheidender Stunde weder Entschlußkraft noch Augenmaß bewiesen hatte.
      Wenn es kein Zurück zur Ordinatio imperii mehr gab, so waren die Modalitäten der künftigen Machtverteilung fortan dem freien Spiel der Kräfte überlassen, was im verbleibenden Jahrzehnt LUDWIGS DES FROMMEN zu einer verwirrenden Folge rasch wechselnder, niemals realisierter Zukunftsprojekte geführt und die Autorität des Herrscherhauses im ganzen schwer erschüttert hat. Dabei war LOTHAR als der Verlierer des Jahres 830 zunächst im Nachteil und hatte wohl schon in Aachen eine Regelung hinzunehmen, die ihn, den Kaiser, auch dauerhaft auf Italien beschränken wollte, während nördlich der Alpen Pippin mit einer Erweiterung seines aquitanischen Teilreichs nach Norden bis zur Somme und Ludwig mit einer Ausdehnung seines bayerischen Anteils rechts des Rheins und in der nördlichen Francia belohnt wurden. Dass alles übrige, von Mosel und Mittelrhein südwärts bis zur Provence, womöglich dem jungen KARL gehören sollte, weckte freilich den Unmut Pippins und Ludwigsund legte dem Kaiserhof nahe, zugunsten des Jüngsten eine vorsichtige Annäherung an LOTHAR zu suchen. Der Junior-Kaiser wurde schon im Mai 831 in Ingelheim wieder ehrenvoll empfangen und konnte die Begnadigung etlicher seiner Anhänger aus dem Vorjahr (darunter Hilduin, jedoch nicht Wala) erleben, zog sich dann aber doch nach Italien zurück. Dagegen nahmen die Spannungen mit den beiden anderen Brüdern gewaltsame Formen an, nachdem Pippin zu einem Hoftag im Herbst nicht erschienen und bei einem Weihnachtsbesuch in Aachen eigenmächtig abgereist war. Während der Kaiser deshalb einen Feldzug nach Aquitanien vorbereitete, wurde ihm ein Aufstand Ludwigs gemeldet, der sich von Bayern aus offenbar Teile von KARLS Erbe aneignen wollte. Den fälligen Doppelschlag gegen beide Söhne führte der Vater in der Weise, dass er zunächst gegen Ludwig vorrückte und ihn nach der Unterwerfung im Mai 832 bei Augsburg glimpflich davonkommen ließ, sich dann aber gegen Pippin wandte, den er im Oktober in der Nähe von Limoges zur Ergebung zwang und mit Absetzung sowie Verbannung nach Trier strafte, wodurch der Weg frei wurde, das aquitanische Regnum an Judiths Sohn KARL zu verleihen. Nach anderthalb Jahren war damit auch die Hausordnung von 831 schon wieder hinfällig, und eine Lösung zeichnete sich ab, bei der nur noch LOTHAR und KARLeine wesentliche Rolle spielen würden.
      Tatsächlich hatten LUDWIG und Judith abermals den Bogen überspannt und mit ihren sprunghaften Entschlüssen eine Koalition aller drei älteren Kaisersöhne heraufbeschworen, die sich 833 in einem großen Aufstand gegen sie kehrte. Anders als 830 ging es diesmal nicht mehr um die Zukunft der Reichseinheit, sondern nur noch um die sofortige Sicherung der beanspruchten Anteile vor anderweitiger Vergabe durch den Vater, und nach den jüngsten Erfahrungen wurden für dieses Ziel auch bewaffnete Auseinandersetzungen in Kauf genommen. Der neue Akt des Familiendramas begann damit, dass der enterbte Pippin von Aquitanienschon auf dem Transport ins Trierer Exil entweichen konnte und Fühlung mit LOTHAR aufnahm, der in Italien ein Heer mobilisierte, vor allem aber Papst Gregor IV. dafür gewann, sich ihm "zur Wiederherstellung von Frieden und Eintracht" anzuschließen. Auch Ludwig der Deutsche, der sich zuletzt (vergeblich?) beim Vater für eine milde Behandlung der Teilnehmer seiner kürzlich gescheiterten Rebellion verwandt hatte, trat von Regensburg aus auf ihre Seite. Während der Papst in einem Rundschreiben die fränkischen Bischöfe aufforderte, ihm zur Unterstützung entgegenzueilen, beschied LUDWIG DER FROMME ebenfalls den Episkopat zu sich nach Worms. Außer den adligen Führern der großen Vasallenverbände war damit auch die hohe Geistlichkeit zur persönlichen Stellungnahme herausgefordert, und sie spaltete sich gleichermaßen. LOTHARfand nur zögernde Unterstützung bei Wala, der erst im Vorjahr als einfacher Mönch nach Corbie hatte zurückkehren dürfen, und besaß daher seine hauptsächlichen Wortführer jetzt in den Erzbischöfen Agobard von Lyon und Ebo von Reims, wohingegen sich die kaisertreue Gruppe um Drogo von Metz, den Halbbruder LUDWIGS, scharte. Polemische Manifeste über die geforderte und verletzte Rechte, ja über den Vorrang der Befehlsgewalt von Kaiser oder Papst - ein in dieser Zuspitzung durchaus neuartiges Problem - gingen hin und her, bevor sich Ende Juni 833 auf dem Rotfeld bei Colmar die Heere LUDWIGS und seiner drei Söhne tagelang gegenüberstanden. Gregor verhandelte im Lager des Kaisers um einen Ausgleich, doch ließen sich inzwischen dessen Gefolgsleute mehr und mehr "durch Geschenke, Versprechungen und Drohungen" (wie LUDWIGS Biograph zu wissen glaubte) dazu bewegen, von ihrem Herrn abzufallen und auf die Seite der Söhne zu treten, so dass der alte Kaiser schließlich ohne Machtbasis dastand und sich ergeben mußte. Der Schauplatz so vielfachen Eidbruchs soll schon wenig später das "Lügenfeld" geheißen haben.
      LUDWIG hatte ganz formlos aufgehört, Herrscher zu sein, indem er von den Seinen verlassen wurde und somit nichts mehr zu gebieten hatte. Die Sieger konnten die ihnen zugefallene Macht nicht anders sichern als dadurch, dass sie ihn in dauernder Haft hielten, was in LOTHARS Verantwortung gegeben wurde, und so war es, der den Vater zunächst ins Kloster Saint-Medard in Soissons verbrachte, während der 10-jährige KARL in die Eifelabtei Prüm kam und seine Mutter Judith gar nach Tortona in Italien verbannt wurde. Auch bei der politischen Neuordnung des Reiches fiel das erste Wort LOTHAR, dem Kaiser zu, der in seinen Urkunden sogleich den vollen Imperatortitel LUDWIGS übernahm. Doch falls er (wie anscheinend der Papst und andere seiner geistlichen Parteigänger) geglaubt haben sollten, nach der Ausschaltung LUDWIGS, Judiths und KARLSzur Machtverteilung der Ordinatio imperii von 817 übergehen zu können, so zeigte sich rasch, dass die am Erfolg beteiligten Brüder eine derartige Rückstufung nicht mehr hinzunehmen bereit waren. Vielmehr mußten Pippin und Ludwig, soweit zu erkennen ist, über ihre Unterherrschaften hinaus weitere Landstriche (wohl Neustrien und alle rechtsrheinischen Gebiete) zugestanden werden, und zwar zu sofortiger selbständiger Regierung, wie sich am uneingeschränkten Königstitel ihrer seitherigen Urkunden ablesen läßt. Der Sturz LUDWIGS DES FROMMEN hatte mit innerer Logik die erste effektive Teilung des KARLS-Reiches zur Folge, und wer das nicht gewollt hatte, "kehrte", wie von Papst Gregor berichtet wird, "mit großer Trauer heim". LOTHAR, stark beraten von Agobard und Ebo, nutzte hingegen eine große Reichsversammlung im Oktober in Compiegne, um auch noch eine kirchliche Sanktionierung des Thronwechsels herbeizuführen. Gemäß ihrem 829 prinzipiell reklamierten allgemeinen Aufsichtsrecht stellten die versammelten Bischöfe förmlich fest, der ehemalige Kaiser habe "das ihm übertragene Amt unzulänglich verwaltet", und entsandten unter Ebos Führung eine Abordnung ins nahe Soissons, die LUDWIG ein langes Register seiner Sünden, unter anderem die Gewalttaten gegen seine Verwandten und die ungerechte Bestrafung der Verteidiger der Hausordnung von 817, vortrug und ihn aufforderte, dafür öffentlich Buße zu leisten. Nach einigem Sträuben und gewiß unter massivem Druck wurde er bereit, sich dem Urteil der Bischöfe zu beugen und seine mangelnde Eignung zum Herrscher einzugestehen. Bei aller ernstzunehmender Seelenqual liegt in der Szene ein geradezu atemberaubender Substanzverlust der monarchischen Autorität keine 20 Jahre nach dem Tode KARLS DES GROSSEN.
      Und wieder wendete sich das Blatt, wozu offenbar gerade die erbarmungslose Härte wesentlich beitrug, mit der LOTHAR den gefangenen Vater von Ort zu Ort mitzuschleppen schien. Der jüngere Bruder Ludwig, der bei einem weiteren Umsturz kaum etwas aufs Spiel zu setzten brauchte, forderte schon um die Jahreswende 833/34 eine würdigere Behandlung des alten Kaisers, und zu seinem Sprachrohr machte sich der gelehrte Fuldaer Abt Hrabanus Maurus, der mit einer Schrift "Über die Ergebenheit der Söhne gegen die Väter und der Untertanen gegen die Könige" hervortrat. Die moralische Hypothek, die auf ihm lastete, hinderte LOTHAR auch diesmal daran, seiner Herrschaft den notwendigen breiten Rückhalt bei den Großen zu verschaffen, und als er dann noch Pippins Mißtrauen durch Anstalten weckte, seinen Machtbereich auf dessen Kosten auszuweiten, war erneut die Konstellation beisammen, die LOTHAR schon 830 zu Fall gebracht hatte. Während er Ende Februar in Paris Hof hielt, rückten Pippin von W und Ludwig von Osten mit ihren Heeren gegen ihn vor, doch keine Hand rührte sich zu seiner Verteidigung, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als mit seinen Getreuen den eiligen Durchbruch nach Süden zu wagen und den Vater samt dem Stiefbruder in Saint-Denis zurückzulassen. Dort wurde LUDWIG DER FROMME am 1.3.834 feierlich wieder in die Kirche aufgenommen und, mit Waffen und Krone geschmückt, als Kaiser anerkannt. Auch Pippin und Ludwig fanden sich bald bei ihm ein, und man hörte von der Befreiung der Kaiserin, die nach Wochen in Aachen eintraf. Dennoch war LOTHAR nicht bereit (und vielleicht vor seinen Anhängern auch nicht imstande), sich ohne Gegenwehr geschlagen zu geben, so dass nun noch offene Kämpfe ausbrachen. Unweit der bretonischen Grenze siegten in blutigem Gefecht LOTHARS Parteigänger, die Grafen Lambert (von Nantes) und Matfrid, wobei neben dem kaiserlichen Kanzler Theoto, erst seit kurzem Nachfolger des Fridugis und etlichen Grafen auch Odo, Matfrids Rivale in Orleans, den Tod fand. LOTHAR selber erstürmte beim Vorrücken aus dem Rhonegebiet die Stadt Chalon, was mit manchen, in den Quellen ihm angelasteten Greueltaten verbunden war, schritt dann aber doch nicht zum Äußersten, als er etwa im September bei Blois der überlegenen Heerresmacht des Vaters und der Brüder gegenüberstand. Er unterwarf sich und rettete damit immerhin seine Herrschaft über Italien, freilich nur unter der eidlichen Zusage, das Land nicht mehr eigenmächtig zu verlassen; dorthin wurde auch den wichtigsten seiner geistlichen und weltlichen Parteigänger, also Wala von Corbie, Agobard und mindestens fünf weiteren Bischöfen sowie den Grafen Hugo, Matfrid, Lambert und ihrem Anhang freier Abzug gestattet. LUDWIG DER FROMME, der fortan in seinem urkundlichen Kaisertitel stets der "zurückgewährenden göttlichen Huld" Rechnung trug, war wieder das unbestrittene Oberhaupt des Reiches. Er formierte die Hofkapelle neu, indem er seine Halbbrüder Drogo, den Bischof von Metz, zum Erzkapellan und Hugo, den Abt von Saint-Quentin, zum Kanzler berief, und bestand im übrigen auf einer förmlichen Annullierung der während des Aufruhrs gegen ihn unternommenen Rechtsakte. Das geschah im Februar 835 auf einer Reichsversammlung in Diedenhofen, bei der unter Zustimmung auch von seinerseits beteiligten Bischöfen die Verurteilung LUDWIGS in Compiegne aufgehoben und seine Kirchenbuße von Soissons für nichtig erklärt wurde. Ebo von Reims hatte diese bei einer feierlichen Zeremonie in Drogos Metzer Dom zu verkünden und wurde gleich anschließend auf Antrag des Kaisers von seinem Hirtenamt abgesetzt und mit Klosterhaft belegt.
      Die jahrelange Konzentration aller fränkischer Energien auf den inneren Zwist von Herrscherhaus und Führungsschicht schwächte unausbleiblich die Abwehrkraft des Reiches nach außen und hat vor allem die Gefährdung der nördlichen und westlichen Küsten in folgenreicher Weise gesteigert. Trotzdem überwogen auch in LUDWIGS DES FROMMEN letzten Jahren die innenpolitischen Sorgen. Die schweren Erschütterungen der Jahre 830 und 833/34 hatten nur negativ darüber entschieden, dass für die Reichseinheit über den Tod dieses Kaisers hinaus keine Aussicht mehr bestand, aber sie hatten jedes Einvernehmen über die konkrete Verteilung des Erbes in unabsehbare Ferne gerückt. Zu weit klafften die Ansprüche der Söhne und die Erwartungen der ihnen jeweils verbundenen Großen auseinander, und zu sehr hatte die Autorität des kaiserlichen Vaters Schaden genommen, als dass ein allgemeiner Konsens über künftige Reichsteilungen noch hätte ausgehandelt oder gar verordnet werden können. LUDWIG, in dessen Umgebung neben der Kaiserin Judith nun der Seneschalk Adalhard zu steigendem Einfluß kam, resignierte indes keineswegs und scheint in einzelnen seiner Maßnahmen versucht zu haben, an die Politik der glücklicheren 820er Jahre anzuknüpfen, etwa wenn er 836 eine neue Reformsynode in Aachen veranlaßte, die sich weithin wörtlich die Beschlüsse des Jahres 829 zu eigen machte, oder wenn er durch die Verheiratung seiner Tochter Gisela mit dem Markgrafen Eberhard von Friaul (aus dem fränkischen Hause der UNROCHINGER) ähnlich wie früher einen mächtigen Magnaten sich als Schwiegersohn zu verpflichten suchte, doch ein durchdachtes, konsequent verfolgtes Konzept in der Erbteilungsfrage hatte er nicht, wenn man von dem wohl durch Judiths genährten Wunsch absieht, den nachgeborenen Sohn KARLmöglichst gut zu bedenken.
      Dabei stand nach 834 zunächst im Wege, dass die Anteile der mittleren Söhne Pippin und Ludwig, die durch ihre Schwenkung die Wiedereinsetzung des Vaters herbeigeführt hatten, nicht geschmälert werden konnten, weshalb die Zuweisungen an KARL (Alemannien, später Aquitanien), die den großen Aufstand heraufbeschworen hatten, hinfällig blieben. Die Lösung schien wie 831 in einer Verständigung mit LOTHAR zu liegen, die auf einer Diedenhofener Reichsversammlung 836 versucht wurde, wo Wala als dessen Abgesandter erschien; doch starb der ehemalige Abt von Corbie bald nach seiner Rückkehr, ohne LOTHARSEinlenken erreicht zu haben. Die fortwährend grollende Haltung des ältesten Sohnes, der in Italien sogar gegen Anhänger des Vaters vorging, bewog LUDWIG, für 837 einen Romzug anzukündigen, der zu einer Begegnung mit LOTHARhätte führen müssen, dann aber nicht zustande kam, weil der erneute Wikingereinbruch in Friesland den Kaiser dorthin ablenkte. Danach gab er das Warten auf LOTHAR auf und verfügte Ende des Jahres von sich aus eine erneute Ausstattung KARLS, die zentralen Bereiche der Francia von Friesland über die Gaue zwischen Maas und Seine bis weit nach Burgund umfaßte. Damit verstimmte er nicht nur LOTHAR, sondern auch den jüngeren Ludwig, der sich von Bayern aus mit dem kaiserlichen Bruder zu einer Besprechung in der Nähe von Trient traf und dadurch sogleich das Mißtrauen des Vaters auf sich lenkte. Nach einem vergeblichen Versuch, sich zu rechtfertigen, wurden ihm im Sommer 838 alle rechtsrheinischen Länder bis auf Bayern wieder entzogen. Immer höher stieg der Stern KARLS, der im September in Quierzy nach Vollendung seines 15. Lebensjahres mit dem Schwert umgürtet und von seinem Vater zum König gekrönt wurde, wobei er Neustrien als Unterherrschaft erhielt, anscheinend neben dem im Vorjahr verfügten Erbteil. Bevor es darüber zum Konflikt mit Pippin von Aquitanien kam, dessen Interessen hier berührt waren, traf die Nachricht von seinem offenbar plötzlichen Tod am 13.12.838 ein. Zu Trauer scheint wenig Anlaß gewesen zu sein, denn damit wurde endlich die Bahn frei für die von Judith betriebene Einigung zugunsten LOTHARS und KARLS. LUDWIG DER FROMME, der zunächst durch einen Zug über den Rhein bis zum Bodensee, dem jüngeren Ludwig seine Macht demonstriert hatte, traf Ende Mai 839 mit den beiden anderen Söhnen auf einer Reichsversammlung in Worms zusammen und teilte das Erbe, abzüglich des für Ludwig vorbehaltenen bayerischen "Pflichtteils", entlang von Maas, Saone, Rhone und Westalpen. LOTHAR wählte die östliche, Italien einschließende Hälfte, KARLdie westliche und damit auch den Konflikt mit den Söhnen des eben verstorbenen Bruders Pippin, von denen der ältere, wie KARL wohl gerade volljährige Pippin II. mit manchem Rückhalt im Lande die Herrschaft über Aquitanien als sein väterliches Erbe beanspruchte. Fürs erste gedachte der alte Kaiser selbst die gewaltsame Durchsetzung der neuesten Hausordnung in die Hand zu nehmen, und dementsprechend zog er im Herbst mit Heeresmacht gegen den Enkel Pippin von Aquitanien, brachte es aber in zähem Kleinkrieg nur zu Teilerfolgen. Im nächsten Frühjahr erschien es dringender, gegen Ludwig einzuschreiten, der sich natürlich nicht dauerhaft auf Bayern beschränken ließ, nun aber vom Vater doch aus Thüringen verjagt wurde. Auf einem neuen Hoftag, zu dem LOTHARaus Italien berufen wurde, sollte das weitere Vorgehen gegen Ludwig besprochen werden, doch dazu kam es nicht mehr, denn der Kaiser starb nach kurzer Krankheit 62-jährig auf einer Rheininsel bei Ingelheim am 20.6.840.
      Dass keiner seiner Söhne zugegen war, als er wenig später von Drogo, seinem bischöflichen Halbbruder und letzten Erzkapellan, in der Metzer Kirche des Familienheiligen Arnulf an der Seite seiner Mutter Hildegard bestattet wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Bilanz seiner Regierung. In 26 Jahren hatte LUDWIG DER FROMME das Großreich seines Vaters nach außen einigermaßen behaupten können und nach innen zunächst durch weitere vereinheitlichende Reformen gefestigt, später jedoch nur noch, so gut es ging, verwaltet, was Episkopat und Hochadel zu stärkerem politischen Eigengewicht gelangen ließ. Völlig gescheitert war er mit dem Bemühen, die Herrschaftsordnung nach seinem Tode festzulegen, denn sein anfängliches Konzept, auf der Grundlage des Kaisertums dauerhaft eine oberste Zentralgewalt des ältesten Sohnes zu etablieren, stand wegen des antidynastischen Grundzugs von vornherein wohl auf schwachen Füßen, wurde von LUDWIG aber auch nicht wirksam vertreten und schließlich unter dem Druck der Umstände ganz fallen gelassen. Bis dahin war jedoch durch den zweimaligen Zusammenbruch und die anschließende Wiederherstellung seiner Herrschaft sein Handlungspielraum so geschmälert, dass er auch keinen Teilungsplan mehr unwidersprochen durchsetzen konnte und sich am Ende gar in bewaffnete Kämpfe mit seinen Söhnen verstrickte, die dann nahtlos in den Bruderkrieg nach seinem Tode übergingen. Unmittelbar ausgelöst wurde diese Entwicklung durch den schon in den Quellen hervorgehobenen Ehrgeiz der zweiten Kaiserin Judith und die Erbansprüche des Nachkömmling KARL, doch wäre die Vorstellung naiv, ohne eine Wiederverheiratung hätte sich die Reichseinheit auf längere Sicht bewahren lassen. Woran sie letztlich zerbrach, war die Unfähigkiet der fränkischen Führungsschicht (bis hin zu den rivalisierenden Kaisersöhnen), in den Dimensionen des KARLS-Reiches zu denken und dessen monarchisch-imperiale Führung für eine wünschenswerte, ja notwendige Rahmenbedingung auch ihrer eigenen politischen Entfaltung zu halten. Was sich unter KARL DEM GROSSEN in gleichsam spontaner Selbstverständlichkeit eingespielt hatte, war von seinem Sohn weit weniger überzeugend beansprucht und verwirklicht worden.

      793 1. oo Konkubine N.N.
      794 2. oo Irmingard, Tochter des Grafen Ingram (Franke), um 775/80-3.10.818
      819 3. oo Judith, Tochter des Grafen Welf, um 795-19.4.843

      Kinder:
      1. Ehe
      - Alpais Äbtissin von St. Pierre-le-Bas in Reims (816-852) 794-23.7.852
      806 oo Bego Graf 755/60-28.10.816
      - Arnulf Graf von Sens um 794- nach 841

      2. Ehe
      - LOTHAR I. 795-29.9.855
      - Pippin um 797-13.12.838
      - Ludwig II. der Deutsche 806-28.8.876
      - Rotrud 800-
      oo Rather Graf von Limoges -25.6.841
      oder
      oo Gerhard Graf von Auvergne -25.6.841
      - Hildegard Äbtissin von Notre-Dame in Laon 802/04-23.8.860
      oo Rather Graf von Limoges -25.6.841
      oder
      oo Gerhard Graf von Auvergne -25.6.841

      3. Ehe
      - Gisela 819- nach 1.7.874
      836 oo Eberhard Markgraf von Friaul um 810- 866
      - KARL II. DER KAHLE 13.6.823-6.10.877

      Literatur:
      Althoff Gerd: Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 11,16,56,115 - Althoff Gerd: Otto III. Primus Verlag Darmstadt 1997, Seite 194 - Althoff, Gerd: Adels- und Königsfamilien im Spiegel ihrer Memorialüberlieferung. Studien zum Totengedenken der Billunger und Ottonen. Wilhelm Fink Verlag München 1984, Seite 189,367 K 22 - Barth Rüdiger E.: Der Herzog in Lotharingien im 10. Jahrhundert. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1990, Seite 23,179 - Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft 750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 60,87,91-95,99-104,106-109,112,115,118-120,129,138,195,198,204,213,216-218,220,225,229,234,238,245,278,280,282, 305,315,322-324,331- Beumann, Helmut: Die Ottonen. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln, Seite 11,17,21,65,69,80,93,108, 144 - Biographien zur Weltgeschichte. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1989, Seite 341 - Borgolte Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit. Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986, Seite 18,24,29, 33,38,53,60,62,76,89,96,105-108,114,117,127-129,140,144,146,155,158,160,165,171,179,184,197,200,206,211,213,221-223,231,233, 246, 275-280,288- Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1984, Seite 81,85,90-92,94-96,98,101-104,108,112,113,116,120,132,135,145, 147,156-158,160,166,180,182,189,192,198,199,202,219-222,224-229, 252-254,257 - Boshof Egon: Die Salier. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 1987, Seite 180 - Dahn Felix: Die Völkerwanderung. Germanisch-Romanische Frühgeschichte Europas. Verlag Hans Kaiser Klagenfurt 1977, Seite 503,504,506,511,513,524,531 - Deutsche Geschichte Band 1 Von den Anfängen bis zur Ausbildung des Feudalismus Mitte des 11. Jahrhunderts. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1982, Seite 297,304,313,322,324-326, 328-330,335,341,350,352,398,462 - Die Salier und das Reich, hg. Stefan Weinfurter, Jan Thorbecke Verlag 1991, Band II Seite 87,127, 207,340,356,362,433,467,470,479,506/ Band III Seite 93,444,515 - Diwald Helmut: Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reiches. Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach 1987, Seite 56,96,99,102,104,204,213,223,274,277,373,420,496 - Dümmler Ernst: Die Chronik des Abtes Regino von Prüm. Verlag der Dykschen Buchhandlung Leipzig Seite 8,9,11,12 - Dümmler Ernst: Geschichte des Ostfränkischen Reiches. Verlag von Duncker und Humblot Berlin 1865 Band I - Ehlers Joachim: Die Kapetinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000, Seite 18,78,193,226 - Eickhoff Ekkehard: Theophanu und der König. Otto III. und seine Welt. Klett-Cotta Stuttgart 1996, Seite 96,181, 261,263,269,287,341 - Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter. Verlag C.H. 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Jahrhundert.Kommissionsverlag: Minerva-Verlag Thinnes Nolte OHG Saarbrücken 1969, Seite 10,66,157,162,164,166-168 - Hlawitschka Eduard: Lotharingien und das Reich an der Schwelle der deutschen Geschichte. Anton Hiersemann Stuttgart 1968, Seite 2, 9-11,14,17,49-51,59,69,73,167,177,183,185,193,207,219,228 - Hlawitschka Eduard: Studien zur Äbtissinnenreihe von Remiremont. Buchdruckerei und Verlag Karl Funk, Saarbrücken 1963, Seite 9,17,19,27,36 - Holtzmann Robert: Geschichte der sächsischen Kaiserzeit. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1971, Seite 15,39,47,50,53,58,133,191,207,254,482 - Illig Heribert: Das erfundene Mittelalter. Die größte Zeitfälschung der Geschichte. ECON Verlag GmbH, Düsseldorf und München 1996,Seite 44,55,58,63,70,141, 148,162,176,205,292,343,376,390 - Jaeckel, Gerhard: Die deutschen Kaiser. Die Lebensgeschichten sämtlicher Monarchen von Karl dem Großen bis Wilhelm II., Weltbild Verlag Augsburg, Seite 14-16 - Kalckhoff Andreas: Karl der Große. 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Kämpfer und Beter. Bechtle Verlag Esslingen 1989, Seite 23,54,62,82,85,129 -

      [1]
    • Neue Deutsche Biographie Ludwig der Fromme

      fränkischer Kaiser, * Sommer 778 Chasseneuil bei Poitiers, † 20.6.840 auf einer Rheininsel bei Ingelheim, ⚰ Metz, Arnulfskloster.

      L. und sein Zwillingsbruder Lothar (früh verstorben) erhielten als erste Karolingersprossen, freilich erst der dritten Königsgeneration, in „Ansippung“ an die abgelöste alte Dynastie, merowing. Namen (Chlodwig und Chlothar). L. wurde am Ostertage (15.4.) 781 in Rom, zusammen mit seinem Bruder Pippin, von Hadrian I. zum König gesalbt und gekrönt. Es ist die erste klar bezeugte, nicht nur erschließbare Krönung im Karolingerhause. Als vom Vater bestellter Unterkönig verbrachte L. seine Jugend in Aquitanien (wie Pippin in Italien). Daß er eine geistlichliterarische Erziehung genoß, findet sich zwar nur andeutungsweise bezeugt, ist aber aus seinem späteren religiös-kirchlichen Eifer mit Sicherheit zu erschließen. In roman. Umwelt aufgewachsen, beherrschte er das Lateinische völlig, verstand aber auch das Griechische, während er der volkssprachlich-fränk. Tradition weniger Interesse entgegenbrachte als sein Vater.

      Bis zur Wehrhaftmachung (791 in Regensburg) blieb L. unter beauftragter vormundschaftlicher Regierung. Er hielt eigene Reichsversammlungen ab (789 in Mourgoudou b. Albi; 790, 795, 801 in Toulouse; 814 in Doué b. Tours) und urkundete 794, 807, 808 als rex Aquitaniae bzw. als rex Aquitanorum. Neben dem Grenzgrafen Wilhelm von Toulouse († 812 als Mönch in seiner Gründung Gellone) nahm L., allmählich in selbständiger Führung, an den Abwehr- und Sicherungskämpfen gegen Basken und Araber beiderseits der Pyrenäen teil (Einnahme von Barcelona 801, von Tortosa 811, Strafzug nach Pamplona 813), doch wurde er oft auch zu Reichsversammlungen und Heereszügen des Vaters und des Bruders Pippin entboten (785 Paderborn, 790 Worms, 791 Ingelheim-Regensburg-Awarenkrieg, 792/93 Italien, 793 Salz, 798 Sachsenkrieg, 797 Herstal, 799 Aachen-Friemersheim-Sachsenzug, 800 Tours, 804 Sachsenzug, 805/06 Diedenhofen, 809 Aachen). In der Divisio von 806 sprach ihm Karl d. Gr. über Wasconien und Aquitanien hinaus das gesamte südliche Gallien zu, aber der Tod der älteren Brüder (810/11) machte diese Regelung hinfällig. Karl d. Gr., inzwischen von Byzanz als Kaiser anerkannt, krönte nach oström.-byzantin. Stil am 11.9.813 in Aachen den nunmehr alleinigen Nachfolger L. zum Mitkaiser.

      Karl starb am 28.1.814; am 27. Februar traf L. in Aachen ein. Als Repräsentant einer stärker verchristlichten Generation, der in Aquitanien die Klöster gefördert und angeblich einmal erwogen hatte, selber Mönch zu werden, übernahm er ein in seinen gewaltigen Dimensionen machtpolitisch saturiertes, von außen vorerst nicht mehr gefährdetes, in der inneren, d. h. auch kirchlichen Ausformung dagegen unfertiges Reich. Die Lebensgeschichte L.s fällt von nun an größtenteils mit der Reichsgeschichte zusammen, in der das individuell-biographische Element im ganzen nur mit ungleicher Deutlichkeit sichtbar wird.

      Von persönlichen Initiativen „außenpolitischer“ Art kann bei L. nicht ernstlich die Rede sein. Durch den feierlichen Empfang einer noch an Karl abgeordneten griech. Gesandtschaft (1.8.814 in Aachen) sanktionierte der neue Kaiser den Ausgleich mit Byzanz. Darin war offensichtlich der Verzicht auf den Römernamen im Kaisertitel vereinbart worden: L. und seine fränk.-deutschen Nachfolger nannten sich bis ins späte 10. Jh. nur Imperator augustus, ohne Attribut. Auch die Umschrift des Bullensiegels Renovatio Roman-[orum] imp[erii] entfiel und wurde durch die Formel Renovatio regni Franc[orum] ersetzt. Griechische Abgesandte sind an L.s Hof noch wiederholt, aber eher beiläufig (817, 824, 826, 827, 833, 839) bezeugt. Im übrigen blieb es unter ihm durchweg bei einer im ganzen defensiven Grenzpolitik. L. nahm 814 die Lehnshuldigung des dän. Thronprätendenten Harald entgegen, hob ihn 826 in Mainz aus der Taufe und sandte Ansgar zur Missionierung des Nordens aus; Harald vermochte sich jedoch in seinem Lande nicht durchzusetzen. An der Elbelinie und besonders im Südosten kam es mit den angrenzenden Slawen wiederholt zu Kämpfen, die ihre Wellen zeitweise bis zu den Bulgaren schlugen, aber|diese Geschehnisse gehören, ebenso wie die Auseinandersetzungen in Italien (Benevent und Venedig), nicht zur Biographie L.s, der in solchen Zusammenhängen zwar gelegentlich Gesandtschaften empfing – insbesondere 826 in Ingelheim –, in aller Regel aber diese Aufgaben den Unterkönigen und Grenzgrafen überließ. Er selber zog 818 und 824 gegen die Bretonen zu Felde, offenbar ohne nachhaltigen Erfolg. Sichtlich kein Heerführer von Rang, griff er auch in Wasconien und Spanien, wo es immer wieder brodelte, nicht persönlich ein.

      In der „Innenpolitik“, in der Regierung des Reiches und der Kirche, steht dagegen, mindestens für den Anfang, der persönliche Wille und Beitrag L.s außer Zweifel. Hier setzte der Generationswechsel von 814 neue Energien zur Festigung und Mehrung des überkommenen Erbes frei. Persönlich zur Strenge, ja zum Mißtrauen geneigt, verwies L. seine Schwestern vom Hof in ihre Klöster und entließ auch die Brüder Adalhard und Wala, seine bisher sehr einflußreichen Seitenverwandten. Auf die Sicherung der Randländer bedacht, entbot er seinen Neffen Bernhard, den Sohn Pippins und italischen Unterkönig, zur Huldigung. Zugleich bestellte er – schon 814 – seine eigenen Söhne Lothar und Pippin zu Unterkönigen in Bayern und Aquitanien. Oberster Hofkaplan blieb der EB Hildebald von Köln; nach dessen Tod (818) folgte der Abt Hilduin von Saint-Denis. Aus Aquitanien brachte L. seinen Kanzler Helisachar an den Hof, ebenso seinen Jugendfreund Ebbo, den er 816 zum Erzbischof von Reims erhob. Als einflußreicher Berater begegnet bald auch der Graf Matfrid von Orléans.

      Der neue Schwung der kaiserlichen Regierung wird von Anfang an in einer ausgiebigen Beurkundungstätigkeit sichtbar. Die insgesamt nahezu 500 Diplome L.s, ausgefertigt unter der Leitung der Kanzler Helisachar (814–19), Fridugis (819–32), Theoto (832–34) und Hugo (834–40, – 844, Halbbruder L.s, Abt von Saint-Quentin), stellen mit ihrer ausgereiften diplomatischen Kursive und der geschliffenen Latinität ihrer Textformulare, so in der Verbindung des Immunitätsprivilegs mit dem Königsschutz, den mustergebenden Höhepunkt frühmittelalterlicher Kanzleigeschichte dar. Überhaupt stehen die ersten Jahre für Reich und Kirche im Zeichen gesetzgeberisch-programmatischer Normung und Fixierung durch regelmäßige Reichsversammlungen, durch eine stattliche Zahl von gewandt formulierten Kapitularien, in der Tradition Karls d. Gr. und zugleich über ihn hinaus. Mit der Konstituierung der Bistümer Hildesheim und Halberstadt und des Missionserzbistums Hamburg sowie der Klöster Corvey und Herford vollendete L. die Basis der sächsischen Kirchenorganisation. Aus Aquitanien berief er den Mönchsreformer Benedikt von Aniane zum Abt der Neugründung Inden (Kornelimünster) und betraute ihn mit der Aufsicht über die Reichsklöster insgesamt, die, wie sich besonders an den Kaiserdiplomen ablesen läßt, mit den Hochstiften zu einer gefestigten, an den Herrscher gebundenen Reichskirche zusammenzuwachsen begannen. Auf einer großen Aachener Synode wurden 816 für die Mönchs- und Nonnenklöster eine neu formulierte, von jeder Mischobservanz gereinigte Benediktregel, für die Kanonikerstifte (und analog für die Kanonissen) eine – freilich nur mittelbar an Chrodegang von Metz orientierte – Institutio unter L.s Autorität als verbindliche Normen verkündet. Es folgten 817-19 weitere Bestimmungen für Bischofskirchen und Klöster (Wahlrecht, Reichslasten, Einkünfteregelung, Sicherung und Beaufsichtigung der Eigenkirchen). Rasche Erfolge dieser Vorschriften sind nicht erkennbar, um so bedeutender aber wurde die prägende Fernwirkung der Statuten von 816 im 10. und 11. Jh.

      Auch die geltende Oberhoheit über Rom wurde neu formuliert. Als der Papst Leo III. 815 eigenmächtig eine Verschwörung blutig unterdrückte, ordnete L. eine Untersuchung durch Kg. Bernhard an, ließ sich aber durch päpstliche Gesandte beruhigen. Bei der durch Leos Tod 816 eintretenden ersten Vakanz unter dem neuen Kaisertum griff man weder in Rom noch in Aachen auf das seit der Mitte des 8. Jh. faktisch erloschene kaiserliche Bestätigungsrecht zurück, aber der neue Papst Stephan IV. (816–17) ließ die Römer einen Treueid auf den Kaiser schwören und begab sich zu L. nach Reims. Eine segnende Festkrönung mit einer angeblichen Konstantinskrone (Okt. 816) brachte den röm. Ursprung des Kaisertums in Erinnerung. Als mittelbares Ergebnis der Reimser Verhandlungen stellt sich das Pactum Hludovicianum von 817 für den nächsten Papst Paschalis I. (817–24) dar, das – nach dem Verlust des Kaiserprivilegs für Stephan IV. – erste und für spätere Zeiten mustergebend ausformulierte Kaiserprivileg für die röm. Kirche. Es bestätigte mit dem Territorium und der internen Autonomie des Kirchenstaates auch die Freiheit der Papstwahl, die erst nach der Weihe dem Kaiser anzuzeigen war.

      Der Wille zur Konsolidierung gewachsener Ordnung gipfelte in einer großzügigen politischen Neuregelung, die, sichtlich von L.s geistlichen Beratern konzipiert, im Juli 817 auf einer Aachener Reichsversammlung verkündet wurde. Die bisher nur faktisch – zuletzt durch die Todesfälle von 810/11 – zustande gekommene Einheit des Gesamtreiches im Zeichen des Kaisertums wurde zum durchdachten Prinzip erhoben. Dem entspricht es, daß seit 814 in den Urkunden hinter dem Kaisertitel auch der Bezug auf Franken und Langobarden verschwunden ist, ungeachtet der erwähnten Bullenumschrift. Dieses Programm wurzelte geistig im christlichen Universalismus, wie ihn mit publizistischer Verve vor allem EB Agobard von Lyon verfocht, es entsprach aber auch, angesichts der über viele Länder verbreiteten Rechte, Ämter und Güter, den sehr konkreten Wünschen der Kirchen und weitverzweigter Adelsgruppen. Lothar wurde (wie L. selber 813) zum Mitkaiser gekrönt und zum Nachfolger bestimmt, während Pippin und Ludwig (der Deutsche) als Unterkönige in Aquitanien und Bayern eingesetzt wurden. Diese Ordinatio imperii untersagte über L.s Tod hinaus weitere Teilungen und gab der nach Sinn und Tradition genossenschaftlichen Teilung eine herrschaftliche Wendung: Die Teilkönige sollten in allem, was über ihre interne Autonomie hinausging, dem Kaiser untergeordnet bleiben. Dieses theologisch fundierte, imperial formulierte Programm war eine kühne Konzeption, geradezu eine verfrühte Reichs- und Staatsidee, die dem Rechtsdenken des Zeitalters weit vorauseilte. Ob und in welchem Ausmaße sie sich in der dynastischaristokratischen Welt auch würde durchsetzen lassen, war die Frage, die L.s weitere Regierungszeit überschattete. Die Widerstände blieben nicht aus, treten für uns aber nur vordergründig, namentlich im Kaiserhause selber, in helles Licht, während die offenbar wechselnden Gruppierungen im Adel oft undeutlich bleiben. Das Persönlichkeitsbild L.s verliert dabei sehr an Festigkeit und wird immer mehr durch die Unausgeglichenheit seines Charakters bestimmt.

      Der ersten Krisen wurde er aber Herr. Der in der Ordinatio übergangene Bernhard von Italien ließ sich zu einer Empörung hinreißen, die jedoch rasch zusammenbrach. Er starb an der Blendung, die L. – statt des Todesurteils der nächsten Aachener Reichsversammlung (April 818) – über ihn verhängte (17.4.818). Erneut mißtrauisch geworden, zwang L. seine jungen Halbbrüder, Karls d. Gr. nicht vollbürtige Söhne Drogo, Hugo und Theuderich, zum Eintritt in den geistlichen Stand und entsetzte den Bischof Theodulf von Orléans seines Amtes. Die Bemühungen um kirchliche Reformen und politische Konsolidierung gingen jedoch weiter, wenn auch seit dem Tode Benedikts von Aniane (821) sichtlich mit geringerer Energie. – Auf den Reichsversammlungen von 821 (im Mai zu Nimwegen, im Oktober zu Diedenhofen) wurde die Ordinatio von 817 beschworen. Ein Ausgleich mit den bisher ausgeschalteten und bekämpften Gruppen zielte auf eine erneute Sammlung der Kräfte. In Diedenhofen wurden die Teilnehmer an der Verschwörung Bernhards begnadigt, ebenso Adalhard, dessen Bruder Wala gleichfalls an den Hof zurückkehrte. Zu Attigny versöhnte sich L. im August 822 auch mit seinen Halbbrüdern; Drogo wurde Erzbischof in der Karolingerstadt Metz. Zugleich sanktionierte L. sein Friedenswerk durch eine öffentliche Buße für alles Unrecht, das er insbesondere den Seinen angetan hatte; mit einem Bekenntnis ihrer Pflichtvergessenheit folgten die Bischöfe seinem Beispiel. Die neuen Ratgeber, unter denen neben Adalhard († 826) und Wala der Erzkaplan Hilduin hervortrat, blieben bei alledem auf eine nachhaltige Festigung der Reichsautorität bedacht. Begleitet und beraten von Wala, begab sich Lothar 822 nach Italien. Er wurde von Paschalis I. nach Rom eingeladen und am Osterfeste 823 gekrönt; es war abermals eine bloße Festkrönung, aber zum ersten Mal seit 800 wieder eine Krönung in Rom, wo der Zweitkaiser sogleich wieder eine unmittelbare Gerichtsgewalt in Anspruch nahm. Nach des Paschalis Tod erwirkte Wala die Erhebung des frankenfreundlichen Aristokraten Eugen II. (824–27), und bei einem abermaligen Aufenthalt in Rom verkündete Lothar 824 die Constitutio Romana über eine Reorganisation des Kirchenstaates, der jetzt im Auftrage des Kaisers einer steten Kontrolle unterworfen, also über die bisherige Praxis hinaus ins Reich einbezogen wurde, zumal der gewählte Papst vor der Weihe dem Vertreter des Kaisers einen Treueid leisten sollte. Lothar kehrte 825 an den Kaiserhof zurück und wurde, auch formell im Titel der Urkunden, Mitregent L.s, dessen wahrscheinlich im August 825 in Aachen erlassene Admonitio ad omnes regni ordines erneut von lebendigem Reformwillen zeugte. – Aus den Kontakten mit Byzanz und Rom ergab sich die Notwendigkeit, nochmals den Bilderstreit zu erörtern; dies geschah 825 auf einer Synode in Paris, blieb aber ein bloßer Nachhall ohne Bedeutung.

      Das erste Jahrzehnt von L.s Regierung darf nach alledem als Höhepunkt der fränk.-karoling. Reichsgeschichte gewertet werden. Die|vielseitige Breitenwirkung der karoling. Bildungsreform relativierte gewiß die bis dahin dominierende Stellung des Kaiserhofes im geistigen Leben, aber seine Schriftkultur, sein hoher Rang und seine ansehnliche Bibliothek bestanden fort und erneuerten sich gar in der Folgezeit; auch L. wurden Verse, theologische Schriften und kostbare Codices gewidmet; nach vorwiegender, jedoch umstrittener Forschungsmeinung war er der Auftraggeber des altsächs. Heliand. Die politische Stabilität geriet dagegen ins Wanken. Es steigerten sich die Unruhen an den Grenzen, im Süden die Übergriffe der Sarazenen, vom Norden her die Vorstöße der Normannen (seit 834 Jahr für Jahr), an deren Abwehr L. nach wie vor keinen Anteil hatte. Die gefährlichen Erschütterungen bahnten sich aber im Innern an. In Reich und Kirche, denen es an einem organisatorischen Unterbau fehlte, lag weiterhin vieles im argen. Angesichts dieser Aufgaben wurden die kaiserliche Autorität, L.s Energie und Führungswille unverkennbar schwächer. Die Passivität des Kaisers hatte zur Folge, daß der hohe Klerus den Kampf um das steckengebliebene Reformwerk stärker als bisher aus eigener Initiative aufnahm und sich seiner Autonomie, ja seines geistigen Führungsanspruches bewußt wurde. Zugleich regten sich in L.s Umgebung, am Hof und im Adel, Widerstände gegen das politische Programm der Ordinatio von 817. Personell zeichnen sich diese rivalisierenden Gruppen weiterhin nicht deutlich ab, doch tritt als zentrale Gestalt allmählich die neue Kaiserin Judith in den Vordergrund, die ehrgeizige Mutter des 823 geborenen vierten Kaisersohnes Karl (des Kahlen). Für ihn gewann sie Lothar als Taufpaten und, 829, den Gelehrten und Dichter Walahfrid Strabo als Erzieher, für ihn erstrebte sie aber auch einen Anteil an der Reichsherrschaft. Das entsprach dem am Teilungsprinzip orientierten überkommenen Rechtsdenken, lief jedoch dem Nachfolgegesetz von 817 zuwider.

      Zwar verteidigte der Gf. Bernhard von Barcelona, der Sohn Wilhelms von Toulouse, 827 erfolgreich seine fränk. Bastion in Spanien, im übrigen aber verliefen die Grenzkämpfe dieses Jahres sehr unglücklich. Die Grafen Hugo von Tours und Matfrid von Orléans, aber auch Mgf. Balderich von Friaul wurden Anfang 828 ihrer Ämter enthoben. Mit den immer lebhafter beklagten Mißständen in Reich und Kirche befaßten sich im Winter 828/29 eine Aachener Versammlung, dann Anfang 829 vier Synoden in Mainz, Lyon, Paris und Toulouse. Hier wurden Reformprogramme sehr grundsätzlicher Art entwickelt, die über die Bemühungen des letzten Jahrzehnts hinaus im Geiste der (schon spätantiken) Lehre von den beiden Gewalten – auctoritas sacrata pontificum et regalis potestas – auf eine Auflockerung des Staatskirchentums, ja auf eine Art von geistlicher „Normenkontrolle“ des öffentlichen Lebens zielten. L. aber und die Seinen erwiesen sich nicht – jedenfalls nicht mehr – willens und imstande, auch ihrerseits solche Wege zu beschreiten; naiver Machtwille überwucherte die hochfliegenden, im politischen Bereich freilich auch unrealistischen Reformideen – eben daraus ergab sich die schwere Krise der nächsten Jahre.

      Auf die in einer relatio des Episkopats formulierten Reformwünsche ging L. nicht ein. Dagegen übertrug er im Aug. 829 auf einer Wormser Reichsversammlung seinem jüngsten Sohn Karl Alemannien mit Rätien, dem Elsaß und einem Teil Burgunds. Ob dieser Bereich als künftiges regnum im vollen Rechtssinne gedacht war, steht dahin, aber dem Geist der Ordinatio von 817 widersprach diese Regelung sehr, sie bezeichnete einen Sieg Judiths und einen völligen Kurswechsel des Kaiserhofes. Die Verfechter der Reichseinheit waren beiseite geschoben; Lothar, in den Urkunden nicht mehr als Mitregent genannt, wurde nach Italien entlassen; neue Männer, voran der zum Kämmerer berufene Bernhard von Barcelona, herrschten am Hof. Der Kampf um das Programm von 817 wurde ein Kampf um die Macht am Hofe. Die Initiative lag jedoch vorerst nicht bei den älteren Kaisersöhnen. Wala (seit 826 als Nachfolger seines Bruders Adalhard Abt von Corbie), der Erzkaplan Hilduin, der frühere Kanzler Helisachar erscheinen als Anführer einer Gruppe, die durch eine loyale Palastrevolution gegen den Kaiser selber die erstrebte Reichsordnung sichern wollte, sich dabei freilich im Kampf gegen die Gruppe um Judith und Bernhard mit Hugo, Matfrid und anderen Magnaten traf, deren Motive kaum über persönliche Feindschaft hinausreichten. Die Vorbereitungen zu einem auf Frühjahr 830 anberaumten Bretonenfeldzug schlugen in einen großen Aufstand um, dem L. keinen Widerstand entgegenzusetzen wagte. Bernhard floh nach Barcelona, Judith wurde nach Poitiers ins Radegundiskloster verwiesen. Unter der Leitung des aus Italien zurückgekehrten Mitkaisers Lothar tagte im Mai 830 zu Compiègne eine Reichsversammlung, die sich – soweit erkennbar – formal mit der Wiederherstellung des vorherigen Rechtszustandes begnügte: Lothar erscheint jedenfalls wieder als Zweitkaiser in den|Diplomen, in Wirklichkeit aber trat er als Alleinherrscher auf, beschränkte L. auf eine nominelle Rolle und wollte ihn gar zum Eintritt in den Mönchsstand bewegen. Ohne daß wir die Hintergründe im einzelnen durchschauen, gewann L. in kürzester Frist wieder das Übergewicht. Er ließ den jüngeren Söhnen Pippin und Ludwig eine Vergrößerung ihrer Reichsteile anbieten und konnte sich auf der nächsten Reichsversammlung, im Okt. 830 zu Nimwegen, wieder durchsetzen. Lothar leistete einen neuen Treueid, Judith 1 kehrte zurück, die Anführer des Aufstandes wurden vom Hofe verwiesen und dann im Febr. 831 in Aachen abgeurteilt: Wala und Hilduin, nicht mehr Erzkaplan, wurden verbannt; Lothar, nicht mehr Mitregent, mußte nach Italien zurückkehren. Auf dieser Aachener Versammlung wurde wahrscheinlich eine neue Erbteilung verkündet, die Lothar auf Italien beschränkte und im übrigen, wohl im Rückgriff auf die Divisio von 806, Pippins und Ludwigs Anteile weit ins Reichsinnere, Karls. Gebiet um den Mosel- und Rhoneraum erweiterte. Der Aufstand von 830 hatte also nicht zur Sicherung der Ordinatio, sondern zur Preisgabe der Reichseinheit geführt; Judith schien gesiegt zu haben.

      Statt einer Beruhigung kam es bald, bei erneut schwindender Führungskraft L.s und wechselnden Gruppierungen, zu neuen Gegensätzen, die sich, wiederum im einzelnen schwer durchschaubar, für uns nur noch als erbitterter Machtkampf in Dynastie und Hochadel darstellen. Daß die großzügige Ausstattung des jungen Karl die älteren Brüder sehr verstimmt hatte, steht außer Zweifel. Offenbar durch Judiths Bemühen, Lothar auf die Seite ihres Sohnes zu ziehen, kam es jedoch zunächst zu einer halben Aussöhnung: Auf einer Reichsversammlung in Ingelheim empfing L. im Mai 831 Lothar und amnestierte die meisten seiner Anhänger, darunter Hilduin, nicht jedoch Wala. Aber die Spannungen zu den anderen Söhnen bestanden fort. Pippin blieb im Okt. 831 einer Diedenhofener Reichsversammlung fern und verließ gegen Jahresende im Unfrieden den Hof, Ludwig von Bayern empörte sich Anfang 832. Dieser Widerstände wurde der Kaiser jedoch Herr. Er beließ dem jüngeren Ludwig Bayern, verwies Pippin dagegen nach Trier und sprach Aquitanien Karl zu. Die Erbteilung vom Vorjahre war damit schon umgestoßen, ja L. erwog nunmehr eine Teilung des Gesamtreiches (außer Bayern) nur zwischen Lothar und Karl.

      Statt dessen aber flammte Anfang 833 der schwelende Konflikt zu äußerster Heftigkeit auf, da Pippin und der jüngere Ludwig sich jetzt mit ihrem Bruder Lothar verbündeten, in gemeinsamem Widerstande, aber kaum mit klarem gemeinsamem Ziel. Für Lothar war es ein Kampf um seine Rechte aus der Reichsordnung von 817. Um für dieses ja auch religiös konzipierte Programm und überhaupt für die Friedenswahrung mit seiner geistl. Autorität einzutreten, fand sich Papst Gregor IV. (827–44) bereit, Lothar in die Francia zu begleiten. Wala dagegen trat nach den Erfahrungen von 830 nur widerstrebend neben Ebbo von Reims auf Lothars Seite. Wortführer des Aufstandes wurde Agobard von Lyon, während Drogo von Metz mit anderen Bischöfen ebenso entschieden zu L. hielt. So kam es unvermittelt zu einer Konfrontation von kaiserlichem, reichsbischöflichem und päpstlichem Anspruch. Der von L.s Bischöfen als frater angeredete und an seinen Treueid gemahnte Papst berief sich, ebenso wie Agobard, auf den religiösen Vorrang der priesterlichen, insbesondere päpstlichen Gewalt. Über diesen Prinzipienkampf aber ging der Machtkampf hinweg. Während sich die Heere bei Kolmar gegenüberlagen und L. mit dem Papst über einen Ausgleich verhandelte, wußten die Gegner am 24.6.833 seine Anhänger auf ihre Seite zu ziehen, so daß L. sich sechs Tage später gefangen geben mußte. Diese formlose Preisgabe L.s durch seine Getreuen auf dem Rotfelde, das später „Lügenfeld“ genannt wurde, bedeutete im Rechtsdenken der Zeit seine Absetzung. Ebenso formlos ging die Herrschaft an Lothar über, der den kaiserlichen Urkundentitel L.s annahm, aber seinen eigentlichen Anspruch nicht aufrechtzuerhalten vermochte. Seinen Brüdern Pippin und Ludwig, die ihm vielleicht ein Treueversprechen leisteten, räumte er ausgedehnte Länder zu sofortiger selbständiger Herrschaft ein. Karl blieb von dieser Teilung ausgeschlossen, aber auch von der Ordinatio war nur ein schwacher Abglanz übriggeblieben. Gregor IV. sah seine Autorität mißbraucht und kehrte enttäuscht nach Rom zurück.

      Lothar und seine Parteigänger zeigten sich zum äußersten entschlossen, um die labile neue Herrschaft zu stabilisieren. Karl wurde nach Prüm, Judith nach Tortosa, L. in das Medarduskloster nach Soissons verbracht. Von den Erzbischöfen Ebbo und Agobard beraten, wenn nicht gar getrieben, wollte Lothar den Sturz L.s kirchlich sanktioniert und unwiderruflich gemacht wissen. Das Idoneitätsprinzip, die Auffassung vom Herrschertum als einem von Gott verliehenen Amt in der ecclesia, wurde zu einer Waffe|gegen den Kaiser. Im Okt. 833 erklärten die in Compiègne versammelten Bischöfe, L. habe sein Amt – ministerium sibi commissum – schlecht verwaltet und mahnten ihn zur Kirchenbuße. In Saint-Médard zu Soissons folgte eine feierliche Zeremonie, bei der Ebbo von Reims als Ankläger auftrat. Der gestürzte Kaiser bekannte sich ob vielfacher Schuld, insbesondere der Gewalttaten gegen seine Anverwandten und der Verstöße gegen die Reichsordnung, der Herrschaft unwürdig, legte die Waffen ab und nahm als Exkommunizierter das Büßergewand. Seine Thronfähigkeit sollte damit erloschen sein, ja die Kaiser- und Königswürde schien, kaum zwanzig Jahre nach L.s Thronbesteigung, in eine tödliche Krise geraten.

      Lothar und seine Ratgeber hatten jedoch den Bogen überspannt. Der Abt Hrabanus Maurus von Fulda protestierte gegen die Entthronung des alten Kaisers, den Lothar als Gefangenen mit nach Aachen führte und dem abermals der Klostereintritt nahegelegt wurde. In kürzester Zeit kehrten sich die Fronten wieder um. Durch die harte Behandlung des Vaters, anscheinend aber auch durch den Versuch, die politisch-territoriale Position der Brüder wieder zu beschneiden, brachte Lothar zunächst Ludwig von Bayern, dann auch Pippin von Aquitanien gegen sich auf. Er wich nach Saint-Denis aus, ließ dort aber den Vater und den (inzwischen auch an den Hof geholten) Halbbruder Karl zurück und zog am 28.2.834 fluchtartig nach Burgund ab. Schon am 1.3., einem Sonntag, wurde L. dann in Saint-Denis wieder in die Kirchengemeinschaft aufgenommen und als Kaiser anerkannt. Pippin und Ludwig fanden sich bei ihm ein, auch Judith wurde befreit. Der jetzt unausweichlich gewordene, mit grausamer Gewalt ausgetragene offene Kampf schien in eine neue Katastrophe L.s einzumünden, denn an der Bretonengrenze wurde sein Heer geschlagen (der Kanzler Theoto fiel), und Lothar eroberte vom Süden her die Stadt Chalon. Auf die letzte Machtprobe mit den überlegenen Kräften des Vaters ließ er es aber schließlich doch nicht ankommen. So konnte L. im Spätsommer oder Herbst 834 bei Blois die Unterwerfung Lothars entgegennehmen. Er beließ ihm Italien, gebot ihm aber, dieses Land nicht eigenmächtig zu verlassen; mit zahlreichen Getreuen, darunter Wala († 836) und Agobard, kehrte Lothar über die Alpen zurück. Ohne die letzte Teilung anzuerkennen, duldete L., daß Pippin ein nach Norden erweitertes Aquitanien, Ludwig anscheinend die rechtsrheinischen Länder behielt. Mit einer Reichsversammlung in Diedenhofen, einer feierlichen Restitution des Kaisers im Dom der Karolingerstadt Metz (28.2.835) und der Resignation Ebbos als Erzbischof von Reims gingen die fünfjährigen Wirren zu Ende.

      Das Amt des obersten Hofkaplans hatte L. anscheinend schon 830 dem nicht sicher bestimmbaren Abt Fulko anvertraut (bezeugt 833), ihn aber wohl gleich 834, spätestens 836 durch seinen in Treue bewährten Halbbruder EB Drogo ersetzt. Die Leitung der Kanzleigeschäfte ging 834 an seinen anderen Halbbruder, den Abt Hugo, über. Am Hofe war damit wieder Stetigkeit eingekehrt, nicht aber im Reich, für dessen Küstenländer sich die Normannen- und Sarazenengefahr von Jahr zu Jahr steigerte. Trotz einer neuen Aachener Reformsynode von 836 fanden auch die kirchlichen Dinge nicht zu wirklicher Konsolidierung. Vor allem aber blieb die Ausstattung des jüngsten Kaisersohnes Karl eine offene Frage. Ohne Verständigung mit Lothar, der sich gegen die Aussöhnungsbemühungen des Hofes sperrte, bestimmte L. 837 in Aachen weite Länder im Raum zwischen Rhein, Seine und Nordküste als – wohl künftigen – Anteil Karls, den er 838 in Quierzy endlich wehrhaft machen und zum König krönen konnte. Der jüngere Ludwig, der sich erneut auflehnte, wurde wieder auf Bayern beschränkt. Als dann aber Pippin I. von Aquitanien am 13.12.838 starb, war die Bahn frei für die von Judith offensichtlich längst erstrebte Lösung. L. überging den Erbanspruch Pippins II, empfing Lothar zu formeller Aussöhnung auf einer Reichsversammlung in Worms (Juni 839), setzte u. a. auch Agobard wieder in sein Erzbistum ein († 840) und ordnete eine Teilung des Gesamtreiches außer Bayern nur zwischen Lothar und Karl an. Italien und die Länder östlich einer Linie von der Maas zum Genfer See sollten an Lothar, der Westen an Karl fallen. Dieser Entscheidung aber widersetzten sich sowohl Ludwig von Bayern wie eine bedeutende Gruppe des aquitanischen Adels, der Pippin II. zum König ausrief. L. zog nun selber zu Felde, 839 nach Aquitanien, 840 gegen Ludwig. In dieser wirren Situation starb L., nachdem er vom Krankenlager aus den Zweitkaiser Lothar durch Zusendung der Reichsinsignien zum Nachfolger designiert hatte. Sein Bruder Drogo setzte ihn im alten Hauskloster der Karolinger bei.

      Einem Herrschernamen das Attribut pius (oder piissimus) beizulegen, gehörte allgemein zur rhetorisch geprägten Topik der Literatur, der Urkunden und der Münzen. Dieses Epitheton begegnet im 9. Jh. und noch darüber hinaus bei L., bei Ludwig dem Deutschen und selbst bei Ludwig dem Kinde. Abgesehen von einem isolierten Zeugnis bei Notker von St. Gallen (Hludovicus agnomine pii, 887) hat sich diese Bezeichnung als individueller Beiname L.s erst im 10. und 11. Jh. eingebürgert. Sie ist auch in der Wissenschaft fester Sprachgebrauch geworden und entbehrt nicht der Berechtigung, denn persönliche Frömmigkeit und Aufgeschlossenheit für Wesen und Anliegen der Kirche treten bei L. ausgeprägt und vertieft zutage. An der schillernden Duplizität der französischen Titel Louis le Pieux und Louis le Débonnaire ist freilich abzulesen, daß dem Beinamen auch eine negative Note im Sinne der Schwäche, der Nachgiebigkeit gegenüber geistlichem Machtanspruch eignen kann. Der unverkennbare Kontrast zu Karl d. Gr., dessen Format L. sicherlich nicht hatte, eine isolierte, unnuancierte Blickrichtung auf die Szenen von 822 und 833, unreflektiert nationalliberale. Wertungskategorien der Geschichtsschreibung haben solche Vorstellungen zu einem Klischee verdichtet, das die älteren Darstellungen und Handbücher beherrscht, in jüngeren Studien aber differenzierend aufgelok-kert worden ist. In L.s Regierung begegnen sich Kulmination und Wende des fränk.-karoling. Zeitalters, aber daß diese Jahrzehnte schlechthin eine Periode des Verfalls gewesen seien, behauptet niemand mehr. In der Kirchenpolitik vor allem der Anfangszeit, aber auch im Willen zur organisatorischen Straffung des Reiches ließ L. es, bei allem Verdienst seiner Berater, nicht an eigener Energie fehlen; das geistige Leben, die sog. Karoling. Renaissance, fand unter ihm zu gesteigerter Entfaltung, der politischen Konzeption einer einheitlichen Reichsstruktur eignet fraglos ein großer Zug. Als sich dann freilich die Probleme türmten, wußte L., jetzt anders beraten und wechselnd beeinflußt, seine anfängliche Energie nicht mehr zu behaupten. Es liegt zwar vordergründig nahe, wäre jedoch unhistorisch, in des Kaisers persönlichem Versagen die primäre Erklärung für diese Wende sehen zu wollen. Die entscheidenden Gründe waren objektiver Art. Das Programm von 817 war eine theoretische, von den Zeitgenossen auch geistig kaum erfaßte Konstruktion geblieben, der es an den wirtschaftlichen und verkehrstechnischen, administrativen und militärischen Voraussetzungen fehlte. Der Weg zu einer innerdynastischen Aufgliederung des Riesenreiches erscheint im historischen Rückblick als ein strukturbedingter Sachzwang, dem auch ein Karl d. Gr. schwerlich Einhalt geboten hätte. So ist L. als eine zentrale Gestalt des noch gemeinsamen german.-roman. Europa zu sehen, eines Zeitalters, das zur gemeinsamen Basis deutscher und franz. Geschichte gehört – L. wird als erster in der langen Reihe franz. Könige dieses Namens gezählt -, das aber in manchen Bezügen, so in der Kloster- und Kirchenreform, in der neuartigen Polarität von Herrschertum, Adel und Episkopat wie auch in der sich anbahnenden staatlichen Pluralität schon spezifische hochmittelalterliche Probleme, teilweise sogar normgebend, vorweggenommen hat.

      [2]

  • Quellen 
    1. [S3] Karl-Heinz Schreiber, Genealogie-Mittelalter.de, .

    2. [S21] Neue Deutsche Biographie Onlinefassung, Schieffer, Theodor, "Ludwig der Fromme" in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 311-318 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118640658.html.